Die Melodie ist eine Einheit, Ingo! Da werden keine Schritte gezählt. Deshalb kann man sie sich ja leicht merken, als Einheit eben, ohne an die einzelnen Töne zu denken. Während ein Dutzend unzusammenhängender Töne nur schwer im Gedächtnis zu behalten wären. Eine Melodie oder auch ein ganzes Stück strengt das Gedächtnis nicht mehr an als ein einzelner Ton.

Überschaubare Anzahlen sind auf einen Blick erkennbar. Man kann aber immerhin nachzählen oder auch in der Grundschule vorzählen.

Tonhöhen sind als Höhen von Tönen - das ist die variable Qualität - nicht "rein quantitative Empfindungen". Wenn sich ein Kind die Ohren zuhält, wird es ihm natürlich "zu viel", aber nicht etwa zu heiss oder zu schnell, sondern zu laut.

Wenn Computer "musizieren", kommen dabei meist nur Industrieprodukte heraus, die nach nichts schmecken. Zufallstreffer wären nicht auszuschliessen, wenn die Zahl der Versuche gross genug ist, ohne dass die Maschine den Treffer vom nichtssagenden Rest unterscheiden könnte. Beides dürfte daran liegen, dass es dafür keine Regel gibt.
Dass sich in der Musik Intuition und Methode ergänzen können und  ein Musiker durchaus auch, aber nicht nur methodisch arbeiten kann, mag so sein.

Wie Joachim habe ich ja gar nichts gegen Mathematik einzuwenden, solange mir nicht erzählt wird, dass sie das einzig wahre ist.

Claus


Am 29. Juli 2024 14:14:20 MESZ schrieb "Ingo Tessmann über PhilWeb" <philweb@lists.philo.at>:


Am 28.07.2024 um 18:52 schrieb Claus Zimmermann über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:

Addieren bedeutet doch, eine bestimmte Zahl von Schritten in der Zahlenreihe aufzusteigen. Wenn man das weiss und die Zahlenreihe kennt, kann man die Summe angeben und die Richtigkeit beweisen, indem man aufsteigend nachzählt.

Moin Claus,

auch die Tonfolge einer Melodie hat Anfang und Ende und wird nach dem Hören gleichsam als Summe wiedererkannt bzw. nachgeahmt. Gleicht das Summen einer Melodie nicht dem Abzählen mit den Fingern? Ich halte beide Tätigkeiten für gleich ursprünglich und vermute die gleiche Sensomotork dahinter. In beiden Fällen kommt es auch nicht auf die Zählzeichen bzw. Tonhöhen an, sondern auf ihre Verhältnisse zueinander.

Auf irgendwie vergleichbare Weise lässt sich methodisch nicht feststellen, ob eine Tonfolge eine Melodie ist oder nicht. Es ist aber auch keine blosse Behauptung. Man hört es oder nicht. Das Gehör dafür kann zwar geschult, aber nicht erlernt werden, wenn es nicht vorhanden ist. Im Prinzip so ähnlich wie Farbwahrnehmung. Keineswegs nur Quantitäten sind unmittelbar empfindbar. Was sollte eine nur quantitative Empfindung sein? Ich empfinde so- und soviel…nichts?

Auch Anzahlen sind unmittelbar erkennbar. Und wie in der Musik die Melodien sind in der Arithmetik die Summen methodisch zerleg- und fortsetzbar. In Melodien kommt es auf die Intervalle, nicht auf die Tonhöhen an. Wie sollten sie sonst transponierbar sein? Das sind rein quantitative Empfindungen. Ebenso ist es bei der Lautstärke, wenn sich bspw. ein noch nicht sprachfähiges Kind schützend die Hände vor die Ohren hält. Oder worauf wird Bezug genommen, wenn ausgerufen wird: es ist zu laut! Hieraus wird der primär quantitative Charakter des Bewusstseins erahnbar, der sinnesüberlagernd das gesamte Erleben zu basieren scheint.

Das Rechnen scheint mir das Reich der Methode zu sein, während man in der Musik damit bestenfalls völlige Fehlkonstruktionen vermeiden kann.

Nicht nur das Rechnen auch das Musizieren lässt sich Computern übertragen. Und denk an die serielle Musik. In Mathematik und Musik gleichermaßen ergänzen sich Intuition und Methode. Viele Menschen empfinden bspw. visualisierte fraktale Strukturen (wie die Apfelmännchen) als schön, serielle Musik aber als unschön.

Durch die Verallgemeinerung entsteht vielleicht etwas neues, dann wird aus Rechnen Mathematik, das kann ich nicht beurteilen. In der Musik kann in einem einfachen Lied schon alles zu finden sein.

Wie in einem einfachen Lied kann auch in einer einfachen Formel schon alles zu finden sein. Beispiel: exp(i x pi) + 1 = 0.

Das Erleben passiert uns. Methoden denken wir uns aus. Kunst ist, glaube ich, dem Erleben näher als dem Ausgedachten, fällt dem Hervorbringer nur nicht einfach in den Schoss. Konstruktionsregeln gibt es auch, aber sie sind doch bei weitem nicht alles.

Konstruktionsregeln sind auch in der Wissenschaft bei weitem nicht alles.

Ein Zahlensinn muss wahrscheinlich auch angeboren sein, um sich Mathematik ausdenken zu können. Aber das Ausgedachte scheint mir hier vor allem, wenn nicht ausschliesslich, streng methodisch zu sein. Deshalb gibt es hier Beweise, die jede Diskussion beenden. In der Kunst geschieht die Vertiefung des Angeborenen nicht vor allem methodisch.

Auch in der Mathematik werden Beweise neben ihrer Richtigkeit nach Einfachheit, Eleganz und Schönheit berurteilt. Zudem gibt es die unendliche Vielfalt von Anwendungen in nahezu allen Lebensbereichen. Das steht der Vertiefung in der Kunst nicht nach.

Ausdruck (im Sinn von "ausdrucksvoll") und Beweis sind 2 völlig verschiedene Paar Schuhe. Der Ausdruck kann und muss nicht erklärt werden. Unter Beweis würde ich laienhaft den Nachweis der formalen Korrektheit verstehen.

Ausdrucksvoll ist auch die obige Eulersche Gleichung, ihre Ausdrucksfülle kann allerdings im Beweis weitgehend erklärt werden.

IT
PhilWeb Mailingliste -- philweb@lists.philo.at
Zur Abmeldung von dieser Mailingliste senden Sie eine Nachricht an philweb-leave@lists.philo.at