Erfreulich reges Treiben hier: „Gehirn im Tank“, Zufall, Vernunft – Begriffe, die jeweils für sich ergiebigste „Threads“ hier im Forum sein könnten; dabei haben wir alle schon ausgiebig behandelt; dennoch bin ich mir sicher, dass nicht nur ich immer wieder neue bzw. andere  mit diesen Themen verknüpfte Aspekte aufscheinen sehe, sobald sich explizit das Augenmerk darauf richtet.

 

Was ist Zufall, was Vernunft? Die Fragen erneut zu stellen, obgleich sie im „Tank“ universell gespeicherten Wissens „Wikipedia“ (als eine Art moderner „Akasha-Chronik“) umfassend d.h. aus verschiedensten Blickwinkeln beantwortet resp. allgemeingültig erklärt sind, wirft die grundsätzliche Frage auf, warum diese Begriffsdefinitionen nicht ein für allemal in das kollektive Gedächtnis der Menschheit eingebrannt und daher nicht immer wieder auf‘s Neue zu hinterfragen sind.

 

Womöglich verhält es sich dabei wie  Augustinus‘ Frage nach der Zeit, wonach er sicher zu wissen glaubt, was diese sei und dennoch nicht spontan zu beantworten weiß, wenn er danach gefragt wird.

 

Zeit ist alles andere als ein eineindeutig eng umschrieben definierbarer Begriff und so verhält es sich auch mit dem Zufall und auch mit Vernunft.

 

Zufall als ein von Gott nicht erlaubtes und daher nicht existentes „x“, hatte Joseph kürzlich hier in die Diskussion eingebracht und  damit offenbar auf Einsteins „Gott würfelt nicht“ abgehoben, zugleich als strittige Frage in den Raum gestellt, ob es überhaupt „echten Zufall“ geben könnte.

 

Nun kann man, wie Ingo, den Nachweis eines echten Zufall mit einem „algorithmischen Zufallsgenerator“ in Verbindung bringen, was bisher jedoch (wie er anführt) gescheitert ist und  Ingo die Begründung gleich selbst formuliert: Echter Zufall kann nicht simuliert werden, ihn liefert nur der „ideale Würfel“. Ich möchte behaupten, dass es auch den idealen Würfel nicht wirklich, sondern diesen lediglich angenähert, eben als rechnergestützte Simulation gibt.

 

Die Herstellung eines realen „idealen Würfels“ scheitert an den Fertigungstoleranzen (selbst wenn diese mit heutiger Feinwerktechnik mindestens im Nanobereich liegt). Selbst allerkleinste Maßabweichungen zwischen den Würfelseiten würden ein wirklich zufälliges Würfelergebnis unmöglich machen. So bleibt nur die Annäherung, die jedoch dem hinreichend pragmatischen Anspruch zur Erzeugung von Zufallszahlen entspricht, nur eben kein echter Zufall sein kann.

 

Ein programmtechnisch erzeugter und im Rechner ablaufender idealer Würfel  simuliert den n-maligen Wurf eines Würfels, woraus sich die absoluten Häufigkeiten der jeweils erzielten Augenzahlen ergeben. Diese Häufigkeitswerte werden jeweils durch die Wurfzahl n dividiert, wodurch sich die mit dem Zufallsexperiment erzeugten relativen Häufigkeiten ergeben. Je größer n wird, desto mehr stabilisieren sich die relativen Häufigkeiten nach dem Gesetz der großen Zahlen. Damit lässt sich bei  extrem hoher Wurfzahl die relative Häufigkeit einer bestimmten Augenzahl (unabhängig von dieser) etwa gleich 1/6 und somit eine nahezu perfekte Annäherung an einen idealen Würfel simulieren, der dennoch keinen echten Zufall erzeugen kann.

 

Bei allem bislang hier zum Zufall Geschriebenen fragt sich, warum überhaupt nach echtem und scheinbaren Zufall unterschieden werden soll, wenn doch lebenspraktisch und auf technologische Relevanz bezogen, hinreichende Werkzeuge zur Erzeugung von Zufallszahlen verfügbar sind. Selbst das alltägliche, scheinbare Empfinden von Zufall, nämlich ein unerwartetes, individuell oder kollektiv erfahrenes, koinzidentes Zufallen eines Geschehens bringt keine Probleme mit sich, sofern man sich nicht an der Unwissenheit bezogen auf dessen konstituierenden kausalen Ablauf von Einzelheiten stört. Einzelheiten, die aufgrund ihres komplexen Beziehungsgeflechts nicht gewusst sein können, da man eben nicht die Allwissenheit des Laplaceschen Dämon hat.

 

 

Zufall, zunächst unbenommen der Unterscheidung zwischen echtem Zufall und sogenannten Pseudozufall, spielt im Gesellschaftsleben eine durchaus entscheidende Rolle. Sei es trivialerweise bei der Ziehung von Lottozahlen oder in der Gerichtsbarkeit, wo etwa bei der Schuld- bzw. Schadensfeststellung nach Vorsatz bzw. Lässlichkeit als Ereignisursache und einem zufällig – im Sinne von unvorhersehbar - eingetretenen Ereignis unterschieden wird.


Naturwissenschaftlich, gleichermaßen wie in der Philosophie ist die Frage nach wie vor unbeantwortet, ob diese Lebenswelt im Innersten kausal eindeutig vorherbestimmt oder zufällig strukturiert ist. In der Physik wird zwischen eindeutig als determiniert erkannten und zufälligen Prozessen unterschieden.  Dabei spielt die Gesetzmäßigkeit der Wahrscheinlichkeitstheorie eine wesentliche Rolle, wonach z.B. gemäß der Theorie Boltzmanns die Bewegungsenergie einzelner Moleküle immer vom weniger wahrscheinlichen Verteilungszustand in einen wahrscheinlicheren übergeht: Das Wahrscheinliche geschieht am Wahrscheinlichsten. Das Warme fließt in‘s Kalte, also vom Zustand hoher innerer Energie zu einem Bereich mit niedriger Energie. Diese Wahrscheinlichkeit ist demnach keine vage Möglichkeit, sondern eindeutig physikalische Determination.


Bei den hier betrachteten Molekülen handelt es sich um die Akkumulation mehratomiger Teilchen als Quantensysteme der Mikroebene. Echter Zufall vollzieht sich jedoch immer nur an der Einzelheit, also  den Teilchen, deren Einzelereignis sich grundsätzlich einer konkreten Beschreibbarkeit entziehen. Das gilt auch für die de Broglie-Bohmsche Führungsgleichung, denn selbst, wenn man eine kausale Bahn für einzelne Teilchen mathematisch konstruieren kann, ist aus dieser keine vollständige Beschreibung abzuleiten, da die Anfangsbedingung nicht erfassbar und damit nicht messbar ist.

 

Wirklicher Zufall vollzieht sich als anerkannte Realität der QM ausschließlich an einer Einzelheit; doch schon an einem Ensemble (eine Gruppe, als System von Elementarteilchen im Orts- oder im Impulsraum gesehen) zeigt sich ein vorhersagbares (auf Wahrscheinlichkeitstheorie bauendes) Resultat. Unter Beachtung der Gesetzmäßigkeit des sog. Quanten-Darwinismus ergibt sich quantenmechanisch die gleiche deterministische Struktur der physischen Lebenswelt wie sie in der klassischen Physik gilt.  Es ist der durch spezifische Umweltfaktoren der Lebenswelt jeweils ausgelöste Zusammenbruch von Superpostion (Kohärenz), der in permanenter Wechselwirkung zwischen Mikro- und Makrowelt die Dekohärenz  als Manifestierung des betreffenden Quantensystems bewirkt. 


Wechselwirkung entspricht dem sog. Messprozess der QM, bzw. bewirkt diesen. Es bedarf also nicht der Beobachtung eines Lebewesens, um Dekohärenz auszulösen und damit  rechtfertigt sich Einsteins Frage, ob denn der Mond nicht existierte, wenn kein Mensch ihn beobachten würde. 


Das Verhältnis von Einzelheit zur Gesamtheit ist durch das Zusammenwirken von Zufall und Notwendigkeit bestimmt. Ein durch Interaktion mit seiner Umgebung zerfallendes Quantensystem (Dekohärenz) fällt in eine bevorzugte (eben als die wahrscheinlichste) Basis einer klassisch physischen Realität (Umwelt) mit vorhersagbaren Zuständen.

 

Insoweit der Quantendarwinismus den Transit jedes denkbaren Quantensystems mit seinem riesigen Potenzial an Variationen zu der im Verhältnis deutlich eingeschränkten Menge an Pointerzuständen als einen sogenannt einselektiven Prozess  beschreibt, ergibt sich ein Problem an diesem Erklärungsmodell durch die dedizierte Aufteilung des universellen Quantenzustands als einerseits Quantensystem (Mikrowelt) und andererseits physische Umgebung (Makrowelt) mit verschiedenen Freiheitsgraden und damit gegenseitigen Phasenzufälligkeiten. Auf diesen Umstand wurde Zurek von R. Kastner hingewiesen. Den weiteren Verlauf dieser Disputation habe ich nicht verfolgt.

 

Mein Zugang zu dieser Thematik liegt nicht so sehr im Detail, sondern auf den wissenschaftlich nachgewiesenen Quantenwechselwirkungen, wobei ein jeweils betrachtetes Quantensystem sich durch Dekohärenz (Manifestierung des Quantensystems in eine bestimmte Basis von Eigenzuständen) mit seiner Umwelt interagiert und sich entsprechend an diese anpasst.  Der envariante Ursprung (durch spezifische Umweltfaktoren beeinflusste Invarianz) der Bornschen Wahrscheinlichkeitsregel ändert die Beziehung zwischen Un/wissenheit (und damit Information!) und der eigentlichen Natur von Quantenzuständen.

 

In diesem Licht erscheint mir Barads Annahme der Intra-Action, als einer der Materialisierung vorgängigen Verschränkung zwischen Mikro- und Makrowelt,  zwar ähnlich wie Zureks Theorie der envariance (von „entanglement-assisted invariance“, also der durch Quantenverschränkung gestützten Invarianz) als Basis der Materialisierung per Quantendarwinismus und damit in beiden Denk-Modellen eine plausible Erklärung, wie die klassisch physische Lebenswelt aus der Quantenwelt entsteht; die Konsequenz hinsichtlich der Frage, ob die Welt determiniert oder per Zufall strukturiert ist, bleibt in beiden Modellen vage verborgen. Daher neige ich eher zur de Broglie-Bohmschen Theorie, modulo der grundsätzlich gültigen Elemente der Denkmodelle von Barad und Zurek.

 

Das Thema wird uns noch weiterhin beschäftigen.

 

Mit bestem Gruß in die Runde! - Karl

 

 

 


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