Am 03.11.2022 um 23:20 schrieb Karl Janssen über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:


Moment mal, wie kommst Du darauf, ich hätte Radioaktivität in meinen Darlegungen zum Zufall ignoriert?

Ich schrieb: Bei den hier betrachteten Molekülen handelt es sich um die Akkumulation mehratomiger Teilchen als Quantensysteme der Mikroebene. Echter Zufall vollzieht sich jedoch immer nur an der Einzelheit, also  den Teilchen, deren Einzelereignis sich grundsätzlich einer konkreten Beschreibbarkeit entziehen....

Daraus sollte abzuleiten sein, dass wirklicher, also sog. objektiver Zufall in der QM an der Einzelheit eines (einzigen) radioaktiven! Atoms gegeben ist, dessen Zerfall, bezogen auf die zeitliche Abfolge, prinzipiell nicht vorhersagbar und damit rein! zufällig und eben nicht als ein Resultat beschreibbar ist. 


Moin Karl, 

das hatte ich natürlich gelesen, aber die Radioaktivität reicht ja tiefer, da es um Kernumwandlungen geht und in den Nukleonen wiederum um Quarkumwandlungen. In der Atomphysik wird die Radioaktivität nur phänomenologisch behandelt, ebenso wie in den Zufallszahlgeneratoren und sonstigen Anwendungen. Aber was geht da wirklich in den Nukleonen bzw. zwischen den Quarks vor sich? Und der schwachen WW mangelt es ja auch noch an der Parität bzw. Spiegelsymmetrie, zudem ist sie mit der elmag. WW zusammenführbar. Und die Paarerzeugung/-vernichtung birgt ebenfalls noch Geheimnisse.   


Also mit Verlaub: Dekohärenz ist löngst nicht mehr infrage zu stellen, sie ist experimentell technologisch nachgewiesen und erprobt.
Weitaus weniger nachgewiesen sind jedoch z.B. biochemische prozessuale Kohärenz/Dekohärenz-Zustände im Gehirn, wie in der Hameroff-Penrose These, wonach Mikrotuboli in ihrer symmetrischen Struktur als Informationsspeicher und damit als das Bewusstsein konstituierende Elemente angenommen werden. 


Bei der Dekohärenztheorie handelt es sich um eine Anwendung der QM, in der Bohmschen Mechanik bspw. kommt sie nicht vor, da sie aus der orthodoxen Darstellung der QM von Neumanns heraus entwickelt wurde. Quantencomputer sollen funktionieren und dazu sind viele Verfahren aus der Festkörperphysik und Informatik erforderlich. Ähnlich ist es ja beim Digitalcomputer, der ebenfalls auf Festkörperphysik und Informatik beruht. Und die Festkörperphysik ist ja bloß eine Anwendung der QM. Und natürlich war Einstein der erste, der die Quantentheorie bereits 1907 auf die Festkörperphysik anwandte in: „Die Plancksche Theorie der Strahlung und die Theorie der spezifischen Wärme.“


It‘s all about information, dieses mein Motto treibt Dich wohl um, doch ich treibe Dich noch dahin, damit Dir der Blick darauf weniger schwer fällt. …
Zweifelsfrei erweitere ich meinen Blick darauf auch in die Ebene der Metaphysik; zu Deinem Missfallen, aber da kann ich Dir nicht abhelfen und Dir nur raten, entsprechende Beiträge zu überspringen. … 


Allround statements wie „It‘s all about information“ sind bloße Propaganda, wenn sie nicht prüfbar sind. Metaphysik bleibt für mich an Physik gebunden. Paradebeispiel ist ja Hakens Synergetik, die er weitreichend aus der Lasertheorie entwickelt hat und geradezu schreiben könnte. It‘s all about synergetics! Im Unterschied zu Deiner Propaganda, sind die vielen synergetischen Modelle aber jeweils prüfbar. 


Barads Vorstellung von Intra-Action ist entgegen der üblicherweise als Interaktion bezeichnete Wechselwirkung eine „Intra-Handlung“ zwischen Elementen oder Körperlichkeiten, deren Eigenschaften der Intra-Action vorgängig  festgelegt sein müssen bzw. bereits festgelegt sind. Das ist eine durchaus ernst zu nehmende Annahme, eine These, die es zu falsifizieren gilt. Nicht mehr, nicht weniger.


Hat sie denn irgendein prüfbares Modell dazu detailliert ausgearbeitet? Wobei mir zudem die verallgemeinernde und damit zu anthropomorphe Schreibweise missfällt. Menschen handeln, Tiere verhalten sich, Pflanzen wachsen und Steine bewegen sich. Diese groben Unterscheidungen sollten nicht eingeebnet werden. 


Was soll denn das heißen? Dass Mikro- und Makrowelt verschränkt sind wie die Quanten in den EPR-Experimenten?

Exakt so habe ich das zunächst bei ihr verstanden und diese Vorstellung kam meinem Weltbild entgegen, insoweit ich die Mikrowelt eben nicht nur als chaotische Ansammlung von Elemtarteilichen im Überlagerungszustand, sondern (wie könnte es anders sein) auch als holografisch strukturierte immaterielle Informationsfelder (Bohms Holomovement) sehe. In der Intra-Action mit Materie ergibt sich dann „Matter and Meaning“ als untrennbare Einheit (als Ganzheit) solange diese als solche existiert.

Die Holobewegung ist Kernaussage in David Bohms Interpretation der QM und ist elementar kennzeichnend für sein ganzheitliches Weltbild (Du kennst es, aber ich erwähne es explizit für ggf. Mitlesende).

Bohm verbindet die Idee des Holomovement mit der Vorstellung einer ungeteilten Einheit (vielleicht sogar in Anlehnung an Soinoza), also ein ganzheitliches Prinzip von Weltgeschehen, im dem sich alles nach dem Gesetzt einer impliziten Ordnung im permanenten Prozess des Werdens und Vergehens befindet. Insoweit lässt sich dieses Denkmodell mit Barads Vorstellung verbinden, eben von einer in sich verschränkten Aktion zur fortwährenden Matrialisation in der untrennbaren Verbindung von „Matter and Meaning“ als untrennbare Einheit. Beiden Denkmodellen gemeinsam ist die „Ganzheit“ als ein Grundprinzip: das EINE. Um es in Anlehnung an C.F.v. Weizsäcker auszudrücken: die Verschränktheit des VIELEN mit dem EINEN sowie vice versa das EINE im VIELEN. Das lässt an Spinoza denken.  


Es kam Deinem Weltbild entgegen? Und woher kommt das? So wie bei bspw. bei Haken sollte umgekehrt das Weltbild den Formalismen folgen. Von der Verschränktheit des VIELEN mit dem EINEN sowie vice versa dem EINEN im VIELEN habe ich bei CFvW noch nichts gelesen bzw. erinnere mich nicht mehr. Auf welche Quelle beziehst Du Dich? Er schreibt viel vom Zusammenhang des Einzelnen mit dem „Ganzen" und umgekehrt, aber von „Verschränkung“? 


Gibt es einen entsprechenden Formalismus dafür, der testbar wäre?

Den Formalismus hat Bohm mathematisch beschrieben, wie Du es auch weißt. Sein Buch „Die implizite Ordnung“ hingegen ist sehr allgemein gehalten - ich habe es kürzlich nochmal überflogen und festgestellt, dass mir seine Idee besser gefällt, als die Darlegungen in diesem Buch (vielleicht liegt es auch an der Übersetzung, da ich es nur als deutsche Ausgabe 7/89 habe). Nun ja und auch Barads „Meeting the Universe halfway“ bietet m.E. keinen geschlossen dargestellten Formalismus.
Doch dIe Frage dabei ist: müssen alle Denkmodelle sogleich in „wasserfeste“ Formalismen gegossen werden? Was und wem nützen abertausend abgefasste wissenschaftliche Dokumente, Papers usf., wenn nicht „Hirn und Herz“ bereit sind, diese zu begreifen. 


Wittgenstein wandelte sich vom Logiker zum Umgangssprachler und Bohm vom Physiker zum Metaphysiker — und ähnlich hat sich Barad entwickelt. Aber was ist jeweils vom rationellen Kern erhalten geblieben? 


Demgegenüber bezieht sich Kastner auf ihre stochastisch erweiterte Absorbertheorie und hat mir bereits die Broglie-Bohmsche Theorie madig gemacht. Ob sich ihre Handshakes mit den  Intra-Actions zusammenbringen lassen, ist noch offen. 

Das hört sich spannend an. Hast Du diesbezüglich Literaturhinweise?


Kastner ist jedenfalls sehr viel bescheidener in ihrer Metaphysik, indem sie analog zum Eisberg über und unter dem Wasser der Quantentheorie eine erweiterte  Absorbertheorie unterlegt, aus deren realen zeitsymmetrischen Wahrscheinlichkeiten die aktualen der Quantentheorie berechenbar werden. Ein schönes Bild wie ich finde. Was mich allerdings als zu anthropomorph stört bei ihr ist die Redeweise von Angebots- und Bestätigungswellen bzw. offer and confirmation waves. Aber das ist nur Geschreibe, wichtiger bleiben die Formalismen. Auf ihr Buch meine ich schon verwiesen zu haben: 

Ruth Kastner, "The Transactional Interpretation of Quantum Mechanics: The Reality of Possibility“, 2012. 

Das Deckblatt visualisiert die transactional handshakes. 

Mir ist ja unterdessen aufgefallen, dass sich so etwas wie „strukturelle Gewalt“ ebenfalls an Kastner und Barad anknüpfen lassen müsste, so dass ein Übergang von der Physik zur Ethik erkennbar werden sollte, wobei strukturelle Gewalt auch aus dem Versklavungstheorem folgen könnte. Da gibt es noch eine Menge zu bedenken …  

IT