Am 09.11.2022 um 04:36 schrieb waldemar_hammel über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:


fällt eigentlich wirklich niemandem auf,
dass die strukturen menschlichen wissens selbstähnlich sind, und je mehr an wissen zusammengeschaufelt wird, desto deutlicher selbstähnlich, exakt im sinne der mandelbrot-figuren ?
{…}




und das bedeutet, wir könnten es uns eigentlich sparen, in immer weiter unterteilten wissen/s(schafts)sparten zu forschen und wissen sammeln zu wollen,
wir könnten stattdessen eine wissenschaft hernehmen, zb "die physik", oder chemie, oder halt anthropologie usw, darin intensiv weiterforschen und wissen sammeln,
und dieses so -erzeugte- (nicht "erreichte") wissen dann auf alle beliebigen anderen bereiche übersetzt ausarbeiten


Sicher doch, ich hatte kürzlich (wohl denke an Joseph bzgl. Wikipedia gerichtet) vom globalen Wissensspeicher der Menschheit gesprochen, der sich immateriell als Akasha-Chronik und in (digital angelegter) Schriftform u.a. durch Wikipedia darstellt.

Individuelles Wissen ist stets mit kollektivem korreliert, da es in dieser Lebenswelt kein einziges Individuum ohne Kollektiv geben kann. Dieses Wissen vermittelt sich interaktiv als kommemorative Kommunikation, heute vornehmlich über elektronisch-digitale Mittel. Vor einiger Zeit hatte ich ein Grundmerkmal der Philosophie erwähnt: Philosophie (also das reflektierende Denken und Diskutieren über Gott und Welt) sei die Erinnerung an das, was wir schon immer wussten. Es geht also um eine Erinnerungskultur, die damit per se selbstähnlich sein muss und das mit gutem Grund und Zweck.

Ob jedes neu geborene Menschenkind nun mit „tabula rasa“ seines Gehirns/ZNS ins Leben startet oder per vererbter Genetik bereits über intrinisches Wissen verfügt, spielt für diese Betrachtung eine untergeordnete Rolle. Unbestreitbar ist, dass nahezu alles den Menschen jeweils verfügbare Wissen in angemessenen Teilen neu erlernt resp. erfahren werden muss. Jeder Mensch tritt also mit seiner Geburt in die o.a. Erinnerungskultur ein und trägt im Laufe seines Lebens unzweifelhaft zu deren Erweiterung bei; dieses ist allerdings erst möglich, wenn ein gewisser Fundus an Wissen (durch Lernen in Elternhaus und Schule etc.) aufgebaut ist.

Ausnahmen sind durch sog. Genies gegeben, Menschen, die (warum und wie auch immer) bereits ganze Lernabschnitte in sich verfügbar zu haben scheinen. Um nicht in Metaphysik abzugleiten (z.B. Mozarts Genie bedenkend), schnell wieder zurück zur üblichen Lebensrealität, in der es für die allermeisten Menschen unumgänglich ist, für ihr (Über-)Leben hinreichendes Wissen zu erwerben.

All jene, die aufgrund ihrer Intelligenz erkannt haben bzw. erkennen, dass es über rudimentäres, lebenspraktisches Wissen hinausgehend, noch sehr viel mehr an dieser Welt zu entdecken, zu erforschen gibt, haben dazu beigetragen und tun dies bis heute, das chaotisch erscheinende, wenngleich selbstidentische „Wissensknäuel“ zu entflechten. Glaubst Du Waldemar, die Menschheit hätte dieses bislang schon erschöpfend bewerkstelligt und könnte daher mit Forschung (im Sinne dieses von Dir benannten Ziselierens) aufhören, wo es doch bei diesem „Menschheitswissen“ nicht um den Wissenserwerb resp. Erkenntnisgewinn einzelner Wissenschaftssparten, sondern vornehmlich um ein ganzheitliches geht, womöglich um eine (angestrebte) TOE.

Genau gegen diese von Dir kritisch erwähnte Aufteilung von sich gegeneinander separierenden Wissenschaftssparten, hat sich ja Karen Barad gestellt und für ein interdisziplinäres Vorgehen in der Wissenschaft geworben. Das geschieht aber mittlerweile zunehmend, wozu die weltweite Vernetzung von Bildungseinrichtungen und eben nicht zuletzt der angesprochene globale Wissensspeicher beitragen und damit unsere Erinnerungskultur lebendig halten.

Vielleicht doch noch ein kleiner Ausflug in fernöstliches Denken. In den 1980er Jahren hatte ich einige Literatur von Krishnamurti gelesen. Er plädierte für den gänzlichen Verzicht auf Bedürfnisse, um ein glückliches Leben zu führen. Quasi ein "Leben von Luft und Liebe“. Das spricht unzweifelhaft für einen Verzicht auf das bedenkenlose „immer mehr, immer weiter“ und allemal gegen einen widerlichen kapitalistischen Konsumterror. Nur sollte man dabei eines nicht vergessen: Die Menschheit könnte als Ganzes nicht überleben, sollten alle Menschen in einen Lappen gehüllt, von der täglich Spende einer gefüllten Reisschale (woher auch immer!) in den Höhlen heiliger Berge meditierend, ihr Leben fristen. Das widerspricht fundamental dem Göttlichen Gebot: Macht euch die Erde untertan; dieses zutiefst falsch verstandene und schlichtweg absichtlich falsch übersetzte Zitat. Es kann nur heißen: Bringt diesen wunderbaren Erdball (Leibniz' „beste aller Welten“) zum Blühen.


Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl