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Am 03.11.2022 um 12:04 schrieb Ingo Tessmann über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:




Moin moin Ingo,

vielen Dank für diese Zusammenstellung von Einsteins Bezugnahmen auf seine reliöse Einstellung. Alleine darüber hier zu diskutieren, wäre eine sehr spannende Angelegenheit. Einstein sprach von „kosmischer Vernunft“, Du von kosmischer Intelligenz. Da ist für mein Dafürhalten kein Unterschied, oder wo  würdest Du diesen sehen?



Mir ist keine wissenschaftliche Publikation bekannt, in der Einstein sich auf den Alten, wie er ihn gerne ironisch nannte, bezog. Eine Ausnahme in der Wissenschaft bildet vielleicht sein Kommentar zu einer Messung gegen die Gravitationstheorie in einer Vorlesung an der Princeton University 1921: "Subtle is the Lord but malicious He is not.“  Auf die Frage aber, was er damit meine, ersetzt er Gott durch Natur: „Die Natur verbirgt ihr Geheimnis durch die Erhabenheit ihres Wesens, aber nicht durch List.“ 


Entscheidend bei dieser ganzen Diskussion um einen Gott ist doch, zunächst das menschengemachte Gottesbild hintanzusetzen, um damit frei zu sein, das wirkliche Wesen einer Entität, eben in deren „Erhabenheit“ zu erkennen. Das Bilderverbot des Dekalogs muss hierzu erst genommen oder zumindest berücksichtigt werden.

Bei allem bislang hier zum Zufall Geschriebenen fragt sich, warum überhaupt nach echtem und scheinbaren Zufall unterschieden werden soll, wenn doch lebenspraktisch und auf technologische Relevanz bezogen, hinreichende Werkzeuge zur Erzeugung von Zufallszahlen verfügbar sind. …

Die Radioaktivität vermittelt mir nach wie vor ein Gefühl des Geheimnisvollen und den Ansporn, noch möglichst lange die Forschungen dazu bedenken zu können. Warum hast Du sie in Deinen weitschweifigen Ausführungen zum Zufall ignoriert?  


Moment mal, wie kommst Du darauf, ich hätte Radioaktivität in meinen Darlegungen zum Zufall ignoriert?

Ich schrieb: Bei den hier betrachteten Molekülen handelt es sich um die Akkumulation mehratomiger Teilchen als Quantensysteme der Mikroebene. Echter Zufall vollzieht sich jedoch immer nur an der Einzelheit, also  den Teilchen, deren Einzelereignis sich grundsätzlich einer konkreten Beschreibbarkeit entziehen....

Daraus sollte abzuleiten sein, dass wirklicher, also sog. objektiver Zufall in der QM an der Einzelheit eines (einzigen) radioaktiven! Atoms gegeben ist, dessen Zerfall, bezogen auf die zeitliche Abfolge, prinzipiell nicht vorhersagbar und damit rein! zufällig und eben nicht als ein Resultat beschreibbar ist. 


Vermutlich sind meine Ausführungen bisweilen zu fachspezifisch und obendrein kompliziert formuliert. Das sollte für Dich jedoch kein Problem darstellen, fordert aber auch Dich zu gründlichem Lesen heraus. Mir geht es bei Deinen Beiträgen kaum anders, da sie i.d.R. völlig redundanzlos gehalten sind i. ggs. zu meinen „weitschweifig“ angelegten. Bislang konnten wir uns damit jedoch in hinreichender Tiefe verständigen. 




Mein Zugang zu dieser Thematik liegt nicht so sehr im Detail, sondern auf den wissenschaftlich nachgewiesenen Quantenwechselwirkungen, wobei ein jeweils betrachtetes Quantensystem sich durch Dekohärenz (Manifestierung des Quantensystems in eine bestimmte Basis von Eigenzuständen) mit seiner Umwelt interagiert und sich entsprechend an diese anpasst.  Der envariante Ursprung (durch spezifische Umweltfaktoren beeinflusste Invarianz) der Bornschen Wahrscheinlichkeitsregel ändert die Beziehung zwischen Un/wissenheit (und damit Information!) und der eigentlichen Natur von Quantenzuständen.

Die Annahme einer Dekohärenz von Quantensystemen ist ja nur eine von vielen Interpretationen. Was nimmt Dich für sie ein?

Schlichtweg die Tatsache, dass es sich so verhält. Wie anders sollte sich (praktisch technologisch gesehen) die Funktion eines Qubits im Quantencomputer erklären?
Nur mit hohem technischen Auwand (Reinraum, extreme Kühlung etc.) lässt sich der kohärente Überlagerungs-Zustand dieses Quantensystems aufrecht erhalten, um für diesen Zeitraum die Rechenfunktion des Systems zu gewährleisten.
Also mit Verlaub: Dekohärenz ist löngst nicht mehr infrage zu stellen, sie ist experimentell technologisch nachgewiesen und erprobt.
Weitaus weniger nachgewiesen sind jedoch z.B. biochemische prozessuale Kohärenz/Dekohärenz-Zustände im Gehirn, wie in der Hameroff-Penrose These, wonach Mikrotuboli in ihrer symmetrischen Struktur als Informationsspeicher und damit als das Bewusstsein konstituierende Elemente angenommen werden. 


Und wie hältst Du es mit der Arbeit von Pusey et al. aus meiner Mail vom 30.10:  "On the reality of the quantum state“? Im Gegensatz zum informatorischen scheint Dir ein realistischer Blick auf die QM schwer zu fallen.

Pusey habe ich noch nicht gelesen, muss ja schließlich auch noch anderes tun, als über Gott und die Welt nachzudenken. Grad kann ich kaum denken, nach einem arbeitsreichen Tag😊🤭
It‘s all about information, dieses mein Motto treibt Dich wohl um, doch ich treibe Dich noch dahin, damit Dir der Blick darauf weniger schwer fällt. Dass mein Blick auf die QM nicht den bisher bekannten  Realitäten entsprechen soll, mag Deine Einschätzung sein. Für mein Teil habe ich eine Unsumme an Zeit verbracht, mich damit auseinandersetzen. Dass QM bislang unvollständig oder gar in der gängigen Interpretation ungültig ist, weißt Du genau wie ich. Du hast doch wie ich einige Dompteure der Szene gelesen, die das zum Ausdruck gebracht haben.
Zweifelsfrei erweitere ich meinen Blick darauf auch in die Ebene der Metaphysik; zu Deinem Missfallen, aber da kann ich Dir nicht abhelfen und Dir nur raten, entsprechende Beiträge zu überspringen. Wäre insofern schade, als Du mir immer Gelegenheit gibst und Notwendigkeit abverlangst, mich in entsprechende Themen zu vertiefen, um dabei immer wieder Neues zu entdecken. Also bleibe im Boot, auch wenn es Dir bisweilen meta-physisch bedenklich zu schaukeln beginnt.😯 
Ein Geisterboot sozusagen, mind-bending.



Dabei handelt es sich bei Pusey et al. immerhin um ein no-go-theorem, das Dich herausfordern sollte: "We show that any model in which a quantum state represents mere information about an underlying physical state of the system, and in which systems that are prepared independently have independent physical states, must make predictions that contradict those of quantum theory.“



Ebenso mind-bending! Vermutlich, weil hier entsprechender Kontext fehlt. Denn hier ist (mir zumindest) nicht ersichtlich, welcher Quantenzustand eines angenommenen Modells vorliegt; nämlich dem der Kohärenz oder Dekohärenz. Im Zustand der Kohärenz kann keine eindeutige Information (Heisenbergsche Unschörfe) über einen diesem Quantensystem zugrundeliegenden physikalischen Zustand abgeleitet werden; doch wie gesagt, es fehlt Kontext und ich sollte bei Gelegenheit mal von Pusey lesen.


In diesem Licht erscheint mir Barads Annahme der Intra-Action, als einer der Materialisierung vorgängigen Verschränkung zwischen Mikro- und Makrowelt,  zwar ähnlich wie Zureks Theorie der envariance (von „entanglement-assisted invariance“, also der durch Quantenverschränkung gestützten Invarianz) als Basis der Materialisierung per Quantendarwinismus und damit in beiden Denk-Modellen eine plausible Erklärung, wie die klassisch physische Lebenswelt aus der Quantenwelt entsteht; die Konsequenz hinsichtlich der Frage, ob die Welt determiniert oder per Zufall strukturiert ist, bleibt in beiden Modellen vage verborgen. Daher neige ich eher zur de Broglie-Bohmschen Theorie, modulo der grundsätzlich gültigen Elemente der Denkmodelle von Barad und Zurek.
 
Das Thema wird uns noch weiterhin beschäftigen.

„Annahme der Intra-Action, als einer der Materialisierung vorgängigen Verschränkung zwischen Mikro- und Makrowelt“ ist doch bloß Jargon.

Warum das denn?
Barads Vorstellung von Intra-Action ist entgegen der üblicherweise als Interaktion bezeichnete Wechselwirkung eine „Intra-Handlung“ zwischen Elementen oder Körperlichkeiten, deren Eigenschaften der Intra-Action vorgängig  festgelegt sein müssen bzw. bereits festgelegt sind. Das ist eine durchaus ernst zu nehmende Annahme, eine These, die es zu falsifizieren gilt. Nicht mehr, nicht weniger.


Was soll denn das heißen? Dass Mikro- und Makrowelt verschränkt sind wie die Quanten in den EPR-Experimenten?

Exakt so habe ich das zunächst bei ihr verstanden und diese Vorstellung kam meinem Weltbild entgegen, insoweit ich die Mikrowelt eben nicht nur als chaotische Ansammlung von Elemtarteilichen im Überlagerungszustand, sondern (wie könnte es anders sein) auch als holografisch strukturierte immaterielle Informationsfelder (Bohms Holomovement) sehe. In der Intra-Action mit Materie ergibt sich dann „Matter and Meaning“ als untrennbare Einheit (als Ganzheit) solange diese als solche existiert.

Die Holobewegung ist Kernaussage in David Bohms Interpretation der QM und ist elementar kennzeichnend für sein ganzheitliches Weltbild (Du kennst es, aber ich erwähne es explizit für ggf. Mitlesende).

Bohm verbindet die Idee des Holomovement mit der Vorstellung einer ungeteilten Einheit (vielleicht sogar in Anlehnung an Soinoza), also ein ganzheitliches Prinzip von Weltgeschehen, im dem sich alles nach dem Gesetzt einer impliziten Ordnung im permanenten Prozess des Werdens und Vergehens befindet. Insoweit lässt sich dieses Denkmodell mit Barads Vorstellung verbinden, eben von einer in sich verschränkten Aktion zur fortwährenden Matrialisation in der untrennbaren Verbindung von „Matter and Meaning“ als untrennbare Einheit. Beiden Denkmodellen gemeinsam ist die „Ganzheit“ als ein Grundprinzip: das EINE. Um es in Anlehnung an C.F.v. Weizsäcker auszudrücken: die Verschränktheit des VIELEN mit dem EINEN sowie vice versa das EINE im VIELEN. Das lässt an Spinoza denken.


Gibt es einen entsprechenden Formalismus dafür, der testbar wäre?

Den Formalismus hat Bohm mathematisch beschrieben, wie Du es auch weißt. Sein Buch „Die implizite Ordnung“ hingegen ist sehr allgemein gehalten - ich habe es kürzlich nochmal überflogen und festgestellt, dass mir seine Idee besser gefällt, als die Darlegungen in diesem Buch (vielleicht liegt es auch an der Übersetzung, da ich es nur als deutsche Ausgabe 7/89 habe). Nun ja und auch Barads „Meeting the Universe halfway“ bietet m.E. keinen geschlossen dargestellten Formalismus.
Doch dIe Frage dabei ist: müssen alle Denkmodelle sogleich in „wasserfeste“ Formalismen gegossen werden? Was und wem nützen abertausend abgefasste wissenschaftliche Dokumente, Papers usf., wenn nicht „Hirn und Herz“ bereit sind, diese zu begreifen.

Demgegenüber bezieht sich Kastner auf ihre stochastisch erweiterte Absorbertheorie und hat mir bereits die Broglie-Bohmsche Theorie madig gemacht. Ob sich ihre Handshakes mit den  Intra-Actions zusammenbringen lassen, ist noch offen. 

Das hört sich spannend an. Hast Du diesbezüglich Literaturhinweise?

Bester Gruß! - Karl