Am 10.02.2023 um 15:59 schrieb Joseph Hipp über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:Am 10.02.23 um 01:52 schrieb Karl Janssen über PhilWeb:
> Offen gesagt, habe ich mir zu keiner Zeit große Gedanken darüber angestellt, welche Auslegungen hinsichtlich des Ideologiebegriffs möglich sind bzw. allgemein üblich sind.
Viele sagen: Es ist nie zu spät. Besser spät als gar nicht.
Es ist immer etwas unübersichtlich, wenn Antworten auf Beiträge in Kurzform unter Sätzen oder Textabschmitten gegeben werden, zudem lässt das eine rekursive Antwort darauf noch verwickelter erscheinen. Daher versuche ich nun eher geschlossen auf Deine Replik zu antworten, Joseph.
Ich hatte geschrieben, mir zu keiner Zeit Gedanken über diverse Auslegungen des Ideologiebegriffs gemacht zu haben und daher Ideologien eher intuitiv als verfestigte, nicht selten missbrauchte Ideale beschrieben, die zumeist normativ als Weltanschauung erhoben und vornehmlich in autoritären Staatsformen propagiert, letztlich dann mit exekutiver Gewalt durchgesetzt werden. Das hat auch für dogmatisch geprägte oder sektenartige Religionsformen Gültigkeit.
Das subtile Element derartigen Missbrauchs von Idealen liegt m.E. in der Bezugnahme auf deren axiomatische und damit ewigen Gültigkeit im Sinne des Ideals als Urgedanke. Aus einer derart angelegten Ideenwelt wird eine prototypische Vollkommenheit abgeleitet, die es für jedes Leben zu erreichen gilt und in religiöser Vorstellung sogar das irdische Leben in ein jenseitiges transzendiert.
Wenn ich also schrieb, mir keine Gedanken über bestehende bzw. ausstehende Auslegungen der Begrifflichkeit von Ideologie gemacht zu haben, heißt das nicht, dass ich keine Vorstellung davon hätte. Insoweit gibt es natürlich kein „zu spät oder besser spät als nie“ für mich. Mein Begriff von Ideologie ist der hier beschriebene und ich habe daher kein besonderes Interesse, mich in verschiedensten Varianten anderer Auslegungen zu verfangen, was aber nicht heißen kann, im diesbezüglichen Austausch vorgebrachte andere Sichtweisen zu ignorieren. Lediglich Wort- bzw. Begriffsglauberei hält mich davon ab, meine Vorstellung zu verändern.
Du Joseph sagst, einen großen Bogen um ein „bewerten“ zu machen und ich denke, Du willst Dich nicht festlegen, anderen nicht ihre Meinungen partout ausreden, was Dir bei Deiner eklektizistischen Attitüde auch keine besonderen Probleme bereiten sollte; daher lässt es sich sehr nobel mit Dir diskutieren :-)
Gleichwohl sagst Du, es ginge darum, genau zu sein und wenn man das nicht vermag, dann eben ungenau. Das kann aber doch nur heißen, dass immer ein „genau sein“ anzustreben bzw. einzufordern ist und sofern das nicht möglich ist, dann eben nicht auf ein „ungenau“ zu rekurrieren, sondern im Sinne Wittgensteins zu schweigen – sinngemäß: Über was man nicht reden kann, darüber muss man schweigen. Wenn man sich die Lebenswelt so ansieht, müsste sie demnach viel - sehr viel schweigsamer sein.
Dein Beispiel vom Bedenken vorhandener Wörter, wie z.B. Wärme und Kälte habe ich nicht verstanden (heute sagt man – nicht nachvollziehen können). Wärme und Kälte würden ihren Sinn verlieren, weil sie durch die Möglichkeit der Temperaturmessung obsolet geworden wären. Mitnichten doch, Joseph hat Temperatur (als Messergebnis) den Wörtern Wärme und Kälte die „Show gestohlen“. Abgesehen vom Substantiv Kälte werde ich Dir jetzt sagen, dass es hier im Raum kalt geworden ist und ich nun zu Bett gehen sollte. Die Heizung läuft hier um 3 Uhr nachts im absoluten Sparmodus und ich weiß, ohne auf's Thermometer zu sehen, dass nicht nur der Raum kalt, sondern auch meine Füße kalt geworden sind.
Kalte Füße, dieser Begriff steht auch für eine ganz andere Gegebenheit und bevor diese hier eintritt, mache ich erst mal Schluss für heute und das mit der mir innewohnenden Gewissheit, nicht dem Kreis „binärer Figuren“ anzugehören :-)
Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl
> Wir beide, Joseph, unterscheiden uns bezogen auf Wortgebrauch und Satzgestaltung insoweit wesentlich,
ja
> als Du diese offensichtlich exakt gemäß einer wortwörtlichen Auslegung bewertest,
ja und nein, ich mache einen großen Bogen um "bewerten". Auslegung von was? Vom Sprachgebrauch bezieht sich Auslegung eher auf Texte (Exegese), nur am Rande auf anderes. Es geht nur darum, genau zu sein, und wenn man nicht genau sein kann, dann eben ungenau. Oder es geht darum, vorhandene Wörter zu bedenken, etwa Wärme und Kälte. Was für einen Sinn haben sie noch, da ein Teil dessen, wozu sie halfen, viel genauer mit Messinstrumenten geprüft werden kann als mit Händen. Temperatur hat den Wörtern Wärme und Kälte sozusagen die Show gestohlen. Mathematik mag sich dazu gesellen, aber an dieser Stelle ist es nur nebensächlich, sie zu erwähnen. Könnte es auch mit der binären Figur "Ideologie vs. Nicht-Ideologie" so sein? Nebenbei bemerkt gibt es andere binäre Figuren.
> ganz im Sinne von Wittgensteins „Sprachlogik“, wie sie sich im Tractatus abbildet;
ja und nein, es mag Gemeinsamkeiten geben, ganz andere Vor-Kategorisierungen liegen bei Wittgenstein vor, und wenn vielleicht, dann kann der Satz gesagt werden: W. beschäftigt sich fast nur mit Sprache. Mir geht es um ganz andere Sachen. W. und ich sind so wie Vogel zu Fledermaus, Verwandtschaft gibt es keine, nur modulo Fliegen.
Ich verweise jetzt schon auf folgenden Text, der gut ist, um mindestens zu denken, wie beliebig das Kategorisieren sein kann:
https://scilogs.spektrum.de/die-sankore-schriften/nach-welchen-kriterien-gruppieren-viertklaessler-tiere/
von 2015, Joe Dramiga , in der Folge einer sehr guten Präsentation von Ulrich Kattmann von 2012, die mit der Suche "WasseraufsLandLeipzig" gefunden werden kann, in der Folge einer Studie an Schülern 1996.
> ich hingegen Sprache in Wort und Schrift eher intuitiv
bitte, ich will nicht ausgeschlossen werden,
> und hoffentlich hinreichend gemäß orthographischer wie grammatikalischer Regeln umsetze.
ich auch, wobei ich bei meiner Festhaltung an eigenen Wörtern nicht an den Durchschnitt heran kommen kann.
> Auch ich stimme Wittgenstein zu, dass sich das Wesen unserer Lebenswelt in der sprachlichen Grammatik widerspiegelt
da bin ich mir nicht so sicher.
> und somit Wort- und Satzbildungen dazu dienen bzw. verwendet werden, dem Gegenüber eine subjektiv angelegte Semantik zu vermitteln, schlimmstenfalls rhetorisch aufzuzwingen.
das verstehe ich nicht zu 90%
> Gegen derartigen Zwang wendest Du Dich zurecht und stets auf’s Neue.
vielleicht.
> Das bedeutet aber nicht, dass entsprechend grammatische Satzformen grundsätzlich falsch sind, nur weil sie die Meinung eines Gesprächspartners darstellen.
Sobald du Meinungen ins Spiel bringst, muss ich leider passen.
> Allerdings können solche Wort- bzw. Satzbildungen mit diesbezüglich anderen kollidieren, die in gleicher Intention und Art ausgeführt sind.
wie vor.
> „Viele Wege führen nach Rom“
richtig
> und natürlich gibt es mehr oder weniger optimierte Wege, was nichts anderes heißt, dass es viele Möglichkeiten gibt, einen Sachverhalt bzw. eine Gegenständlichkeit sprachlich auszudrücken.
siehe die Einteilung der Tiere bei Kindern. Auch sie haben einen Weg nach Rom. Nur sind die Kriterien anderer Art als die der Biologen, der kladistisch vorgehen, sich also an der Genealogie orientieren. Einige interessante Sätze befinden sich bei o.g. Autor Ulrich Kattmann in der Präsentation Seite 10:
"• Alltagsvorstellungen beruhen auf elementaren Erfahrungen. Sie haben Eigenwert.
• Sie sind resistent gegen Belehrung. ..."
Und wenn das auch bei Wörtern wie "Ideologie" so sein sollte? Wie wäre es mit dem Wort "Gedankengebäude"? Weil ich nicht von Gedanken ausgehe, kann ich das Wort "Gedankengebäude" nicht so recht annehmen. Wenn ich es tun würde, wäre dann Mathematik kein Gedankengebäude? Wie wäre es dann mit einem Gedankenzimmer? Das wäre noch kein Gebäude. Hier komme ich schon fast an Waldemar Hammel, er bedenkt schon ein Gedankenmöbelstück, ok, warum nicht. Alle Wege führen nach Rom.
> Wenn es jedoch bei der Wort-/Satzgestaltung um die Darlegung eines Prinzips insbes. der Ethik oder in diesem Fall dem Ideal resp. der Idee als Prinzip geht, dann kann das nicht zu einer Kollision führen, da selbstredend derartig grammatische Sätze sich Wort- bzw. Sprachspielen entziehen; sie haben in diesem Sinn keine Funktion, denn sie bewegen sich außerhalb von Verifikation oder Falsifikation, es kann in Bezug auf sie keine Meinungsverschiedenheiten geben; dieses unbeschadet dem Umstand, dass sich nicht jeder daran halten wird.
Das wäre eine Möglichkeit, es gibt die andere, die das leugnet. Es kann versucht werden, die eine oder andere zu begründen, du machst schon den Anfang für die erste Möglichkeit, warum nicht. Jedenfalls ist das gut für ein Streitgespräch, oder anders gesagt ein Gespräch, das zu Streit führt.
> „Wortglauberei“ an sich, also die bewusst kleinliche Auslegung von Wort- und Satzgestaltung läuft Gefahr, den vom Gesprächspartner intendierten Bedeutungsinhalt einer Aussage, die sich oftmals in einem übertragenen Sinn und zumeist mit einiger Redundanz ausdrückt, nicht erkennen zu können resp. zu wollen.
ok, ich verstehe den Satz aber nicht so ganz.
> Insoweit also bisweilen in einer Diskussion „grammatische Sätze“ vorgebracht werden, die zwar per (Wittgensteins) Definition inhaltsleer sind, kann man dennoch mit gutem Willen darüber hinwegsehen, wenn es nicht gerade um einen zu zensierenden Schulaufsatz geht :-)
ja.
zum PS: Das Thema der Kategorisierung ist mit den zitierten Texten gerade an Lehrer gerichtet. Zudem sehe ich mich mit dem Problem, dass ich genau mit den Alltagsvorstellungen konfrontiert werde, die gemäß Ulrich Kattmann resistent gegen Belehrung sind, und die Lehrer sich bemühen sollen, nicht mit dem Nürnberger Trichter zu lehren, sondern von eben von diesen Ausgangsvorstellungen ausgehen sollen. Den Lehrern würden die resistenten Schüler sagen: "Die bewusst kleinliche Auslegung läuft Gefahr, dass Sie, Herr Lehrer, unsere Einteilung nicht erkennen können oder wollen. Hier steht Meinung gegen Meinung! Haben Sie, Herr Lehrer, doch ein wenig mehr Respekt vor uns Schülern! Zudem wird nicht jeder von uns Professor wie Sie, Sie Wortmonopolist und Wortspalter, mit Ihren Kategorien, Klassen und Kladen, das alles interessiert doch den Mann von der Straße nicht!"
> Wenn ich als Ingenieur darüber schreibe, könnte es dem Umstand gleichkommen, wenn Farbblinde von der Farbe sprechen.
Auch Wittgenstein war Ingenieur, sogar katholisch erzogen, gute Voraussetzungen, in seine Fußstapfen zu steigen, haha, reingelegt. Also noch einmal: Besser spät als gar nicht.
Entschuldige, ich bin von der mich interessierenden Sache abgekommen.
JH
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