Am 09.05.2023 um 18:45 schrieb Claus Zimmermann über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:Vielleicht sollte man allgemeiner sagen: es wird jemand beschrieben, der verschiedene Rollen spielt, mit ihnen eins wird und schliesslich feststellt, dass das alles nur Äusserlichkeiten waren wie Kleidungsstücke, die man eine zeitlang getragen hat.Am 8. Mai 2023 14:32:22 MESZ schrieb "Claus Zimmermann über PhilWeb" <philweb@lists.philo.at>:Ich glaube, du beschreibst hier die Respektsperson, die auch von sich selbst schwer beeindruckt ist. Das ist schwer zu ertragen und bestenfalls komisch.
Aber es gibt andere Möglichkeiten:
Man kann sich selbst nicht ausstehen. Dann wird das Verhältnis zu anderen schwierig.
Man erklärt sich sozusagen den Krieg. Das ist wahrscheinlich ziemlich anstrengend.
Man ist locker drauf und findet sich ganz nett, ohne sich allzu ernst zu nehmen.
Diese Möglichkeiten fallen mir gerade ein.
Ja, wir Menschen - Geschöpfe also, deren Ontogenese hinsichtlich ihrer biochemischen Konstitution, spezifisch physiologischen Eigenarten mittlerweile hinreichend verstanden und als solches in zahlreichem Schriftgut beschrieben ist. Doch wie sieht es mit der Erforschung der individuellen Entwicklung des Menschen aus, also was sein Wesen, seine Psyche anbelangt?
Um die spezifischen Wesensarten von Menschen im üblichen Alltagsverständnis zu erkennen und auch zu verstehen, braucht es m.E. keine besondere psychologisch-wissenschaftliche Ausbildung, namentlich um etwa den Typ des Cholerikers oder des Phlegmatikers festzustellen und diese zu unterscheiden.
Dabei ist im gegenseitigen Umgang schon von Bedeutung, das jeweilige Charakterbild in Betracht zu ziehen. Welchen Sinn hätte es denn, mit einem cholerisch veranlagten Menschen über Themen zu diskutieren, die ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit „auf die Palme bringen“ oder den Phlegmatiker um jeden Preis „hinter dem Ofen“ hervor locken zu wollen. Es geht offensichtlich um unterschiedliche Temperamente und so hat sich denn wohl gemäß der Temperamentenlehre des Hippokrates eine ganze „Wissenschaft“ entwickelt, um die individuellen Persönlichkeitsmerkmale zu beschreiben und zu kategorisieren.
Historisch gesehen, erscheint es nicht verwunderlich, dass man diese Wesensmerkmale nicht nur mit individuell körperlichen, sondern auch mit sonstig irdischen, wie außerirdischen Bedingtheiten verbunden hat; Nicht zuletzt seit alters her mit Astrologie, die heute als Pseudowissenschaft (im Sinne eben nicht streng empirisch wiederholbarer Nachweisbarkeit) gewertet wird, vom Ursprung her jedoch als Protowissenschaft gelten muss.
Wir hatten vor langer Zeit hier in philweb darüber geschrieben und ich hatte mich auf C.G. Jung berufen, dessen diesbezügliches Argument mir sehr eingängig ist:
Astrologie sei eine Kategorisierung, wie man diese auch beim Wein vornehmen kann, nämlich den nicht zu leugnenden qualitativen Unterschied seiner Herkunft; Offenkundig ist ein an der Aar wachsender Wein, deutlich von dem an der Mosel wachsenden unterschieden, ebenso wie im Winter geborene Menschen sich von Sommerkindern hinsichtlich dieses Kriteriums unterscheiden. Noch deutlicher zeigen sich Unterschiede zwischen im Norden und im Süden Europas geborene und aufwachsende Menschen.
So haben also Zeitpunkt und Ort der Geburt durchaus Einfluss auf das Wesen von Menschen, wie eben auch deren Sozialisierung im jeweilig charakteristischen Umfeld.
Es sind daher die unterschiedlichen Wesensmerkmale von Menschen ebenso unabdingbar wie gesellschaftlich notwendig, da es unmöglich ist, dass sich eine Gesellschaft aus Menschen exakt gleicher Charaktere aufrecht erhalten könnte.
Und somit muss eine Gesellschaft jene Menschen aushalten, die sich - aus welchen Gründen immer - selbst nicht ausstehen können und ihre ureigensten Konflikte unweigerlich auch in die Gemeinschaft ausbringen. Ein gesellschaftliches Kollektiv ist in jedem Fall besser mit jenen Menschen aufgestellt, die für sich selbst „locker drauf sind“ und dieses Lebensgefühl auch ihrem gesellschaftlichen Umfeld vermitteln, auch wenn sie bisweilen als selbstverliebt oder selbstbezogen nicht dem Idealbild einer Gemeinschaft entsprechen. Ich denke, dass solche Charaktere eher gesellschaftlich akzeptiert werden, als Menschen, die mangels Selbstwertgefühl fortwährend in ein offensichtliches Rollenspiel verfallen.
Unbenommen dieser Darlegung wird jedoch kaum ein Mensch von sich sagen können, dass er zu jeder Zeit den benannten Psychologismen entkommen könnte, denn sie gehören ganz offensichtlich und unausweichlich zum Repertoire phylogenetisch übernommener Verhaltensmuster.
Bester Gruß! - Karl