Am 26.10.2024 um 09:09 schrieb Ingo Tessmann über PhilWeb
Ich wurde in den 1950ern auch noch mit dem Storchschwachsinn zum Kinderkriegen verblödet. Wird das jemals aufhören?
Ist es nicht wohlfeil, die Menschen einer mittlerweile vergangenen Generation, vornehmlich eben auch unsere eigenen Eltern für die Art und Weise von Antworten auf naiv kindliche Fragen zu brandmarken, die sie dem gesellschaftlichen Zeitgeschehen, resp. Zeitgeist entsprechend kaum anders formulieren konnten.
Unbenommen meiner diesbezüglich eigenen Erfahrung - denn mein Vater war ein nüchterner, knochentrockener Akademiker und daher weitab von „Märchenerzählungen“, meine Mutter viel zu früh gestorben - erinnere ich dennoch sehr lebhaft die zu dieser Zeit üblichen Narrative.
So waren und sind es längst nicht nur Kinder zur Welt bringende Störche, sondern auch die „schwarzen Männer im Keller“, die Nikoläuse und Christkindl (hier in südlichen Gefilden) und einige Erklärungsmodelle mehr dieser Art, die aus heutiger Sicht nahezu obskur anmuten. Dennoch möchte ich mich nicht dazu aufschwingen, Menschen einer vergangenen Generation vorzuwerfen, sich dem Usus ihrer Zeit entsprechend der gängigen Erklärungsmodelle bedient zu haben, zudem sich längst nicht alle Erwachsene kindlich naiver Narrative zur Beantwortung entsprechender Fragen bedient haben. So eben mein Vater - der hat dieses Thema mit Störchen für mich schlicht ausgeblendet und damit wäre er der letzte gewesen, den ich danach gefragt hätte. Diese Zeiten haben sich definitiv geändert und mir kann keiner erzählen, dass die Geschichte von den kinderbringenden Störchen heute noch verbreitet ernsthaft erzählt wird, wenngleich Störche aus Pappe in Gärten und vor Häusern das freudige Ereignis einer anstehenden Geburt - nichts anderes als eine nette Geste vermittelt in alt hergebrachter Symbolik.
Eine Symbolik, wie sie geradewegs in Märchen Kindern eine Brücke bauen kann zwischen einer sie faszinierenden Zauberwelt, in der sie sich gedanklich noch zu gerne aufhalten und den für sie rational noch nicht zugänglichen Phänomenen ihres konkreten Lebensumfelds. Mit „Schwachsinn“ hat das nichts zu tun, sondern mit praktischer Entwicklungspsychologie.
KJ