Addieren bedeutet doch, eine bestimmte Zahl von Schritten in der Zahlenreihe aufzusteigen. Wenn man das weiss und die Zahlenreihe kennt, kann man die Summe angeben und die Richtigkeit beweisen, indem man aufsteigend nachzählt.

Auf irgendwie vergleichbare Weise lässt sich methodisch nicht feststellen, ob eine Tonfolge eine Melodie ist oder nicht. Es ist aber auch keine blosse Behauptung. Man hört es oder nicht. Das Gehör dafür kann zwar geschult, aber nicht erlernt werden, wenn es nicht vorhanden ist. Im Prinzip so ähnlich wie Farbwahrnehmung. Keineswegs nur Quantitäten sind unmittelbar empfindbar. Was sollte eine nur quantitative Empfindung sein? Ich empfinde so- und soviel...nichts?

Das Rechnen scheint mir das Reich der Methode zu sein, während man in der Musik damit bestenfalls völlige Fehlkonstruktionen vermeiden kann.

Durch die Verallgemeinerung entsteht vielleicht etwas neues, dann wird aus Rechnen Mathematik, das kann ich nicht beurteilen. In der Musik kann in einem einfachen Lied schon alles zu finden sein.

Das Erleben passiert uns. Methoden denken wir uns aus. Kunst ist, glaube ich, dem Erleben näher als dem Ausgedachten, fällt dem Hervorbringer nur nicht einfach in den Schoss. Konstruktionsregeln gibt es auch, aber sie sind doch bei weitem nicht alles.

Ein Zahlensinn muss wahrscheinlich auch angeboren sein, um sich Mathematik ausdenken zu können. Aber das Ausgedachte scheint mir hier vor allem, wenn nicht ausschliesslich, streng methodisch zu sein. Deshalb gibt es hier Beweise, die jede Diskussion beenden. In der Kunst geschieht die Vertiefung des Angeborenen nicht vor allem methodisch.

Ausdruck (im Sinn von "ausdrucksvoll") und Beweis sind 2 völlig verschiedene Paar Schuhe. Der Ausdruck kann und muss nicht erklärt werden. Unter Beweis würde ich laienhaft den Nachweis der formalen Korrektheit verstehen.

Claus


Am 28. Juli 2024 09:09:28 MESZ schrieb "Ingo Tessmann über PhilWeb" <philweb@lists.philo.at>:


Am 27.07.2024 um 17:47 schrieb Claus Zimmermann über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:

Um "2+2=4" zu verstehen und beweisen zu können, muss man die Vereinbarungen über die Zahlenreihe und das Additionsverfahren kennen. Man kann dem Ausdruck weder ansehen, was er bedeutet, noch ob er korrekt ist.

Mathematiker beweisen die Addition nicht für einzelne Zahlen, sondern bspw. für die natürlichen Zahlen insgesamt. Definitionen werden erst für den allgemeinen Beweis erforderlich. Zuvor gelten die Rechenregeln gemäß Zählzeichenkalkül per Konstruktion. Das Zählenkönnen wird allerdings vorausgesetzt. Das ergibt aber lediglich: || + || = ||||. Nach dem Regelfolgen kommt die Abstraktion, wird von den Zählzeichen zu den Zahlen abstrahiert.

Bei einem Tonfall wird nicht zwischen Korrektheit und Unkorrektheit durch Zurückführung auf Voraussetzungen unterschieden und man hört unmittelbar, was er ausdrückt, weil es sich um einen ganz unmittelbaren Ausdruck handelt. (In der Kunst allerdings um einen sehr durchgeformten, ausgefeilten.) Dass es Vergleichbares auch in der Mathematik gibt, wäre mir neu.

Das Unterscheiden kleiner Anzahlen und geometrischer Figuren ist ebenso angeboren wie das Hörenkönnen in einem beschränkten Dynamik- und Frequenzbereich. Was Töne ausdrücken, muss allerdings erst erlernt werden. Lediglich ihre Quantitäten sind im Vergleich unmittelbar empfindbar. Dabei muss ja ebenfalls gelernt werden, dass das, was ich höre „Ton“ oder „Klang“ oder „Stimme“ oder „Geräusch" genannt wird und was lauter/leiser, höher/tiefer bedeuten. Ebenso wenig wie die Mathematik ist die Umgangssprache sinnlich unmittelbar. Sinnlich unmittelbar sind bspw. die Tönhöhenvergleiche noch bevor sie benannt werden ebenso wie die vorgestellten Strichlisten und Figurentransformationen bevor sie mathematisch behandelt werden.

Wie von den Zählzeichen zu den Zahlen abstrahiert wird, ist auch von den Lauten oder Schriftzeichen zu den Buchstaben, Worten und Begriffen zu abstrahieren. Die Sonsomotorik bzw. die primären Lebensäußerungen zeigen sich bereits vorsprachlich und bleiben der Sprache vorgeordnet. Es sind gleichermaßen abstraktive Prozesse, die Worte und Zahlen hervorbringen und der Grammatik der Umgangssprache entspricht die Arithmetik der Mathematik. Während Sprache die Sinnesfülle übervereinfacht, verkompliziert Mathematik sie ins Unendliche. Meiner Ahnung nach sind Wissenschafts- und Kunsttheorie handlungsbezogen aus der gleichen sensomotorischen Grundlage der Lebensäußerungen heraus entwickelbar.

Die Sprache ist ein Zwitter mit beiden Aspekten. Mal steht im Vordergrund, was gesagt wird, z.B. in einer Gebrauchsanweisung oder einem Vertrag, mal, wie es gesagt wird, auch zwischen den Zeilen. Dass es so ausgedrückt wird, könnte daran liegen, dass man nicht offen reden kann, aber auch daran, dass man sich damit selbst ausdrückt und nicht Voraussetzungen nach Regeln umformt.

Hat nicht was gesagt wird (Sätze) und wie es gesagt wird (Beweise), auch eine Entsprechung in der Mathematik? Erst die Beweise lassen ja erkennen, ob es stimmt, was gesagt wird und dass es sich nicht nur um einen Selbstausdruck handelt. Deshalb werden derartige Sätze ja als Vermutungen nach ihren Urhebern benannt.

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