Was soll es dann mit „mathematischer Theologie“ auf sich haben, Ingo? Ist diese Wortschöpfung nicht ähnlich der einer „mathematischen Philosophie“ wirklichkeitsfremd?
Moin Karl,
wirklichkeitsfremd ist doch schon die Philosophie schlechthin — zumeist. Und betrieben nicht auch Leibniz, Cantor und Gödel „mathematische Theologie“?
Letztere ist wohl an B. Russels Buch „Introduction to Mathematical Philosophy“ angelehnt und ist ebenso irreführend, denn Russel hat dieses ganz klar als Mathematikbuch geschrieben und so müsste man eher von einer Philosophie der Mathematik und nicht von „mathematischer Philosophie“ sprechen. Wo sich definitiv Mathematik und Philosophie treffen, sind logische Systeme wie z.B. die Prädikatenlogiken, die in jeweiliger Disziplin Möglichkeiten der Falsifizierung, resp. Formalisierung von Argumenten bereitstellen.
Ich lehne mich nicht an Russell, sondern an die Nachfolger Stegmüllers in München an. Aber was Dir missfällt, ignorierst Du lieber und ergehst Dich in Deinen Vorurteilen. Hier noch einmal der Link:
In "A Structural Justification of Probabilism: From Partition Invariance to Subjective Probability“ argumentiert Hannes Leitgeb sogar dafür, dass "rational degrees of belief may be identified with probabilities.“ Rationale Grade des Vermutens liegen mir als Possibilisten natürlich näher als blinder Glaube.
Wie immer witterst Du den Geruch von Theologie und Metaphysik, hier bezogen auf benannte „aktuale Unendlichkeit“ (unbenommen, ob man die Kreiszahl pi dieser Kategorie zuordnen wollte), also die nach dem Aquinaten (mit Bezug auf Aristoteles) entstandene christliche Vorstellung von Gott als aktuale Unendlichkeit. Diese wiederum, in Anlehnung an die Mathematik wurde wohl wegen der angenommenen Unendlichkeit einer zwar transzendenten, aber dennoch absolut vollkommenen, tatsächlich existierenden Wesenheit gleich gesetzt, die man Gott nennt.
Als Ideologiekritiker geht es mir nicht um Witterung, sondern um die Entlarvung von Vorurteilen, die in Theologie und Metaphysik verbreiteter sind als in der Mathematik. Aber auch dort kommen sie vor, besonders bei dem mathematischen Theologen Cantor, wenngleich der linke mathematische Philosoph Alain Badiou in seiner Vorlesungsreihe „Das Jahrhundert" Cantor, Freud und Lenin zu den drei intellektuellen Quellen des zwanzigsten Jahrhunderts zählt. Auch über Badiou hatten wir uns hier schon mehrfach ausgetauscht, der die Ontologie ja in der Mathematik aufgehen lässt.
Solltest Du noch nicht die frei verfügbaren gesammelten Werke Cantors zumindest überflogen haben, Eva-Maria Pfeifer und Sabrina Vincenz haben in „Georg Cantor und das Unendliche“ das Seminar „Kardinalität und Kardinäle“ zusammengefasst.
Elisabeth Lehner hat sich als Magistra der Theologie qualifiziert mit: „Mathematik, Philosophie und Theologie als dieselben Wissenschaften der einen unendlichen Nichtfassbarkeit“:
Und Ludwig Neidhart hat in Theologie promoviert mit: „Unendlichkeit im Schnittpunkt von Mathematik und Theologie“:
1883 unterschied Cantor eigentliches und umeigentliches Unendliches: „Das Uneigentlich-Unendliche ist eigentlich ein veränderliches Endliches und keine bestimmte Größe, im Gegensatz zum Eigentlich-Unendlichen, das in einer bestimmten Form auftritt“. 1886 unterscheidet er zwischen Absolut-Unendlichem und dem Aktual-Unendlichen. Das Aktual-Unendliche ist vermehrbar und das Absolute ist wesentlich unvermehrbar (was immer das heißen soll). Weiter identifiziert Cantor das Eigentlich-Unendliche mit dem Aktual-Unendlichen und genauso kann man unter dem Potentiell-Unendlichen dasselbe verstehen wie unter dem Uneigentlich-Unendlichen aus den Grundlagen einer allgemeinen Mannigfaltigkeitslehre.
Cantor ging es nur um das Aktual-Unendliche, so dass er In seinen „Mitteilungen zur Lehre vom Transfiniten“ 1887 drei Beziehungen dafür hervorhebt:
1. in Deo (höchste Vollkommenheit, unabhängiges, außerweltliches Sein): Absolutes
2. abhängige, kreatürliche Welt: Transfinites
3. in abstracto (mathematische Größe): Transfinites
Mit dem Absoluten beschäftigt sich die spekulative Theologie, mit dem Transfiniten Metaphysik und Mathematik.— Ich brauche keine Witterung aufzunehmen, um so etwas für mathematische Theologie zu halten.
Kommt man von diesem Gedankengang wieder in irdische Gefilde, erhebt sich die Frage, ob denn aktuale Unendlichkeit überhaupt oder eben doch nur die potentielle gegeben sein kann. Bei ersterer geht es also um einen Gegenstandsbereich, der in Annahme aktualer Unendlichkeit eben auch das Merkmal unendlicher Mächtigkeit im gesamten Wirkungsbereich, resp. Existenzbereich aufweisen muss. Für den Bereich der Mathematik ist das m.E. geklärt, nicht so jedoch für diesbezügliche Zuschreibungen im Gebiet von Philosophie und damit auch der Metaphysik. Hier bleibt m.E. nur die Möglichkeit der Konstruktion oder eben des Glaubens und damit die Annahme einer potentiellen Unendlichkeit für den Bereich des letzteren, bzw. den der Intelligibilität und des Numinosen.
Nicht einmal in der Mathematik ist der Umgang mit Unendlichkeit geklärt, beschränken sich doch die Konstruktivsten auf Konstruktionen bspw. durch Reihenentwicklungen und halten den Gebrauch des ausgeschlossenen Dritten im Glauben an das Aktuall-Uendliche für ungerechtfertigt.
IT