Habe jetzt wiedermal die letzten Posts hier mitgelesen (nicht ohne ein gewisses Deja-vu-„feeling“: echt jetzt, nach so vielen Jahren ist die Liste hier immer noch am Streiten über Religion? oder nur: wieder mal?), vielleicht kurz von meiner Seite - out of the blue - Folgendes, was mir dazu spontan einfällt:
Das Kürzel „wh“ steht ja auch für „Wiederholung“, und man wird dem Kollegen Waldemar Hammel ja kein allzu großes Unrecht tun (außer dem Spiel mit seinem Namenskürzel: pardon!), wenn man darauf hinweist, daß seine Religionskritik keinen großen Anspruch auf Originalität, Neuheit, Überraschung machen kann/will; nicht zufällig geht es ja auch immer noch um Voltaire… Vielleicht wird aber gerade aus der Wiederholbarkeit UND augenscheinlichen Hilflosigkeit/Irrelevanz/Wirkungslosigkeit dieser jahrhundertealten Argumente selbst ein Argument: daß nämlich diese Argumente an glaubensfesten Personen so (fast) folgenlos abprallen, IST doch selbst vielleicht zumindest ein Indiz, ein Plausibilitätsbeweis, daß da am Glauben etwas „dran“ ist, das man nicht einfach weg-pathologisieren kann (wie das natürlich Religionskritiker gerade deswegen, als letzte ad-hominem-Strategie dann gern tun). Es gibt ja in der Wissenschaftstheorie das von „Realisten“ verwendete sog. „Wunderargument“: gegen eine nur nominalistische und konstruktivistische Konzeption von (physikalischen) Modellen wird eingewandt (wenn ich das richtig verstehe), daß es ja, wenn alles nur ausgedachte Konstruktion ist, dann nur „ein Wunder“ wäre, wenn alles das, was man mit diesen Modellen de facto machen kann (Prognosen, Anwendungen, Technik) so schön funktioniert, wie es eben tatsächlich funktioniert. Dieses „Wunderargument“ könnte man jetzt umdrehen und genauso FÜR die Religion in Anspruch nehmen: es würde ja, so könnte man sagen, nichts als ein Wunder sein, wenn angesichts und trotz dieser nachhaltigen, seit Jahrhunderten sich über die Religion von allen möglichen Seiten (Wissenschaft, Ideologie, Kunst, Moral) ergießenden Kritik und Distanzierung ihre relativ unbekümmerte Persistenz, Kontinuität und Widerstandskraft, ihr „Durchhalten“ (das ja auch massenhafte Kirchenaustritte offenbar fast problemlos überlebt) nicht auf einem „da ist doch etwas“, eben einem tatsächlichen faktischen „Sein“ beruhen würde, wie KJ sagt. Gerade wer also an Wunder nicht „glauben“ will, müßte doch dann zugestehen, daß der Glaube auf einem unbezweifelbaren, durch irgendwelche (wie gesagt: seit Jahrhunderten wiedergekäuten) „Argumente“ unanfechtbaren Fundament beruht. Daß das etwas mit Zirkularitäten und Paradoxien zu tun hat, wie jetzt JH vermutet, würde das nur bestärken: denn Zirkularitäten gibt es ja nicht deswegen, weil sie so leicht zu widerlegen sind (etwa dadurch, daß man darauf deutet und sagt: „das ist aber jetzt zirkulär“), sondern weil sie es eben NICHT sind. Sie sind eben „Gewißheiten“, die nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer mit logischen Mitteln (und „Aufklärung“) nicht belangbaren Elemente perennieren. Seit mehr als zwei Jahrtausenden.
J. Landkammer

 

Von: Joseph Hipp über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>
Gesendet: Montag, 8. Juli 2024 05:40
An: Karl Janssen über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>
Cc: Joseph Hipp <info@weltordnung.de>
Betreff: [PhilWeb] Re: Der Tod der Wahrheit (hjn)

 

Am 08.07.24 um 01:34 schrieb Karl Janssen über PhilWeb:

Joseph hatte noch eine Frage an mich gerichtet und zurecht beklagt, dass ich sie noch nicht beantwortet habe: 

jh: „ Jetzt habe ich KJ vergessen: An ihn gerichtet: Kann der wahre Glaube mithelfen? Geht es ohne Missionierung? Ohne Bekämpfung der Lasterhaften und Religionsbeschmutzer? Auf jeden Fall soll das Wort Ideologie vermieden werden, sonst beißt sich der Hund in den Schwanz und dreht im Kreise.“

Diesbezüglich bleibt mir nur zu fragen: Was ist „wahrer Glaube“ oder anders herum: Gibt es unwahren Glauben? Dazu hatte ich hier geschrieben, dass ich schon als Jugendlicher gebetet hatte: Gott, lass' mich nicht an dich glauben müssen, sondern von dir überzeugt sein lassen. Heute ist dieses Gebet obsolet, da ich definitiv nicht mehr an diesen (kindlich) so gedachten Gott glaube (s. mein Bonhoeffer-Zitat), vielmehr immer wieder damit zu kämpfen habe, mir ein zeitgemäßes, mit naturwissenschaftlichen Kenntnissen zu vereinbarendes Bild von eben diesem „intelligenten Wesen“ (Voltaire) oder eben von dieser solchermaßen hier oft so von mir benannten „kosmischen Intelligenz“ zu schaffen.

Im Wesentlichen steht „Glauben“ für die Annahme von Menschen, es würde eine „höhere Macht“ existieren, die diese Welt erschaffen und ihr somit implizit Sinn und Bedeutung verliehen hat. Wie ich wiederholt schon schrieb, kann es kein Wissen von einem solchermaßen angenommenen Gott geben, somit bleibt nur die Annahme, resp. der Glaube an ein derartiges Wesen. Mir persönlich geht es um die Annahme, resp. die Überzeugung und insoweit geht es ohne „Missionierung“ und ohne Bekämpfung der „Religionsbeschmutzer“, denn diese nicht an blinden Glauben gebundene Überzeugung von einer transzendentalen Wesenheit, eben diesem intelligenten Wesen als bildende, also schöpferische Kraft, wie es Voltaire benannte, kann nur aus einem zutiefst persönlichen Erspüren erwachsen: „God is a feeling“ - Allgeborgenheit.

Warum ich diese Frage überhaupt stelle gründet sich in einigem, das ich so leicht nicht darlegen kann. Die Zirkularität finde ich immer wieder, in potenzierter Form, und zwar nicht die einfache bei der Definition, nach der "A ist ein A, das dies und jenes von A unterscheidet." Diese Zirkularität ist bekannt und wird normalerweise erkannt. Ich hatte hier auch schon mal nachgefragt, ob schon die erweiterte Zirkularität erkannt wird. Sie mag zwar von einem Mathematiker zurückgeführt werden auf die einfache, nur wird sie von einfachen Leuten wie mich nur schwer erkannt. Sie geht so:

A ist ein B, wobei B so und so ist.
B ist ein A, der so und so ist.

Das wäre ein Zirkel in zweiter Potenz: Weder der erste noch der zweite Satz sind zirkulär, sondern das System der Definitionen, so wie ein System der Gleichungen für die Mathematiker, wobei bei letzterem offensichtlich kein Zirkel vorliegt.

Es dürfte dann die dritte oder n-te Potenz des Zirkulären geben.

Wenn Personen ihr Denken so ausrichten, dass sie diesen Zirkel nicht merken, sage ich "Wohlan, wenn sie es nicht anders können." Ich kann nicht bei jedem nach Zirkeln und in sonstigem vermuteten Fehldenken suchen. Ich kann mich gut an Alfred Schmid erinnern, der die Geschichte der Aufklärung immer wieder vorlas, ich weiß aber nicht, wen er zitierte. Der Zitierte kritisierte schon vor langer Zeit deine Haltung, nach der das "feeling" zuständig für den Glauben sein sollte, damit, dass dann zwei Sorten Menschen vorhanden sind, die einen, die dieses feeling haben, die anderen aber trostlos wie die anderen Tiere durch die Welt gehen, die nicht mit dieser Fähigkeit ausgestattet sind, also bedauernswerte Personen. Ein Priester oder Pfarrer vereinfachte die Metapher des feeling mit einer Antenne zur kosmischen Intelligenz, die einigen offensichtlich fehlt. Oder wird sie deiner werten Überzeugung nach überschattet von X, so dass der Empfang nicht funktioniert, und nicht das wechselwirkende Senden und Empfangen. Was ist dann X? Auch mit deiner Wendung " aus einem zutiefst persönlichen Erspüren" entsteht dieselbe Frage.

Das hier ist nur ein Beispiel auf das ich gerne eine Antwort hätte. Was ist der Fall? Es ging also nicht um den "wahren Glauben", und den "richtigen Glauben". Diese Unterscheidung ist aus dem Kontext heraus gezogen, in dem ich schrieb. Mir ist bekannt, dass jeder Hinweis auf den Kontext einer Argumentation der Art "Universalargument" sein kann, so auch mein Beispiel dir gegenüber.

Ich fahre hier nicht weiter, um die potenzierte Zirkularität nachzuweisen, diese habe ich vorhin einfach gestoppt. Nachdem ich einiges zu Religion und sonstigen System gelesen habe, vermute ich diese Zirkularität an allen Ecken. Von daher kam ich auf den Glauben an die Verschwörungstheorien und Falschinformationen. Deswegen brauche ich nicht noch zu definieren, was "deiner Meinung" nach, "meiner Meinung nach" falscher Glaube ist, das können andere tun.

Wikipedia "Laster" unten:

"Einige Autoren führen die Neigung, an Verschwörungstheorien und Falschinformationen zu glauben, auf „epistemische Laster“ zurück. Dies seien Charaktereigenschaften, die den Erwerb und die Weitergabe von Wissen behindern könnten. Dazu rechnen sie Gleichgültigkeit gegenüber der Wahrheit und Starrheit bezüglich der eigenen Glaubensgrundsätze"

An dich hatte ich die Frage gerichtet, da du dich gerade von der kindischen Weihnachsmann-Gott distanzierst.

Unabhängig davon fand ich noch zwei weitere Sachen:

1.

https://de.wikipedia.org/wiki/Gerechte-Welt-Glaube
und
https://de.wikipedia.org/wiki/Wohlstandsevangelium

2. 

https://de.wikipedia.org/wiki/Glauben

"indem der religiöse Glaube auf dem Vertrauen auf Autorität oder Überlieferung beruht und die absolute Wahrheit des Glaubensinhalts (z. B. der Existenz Gottes) unterstellt"

Deine "feeling"-Theorie steht mir, wenn ich mich nicht irre, ein wenig diesem Satz entgegen. Könntest du diesen in Wikipedia ändern? Und dann die "absolute Wahrheit" des Glaubensinhalts, bist du damit einverstanden? Wenn nein, dann fehlt etwas in Wikipedia. Wenn es nicht um absolute Wahrheit geht, um was dann? Die Wendung "absolute Wahrheit des Glaubensinhalts" erscheint mir waghalsig, analog dazu würde die Einsetzungsmethode zu einem weiteren komischen Gedanken führen: "absoluter Glaube des Wahrheitsinhalts".

3. Auf der Seite:

https://de.wikipedia.org/wiki/Glaube_(Religion)

steht dann noch krasser:

Im Gegensatz zum Wissen gründet die Wahrheitsvermutung eines Glaubens nicht auf Logik und Einsicht, sondern allein auf den Aussagen von Autoritäten[1]

4. Die potenzierte Zirkularität befindet sich dort, wo Religion mit dem Glauben definiert wird, und Glaube mit der Religion. Wie kommst du aus diesen Zirkel heraus? Diese Frage kann sich leider einfacher nicht stellen. Sicher kannst du es versuchen, wegzukommen von alledem, und von einem besonderen feeling ausgehen, dann versuche es! Warum berufst du dich auf eine Autorität, die du dann wieder nicht als Autorität ansiehst, mit gleich welchem Namen. Ich will es von dir wissen, nicht von anderen. Gerade mit Blick darauf, dass auch du nicht genau dasselbe denkst wie diese Autorität, und diese nicht einmal als Autorität ansiehst, aber immer wieder mit ihrem Namen kommst, so wie andere mit dem große Physiker. (Zudem: warum nicht übersetzt: "Gefühl" oder ist die Anglomanie eine neue Religion geworden?)

5. Wenn schon Gott nach deiner Überzeugung "ist, und nicht ist", kann es dann nicht sein, dass ihm jede Grundlage fehlt, dies sich dann auf Glauben und Religion auswirkt? Und könnte es sich nicht auch auf das "feeling" auswirken? Gerade die sehr korrekt religiös Denkenden fühlen anscheinend mehr als die Durchschnittsgläubigen, sie gehen schließlich für ihre Überzeugungen durch's Feuer, sie sind mehr als überzeugt, nicht nur überzeugt. Wenn schon das "mehr" zu einem "zu viel" wird, kannst du die Grenze setzen? Wer setzt die Grenze?

Ich könnte immer weitere Punkte hier hinzufügen, und will auf keinen Fall pauschale Antworten, dann lieber ein Übergehen oder Liegenlassen. Descartes immer im Blick: Eins nach dem anderen. Übrigens: Sind wir nicht zu alt, um hier noch sinnvoll weiter zu schreiben?

Meine bitte nicht, ich würde dich kritisieren und mich der von dir vermuteten Gegenpartei zugesellen. Ich stelle auch keine Fragen. Fragen stellen sich. Und wenn sie sich stellen, kann jemand sie noch einmal sagen. Mehr tue ich nicht.

JH