Am 19.10.2022 um 03:17 schrieb Karl Janssen über PhilWeb <philweb@lists.philo.at>:


Streuung, im Gegensatz zu Reflektion (also ein Wahrnehmungsobjekt diffraktiv gelesen), bietet nach Barads Ansicht eine durch Beugung erhellende Einsicht auf Gegenständlichkeit der Lebenswelt:

diffraction can serve as a useful counterpoint to reflection: both are optical phenomena, but whereas reflection is about mirroring and sameness, diffraction attends to patterns of difference.“

Dieser Denkansatz Barads, den sie in ihrer These vom agentiellen Realismus beschreibt, hat nichts mit „spekulativen Verschränkungs-Experimenten“ zu tun, sondern ist herausragende Facharbeit, der man durchaus folgen kann.

So sollte es lohnenswert sein, in einem weiteren Beitrag nochmal auf Barad zurückzukommen.



Moin Karl, 

ich hatte geschrieben: „Im Vergleich mit Heims mathematisch-idealistischen 12d-Spekulationen kommen Barads Interpretationen der Verschränkungs-Experimente eher physikalisch-realistisch daher, bleiben aber nicht minder spekulativ.“ Nicht die Verschränkungs-Experimente sind spekulativ, sondern Barads Interpretationen. In Kapitel Two ihres Buches "Meeting the Universell Halfway“ geht sie ja ausführlich darauf ein: Sie beginnt mit der Physik, um dann über Bohrs Phänomen und Haraways Beugung zu ihrer Verschränkung zu kommen: "Diffractions: Differences, Contingencies, and Entanglements that Matter“. 

Die „Reflexionsmetapher" ist mir ebenfalls früh verdächtig vorgekommen, später dann durch das berühmt gewordene Bild, in dem die Physikerin Emilie du Chatelet gleichsam als Spiegel dem Aufklärer Voltaire im Licht die göttliche Weisheit der Naturphilosophie Newtons reflektiert. Siehe bspw. 

https://www.maa.org/book/export/html/1417729

Der sich stets nur selbst spiegelnde Mann sieht die Frau überhaupt nicht. Das ist finsterste patriarchale Ideologie. Insofern folge ich ideologiekritisch gern dem metaphorischen Übergang von der Reflexion über die Beugung zur Verschränkung. Aber das bleibt bloß Literatur, solange es nicht methodisch formal wie empirisch präzisiert wird. Barad versteht ihren agentiellen Realismus AR immerhin als legitime Interpretation der Quantenmechanik. Davon gibt es viele, die mehr oder minder weit über die Quantenmechanik hinausgehen. Ich hatte ja den Vorschlag gemacht, Barads AR mit Kastners PTI vergleichend zu diskutieren. Wenigstens haben heute auch Frauen die Möglichkeit, in den Naturwissenschaften mitzumischen. Wobei ihrer beider Ansätze womöglich nicht weit auseinander liegen; könnten doch die Handshakes von Angebots- und Bestätigungswellen aus der PTI den Intra-Actions aus dem AR entsprechen — und gleichermaßen unserem Bewusstsein unterliegen. Auch unsere Sinne bestätigen von außen angebotene Wellen durch solche nach innen. 

Nach wie vor favorisiere ich aber die Bohmsche Mechanik als eine statistische Mechanik der Quantenmechanik, wie sie Detlef Dürr ganz ohne Quantenphilosophie ausgearbeitet hat. Der Mathematiker hatte bis 2010 passend zur PTI auch die Dissertation „Electrodynamic Absorber Theory. A Mathematical Study“ von Dirk Deckert betreut; denn bis heute gibt es Konsistenzprobleme in der Elektrodynamik wie der Quantenelektrodynamk bei der Behandlung der Strahlungsdämpfung und der Paarerzeugung, die zwar ad hoc durch Renormierungen den Experimenten angepasst, aber nicht mathematisch befriedigend gelöst worden sind. Ebenso wie Dürrs Statistische Mechanik die Bohms, enthält auch Deckerts mathematisch ausgearbeitete Absorbertheorie die Wheeler/Feynmans als Spezialfall.  

Bei Barad geht es weiter mit Kapitel Three "Niels Bohr’s Philosophy-Physics“, um über seinen Phänomenalismus hinausgehend zu den Intra-Actions zu gelangen im Kapitel: "A Bohrian Ontology: Phenomena and Intra-Actions.“ Bohrs Naturphilosophie ist ein weites Feld, worauf Barad sich lediglich bezieht ist die ganzheitliche Sicht Bohrs auf die Experimentiersituation. Im Anschluss an seinen Komplementarismus zwischen Wellen- und Teilchenbild erschienen ihm die Objekte nur noch in Verbindung mit den Experimentierverfahren auffassbar. Beide zusammengehörig machten für ihn das physikalische Phänomen aus. Für Barad gilt deshalb: "A phenomenon is a specific intra-action of an `object’ and the `measuring agencies’.“ Das kann sie so sehen, aber wie geht es weiter … ?

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