Liebe Liste, lieber Waldemar,
> stimmt doch nicht (obwohl ich verstehe, wie DU es meinst), denn mein satz "claus liegt falsch mit ..." bezieht sich auf deinen satz "von der wahrheit".
> (dein satz x kann falsch sein, aber es gibt nicht platonisches "falschsein an sich")
Da stellt sich mir die Frage: Was haben die Sätze x, y und z von Claus gemeinsam, die alle falsch sind? Ihre Falschheit doch wohl, oder ihr Falschsein? Oder etwa nicht?
Das heißt nicht, dass es ein platonisches Falschsein an sich gibt. Aber an "Falschheit" oder "Falschsein" kann ich erstmal keinen begrifflichen Makel finden.
Und Falschheit (oder Wahrheit) ist auch eine Eigenschaft von Sätzen, vielleicht hat jeder Satz seine eigene, vielleicht können sich Sätze sogar dieselbe Falschheit teilen.
Interessant finde ich übrigens die Formulierung "platonisches Falschsein an sich". Plato benutzt zwar kath’auto (per se, an sich) als Fomulierung, aber die erste systematische Theorie dazu stammt von Aristoteles. Aber wahrscheinlich verwendest du "platonisch" einfach als Gegensatz zu "nominalistisch", so machen es ja die meisten modernen Autoren (e.g. http://plato.stanford.edu/entries/platonism/), und "an sich" ist eine redundante Verstärkung.
Beste Grüße
Stefan
Am 25. Oktober 2016 um 18:24 schrieb Waldemar Hammel via Philweb <
philweb(a)lists.philo.at>:
> wahrheit kann keine "eigenschaft eines satzes" sein, denn
>
Man kann "wahr" im Sinne der mathematischen und einiger philosophischer
Logiken Auffassen als Eigenschaft eines Satzes. Sozusagen, durch ein Modell
erfüllbar.
> - begriffe wie wahrheit, schönheit, usw sind abstrakte platonische
> universalia, oder sprachlich ausgedrückt, reflexionstermini =
> versubstantivierte adjektive, die keine bezüge haben = das wort "schön"
> kann sich auf ein konkretum x beziehen, das ist schlüssig, aber "schönheit
> (an sich)" bezieht sich auf nichts konkretes.
>
Ich habe den Begriff der Wahrheit in erster Linie in der Überschrift
verwendet, sonst nur in "ist an der Wahrheit interessiert". Dabei diente
der Begriff "Wahrheit" für mich nur als sprachliche Vereinfachung. Zudem
hilft es, andere philosophische Fragen aus der Grundfrage herauszuhalten.
Etwa die Definition von Wahrheit, über die sich Gelehrte seit Jahrhunderten
streiten.
Ein Beispiel:
Wenn ich geschrieben hätte, "beide wollen die Wirklichkeit so sehen wie sie
ist", hätte ich damit nicht nur die Kohärenztheorie aufgegriffen, man hätte
auch mit Kant (und folgenden) argumentieren können, wir sehen die
Wirklichkeit nie so wie sie ist.
schematisch:
> satz-x < wahr bis unwahr > bezug (referens),
> die eigenschaften w/f entstehen erst aus dem bezug eines satzes auf etwas,
> auf ein referens.
>
Das Schema verstehe ich nicht, kannst du es näher ausführen oder zumindest
noch mal anders hinschreiben? (Ich glaube, mein Problem liegt wirklich
schon an der Schreibweise, ich ahne, was gemeint sein könnte.)
Deine Ansicht schließlich streng genommen weder die Existenz von
Tautologien (Referent sind dann die Definitionen von Zeichen), noch die
notwendiger Wahrheiten aus. Sofern ein Betrachter existiert, ist der Satz
"es gibt mindestens einen Betrachter" schon erfüllt.
in wahrheit ist der apfel, mit eigenschaft "rot", aber nur in den folgenden
> kontexten da:
> - wenn er vom spektrum sonnen licht beleuchtet wird
> - wenn ich ihn mit menschenauge betrachte, das für die frequenz xy
> sensibel ist
>
Man kann jetzt doch einfach so argumentieren, dass der Apfel die
Eigenschaft hat, das Sonnenlicht in einem bestimmten Frequenzbereich zu
reflektieren. Diese Eigenschaft ist an einen Ort an den es niemals Licht
gibt vielleicht latent, d. h. könnte nur indirekt erschlossen werden, aber
sie wäre nach wie vor eine Eigenschaft des Apfels.
Diese Eigenschaft ist natürlich ebenso latent für Lebewesen, die entweder
gar keine oder nur schwach ausgeprägte Farbwahrnehmung haben, etwa
Nachttiere, Höhlenbewohner, Tiefseetiere usw.
Um den Bogen zu schlagen, den der Leser von mir erwarten wird:
Welche Auswirkungen hat denn diese Überlegung auf die Frage des Lügens im
Namen der Wahrheit?
Man kann jetzt argumentieren, dass das Wissen, über das A verfügt (B aber
nicht), eine völlig andere Bedeutung für A haben muss, wenn er dabei auf
Schlussfolgerung z kommt, B aber auf y.
Rechtfertigt das allerdings, dass A dem B die Info vorenthält?
Grundsätzlich sicherlich nicht. Man kann sich aber Situationen denken, in
dem A vielleicht gut daran tut, es doch zu nicht. Beispielsweise A ist ein
Lehrer und kennt eine seltene Ausnahme, die B nicht kennt und er will B
erst mal die Grundlagen beibringen. Wenn A B jetzt mit Ausnahmeregeln
überschüttet, dann verwirrt das B nur.
Liegt der Unterschied vielleicht da: Wenn A und B im Prinzip
gleichberechtigte Argumentationspartner sind, also darüber streiten, wie
die Sache ist, dann muss A gegenüber B auch so ehrlich sein, ihn die besten
Argumente selbst an die Hand zu geben. Ist dagegen B z. B. jemand der einen
Kurs in Arbeitsicherheit besucht, so muss B sich darauf einstellen, dass A
ihn die Inhalte aussucht, vorsortiert, gliedert usw.
Hallo Waldemar,
Wie kommst du hier auf die Universalien? Davon hatte ich doch gar nichts gesagt.
Aber gut, meine Meinung dazu ist in diesem Zusammenhang etwa, daß Aussagesätze nur lernen kann, wer schon vergleichbare natürliche Zeichen beherrscht, wie es offenbar auch bei nichtmenschlichen tricksenden Tieren der Fall ist, wenn sie anderen z. B. ein bestimmtes (nicht zutreffendes) Bild einer Situation suggerieren wollen. (Um kurz abzuschweifen: der Satz "Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners" bedeutet meiner Meinung nach nicht, daß sie selbst die größte Lüge ist, sondern daß beides wie immer bei entweder-oder-Unterscheidungen nur im Doppelpack zu haben ist.)
Wenn man nun "Vorverständnis" durch "Ideenteilhabe" ersetzt, ist man vielleicht gar nicht mehr so weit von der Ideenlehre entfernt.
Mit dem Satz "Der Apfel ist rot" oder "... schmeckt süß" wird ihm gar nichts "aninterpretiert". Ich weiß dann nur, wie der Apfel schmeckt oder aussieht, wenn die Sätze wahr sind. Es wird quasi ein Bild in die Luft gemalt (bei "ist rot" könnte man tatsächlich auch ein Bild verwenden) und behauptet: so siehts aus! Weitergehende Behauptungen und Implikationen sind damit nicht verbunden. Daran ist nichts falsches oder richtiges, es ist nur eine Informationsübertragungstechnik.
Es kann mir z. B. bei einer Kaufentscheidung helfen, wenn eine vertrauenswürdige Person mir die Ware, die ich mir gerade selbst nicht ansehen kann, auf diese Weise beschreibt.
Grüsse, Claus
Waldemar Hammel via Philweb <philweb(a)lists.philo.at> schrieb:
>hallo claus,
>
>> Am 26.10.2016 um 14:06 schrieb Claus Zimmermann <Zimmermann.Claus(a)t-online.de>:
>>
>> wenn du meine Ausführungen falsch findest, gehst du in der Praxis von dem aus, was du theoretisch bestreitest.
>
>stimmt doch nicht (obwohl ich verstehe, wie DU es meinst), denn mein satz "claus liegt falsch mit ..." bezieht sich auf deinen satz "von der wahrheit".
>(dein satz x kann falsch sein, aber es gibt nicht platonisches "falschsein an sich")
>
>recht hast du mit der folgerung,
>
>> Nein, das ist kein rhetorischer Trick, sondern zeigt, wie fundamental diese Kategorien in der Sprache sind.
>
>dass im alltags gebrauch der sprache am laufenden band "platonisch" gesprachelt wird, was aber deshalb auch ebenso oft zu vermeintlich unauflösbaren problemen führt.
>
>bekannte beispiele: "geist und materie", die tugend, die gerechtigkeit, das gute, der tod.
>
>"diese kartoffel ist alt" macht sprachlich sinn, denn die eigenschaft "alt" ist kartoffel x zugeordnet, die suche aber nach dem (platonisch) "alter an sich" führt ins leere (führt in sog hypersemiosen).
>
>das problem mit den vermeintlichen "eigen-schaften" ist aber noch viel größer, indem konventionell benutzte sprache die wirklichen verhältnisse/ bezüge auf den kopf stellt.
>
>wir sagen zb:
>"der apfel hier hat die und die eigenschaften"
>
>real aber bestehen sog "dinge" nur aus den ihnen aninterpretierten ....schaften, sog "dinge" sind örtlich und zeitlich konzentrierte summen von "....schaften"
>
>sprachlich richtig müsste es heissen:
>falls die "...schaften" xyz räumlich und zeitlich in summe zusammentreffen, nenne ich diese "...schaften"-summe "apfel" und behaupte, dass die "...schaften"-summe einem (sprachlich erfundenen) objekt "apfel" als EIGENschaften zukommen.
>
>was ich "apfel" nenne, ist ein sprach-generiertes quasi-platonisches abstraktum, resultierend aus falsch benutzter sprache, die in umkehrung zu den wirklich vorliegenden verhältnissen inverses denken und inverses erleben erzeugt, als gäbe es "ein objekt mit eigenschaften", statt einer "...schaften"-summe, die ich nachträglich sprachlich als objekt x zusammenfasse.
>
>das (anthropo) sprachkonstrukt "apfel" dient natürlich der sprach-ökonomie, weil ich so nicht immer ständig explizit die "...schaften"-summe aufzählen muss, wenn ich, zb im supermarkt beim einkauf, referieren und adressieren will.
>
>ich fasse eine zeitlich und örtlich auftretende "...schaften"-summe zu einem sprachlich erzeugten (quasi-platonischen) objekt "apfel" zusammen, und nenne die "...schaften" dann (nachträglich) "EIGENschaften des apfels".
>das kann man so machen, und funktioniert in der praxis im groben gut, nur darf ich den zugrunde liegenden mechanismus des entstehens solcher konstrukte nicht aus den augen verlieren, sonst komme ich in kritischen, in sensiblen, fällen in teufels küche.
>
>zb physik:
>"ein elektron hat die eigen-schaften xyz ..."
>nein, es ist umgekehrt:
>wenn ich "...schaften" xyz räumlich und zeitlich vereint vorfinde, nenne ich das pseudo platonisch "elektron".
>diese "entstehung eines elektrons" zu beachten ist wichtig, denn es gibt fälle, da läuft mir die "...schaften"-summe vor meinen augen wieder auseinander, zb heisenbergs unschärfe.
>das pseudo-platonisch generierte "elektron" mitsamt den vermeintlichen EIGENschaften wird dabei "unscharf", nicht aber die (in diesem fall) "...schaften-summeN (plural)".
>auf ebene der "...schaften"-summe(n) ist heisenbergs berühmte unschärfe lediglich ein "so what?" effekt.
>
>man kann und soll wahrscheinlich auch nicht die gut eingeschliffenen gewohnheiten der alltags sprachbenutzungen verändern, aber man sollte sich stets ihrer keineswegs trivialen hintergründe bewusst bleiben und in problematischen fällen (zb "geist und/versus materie") in diese katakomben hinabsteigen.
>
>ich grüße Dich, lieber claus,
>und hoffentlich auf nicht-schiaparelli art auch die runde,
>wh.
>
>_______________________________________________
>Philweb mailing list
>Philweb(a)lists.philo.at
>http://lists.philo.at/listinfo/philweb
Hallo Waldemar,
wenn du meine Ausführungen falsch findest, gehst du in der Praxis von dem aus, was du theoretisch bestreitest. Nein, das ist kein rhetorischer Trick, sondern zeigt, wie fundamental diese Kategorien in der Sprache sind. Es gibt auch andere Wahrheitsbegriffe - mir ist z. B. "Die Wahrheit kann nicht in Sätzen gelehrt werden" eingefallen - aber darum dürfte es hier nicht gehen.
Natürlich beziehen sich Aussagen ihrer Form nach auf Gegenstände, häufig auf mehr oder weniger konkrete Situationen, die ruhig auch frei erfunden sein können.
Mit der "Frage", ob der Apfel "an sich" eine Farbe "hat" oder ob sie "im Auge des Betrachters" liegt oder "situativ in ihm entsteht" (so viele Anführungszeichen gibt es gar nicht, wie ich hier zur Markierung hoch problematischer Ausdrücke brauche) hat das nichts zu tun. Die empirischen Bedingungen des Sehens werden natürlich nicht bestritten.
Grüsse, Claus
Waldemar Hammel via Philweb <philweb(a)lists.philo.at> schrieb:
>
>
>> Am 20.10.2016 um 15:37 schrieb Claus Zimmermann <Zimmermann.Claus(a)t-online.de>:
>>
>> Wenn man Wahrheit als eine Eigenschaft von Sätzen auffasst - ....
>
>lieber claus,
>wahrheit kann keine "eigenschaft eines satzes" sein, denn
>
>- begriffe wie wahrheit, schönheit, usw sind abstrakte platonische universalia, oder sprachlich ausgedrückt, reflexionstermini = versubstantivierte adjektive, die keine bezüge haben = das wort "schön" kann sich auf ein konkretum x beziehen, das ist schlüssig, aber "schönheit (an sich)" bezieht sich auf nichts konkretes.
>
>- und entsprechend kann ein satz x im hinblick (bezogen) auf eine situation y "wahr" sein (oder unwahr, halbwahr, usw), das ist: "wahr" ist keine eigenschaft des satzes x, sondern "wahr" entsteht daraus, dass und falls ein satz x sich auf ein y bezieht.
>dem satz x ohne einen konkreten bezug lässt sich keine eigenschaft zwischen wahr-....-unwahr zuschreiben.
>
>schematisch:
>satz-x < wahr bis unwahr > bezug (referens),
>die eigenschaften w/f entstehen erst aus dem bezug eines satzes auf etwas, auf ein referens.
>
>mit physik hat das insoweit zu tun, als eigenschaften stets aus wechselwirkungen "emergieren" = eigenschaften werden von wechselwirkungen erzeugt.
>
>bedeutet: die vermeintlich AN dingen wahrgenommenen eigenschaften, sind garnicht an/in den dingen, sondern ihnen nur nach wechselwirkungen als vermeintlich dauerhaft beigelegt/aninterpretiert.
>
>wenn ich wahrnehmungs-wechselwirkung und kontext ausblende, kann ich zb sagen "da ist ein roter apfel" (und ist auch da, wenn ich nicht hingucke usw).
>
>in wahrheit ist der apfel, mit eigenschaft "rot", aber nur in den folgenden kontexten da:
>- wenn er vom spektrum sonnen licht beleuchtet wird
>- wenn ich ihn mit menschenauge betrachte, das für die frequenz xy sensibel ist
>
>ein insektenauge mit uv empfindlichkeit wird im sonnenlicht den für mich roten apfel vielleicht violett sehen, ein im sonnenlicht-spektrum für meine augen roter apfel ist in rotem licht für meine augen: weiss, in grünem licht: schwarz, etc
>
>bedeutet: die eigenschaft "rot" ist keine dem apfel eingeborene eigenschaft, sondern entsteht als eigenschaft, als semantik, aus der wechselwirkung "apfel-licht-augen".
>
>und genauso entstehen auch die eigenschaften von sätzen ...
>(ein satz, der sich nicht auf einen kontext bezieht, hat keinerlei über ihn hinaus weisende eigenschaften).
>
>der begriff "eigen-schaft" ist irreführend, weil er die wechselwirkungen- und kontexte- relevanz der entstehung des vermeintlich
>"(einem objekt) eigenen" ausblendet.
>
>ich grüße Dich,
>wh
>_______________________________________________
>Philweb mailing list
>Philweb(a)lists.philo.at
>http://lists.philo.at/listinfo/philweb
„Im Namen der Wahrheit“, „Im Namen des Gesetzes“, „Im Namen Gottes“ und
so fort. Hehre Grundsätze, denen zufolge unvorstellbares Leid über Welt
und Mensch gekommen ist und, hochaktuell beispielhaft, einem
pseudoreligiösen Fundamentalismus geschuldet, weiterhin kommt.
Waldemar, alles was Du in Deiner Replik auf RF's Frage schreibst, ist
m.E. inhaltlich vollkommen zutreffend, brillant analysiert und
dargestellt. Doch wie ich sehe, löst Du Deine Probleme mit Welt, Mensch
und Gott nach wie vor durch gnadenloses Herunterbrechen von sozialen
Strukturen, Psychologismen, biologischen Systemen usf. auf wie auch
immer wechselwirkende biophysikalische Prozesse; Du atomisierst sie,
zermalmst sie gewissermassen: Kant zur Ehre.
Doch was und wem nützt dieser auf einen atomisierten Staubhaufen
reduzierte Problemkreis zwischenmenschlicher und gesellschaftlicher
Interaktion?
Natürlich kann man Platon'sche Ideale kritisch werten (insb. Popper in
„The Open Society an its Enemies“). Für meine Begriffe kommt man jedoch
nicht umhin, als Fundament für eine hinreichend funktionierende
Staatsform (eben als moderne offene Gesellschaft fungierend) gewisse
Ideale (so eben auch den Wahrheitsbegriff, wie er sich aus dem uns
eingeborenen W. -Empfinden entwickelt hat) zu definieren und diese über
geeignete staatliche Instrumente von den mündigen Mitgliedern einer
Gesellschaft einzufordern.
Die von Dir treffend beschriebene „semantische distanz aus mindestens
zwei komponenten (a:) und (b:)“ ist für mich nichts anderes als eine
(von unzähligen) Ausprägungen der Differenz, in die wir „Erdenkinder“
nun mal hinein geboren sind. Wir hatten hier schon oft davon
geschrieben. Der Preis für (jegliches) Leben in Materie ist das
Aushalten (aber auch Erleben) dieser Differenz: Plus-Minus,
Licht-Schatten, Gut-Böse, Wahrheit-Lüge, fressen-gefressen werden, und
so weiter und so fort. (Ich hatte vor Zeiten hier darüber geschrieben:
Essentia-esse als in allem Endlichen notwendig herrschendem Spannungsfeld.)
Weiterhin ist die von Dir angeführte Potentialität und eine jeweils aus
ihr aktualisierte Realität für mich ein nahezu apriorisches Grundprinzip
menschlicher Intra-Aktion mit einer (uns nicht im Alltagsbewusstsein
verfügbaren) Potenz/Akt-Struktur.
„aufs alltags praktische herunter gebrochen“: Es ist alles möglich, doch
es ist nicht alles erlaubt (letztlich nicht zweckdienlich, also nicht
lebens- und gesellschaftstauglich). Die bloße Natur befolgt (Dank
Evolution-Selektion) dieses Grundsatz. Wir Menschen ganz offensichtlich
(noch) nicht. Und so bleibt o.a. Grundprinzip vermutlich noch sehr lange
ein (platon'sches) Ideal. Kein Problem eigentlich:
Menschheitsgeschichtlich stehen wir (im Vergleich zu 5 Mrd. Jahren
Erdentwicklung) noch ganz am Anfang. Da ist noch sehr viel Luft nach
oben, wie man landläufig sagt. Und so müssen wir Menschlein uns halt
tagtäglich mit der von Dir angesprochenen Misere auseinandersetzen: „
bis heute ungelöste riesen probleme, auf denen sich unser geradezu
irrwitzig dümmliches vordergründiges denken, meinen, dafürhalten abspielt.“
Als Beispiel dafür hat RF Schopenhauers Plädoyer für Scheinargumente
(bewusste Lüge als Mittel selbstdarstellerischer Infallibität) erwähnt.
Und tatsächlich ist es täglich erlebtes probates Mittel zu eben diesem
Zweck, obendrein auch Top 1 jeden Politiker- und Manager-Trainings.
Und nun die Frage zur Moral oder besser zur Ethik (denn deren Moralen
gibt es viele): Es liegt an jedem selbst, wie er es mit Wahrheit und
Lüge hält. Für mich ist die platte, berechnende, dreiste Lüge (wem auch
immer gegenüber) ein Greuel und all zu oft ein Verbrechen. Doch (der
Billigkeit geschuldet) gibt es ja auch die „erlaubte“ bzw. gnädige
(Not-)Lüge: Der seines (alten todgeweihten) Patienten unheilbare
Krankheit leugnende Arzt. Das eine Ehe rettende „Nein“ auf die Frage:
„Hast du mit ihr/ihm geschlafen?“ („Ihre/seine“ Verschwiegenheit
vorausgesetzt). Wir kennen tausend Beispiele.
Nochmal komme ich auf das von Dir erwähnte „aufs alltags praktische
herunter gebrochen“ zurück:
Wenn mir wieder mal alles zu kompliziert ist (und selbst die lumpigen
zehn göttlichen Gebote zuviel sind) breche ich meine gelebte Ethik auf
den bisweilen als goldenen Satz der Philosophie gepriesenen Grundsatz
herunter: „Was du nicht willst, das man dir tut, füg' auch keinem andern
zu“. Nobler ausgedrückt natürlich durch den Kant'schen Imperativ (Da bin
ich -ausnahmsweise- ihm sehr nahe).
Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl
Am 16.10.2016 um 15:26 schrieb Waldemar Hammel via Philweb:
> _______________________________________________
> Philweb mailing list
> Philweb(a)lists.philo.at
> http://lists.philo.at/listinfo/philweb
Scheinbar haben wir doch noch eine technische Ungereimtheit in der Listenverteilung.
Gerade fehlt mir die Zeit, mich intensiv darum zu kümmern. Daher leite ich diese Mail an
unsere bisherige Listadresse weiter (da Rat Frag diese Mail gar nicht erhalten hat).
Demnächst folgt dann ein Test, ob sich die Mails auch an alle Mitglieder verteilen (zumindest
die bisher hier agierenden Teilnehmer, die ich ja seinerzeit -nach techn. Umstellung durch
hh- um eine kurze Rückmeldung gebeten hatte.)
Gruß in die Runde! Karl
PS: RF, mit dieser Mail von wh wird Dir natürlich erst der Hintergrund für meine Antwort an
ihn geliefert.
------- Weitergeleitete Nachricht / Forwarded message -------
An: Philosophisches Diskussionsforum <philweb(a)philo.at>
Von: Waldemar Hammel via Philweb <philweb(a)lists.philo.at>
Antwort an: Waldemar Hammel <waha3103x(a)googlemail.com>
Betreff: [Philweb] im namen der wahrheit
Datum: Sun, 16 Oct 2016 15:26:17 +0200 (CEST)
frage war:
soll man/darf man
im namen der wahrheit lügen?
aus meiner sicht ist diese frage eine ideologische frage, und kann auch nur in diesem
rahmen beantwortet werden, wobei dann auch die möglichen antworten ideologische, also
real ungültige, sind. (weil jede art von ideologien in einer wechselwirkungen welt, bezogen
auf das realsein eben dieser weltstruktur, invalide ist)
warum?
weil es real nichts gibt, das man mit dem (platonischen universalien) begriff "die wahrheit"
gültig ausflaggen kann.
warum?
weil "wahr" und (anthropo-binäres denken) "unwahr" eigenschaften sind = semantiken, und
semantiken stets aus der wechselwirkung zwischen "text und kontext" entstehen, und dies
aufgrund der prozessualität der welt irreversibel = immer nur einmalig u unwiederholbar.
was für A auf seinem kontext A' = "wahr" erscheint, kann für B auf einem kontext Z unwahr
oder in form der kategorie wahr/unwahr überhaupt nicht definierbar sein.
aufgrund der texte-kontexte-bedingtheit aller (!) eigenschaften sind alle (letztlich
"platonischen") verabsolutierungen von eigenschaften -rational- irrig (dh sie erfüllen die
strukturen magischen welterlebens und sind daher rational nicht haltbar = nicht valide).
dazu, und ganz wichtig, muss man für "text" und "kontext", aus deren aufeinander
bezogenen wechselwirkungen jeweils eigenschaften entstehen, naturwissenschaftlich/
physikalisch bedingt, unschärfen einführen, was bedeutet, dass dabei niemals singuläre
eigenschaften entstehen können, sondern stets nur (mehr oder weniger) divergierende
eigenschaften-scharen.
aufs alltags praktische herunter gebrochen heisst das, auch "wahr" und "unwahr" sind
summarische begriffe, deren feinstruktur spektral ist.
zb "wahr" = ein spektrum innerhalb eines intervalles [.....]
aus der irreversibilität der eigenschaften erzeugung bei wechselwirkung text <=> kontext folgt
zudem, dass präsens-aussagen wie "ist wahr/ ist unwahr" irrig sind. es muss stattdessen
heissen "war wahr" usw, denn im moment der beschreibung ist, aufgrund der prozessualiät
der welt, das jeweils beschriebene bereits vergangenheit.
---
wenn jemand daher kommt und sagt "ich habe xy als wahr entdeckt ..." kann man aufgrund
des obigen stets abwinken, denn
- er verbreitet damit verabsolutierende ideologie
- er redet über bereits (nicht mehr aktual valides) vergangenes
- er ist platoniker
- er impliziert eine singularität statt ein unscharfes spektrum
- er blendet die kontextualiät von eigenschaften aus
----
ein vereinfachtes physikalisches modell zu oben ist zb:
1* es gibt eine potentialiät
P = {summe S von situativ kontextuell realisierbaren möglichkeiten a-z}
2* eine real auf P stattfindende wechselwirkung selektiert aus S eine der möglichkeiten, zb
"z"
3* diese aus S selektierte möglichkeit "z" wird dann wechselwirkend weiter gepfadet in form
z => z' => z'' usw: ( z ('n) )
4* die pfadungsverursachte summe dieser spektralen z('n) wird dann als real behauptet und
INTENTIONAL anthropo... grob-wahrnehmerisch ("platonisch") zu einem
Z = wahr/ unwahr/ halbwahr/usw
zusammen gefasst.
5* diese blauäugige anthropo- intentionale zusammen fassung Z ist ihrerseits ein
riesenproblem, denn sie ist physikalisch nicht per-se valide.
einfach gesagt:
das in oben 3* per wechselwirkungen gepfadete z('n) in form eines daraus gerade aktualen
zb z''''' ist physikalisch stets gültig, weil realisiert, egal ob es anthropo intentional erwünscht
ist oder nicht.
6* da wir aufgrund der prozessualen wechselwirkungs haftigkeit der physikalischen welt
immer nur vergangenes beschreiben können, gibt es zwischen der zu jedem beliebigen
zeitpunkt gerade stattfindenden realität und unserem erlebenkönnen eine aus zwei
komponenten bestehende divergenz:
- a: zum einen reden wir beschreibend stets über physikalisch bereits vergangenes
- b: zum anderen ignorieren wir die möglichkeiten prozessualer wechselwirkender pfadung,
die in obigem bild durchaus auch "nicht linear" stattfinden kann, indem ein prozess
z' => z'' => z''' => ...
auch loipenwechselnd in der form
z' => z'' => y => y'' => ...
weiterlaufen kann.
bedeutet: es gibt immer eine semantische distanz aus mindestens zwei komponenten (a:)
und (b:) zwischen aktual-realisiertem und daher (physikalisch) gültigem = wahrem, und dem
für real, für deshalb jeweils wahr gehaltenen.
(einfache definition: physikalisch realisiertes ist = WAR (past tense) immer wahr, aus dem
einzigen grund, weil es aus einer vorgelegen habenden potentialität von möglichkeiten per
wechselwirkung heraus selektiert und damit realisiert wurde (past tense) ).
summary:
wir haben im hintergrund bis heute ungelöste riesen probleme, auf denen sich unser
geradezu irrwitzig dümmliches vordergründiges denken, meinen, dafürhalten abspielt.
die anfangs frage "im namen der wahrheit lügen?" ist für mich daher im konventionellen
rahmen leider nicht gültig beantwortbar.
ich grüße in die runde,
wh.
--- Ende der weitergeleiteten Nachricht / End of forwarded message ---
frage war:
soll man/darf man
im namen der wahrheit lügen?
aus meiner sicht ist diese frage eine ideologische frage, und kann auch nur in diesem rahmen beantwortet werden, wobei dann auch die möglichen antworten ideologische, also real ungültige, sind. (weil jede art von ideologien in einer wechselwirkungen welt, bezogen auf das realsein eben dieser weltstruktur, invalide ist)
warum?
weil es real nichts gibt, das man mit dem (platonischen universalien) begriff "die wahrheit" gültig ausflaggen kann.
warum?
weil "wahr" und (anthropo-binäres denken) "unwahr" eigenschaften sind = semantiken, und semantiken stets aus der wechselwirkung zwischen "text und kontext" entstehen, und dies aufgrund der prozessualität der welt irreversibel = immer nur einmalig u unwiederholbar.
was für A auf seinem kontext A' = "wahr" erscheint, kann für B auf einem kontext Z unwahr oder in form der kategorie wahr/unwahr überhaupt nicht definierbar sein.
aufgrund der texte-kontexte-bedingtheit aller (!) eigenschaften sind alle (letztlich "platonischen") verabsolutierungen von eigenschaften -rational- irrig (dh sie erfüllen die strukturen magischen welterlebens und sind daher rational nicht haltbar = nicht valide).
dazu, und ganz wichtig, muss man für "text" und "kontext", aus deren aufeinander bezogenen wechselwirkungen jeweils eigenschaften entstehen, naturwissenschaftlich/ physikalisch bedingt, unschärfen einführen, was bedeutet, dass dabei niemals singuläre eigenschaften entstehen können, sondern stets nur (mehr oder weniger) divergierende eigenschaften-scharen.
aufs alltags praktische herunter gebrochen heisst das, auch "wahr" und "unwahr" sind summarische begriffe, deren feinstruktur spektral ist.
zb "wahr" = ein spektrum innerhalb eines intervalles [.....]
aus der irreversibilität der eigenschaften erzeugung bei wechselwirkung text <=> kontext folgt zudem, dass präsens-aussagen wie "ist wahr/ ist unwahr" irrig sind. es muss stattdessen heissen "war wahr" usw, denn im moment der beschreibung ist, aufgrund der prozessualiät der welt, das jeweils beschriebene bereits vergangenheit.
---
wenn jemand daher kommt und sagt "ich habe xy als wahr entdeckt ..." kann man aufgrund des obigen stets abwinken, denn
- er verbreitet damit verabsolutierende ideologie
- er redet über bereits (nicht mehr aktual valides) vergangenes
- er ist platoniker
- er impliziert eine singularität statt ein unscharfes spektrum
- er blendet die kontextualiät von eigenschaften aus
----
ein vereinfachtes physikalisches modell zu oben ist zb:
1* es gibt eine potentialiät
P = {summe S von situativ kontextuell realisierbaren möglichkeiten a-z}
2* eine real auf P stattfindende wechselwirkung selektiert aus S eine der möglichkeiten, zb "z"
3* diese aus S selektierte möglichkeit "z" wird dann wechselwirkend weiter gepfadet in form
z => z' => z'' usw: ( z ('n) )
4* die pfadungsverursachte summe dieser spektralen z('n) wird dann als real behauptet und INTENTIONAL anthropo... grob-wahrnehmerisch ("platonisch") zu einem
Z = wahr/ unwahr/ halbwahr/usw
zusammen gefasst.
5* diese blauäugige anthropo- intentionale zusammen fassung Z ist ihrerseits ein riesenproblem, denn sie ist physikalisch nicht per-se valide.
einfach gesagt:
das in oben 3* per wechselwirkungen gepfadete z('n) in form eines daraus gerade aktualen zb z''''' ist physikalisch stets gültig, weil realisiert, egal ob es anthropo intentional erwünscht ist oder nicht.
6* da wir aufgrund der prozessualen wechselwirkungs haftigkeit der physikalischen welt immer nur vergangenes beschreiben können, gibt es zwischen der zu jedem beliebigen zeitpunkt gerade stattfindenden realität und unserem erlebenkönnen eine aus zwei komponenten bestehende divergenz:
- a: zum einen reden wir beschreibend stets über physikalisch bereits vergangenes
- b: zum anderen ignorieren wir die möglichkeiten prozessualer wechselwirkender pfadung, die in obigem bild durchaus auch "nicht linear" stattfinden kann, indem ein prozess
z' => z'' => z''' => ...
auch loipenwechselnd in der form
z' => z'' => y => y'' => ...
weiterlaufen kann.
bedeutet: es gibt immer eine semantische distanz aus mindestens zwei komponenten (a:) und (b:) zwischen aktual-realisiertem und daher (physikalisch) gültigem = wahrem, und dem für real, für deshalb jeweils wahr gehaltenen.
(einfache definition: physikalisch realisiertes ist = WAR (past tense) immer wahr, aus dem einzigen grund, weil es aus einer vorgelegen habenden potentialität von möglichkeiten per wechselwirkung heraus selektiert und damit realisiert wurde (past tense) ).
summary:
wir haben im hintergrund bis heute ungelöste riesen probleme, auf denen sich unser geradezu irrwitzig dümmliches vordergründiges denken, meinen, dafürhalten abspielt.
die anfangs frage "im namen der wahrheit lügen?" ist für mich daher im konventionellen rahmen leider nicht gültig beantwortbar.
ich grüße in die runde,
wh.
Sollte die eine Person der anderen nicht alles mitteilen, was ihr bekannt ist und sie gleichzeitig vor voreiligen Reaktionen warnen, wenn sie annimmt, daß eine Neigung dazu besteht? Jeder ist schließlich für sich selbst verantwortlich, dieser Verantwortung wäre A gerecht geworden und wenn B dann trotzdem auf Abwege gerät, wäre das B's Problem. Anders würde ich es nur sehen, wenn A und B tatsächlich nicht auf Augenhöhe sind, weil B vielleicht erst 5 Jahre alt ist und sich in der Welt noch nicht auskennen kann. Sonst sollte A nicht so tun, als ob er unfehlbar wäre - er könnte sich ja auch irren - und sich nicht als Erziehungsberechtigter aufspielen.
Ich könnte mir allerdings Fälle vorstellen, in denen die Folgen vorhersehbar so dramatisch wären, daß A meiner Meinung nach unter diesen Umständen B sein Wissen vorenthalten oder ihn sogar aktiv anlügen sollte. Man gerät damit vom festen Boden eines Prinzips, das einem das Denken abnimmt, wenn man das Problem ein- für allemal durchdacht zu haben meint, auf eine potentiell abschüssige Bahn. Aber das ist mangels Unfehlbarkeit wahrscheinlich nicht zu vermeiden.
Grüsse, Claus
Rat Frag <rat96frag(a)gmail.com> schrieb:
>Zweiter Versuch.
>
>---------- Weitergeleitete Nachricht ----------
>Datum: 14. Oktober 2016 um 10:46
>Betreff: Im Namen der Wahrheit lügen?
>An: Philosophisches Diskussionsforum
>
>
>Hallo liebe Liste,
>
>da erfahrungsgemäß die Liste in den kalte Monaten wieder etwas
>lebhafter wird, habe ich mir gedacht, dies als "selbsterfüllende
>Prophezeihung" mal selbst zu verursachen. Das Gedankenspiel, das ich
>dafür gewählt habe, ist zwar so originell nicht und seit Aristoteles
>haben sich zahllose Denker damit auseinandergesetzt, aber meines
>Erachtens regt es immer wieder zum Nachdenken an.
>
>Folgende Überlegung:
>1. Es gibt zwei Personen, nennen wir sie A und B. Beide haben ein
>ehrliches Interesse an der Wahrheit und wissen auch jeweils vom
>anderen, dass er dieses Interesse teilt. Das heißt, sie würden eine
>Behauptung a nicht nur für richtig halten, weil es ihnen in den Kram
>passt, sondern weil sie dafür gute Gründe vorzuweisen haben.
>2. A weiß etwas, von dem B keine Ahnung hat. Nennen wir dieses Wissen x.
>3. Zudem hat A sehr überzeugende Gründe dafür, dass B, wenn er von x
>wüsste, zu einer Schlussfolgerung y kommen würde.
>4. Die Schlussfolgerung y, das glaubt A, ist falsch und wird B auf
>eine falsche Fährte locken.
>Eventuell würde er sich dann zu schnell eine abschließende Meinung
>bilden und nie zur korrekten Ansicht z kommen.
>
>(Als praktisches Beispiel für diese Situation kann sich jetzt jeder
>selbst einen Agententhriller, Krimi, eine Science-Fiction-Geschichte,
>einen Bekehrungsversuch im weitesten Sinne oder einen Liebesfilm
>denken.)
>
>Wäre in dieser Situation der A berechtigt, den B anzulügen? Oder darf
>A allenfalls schweigen?
>
>Auf den ersten Blick scheinen die beiden Alternativen ähnliche
>Fallstricke zu beinhalten. Indem A wesentliche Informationen vor B
>verbirgt, lenkt er seine Schlussfolgerungen. Das bedeutet, er sieht B
>in dem Augenblick nicht "auf Augenhöhe", als selbstdenkendes,
>urteilsfähiges Subjekt, sondern eher als jemand, "für den mitgedacht
>werden muss", damit er nicht auf falsche Gedanken kommt.
>Kurzum, so könnte man es salbungsvoll ausdrücken, widerspricht A damit
>Bs Würde. (Natürlich vorausgesetzt, dass A und B selbstdenkende,
>urteilsfähige Subjekte sind und dass also sowas in Wirklichkeit
>überhaupt existiert und davon die Würde abhängt. Es gab und gibt ja
>genug Meinungsträger, die mit diese Prämissen ihre Probleme hätten,
>wenn auch aus ganz verschiedenen Gründen.)
>Das mag etwas hoch gegriffen sein, dennoch haben wir es hier unleugbar
>mit einer Bevormundung zu tun. Die Informationen sind insofern
>wesentlich, als sie Bs Meinung lenken, ob er y glaubt oder nicht.
>
>Nun könnte ein klassischer Rationalist die Situation folgendermaßen
>auflösen wollen:
>A selbst ist genauso an der Wahrheit interessiert wie B. Wenn A nun x
>weiß und z für richtig hält, dann muss er dafür einen Grund haben. Das
>bedeutet, es muss zwischen A und B schon ein Dissens bestehen. Den
>könnte man doch vorher auflösen, bevor man B in das Geheimnis x
>einweiht?
>Es gibt nun Situationen, in denen man über eine Idee länger nachdenken
>muss, damit sie plausibel erscheint, selbst wenn man sowas wie
>Intuition mal ausschließt, gibt es selbst unter rationalen Menschen
>manchmal Widersprüche, die sich aus unterschiedlichen
>Lebenserfahrungen, Prägungen oder Interessen ergeben.
>Grade die Geschichte der Wissenschaft und Philosophie beweist doch,
>dass auch Menschen, die sich vornehmen etwas rein unter
>Vernunftgesichtspunkten zu betrachten, immer wieder zu
>unterschiedlichen Auffassungen kommen.
>
>Der Moralist würde wohl einwenden, dass es einerseits nicht As Schuld
>ist, wenn B aufgrund von x zu falschen Schlüssen kommt, andererseits
>aber A das Vertrauensverhältnis zwischen den beiden Personen stark
>belastet, wenn er ihn x wissentlich vorenthält, damit er nicht auf y
>kommt.
>B könnte nämlich zur Überzeugung kommen, dass A ein Interesse daran
>hat, B in Unklarheit über y zu lassen. Der Moralist würde also klar
>für Ehrlichkeit plädieren.
>Nur so können die beiden sich auch in Zukunft noch vertrauen.
>
>Arthur Schopenhauer weist im Vorwort zu seiner Eristische Dialektik
>darauf hin, dass es tatsächlich solche Situationen gibt, in denen man
>die besten Argumente für seine Position entweder nicht kennt oder
>grade nicht präsent hat.
>Daher empfiehlt er in solchen Situationen funktionsfähige
>Scheinargumente (solche, die erfahrungsgemäß zumindest die Zuschauer
>überzeugen, aber eigentlich die Diskussion nicht voranbringen)
>anzuwenden, um als Sieger hervorzugehen. Auch wenn Schopenhauer selbst
>sich später davon distanziert hat, so muss man doch feststellen, dass
>diesem Ansatz bis heute viele Diskussionsteilnehmer folgen.
>Die Frage ist, würde dieser Ansatz uns Unehrlichkeit empfehlen?
>Wahrscheinlich würde er uns davon abraten, die besten Argumente gegen
>unsere Ansicht selbst zu liefern. Andererseits würde er heftig vom
>Lügen abraten, weil die Gefahr besteht, dass diese herauskommt.
>
>Wie sieht die Liste das?
>_______________________________________________
>Philweb mailing list
>Philweb(a)lists.philo.at
>http://lists.philo.at/listinfo/philweb
Hallo liebe Liste,
da erfahrungsgemäß die Liste in den kalte Monaten wieder etwas
lebhafter wird, habe ich mir gedacht, dies als "selbsterfüllende
Prophezeihung" mal selbst zu verursachen. Das Gedankenspiel, das ich
dafür gewählt habe, ist zwar so originell nicht und seit Aristoteles
haben sich zahllose Denker damit auseinandergesetzt, aber meines
Erachtens regt es immer wieder zum Nachdenken an.
Folgende Überlegung:
1. Es gibt zwei Personen, nennen wir sie A und B. Beide haben ein
ehrliches Interesse an der Wahrheit und wissen auch jeweils vom
anderen, dass er dieses Interesse teilt. Das heißt, sie würden eine
Behauptung a nicht nur für richtig halten, weil es ihnen in den Kram
passt, sondern weil sie dafür gute Gründe vorzuweisen haben.
2. A weiß etwas, von dem B keine Ahnung hat. Nennen wir dieses Wissen x.
3. Zudem hat A sehr überzeugende Gründe dafür, dass B, wenn er von x
wüsste, zu einer Schlussfolgerung y kommen würde.
4. Die Schlussfolgerung y, das glaubt A, ist falsch und wird B auf
eine falsche Fährte locken.
Eventuell würde er sich dann zu schnell eine abschließende Meinung
bilden und nie zur korrekten Ansicht z kommen.
(Als praktisches Beispiel für diese Situation kann sich jetzt jeder
selbst einen Agententhriller, Krimi, eine Science-Fiction-Geschichte,
einen Bekehrungsversuch im weitesten Sinne oder einen Liebesfilm
denken.)
Wäre in dieser Situation der A berechtigt, den B anzulügen? Oder darf
A allenfalls schweigen?
Auf den ersten Blick scheinen die beiden Alternativen ähnliche
Fallstricke zu beinhalten. Indem A wesentliche Informationen vor B
verbirgt, lenkt er seine Schlussfolgerungen. Das bedeutet, er sieht B
in dem Augenblick nicht "auf Augenhöhe", als selbstdenkendes,
urteilsfähiges Subjekt, sondern eher als jemand, "für den mitgedacht
werden muss", damit er nicht auf falsche Gedanken kommt.
Kurzum, so könnte man es salbungsvoll ausdrücken, widerspricht A damit
Bs Würde. (Natürlich vorausgesetzt, dass A und B selbstdenkende,
urteilsfähige Subjekte sind und dass also sowas in Wirklichkeit
überhaupt existiert und davon die Würde abhängt. Es gab und gibt ja
genug Meinungsträger, die mit diese Prämissen ihre Probleme hätten,
wenn auch aus ganz verschiedenen Gründen.)
Das mag etwas hoch gegriffen sein, dennoch haben wir es hier unleugbar
mit einer Bevormundung zu tun. Die Informationen sind insofern
wesentlich, als sie Bs Meinung lenken, ob er y glaubt oder nicht.
Nun könnte ein klassischer Rationalist die Situation folgendermaßen
auflösen wollen:
A selbst ist genauso an der Wahrheit interessiert wie B. Wenn A nun x
weiß und z für richtig hält, dann muss er dafür einen Grund haben. Das
bedeutet, es muss zwischen A und B schon ein Dissens bestehen. Den
könnte man doch vorher auflösen, bevor man B in das Geheimnis x
einweiht?
Es gibt nun Situationen, in denen man über eine Idee länger nachdenken
muss, damit sie plausibel erscheint, selbst wenn man sowas wie
Intuition mal ausschließt, gibt es selbst unter rationalen Menschen
manchmal Widersprüche, die sich aus unterschiedlichen
Lebenserfahrungen, Prägungen oder Interessen ergeben.
Grade die Geschichte der Wissenschaft und Philosophie beweist doch,
dass auch Menschen, die sich vornehmen etwas rein unter
Vernunftgesichtspunkten zu betrachten, immer wieder zu
unterschiedlichen Auffassungen kommen.
Der Moralist würde wohl einwenden, dass es einerseits nicht As Schuld
ist, wenn B aufgrund von x zu falschen Schlüssen kommt, andererseits
aber A das Vertrauensverhältnis zwischen den beiden Personen stark
belastet, wenn er ihn x wissentlich vorenthält, damit er nicht auf y
kommt.
B könnte nämlich zur Überzeugung kommen, dass A ein Interesse daran
hat, B in Unklarheit über y zu lassen. Der Moralist würde also klar
für Ehrlichkeit plädieren.
Nur so können die beiden sich auch in Zukunft noch vertrauen.
Arthur Schopenhauer weist im Vorwort zu seiner Eristische Dialektik
darauf hin, dass es tatsächlich solche Situationen gibt, in denen man
die besten Argumente für seine Position entweder nicht kennt oder
grade nicht präsent hat.
Daher empfiehlt er in solchen Situationen funktionsfähige
Scheinargumente (solche, die erfahrungsgemäß zumindest die Zuschauer
überzeugen, aber eigentlich die Diskussion nicht voranbringen)
anzuwenden, um als Sieger hervorzugehen. Auch wenn Schopenhauer selbst
sich später davon distanziert hat, so muss man doch feststellen, dass
diesem Ansatz bis heute viele Diskussionsteilnehmer folgen.
Die Frage ist, würde dieser Ansatz uns Unehrlichkeit empfehlen?
Wahrscheinlich würde er uns davon abraten, die besten Argumente gegen
unsere Ansicht selbst zu liefern. Andererseits würde er heftig vom
Lügen abraten, weil die Gefahr besteht, dass diese herauskommt.
Wie sieht die Liste das?