Hallo liebe Liste,
entschuldigt bitte, wenn meine Gedanken unausgegoren oder albern wirken.
Zunächst einmal: Meines Erachtens basieren die meisten ethischen
Systeme auf den Gedanken des "Freien Willens". Man macht Menschen für
Dinge verantwortlich, die sie tun, nicht für andere Dinge.
Meine Frage lautet nun: Nehmen wir an, eine neue Neuropsychologische
Theorie könnte aus Begleitumständen zwingend ableiten, wie sich eine
Person in Zukunft verhalten wird.
Wenn jetzt die Person A in den Umständen B sich befindet, dann wird A
z. B. ein Rowdy oder ein Dieb.
Können wir in dieser Situation im Ernst noch Person A für seine
Karriere als Dieb oder Knochenbrecher verantwortlich machen? Es waren
ja eigentlich nur die Umstände B, die ihn dazu führten. Er wäre als
Person für seine Handlungen ebensowenig verantwortlich wie
beispielsweise eine chemische Reaktion für ihren Verlauf
verantwortlich ist. Es liegt keine Entscheidung zu grunde.
Ein Kompatibilist könnte jetzt sagen, dass ich hier einen Denkfehler
mache. Wir haben nicht herausgefunden, dass es keinen "Freien Willen"
im Sittlichen Sinne gibt, sondern wie haben etwas neues über den
Willen erfahren. Eben das es sich dabei nur um die Neuropsychologische
Sache XYZ handelt.
Nur meines Erachtens erzwingt diese Interpretation weitreichende
Schlussfolgerungen in Bezug auf Verantwortung und Moral.
Man müsste also eine Ethik ohne Verantwortung erschaffen.
Kann mir jemand folgen?
Was denkt die Liste?
Gruß
Rat.
Wenn Kant nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung fragt - ist dann mit "Erfahrung" alles gemeint, was einem irgendwie zustößt und gleich wieder vergessen wird? Oder wird es eine Erfahrung erst dadurch, dass man sich dabei sagt - oder entsprechend handelt: aha, so ist das also, das merke ich mir für die Zukunft. In diesem Sinn spricht man ja auch von Erfahrungen haben mit.../erfahren sein.
Falls es im zweiten Sinn gemeint sein sollte, wäre die oberste Bedingung nicht das Gedächtnis?
Claus
Gegen die intuitiv vielleicht naheliegende Annahme, dass frei ist, wer gemäß seinen eigenen Entscheidungen handelt (und nicht ausführendes Organ anderer Entscheider ist) setzt Wittgenstein eine Untersuchung dessen, wie wir uns ausdrücken, wenn wir über Entscheidungen oder Willensakte und Handlungen reden. Dabei stellt er fest, dass wir, wieder gegen intuitiv naheliegende Annahmen, tatsächlich davon nicht als innerer Weichenstellung und davon unterscheidbarer äusserer Ausführung reden. Denn wenn jemand sagt: ich wollte den Arm heben, konnte es aber nicht, und es lagen auch keine besonderen Umstände vor, ich war nicht z.B. gefesselt oder verletzt, - man könnten sich keinen Reim darauf machen, es wäre einem unverständlich. "Ich wollte, konnte aber nicht, weil ich gefesselt war" ist dagegen völlig verständlich. Auch hier besteht das Wollen aber in einem Tun, einem Versuch, sonst würden wir es nicht als solches anerkennen.
Natürlich ist man völlig frei, sich anders auszudrücken. Man könnte z.B. auch sagen, wollen besteht darin, sich intensiv und im Zustand innerer Sprungbereitschaft eine Handlung vorzustellen. Das entspräche, glaube ich, nicht unserer üblichen Ausdrucksweise. Wir möchten aber vielleicht glauben, daß wir uns so ausdrücken, wenn wir zu der Annahme neigen, daß das Tätigkeitswort doch eine besondere Tätigkeit bezeichnen muss. Aber es kann auch ausdrücken, daß jemand sich nicht ergeben hat, die Umstände aber stärker waren.
Eine Ausnahme gibt es vielleicht im Rahmen unseres wie immer nicht mathematisch klar geregelten Sprachgebrauchs: wenn jemand mit völliger Sicherheit weiß, daß unter den gegebenen Umständen jeder Fluchtversuch zwecklos ist, würden wir ihm auch bei völliger Untätigkeit den Wunsch oder auch Willen zur Flucht abnehmen. Wir würden dann wahrscheinlich danach urteilen, ob der Mensch gebrochen wirkt und nach unserer Einschätzung auch ist.
Ein anderes Verständnis unserer Freiheit könnte sein, daß sie im Verfolgen *eigener* Projekte besteht. So würde ich es sehen, wobei ich aber glaube, daß Spazierengehen und Blödsinn machen im Rahmen einer angemessen philosophischen Lebensführung auch wichtig sind.
-------- Ursprüngliche Nachricht --------Von: Rat Frag via Philweb <philweb(a)lists.philo.at> Datum: 01.10.17 11:37 (GMT+01:00) An: philweb <Philweb(a)lists.philo.at> Betreff: [Philweb] Psychologische Gesetzmäßigkeiten und der Freie Wille
[Philweb]
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Zunächst einmal: Meines Erachtens basieren die meisten ethischen
Systeme auf den Gedanken des "Freien Willens". Man macht Menschen für
Dinge verantwortlich, die sie tun, nicht für andere Dinge.
Meine Frage lautet nun: Nehmen wir an, eine neue Neuropsychologische
Theorie könnte aus Begleitumständen zwingend ableiten, wie sich eine
Person in Zukunft verhalten wird.
Wenn jetzt die Person A in den Umständen B sich befindet, dann wird A
z. B. ein Rowdy oder ein Dieb.
Können wir in dieser Situation im Ernst noch Person A für seine
Karriere als Dieb oder Knochenbrecher verantwortlich machen? Es waren
ja eigentlich nur die Umstände B, die ihn dazu führten. Er wäre als
Person für seine Handlungen ebensowenig verantwortlich wie
beispielsweise eine chemische Reaktion für ihren Verlauf
verantwortlich ist. Es liegt keine Entscheidung zu grunde.
Ein Kompatibilist könnte jetzt sagen, dass ich hier einen Denkfehler
mache. Wir haben nicht herausgefunden, dass es keinen "Freien Willen"
im Sittlichen Sinne gibt, sondern wie haben etwas neues über den
Willen erfahren. Eben das es sich dabei nur um die Neuropsychologische
Sache XYZ handelt.
Nur meines Erachtens erzwingt diese Interpretation weitreichende
Schlussfolgerungen in Bezug auf Verantwortung und Moral.
Man müsste also eine Ethik ohne Verantwortung erschaffen.
Kann mir jemand folgen?
Was denkt die Liste?
Gruß
Rat.
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http://lists.philo.at/listinfo/philweb
Ich glaube, die Vorstellung von der Entscheidung als innerer Weichenstellung in Richtung Handlung ist nicht unproblematisch.
Nehmen wir die Entscheidung, den Arm zu heben. Würden wir verstehen, was uns jemand mitteilen will, der uns sagt: ich will, aber ich kann nicht - und ich bin auch nicht gefesselt oder sonstwie behindert und es liegen auch keine aussergewöhnlichen Umstände wie z.B. Hypnose vor. Wird unterscheiden zwischen Wollen und Tun hier eigentlich nur für den Fall, daß doch Hindernisse vorliegen, worauf Wittgenstein aufmerksam gemacht hat. Dann ist es nicht eine Entscheidung, die eine zurechenbare und zu verantwortende Handlung ausmacht.
Davon zu unterscheiden wären strategische Richtungsentscheidungen, die sich nicht auf konkrete Handlungen beziehen. Kinder lernen das erst mit der Zeit, leben erst ganz in der Gegenwart nach dem Gesetz von Lustmaximierung und Unlustvermeidung, wissen noch nichts von Konsequenzen ihrer Handlungen und vom übernächsten Schritt. Ich würde den Zusammenhang mit Verantwortung hier aber nicht überbetonen (unstrategische Lustmaximierung um jeden Preis kann ein Verbrechen sein). Zur Verantwortlichkeit gehört, zu wissen, was man tut und anrichtet - ein anderer Aspekt des Erwachsenseins.
Grüße, Claus
-------- Ursprüngliche Nachricht --------Von: Rat Frag via Philweb <philweb(a)lists.philo.at> Datum: 01.10.17 11:37 (GMT+01:00) An: philweb <Philweb(a)lists.philo.at> Betreff: [Philweb] Psychologische Gesetzmäßigkeiten und der Freie Wille
[Philweb]
Hallo liebe Liste,
entschuldigt bitte, wenn meine Gedanken unausgegoren oder albern wirken.
Zunächst einmal: Meines Erachtens basieren die meisten ethischen
Systeme auf den Gedanken des "Freien Willens". Man macht Menschen für
Dinge verantwortlich, die sie tun, nicht für andere Dinge.
Meine Frage lautet nun: Nehmen wir an, eine neue Neuropsychologische
Theorie könnte aus Begleitumständen zwingend ableiten, wie sich eine
Person in Zukunft verhalten wird.
Wenn jetzt die Person A in den Umständen B sich befindet, dann wird A
z. B. ein Rowdy oder ein Dieb.
Können wir in dieser Situation im Ernst noch Person A für seine
Karriere als Dieb oder Knochenbrecher verantwortlich machen? Es waren
ja eigentlich nur die Umstände B, die ihn dazu führten. Er wäre als
Person für seine Handlungen ebensowenig verantwortlich wie
beispielsweise eine chemische Reaktion für ihren Verlauf
verantwortlich ist. Es liegt keine Entscheidung zu grunde.
Ein Kompatibilist könnte jetzt sagen, dass ich hier einen Denkfehler
mache. Wir haben nicht herausgefunden, dass es keinen "Freien Willen"
im Sittlichen Sinne gibt, sondern wie haben etwas neues über den
Willen erfahren. Eben das es sich dabei nur um die Neuropsychologische
Sache XYZ handelt.
Nur meines Erachtens erzwingt diese Interpretation weitreichende
Schlussfolgerungen in Bezug auf Verantwortung und Moral.
Man müsste also eine Ethik ohne Verantwortung erschaffen.
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Gruß
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Nur zur Klarstellung: ich bestreite nat. nicht, daß Naturgewalten mich wegputzen und in diesem Sinn durchaus überzeugend oder zwingend sein können.
-------- Ursprüngliche Nachricht --------Von: waldemar hammel <waha3103x(a)googlemail.com> Datum: 01.10.17 15:08 (GMT+01:00) An: Philweb(a)lists.philo.at, Claus Zimmermann <Zimmermann.Claus(a)t-online.de> Betreff: Re: [Philweb] Psychologische Gesetzmäßigkeiten und der Freie Wille
Am 01.10.2017 um 14:16 schrieb Claus Zimmermann via Philweb:
> Schon bei der chemischen Reaktion wäre zu fragen, inwiefern wir denn sagen können, daß sie "zwingend" so und so verläuft, wenn damit nicht gemeint ist "nach dem Stand der Wissenschaft".
ja ja, und stand der wissenschaft ist dabei eben, dass chemische
reaktionen stets gleichgewichts-reaktionen sind, weil thermodynamische
geschichten, daher verlaufen alle chem reaktionen immer "zwingend" quasi
nicht-zwingend, soll heißen, spektral, zum großen leid aller
synthetischen chemie. die jeweils vorliegenden randbedingungen bestimmen
(wechselwirkungen), welches produkte-spektrum aus den edukten entsteht,
und es entstehen unvermeidbar stets spektra von produkten, also immer
unscharfe mischungen, statt scharfes - so ein mist aber auch !
und selbst die jeweils entstandenen unscharfen mischungen
chamäleonisieren noch je nach umgebungsbedingungen-gradienten in den
retorten herum ...
man kann es sich fast sparen, reale chemie treiben zu wollen, und sie
durch virtuelle+permutative eventuell-chemie ersetzen, sobald schon mehr
als zwei elemente beteiligt sind, wirds mehr als unübersichlich (und im
sinnn "exakt sein wollen" wahrhaft unberechenbar), und von allem, das in
wässrigen lösungen passieren soll, lässt man am besten ganz die finger,
denn wasser spricht dabei stets die hauptworte mit, und wasser ist
selbst bereits spektral, von wegen HOH)
siehe mensch: mit 70 kilo wasser-netzwerken im edel-corpus stellt er
tiefsinnige fragen, fehlen nur 2% davon im kopf, kennt die leiche sich
selbst nicht mehr ...
---
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"Nicht zwingend" würde hier heißen, daß man im wirklichen Leben vor Überraschungen nicht sicher oder eine Theorie, die diesen Namen verdient, nicht gegen Widerlegung immunisiert ist, während bei virtueller Chemie im Computer bloß mathematische Ausdrücke umgeformt werden.
Claus
(Wenn da unten jetzt wieder "Null" steht, macht das die Software immer, wenn man die Mail, auf die man antwortet, nicht zitiert.)
null
Man braucht keine Neuropsychologie, um wissen zu können, dass man die Handlungen von Personen beeinflussen kann, indem man sie bestimmten Umständen aussetzt, im Extremfall z.B. foltert. Das liegt natürlich daran, daß wir bei unserem Handeln die Umstände berücksichtigen, nicht z.B. mit dem Kopf durch eine Betonwand wollen, und im allgemeinen nach Lust streben und Unlust vermeiden. Aber hier sind schon Gegenbeispiele denkbar, teils dumm, teils bewundernswert, und es gibt sie auch wirklich.
Schon bei der chemischen Reaktion wäre zu fragen, inwiefern wir denn sagen können, daß sie "zwingend" so und so verläuft, wenn damit nicht gemeint ist "nach dem Stand der Wissenschaft". Die Folgen schon in den Voraussetzungen antreffen, das gibt es meiner Meinung nach nur in der Logik, Mathematik oder ähnlichen Zeichensystemen. "Alle Menschen in diesem Raum sind sterblich, d.h. A ist sterblich, B ist sterblich...Z ist sterblich, d.h. wie gesagt, auch S ist sterblich. "
In der Psychologie können wir dagegen nur sagen: dieser Mensch steht unter grossem Druck (was vor Gericht übrigens strafbefreiend oder -mildernd berücksichtigt wird), wahrscheinlich wird er das und das tun, und jetzt warten wir gespannt ab.
Grüße, Claus
-------- Ursprüngliche Nachricht --------Von: Rat Frag via Philweb <philweb(a)lists.philo.at> Datum: 01.10.17 11:37 (GMT+01:00) An: philweb <Philweb(a)lists.philo.at> Betreff: [Philweb] Psychologische Gesetzmäßigkeiten und der Freie Wille
[Philweb]
Hallo liebe Liste,
entschuldigt bitte, wenn meine Gedanken unausgegoren oder albern wirken.
Zunächst einmal: Meines Erachtens basieren die meisten ethischen
Systeme auf den Gedanken des "Freien Willens". Man macht Menschen für
Dinge verantwortlich, die sie tun, nicht für andere Dinge.
Meine Frage lautet nun: Nehmen wir an, eine neue Neuropsychologische
Theorie könnte aus Begleitumständen zwingend ableiten, wie sich eine
Person in Zukunft verhalten wird.
Wenn jetzt die Person A in den Umständen B sich befindet, dann wird A
z. B. ein Rowdy oder ein Dieb.
Können wir in dieser Situation im Ernst noch Person A für seine
Karriere als Dieb oder Knochenbrecher verantwortlich machen? Es waren
ja eigentlich nur die Umstände B, die ihn dazu führten. Er wäre als
Person für seine Handlungen ebensowenig verantwortlich wie
beispielsweise eine chemische Reaktion für ihren Verlauf
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