Hallo liebe Liste,
entschuldigt bitte, wenn meine Gedanken unausgegoren oder albern wirken.
Zunächst einmal: Meines Erachtens basieren die meisten ethischen
Systeme auf den Gedanken des "Freien Willens". Man macht Menschen für
Dinge verantwortlich, die sie tun, nicht für andere Dinge.
Meine Frage lautet nun: Nehmen wir an, eine neue Neuropsychologische
Theorie könnte aus Begleitumständen zwingend ableiten, wie sich eine
Person in Zukunft verhalten wird.
Wenn jetzt die Person A in den Umständen B sich befindet, dann wird A
z. B. ein Rowdy oder ein Dieb.
Können wir in dieser Situation im Ernst noch Person A für seine
Karriere als Dieb oder Knochenbrecher verantwortlich machen? Es waren
ja eigentlich nur die Umstände B, die ihn dazu führten. Er wäre als
Person für seine Handlungen ebensowenig verantwortlich wie
beispielsweise eine chemische Reaktion für ihren Verlauf
verantwortlich ist. Es liegt keine Entscheidung zu grunde.
Ein Kompatibilist könnte jetzt sagen, dass ich hier einen Denkfehler
mache. Wir haben nicht herausgefunden, dass es keinen "Freien Willen"
im Sittlichen Sinne gibt, sondern wie haben etwas neues über den
Willen erfahren. Eben das es sich dabei nur um die Neuropsychologische
Sache XYZ handelt.
Nur meines Erachtens erzwingt diese Interpretation weitreichende
Schlussfolgerungen in Bezug auf Verantwortung und Moral.
Man müsste also eine Ethik ohne Verantwortung erschaffen.
Kann mir jemand folgen?
Was denkt die Liste?
Gruß
Rat.
Wenn ich nicht durchblicke, ist es immer gut, mir das Thema noch einmal deutlich vor Augen zu halten.
Es geht, soweit ich das verstehe, um unbedingte Werturteile über Handlungen und ihnen entsprechende Gebote und Verbote. Können wir sicher sein, uns dabei nicht zu irren? Das steht doch wahrscheinlich hinter der Frage nach einer Begründung oder Intuition.
Was hieße denn hier richtig und falsch?
Im Allgemeinen redet man von richtig und falsch in Verbindung mit Aussagesätzen. Sie gelten als wahr, wenn die Eigenschaften des Gegenstandes, über den etwas gesagt wird, die Merkmale des ihm zugeschriebenen Begriffs ausfüllen. So etwa stellen wir auch fest, ob eine Handlung unter einen gesetzlichen Tatbestand fällt (vom Problem der unbestimmten, unscharfen Gesetzesbegriffe abgesehen). Das ist aber ein rein formales Kriterium, bei dem es auf den Inhalt insofern nicht ankommt, als er prinzipiell beliebig sein kann. Während es bei einem Werturteil, nicht auf ein wie, sondern auf das was ankommt. Deutet das nicht darauf hin, daß wir es hier mit einem der Muster zu tun haben, die die erste Voraussetzung von Definitionen sind?
Ob man bei der Mustererkennung hier lieber von moralischer Intuition oder vom "Herzen auf dem rechten Fleck" redet, dürfte in der Sache keinen Unterschied machen. Es dürfte aber ein ziemlich weiter Weg von hier zur Aufstellung oder Auffindung gesetzesförmiger objektiver moralischer Normen sein, falls das überhaupt möglich ist.
Claus
null
Hallo!
Wir hatte das ja schon mal mit "Humes Gesetz". Verfolgt man den Ansatz
konsequent, so kann man keine Normen (aka "Werturteile") aus Fakten
ableiten.
Was konsequent bedeutet, dass man Normen aus anderen Norman ableiten muss.
Dabei kann man zwischen zwei Formen von Norman unterscheiden:
1. Dinge, die "gut als Mittel" (Frei nach G. E. Moore) sind. Als
Dinge, die nicht um ihrer selbst willen als erstrebenswert erachtet
werden, sondern Aufgrund einer beabsichtigten Konsequenz.
Ein klassisches Beispiel dafür wäre etwa Geld. Man erstrebt das Geld
ja nicht um seiner selbst Willen, sondern um damit in den Besitz
anderer Dinge zu kommen. Oder eben Tugenden. Diese werden zumeist (¹)
selbst nicht als Wert an sich betrachtet, sondern als Mittel zum
Zweck.
2. Dinge, die "an sich gut" sind.
Also Dinge, die um ihrer selbst willen erstrebenswert sind.
Man kann das durchaus gleichsetzen mit Kants Unterscheidung zwischen
hypothetischen und kategorischen Imperativen. Die hypothetischen
Imperative sind nur "Wenn-Dann-Regeln". Zum Beispiel, "Wenn du ein
ehrlicher Kaufmann sein willst, dann solltest du deine
Geschäftspartner nicht betrügen". In solchen Fällen könnte das
Gegenüber immer antworten, "aber warum sollte ich ein ehrlicher
Kaufmann sein wollen?". Die Antwort könnte dann auf zwei Wegen
ausfallen.
Entweder man argumentiert mit dem eigenen Nutzen (a) für die
betreffende Person, etwa das man mit ehrlichen Kaufleuten eher Handel
treiben will als mit Betrügern oder (b) man argumentiert auf Basis von
Normen. "Du sollst ein ehrlicher Kaufmann!" sein. Der Weg (a) ist seit
der Aufklärung vielfach gegangen und inzwischen gut befestigt worden,
aber er hat im Wesentlichen mit zwei Problemen zu kämpfen. Zum einen
ist es in vielen Situationen unplausibel, dass aus einem moralisch
unerwünschten Verhalten auch negative Konsequenzen folgen.
Zum anderen könnte ein sturres Individuum einfach auf seinen Vorteil
verzichten und lieber persönlichen Schaden in Kauf nehmen als sich
fremden Imperativen zu unterwerfen. Das kann völlig verschiedene, aber
nachvollziehbare Ursachen haben. Ein Beispiel wäre etwa ein
Jugendlicher, der den Aufstand gegen die Gesellschaft probt oder
jemand, der Hass empfindet und anderen etwas nicht gönnt.
Mit wird es hier zunächst um den Weg (b) gehen. Der traditionellere,
aber in seiner puristischen Konsequenz selten verfolgte Weg. Demnach
wird versucht, "bedingte Normen" des Typ 1 auf Basis von Normen des
Typ 2 zu begründen.
Nun ist es legitim, die folgende Frage zu stellen: "Welche Begründung
hat eigentlich Typ 2?"
Die meisten modernen Philosophen, die den Typ (b) folgen und scheint
auf dem Gebiet der Moralphilosophie tatsächlich die Mehrheit zu sein,
verweisen an dieser Stelle auf moralische Intiution. Das ist sowohl
bei Moores Methode der totalen Isolation der Fall als auch bei den
Kantisten (Rawls) heben letztendlich auf eine Art Intuition ab. Bei
Rawls ist es eher die Abstraktion, vom eigenen Standpunkt abzusehen
und stattdessen sozusagen eine "Gott-Perspektive" einzunehmen (eine
Denkfigur des Utilitarimus!), in der man dann das eigene Wohl nicht
mehr über das Wohl anderer Menschen stellen kann.
Allerdings frage ich mich in diesem Zusammenhang, ob das nicht fast
schon wieder unter (a) fällt. Denn die Güter oder erstrebten Dinge
könnte genausogut normativer wie "wirtschaftlicher" Art sein. Das
Problem, das ich sehe, ist nun: Der moralische Egoist kann ohne
Probleme eine Begründung dafür verlangen, warum ihn das, was er selbst
für gut und richtig hält, nicht viel wichtiger sein sollte das, was
andere Leute wollen.
Irgendwie bin ich da in Gedankenverwirrung... Kann mir jemand helfen?
P.S.:
Am 13. Januar 2018 um 01:04 schrieb <.@.de>:
> PS: übrigens funktioniert unser Archiv wieder. hh hat es repariert. Vielen Dank dafür!
Ich kann immer noch nicht durch das Archiv navigieren. Mir ist es
jetzt nicht besonders wichtig, dass man "Geschreibsel" der Nachwelt
erhalten bleibt oder so. Dafür würde ich halt andere Publikationswege
wählen. Für stille Mitleser ist es vielleicht ärgerlich.
P.P.S:
¹: Mir ist natürlich die Ausnahme der Stoiker und einiger moderner
Tugendethiker bekannt. Eine interessante Denkschule, mit der ich mich
zukünftig intensiver auseinandersetzen möchte.
Hallo liebe Lesern,
wiedermal wende ich mich in Pseudo-Briefform an euch. Wir alle hier haben
ja irgendwann in irgendeinen Zusammenhang das *richtige* Argumentieren
gelernt. Diese Fähigkeit mag vielleicht in der Normalbevölkerung nicht
stark ausgeprägt sein (meine Einschätzung), aber sollte unter Philosophen
und eifrigen Lesern solcher Texte stark verbreitet sein.
Zu diesen Regeln des Argumentieren gehört unter anderem:
- Man soll es vermeiden, widersprüchliche Aussagen gleichzeitig zu
behaupten.
- Man soll zur Sache argumentieren. Es reicht nicht, z. B. nachzuweisen,
dass Einstein wahnnsinnig schlau ist, um ihn alles zu glauben. Einsteins
Behauptungen müssen selbst gründlich geprüft werden und wenn sie sich
bewahrheiten, so folgen wir Einstein.
- Man soll nicht so tun, als würde eine Prämisse A die Behauptung B
rechtfertigen, wenn B überhaupt nicht aus A folgt. (Wobei es hier Ausnahmen
zu geben scheint...)
Ich könnte jetzt noch diverses Rasierwasser ( ;-) ) und andere Dinge
anführen, meine aber, damit den Kanon halbwegs umrissen zu haben. Viele
Dinge sind ja auch umstritten, bzw. nicht allgemein geteilt.
Zum Beispiel das Beweispflicht-Gebot. Wer eine Behauptung aufstellt, der
muss sie auch beweisen, sonst ist sie (Irrtum vorbehalten) falsch.
Hitchens’ Rasiermesser: Was nicht begründet wird, darf ohne Begründung
verworfen werden.
Viele Menschen sagen jetzt aber, dass ein mangelnder Beweis nicht
rechtfertigt, einen Satz als falsch anzusehen. Beispielsweise - ich greif
mal willkürlich was raus - die Goldbachsche Vermutung ist bis heute nicht
bewiesen, dennoch gehen viele Mathematiker davon aus, dass sich ein Beweis
finden lassen müsste.
Wie Schopenhauer schreibt, kann ein Standpunkt trotz mangelnder oder sogar
irreführender Gründe dennoch richtig sein. Dass Gründe existieren
impliziert nämlich noch nicht, diese Gründe würden immer unmittelbar
vorliegen.
Nun gibt es bezüglich dieser Diskussionsregeln wiederum zwei Möglichkeiten:
Entweder sie sind selbst hinterfragbar (1) oder nicht (2).
Wenn (1) zutrifft, dann kann man über die Diskussionsregeln selbst eine
Diskussion starten und diese in Frage stellen. Wenn (2) zutrifft, dann ist
eben dies nicht möglich.
Gegen die Variante (2) spricht allerdings, dass einige Regeln offenbar erst
später eingeführt worden oder umstritten sind.
Die Variante (1) bringt uns zu dem Problem, nach wechlen Regeln wir
überhaupt Diskussionsregeln auswählen, bewerten sollen.
Kann man meinen Gedanken nachvollziehen oder schreibe ich Unsinn?
Gruß
Rat.