Ich glaube, in dieser Liste gibt es eigentlich kein aktuelleres Thema.
Die Lust, sich nicht mehr länger zu irgendwelchen Themen zu äußern.
Die meisten Leute dürften das Gefühl in erster Linie im privaten
Rahmen kennen, wenn sich die Gespräche im Grunde nur wiederholen und
keine Reaktion eintritt. Dennoch scheint es mir zumindest potenziell
auch ein gesellschaftliches Problem zu sein.
Irgendwie bemächtigt sich mir dieses Gefühl zunehmend auch in anderen
Zusammenhängen. Wenn ich darüber nachdenke, mich hinzusetzen und etwas
längeres zu Papier (zu Bildschirm) zu bringen, dann spürt man eine
gewisse Hemmung. Ist nicht schon alles gesagt worden? Was kann man
selbst noch neues beitragen?
An wen soll man sich überhaupt richten, ist es nicht so, dass das
Publikum meist weder bereit ist, zuzuhören, noch überhaupt überzeugbar
ist? Wobei man natürlich selbst immer die Schönheit, die Wahrheit und
das Gute schlechthin verteidigen will.
Ein weiterer Grund ist sichtbar, wenn man sich ansieht, wer so die
öffentliche Meinung dominiert. Das sind meist nicht die
intelligentesten oder berechtigsten Meinungsäußerungen.
Was denkt ihr über die Lust am Schweigen?
Ist es eher kindlicher Trotz oder eine nachvollziehbare Reaktion auf
den Zustand der Welt?
Lieber Claus
richtig, "Trostlosigkeit" trifft es genau, und "Aufklärung" (auch und gerade die "philosophische") hat ja einmal zu großen Teilen genau darin bestanden, den Menschen klarzumachen, daß es für sie keinen Trost und keine Vertröstung gibt, nirgends, durch niemanden (vgl. auch die verschiedenen "Kränkungen" des Menschen, zu denen ja seit Freud noch ein paar dazugekommen sind). Selbst Kant übernimmt ja die Idee der grundlegenden "Insuffizienz" des Menschen (niemand wird je allen moralischen Anforderungen gerecht werden) und kann diesen Gedanken dann aber eben auch nur theologisch-metaphysisch ertragbar machen: genau dafür brauchen wir dann nämlich eine ewig-lebende Seele, usw.
Und womöglich waren Adam und Eva noch "unschuldig" (obwohl man z.B. schon Adam eine erste Unzufriedenheit mit dem paradiesischen status quo vorwerfen kann: warum beklagt er sich bei Gott über sein Alleinsein?), aber die Paradies-Erzählung soll ja gerade klarmachen, daß es verloren und für immer vorbei ist mit dieser Ur-Ur-Unschuld: alle Nachkommen von A & E (und das sind wir ja mal leider nun alle) tragen die Erblast der Ur-Schuld.
Und ja: die Gefahr der (Selbst-)"Vergiftung" durch ein permanentes und unbesänftigbares schlechtes Gewissen seh ich auch - aber dafür gibt es eben den "Ablaß": der geht nicht so weit, den Menschen vorzugaukeln, sie könnten sich je "ändern", es könnte je mit ihnen "wirklich gut" werden (wie es die eschatologisch inspirierten Öko- und Kommunismus-Prediger machen: "homo novus"), sondern er beschränkt sich darauf, uns im Rahmen einer uns möglichen, uns zumutbaren individuellen (!) Anstrengungs- und Opferbereitschaft eine gewisse "Auszeit" von diesem auf uns lastenden Insuffizienz-Druck und -Vorwurf zu verschaffen.
Joachim Landkammer
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Claus Zimmermann <mail(a)clauszimmermann.de>
Gesendet: Donnerstag, 22. August 2019 15:51
An: philweb(a)lists.philo.at; Landkammer, Joachim <joachim.landkammer(a)zu.de>
Betreff: Re: [Philweb] Die Lust am Schweigen
Wir sind also schuldig nicht nur, weil wir tun, was wir tun, sondern schon, weil wir sind, was wir sind, obwohl wir uns das nicht ausgesucht haben. Das ist ja noch trostloser, als es in der Bibel dargestellt wird. Adam und Eva waren doch unschuldig, oder? (Ich bin kein Theologe.) Dann übertraten sie ein Verbot. Aufgrund dieser Handlung, nicht aufgrund ihrer Beschaffenheit wurden sie aus dem Paradies ausgeschlossen. Der Schöpfer kam nicht auf die doch absurde Idee, ihnen vorzuhalten, daß und wie er sie aus dem Lehmklumpen und der Rippe erschaffen hatte, sondern der Vorwurf lautete, daß sie die Nabelschnur durchtrennt hätten und diesen Weg, auf sich selbst gestellt, jetzt auch zu Ende gehen sollten.
Gibt es unter Katholiken nicht auch andere Intuitionen als die eines schlechten Gewissens, das einen doch vergiften muss, wenn man es nicht loswerden kann, indem man sich ändert? Ich bin kein Katholik, kann aber sagen, daß es in meinem Bekanntenkreis einen Fall einer anderen Intuition gibt.
Claus
Am 22. Aug. 2019, 09:04, um 09:04, "Landkammer, Joachim via Philweb" <philweb(a)lists.philo.at> schrieb:
>[Philweb]
>Lieber Claus,
>ich versuche, auf einiges zu reagieren:
>- "Ich kann nichts dafür" ist wohl einer der gleichzeitig
>unglücklichsten und falschesten Sätze überhaupt. Jeder kann immer etwas
>"dafür". Das ist eben das (eben vielleicht nicht nur theologisch
>sinnvolle) Theorem der "Urschuld", der grundsätzlichen Verdorbenheit
>der menschlich-körperlichen Existenz. Nicht daß niemand uns gefragt
>hat, als wir in die Welt "geworfen" wurden (wie die Existentialisten
>immer jammern), sondern daß die WELT niemand gefragt hat, ist das
>Skandalon: wir werden eigentlich nicht gebraucht, wir sind nicht nur
>überflüssig, sondern: wir stören. Unser reines Dasein ist per se
>schuldbeladen. (Es gibt in Simmels Soziologie die These, daß
>Gesellschaft nur möglich ist, weil sie mit der fundamentalen
>Voraussetzung operiert, daß für jedwedes Individuum in ihr ein "Platz"
>ist; das gilt eben für die menschengemachte - und historisch:
>westlich-demokratische - Institution namens Gesellschaft, für die
>"Natur" oder für "die Welt" gilt das nicht). Es geht also um ein
>prinzipielles "schlechtes Gewissen", das gar nicht aus einer versäumten
>und je wieder gutzumachenden (Nicht-)Handlung stammt. Die ganzen
>philosophischen und literarischen Strömungen des Pessimismus und
>Nihilismus (ich lese z.B. zur Zeit gerade Giacomo Leopardi) haben diese
>urkatholische Grundintuition eigentlich übernommen - und verschärft,
>indem sie den tröstenden Heilsgott daraus gestrichen haben.
>- Ich weiß, daß (auch) das eine hochproblematische Vorstellung ist,
>weil sie natürlich auch zur Legitimation von Gewalt und Immoral und
>Quietismus herhalten kann. Gerade darum ist eben diese Ablaß-Idee
>wichtig: man kann, in kleinem, nichts Wesentliches verändernden Rahmen,
>doch etwas "tun", und auf gewisse, temporäre und beschränkte Weise
>"Sühne" leisten. Man kann sich von seiner Grundschuld stückchenweise
>und in geringem Ausmaß "freikaufen" - und das muß ja nicht nur in
>monetärer Form sein, sondern etwa auch durch die eine "gute Tat" pro
>Tag ("Werkgerechtigkeit" nannte Luther das abschätzig, weil er es in
>seinem Eifer nicht begriffen hatte). Aber das Wichtige und spezifisch
>"Katholische" daran ist eben: es gibt Minderung, Milderung, "Nachlaß",
>schon in dieser Welt, und nicht erst im Jenseits (diese ganze
>Heils-Verlagerung ins Jenseits, die man dem Christentum immer so
>stereotyp vorwirft, stimmt gerade für den Katholizismus NICHT! Daher ja
>auch die (ebenfalls temporäre) katholische (Aus-)Gelassenheit,
>Lockerheit, Feierkultur: siehe "Karneval", usw.).
>- Unabhängig von der theologischen Stimmigkeit: die möglichen
>Parallelen und "Anwendungen" auf das ökologische Tun und Lassen liegen
>meiner Meinung nach auf der Hand. Ich plädiere daher für eine
>"katholische Ökologie"...
>So ungefähr denke ich das gerade.
>Ciao
>Joachim
>
>-----Ursprüngliche Nachricht-----
>Von: Claus Zimmermann <mail(a)clauszimmermann.de>
>Gesendet: Donnerstag, 22. August 2019 02:21
>An: philweb(a)lists.philo.at; Landkammer, Joachim
><joachim.landkammer(a)zu.de>
>Betreff: Re: [Philweb] Die Lust am Schweigen
>
>Schön, daß du wieder dabei bist. Aber: ich verstehe nicht, warum du
>jemandem, der deiner Meinung nach nichts dafür kann, ein schlechtes
>Gewissen machen willst. Das wäre doch eine Grausamkeit, die zu nichts
>führen würde, denn eine Änderung des Verhaltens wäre nicht möglich. Ich
>vermute also, daß du sie vielleicht zwar für unter Umständen sehr
>schwierig, aber nicht unmöglich hältst und deshalb nicht gleich nicht
>die Guillotine wenn auch in abgemilderter Form durch soziale Kontrolle,
>sondern eine Rechnung für die verursachten Kosten angemessen findest.
>Nicht vorwerfbar wäre das Verhalten z.B. bei geistigen Störungen,
>unverschuldeten Rauschzuständen durch K.O.-Tropfen oder ähnlichem. Auch
>im Fall von grossem äußerem Druck würden wir dem Menschen zwar keinen
>Orden dafür verleihen, wenn er ihm nachgibt, aber ihn auch nicht dafür
>bestrafen. Du weist auf das hin, was uns historisch, kulturell und als
>Gattungswesen in den Knochen steckt. Dazu kommen die Umstände des
>Einzelfalls. Es ist sicher sehr schwer, das zu überspringen. So finde
>ich es angemessen, nicht gleich "Kopf ab" zu rufen, wenn das nicht
>geschafft wird, aber die Kosten, nicht als Schikane, sondern so, wie
>sie anfallen, in Rechnung zu stellen. Auch das schlechte Gewissen wäre
>dann nicht sinnlos und selbstzerstörerisch.
>Das steht alles unter der Prämisse, daß es wirklich so kritisch ist,
>wie die Mehrheit der Experten sagt und was ja auch mit
>Alltagserfahrungen übereinstimmt. Interessengeleitete Stimmen gibt es
>vermutlich auf allen Seiten. Eigentlich müsste man dann versuchen, der
>Sache selbst auf den Grund zu gehen. Aber ich fürchte, das übersteigt
>meine Möglichkeiten.
>
>Übrigens sagt Niko Paech nicht, daß verzichten immer nur die anderen
>sollen, sondern daß man von anderen nicht mehr verlangen soll als von
>sich selbst. Aber es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich
>vorzustellen, wie verschärfte soziale Kontrolle in der Praxis aussehen
>und wer dabei gewinnen und verlieren würde.
>
>Claus
>
>Am 21. Aug. 2019, 12:09, um 12:09, "Landkammer, Joachim via Philweb"
><philweb(a)lists.philo.at> schrieb:
>>[Philweb]
>>Naja, "genial gelebt" bringt es wieder in die falsche Richtung...
>>Auch wenn man natürlich mit dem Wort vorsichtig umgehen muß: aber ich
>>würde schlicht von "Tragik" sprechen (so etwa wie Georg Simmel von der
>
>>"Tragödie der Kultur" gesprochen hat). Unser westlich-aufgeklärtes,
>auf
>>den bekannten Werten des rationalen selbstbestimmten Individuums
>>beruhendes Leben gerät in den Konflikt mit einer Natur und einer
>>(Um-)Welt, die eben eher genügsame, ihren biologischen Instinkten und
>>Selbstdezimierungsprozessen (Viren, Gendefekte und sonstige
>>überlebenshinderliche Schwächlichkeiten) unterliegende Spezies
>>toleriert, als eine solche die kraft ratio und Technik sich von (fast)
>
>>allen natürlichen "Feinden" und Feindschaften (denn das ist die andere
>
>>Naivität der kleingeistigeren unter den Öko-Aposteln: die Natur steht
>>uns natürlich viel eher feindlich als freundlich gegenüber: ich sage
>>nur Zecken, Heuschrecken und Disteln!) unbesiegbar und damit sich "die
>
>>Erde untertan macht", und zwar in einem megalomanen Ausmaß, den das
>>etwas unvorsichtige Bibelwort wahrscheinlich nie ahnen konnte.
>>Aber angesichts der komplexen historischen, geistesgeschichtlichen,
>>ethischen und nicht zuletzt anthropologischen Voraussetzungen und
>>Verstrickungen, die zu diesem tragischen Konflikt geführt haben und
>>führen mußten, nun zu meinen, es genügten einfache "Umkehr"-Predigten
>>und Verzichts-Appelle (die ja sowieso letztlich meist neidgesteuert
>>sind, weil "verzichten" sollen ja bloß immer die anderen), scheint
>mir,
>>wie gesagt, naiv, fragwürdig, falsch... Solche Praxen wie das, wofür
>>symbolisch die katholische Ablaßidee steht, leisten hingegen zumindest
>>eines: sie belasten unseren unweigerlich schuldhaften Lebenswandel mit
>
>>einer unaufhebbaren Hypothek der Insuffizienz (DAS wäre nämlich mein
>>Schlagwort gegen Paechs neo-rousseauistische "Suffizienz"-Idee!), des
>>Ewig-Ungenügenden, ohne aber diesen Lebenswandel gänzlich unmöglich zu
>>machen: man "darf" trotzdem weiterleben, in selbst-bestimmter,
>>selbst-verantworteter Schuld, Demut und Fallibilität - anstatt auf
>>andere zu deuten, denen man Vorschriften zum einzig wahren und
>"reinen"
>>Lebensführung macht, um selbst nichts tun zu müssen.
>>So ungefähr hatte ich mir das gedacht mit diesem "laizistischen
>>Neo-Katholizismus"... aber sicher bin ich mir selbst natürlich auch
>>nicht ganz...
>>
>>Joachim Landkammer
>>
>>-----Ursprüngliche Nachricht-----
>>Von: Philweb <philweb-bounces(a)lists.philo.at> Im Auftrag von Karl
>>Janssen via Philweb
>>Gesendet: Mittwoch, 21. August 2019 09:41
>>An: Philweb(a)lists.philo.at; K. Janssen <janssen.kja(a)online.de>
>>Betreff: Re: [Philweb] Die Lust am Schweigen
>>
>>[Philweb]
>>
>>
>>transmitted from iPad-Client
>>
>>> Am 21.08.2019 um 01:40 schrieb K. Janssen via Philweb
>><philweb(a)lists.philo.at>:
>>>
>>> [Philweb]
>>>
>>>
>>>> Am 20.08.2019 um 23:27 schrieb Landkammer, Joachim via Philweb:
>>>> [Philweb]
>>>> (Ich probier auch nur mal kurz meinen account wieder aus...)
>>>>
>>>
>>> nix da mit "nur kurz ausprobieren" :)) Wir sind froh, endlich wieder
>>von Dir zu hören! Und das bei diesem Beitrag, den es erst einmal genau
>
>>zu lesen und zu überdenken gilt.
>>>
>>> Grüß Dich bestens! - Karl
>>>> Nico Paechs grundsätzliche Endzeit-Ausführungen würde ich evtl.
>>versuchen, mit einer Rehabilitation des von ihm als Gegenmodell
>>genannten, vielgeschmähten Ablaßhandels zu unterlaufen. Denn genau das
>
>>war ja der eigentliche, tiefere Sinn des Tauschs Geld gegen
>>Sündenerlaß: ein kleiner, überschau-, aber kontrollierbarer Zeitgewinn
>
>>angesichts einer eschatologischen (das Lebens- und Weltzeitende
>>implizierenden), aber dann doch nie so ganz gewissen
>>Untergangs-Bedrohung. Die psychologisch schlicht unpräzise und
>>unterkomplexe Unterstellung dabei ist doch, daß, wer er sich von
>seinen
>>Sünden "freikauft", deswegen danach einfach kreuzfidel munter weiter
>>sündigt, daß man also nur Scheinverzicht treibt und lediglich
>>kosmetische Oberflächen-Selbstkorrekturen vornimmt. Nein, die realen
>>(auch psychischen) Kosten des "Ablaßgeschäfts" erinnern mich permanent
>
>>an meinen ja immer nur provisorisch und temporär abgemilderten Status
>>der (Erb!-)Sünde und zeigen mir an, daß ich grundsätzlich (weiter) und
>
>>immer "falsch" lebe. Das als "Doppelmoral" zu bezeichnen (wie NP das
>>tut), ist selbst eine hoch moralistische Wehklage (auch sie mindestens
>
>>so alt wie der lutherische Antikatholizismus), die verkennt, daß
>>Menschen eben grundsätzlich diese Dilemmata nicht nur leben, sondern
>>"sind". Wir SIND ökologisch eigentlich untragbar.
>>
>>Unter diesem (höchst subtil ausgelegtem) Blickwinkel gesehen, würde N.
>>Peach vermutlich auch nicht von „Doppelmoral“ in Anbetracht der
>>offensichtlichen Zwiespältigkeit in der Lebensgestaltung diesbezüglich
>
>>beschriebener Bevölkerungsgruppen sprechen. Eher wohl - und auch da
>>würde ich ihm zustimmen - wäre das gezeigte Verhalten einer (schon
>>pathogenen) Ambivalenz zuzuschreiben; eine Zerrissenheit zwischen
>>unterschiedlichsten konzeptionellen Denkansätzen, Theorien, Statements
>
>>zu jeweils aktuellen Problemfeldern der absehbaren Umweltkatastrophe.
>>Eine Zerrissenheit, wie sie insbesondere auch bei jenen sichtlichen
>>Ausdruck annimmt, die unter dem unerträglichen Druck der Erbsünde und
>>ihrer zwingend darauf folgenden Verfehlungen leiden. Nitzsche
>>sinngemäß: Die Katholiken - sie sehen mir alle so wenig erlöst aus!
>>Welch Parallelen sich hier doch auftun! So wird „Ablasshandel“
>>tatsächlich zum Gnadenakt für uns Erdenkinder - genial gelebtes „amor
>>fati“.
>>
>>Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl
>>_______________________________________________
>>Philweb mailing list
>>Philweb(a)lists.philo.at
>>http://lists.philo.at/listinfo/philweb
>>_______________________________________________
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>
>
>_______________________________________________
>Philweb mailing list
>Philweb(a)lists.philo.at
>http://lists.philo.at/listinfo/philweb
(Ich probier auch nur mal kurz meinen account wieder aus...)
Nico Paechs grundsätzliche Endzeit-Ausführungen würde ich evtl. versuchen, mit einer Rehabilitation des von ihm als Gegenmodell genannten, vielgeschmähten Ablaßhandels zu unterlaufen. Denn genau das war ja der eigentliche, tiefere Sinn des Tauschs Geld gegen Sündenerlaß: ein kleiner, überschau-, aber kontrollierbarer Zeitgewinn angesichts einer eschatologischen (das Lebens- und Weltzeitende implizierenden), aber dann doch nie so ganz gewissen Untergangs-Bedrohung. Die psychologisch schlicht unpräzise und unterkomplexe Unterstellung dabei ist doch, daß, wer er sich von seinen Sünden "freikauft", deswegen danach einfach kreuzfidel munter weiter sündigt, daß man also nur Scheinverzicht treibt und lediglich kosmetische Oberflächen-Selbstkorrekturen vornimmt. Nein, die realen (auch psychischen) Kosten des "Ablaßgeschäfts" erinnern mich permanent an meinen ja immer nur provisorisch und temporär abgemilderten Status der (Erb!-)Sünde und zeigen mir an, daß ich grundsätzlich (weiter) und immer "falsch" lebe. Das als "Doppelmoral" zu bezeichnen (wie NP das tut), ist selbst eine hoch moralistische Wehklage (auch sie mindestens so alt wie der lutherische Antikatholizismus), die verkennt, daß Menschen eben grundsätzlich diese Dilemmata nicht nur leben, sondern "sind". Wir SIND ökologisch eigentlich untragbar. Silens Antwort an Midas, die Nietzsche in der "Geburt der Tragödie" referiert, gilt heute für die gesamte Menschheit: das "Allerbeste" für sie wäre "nicht geboren zu sein". Aber solange daraus nicht das eigentlich zwingend folgerichtige kollektive Menschheits-Suizidprojekt in Angriff genommen wird (das nur daran scheitert, daß man nicht sicher sein kann, daß am Ende doch einige nicht mitmachen werden, für die dann vermutlich die Erde wirklich zu dem Paradies der wenigen glücklichen Übriggebliebenen werden könnte - zumindest kurzfristig), muß man eben mit den unüberwindbaren, nicht auszumerzenden Halbheiten, Kompromissen, Zugeständnissen, Fehlbarkeiten weiterleben. Und sich immer wieder mit dem erzwungenen Griff an die Geldbörse daran erinnern lassen, daß man auf unsicheren, und meist eher falschen, im Grunde "verdorbenen" Pfaden wandelt. Und das kann man für "humaner" und "menschenfreundlicher" (und in diesem Sinne "ökologischer") halten als die nicht anders als durch undemokratische Dezision herbeizuführende und verbindlich zu machende Unterscheidung zwischen den angeblichen "Grundbedürfnissen" und dem angeblich "Verzichtbaren". Denn diese ist - da kann Paech noch so lange so tun, als ob es doch bitte schön durch einfachen common sense ("gesundes Volksempfinden" hieß das früher einmal...) zu regeln wäre, wieviele Fernreisen und Quadratmeter Wohnung sich jeder erlauben darf - eben nicht anders zu haben als durch Willkür, Moralismus, Dezision, Bevormundung, Hierarchie, Gewalt...
Nein, wenn diese Welt und diese Menschheit eine Überlebenschance haben will (und wie gesagt: nichts spricht a priori dafür, daß das so sein muß), dann muß sie sich diese "verdienen": dann muß sie in diese so "hineinreifen", daß die dafür nötigen "Verzichtleistungen" gar keine mehr sind und von niemandem mit dem moralökologischen Zeigefinger und politischer Macht eingefordert werden können; und auch dann wird das "Ökosystem" von Mensch und Umwelt eines sein, das sich dadurch stabilisiert, daß die von mir verursachten Schäden mein Schaden sind, daß ich also schlicht bezahle für das, was ich anrichte. So wie wir das eben (fast "existenzialanalytisch") immer tun, immer schon tun und so wie es das katholische Ablaßwesen schon immer praktiziert hat...
Joachim Landkammer
Lieber Joachim, Mir scheint das ein unrealistisches Menschenbild zu sein. Jeder hat irgendwelche Fehlerchen, das gebe ich gern zu, insofern kann man Kant zustimmen, wenn er sagt, daß wir aus krummem Holz geschnitzt sind. Aber nach meiner Wahrnehmung ist bei weitem nicht jeder von Grund auf verdorben, also ist das, wenn meine Wahrnehmung nicht falsch ist, kein unentrinnbares tragisches Schicksal. Und manche Leute sind sogar zum Knuddeln.Claus
null
Am Mo., 19. Aug. 2019 um 14:33 Uhr schrieb Claus Zimmermann:
> Ein Einwand gegen übertriebene Schweigsamkeit wäre die Möglichkeit der
> "allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden".
>
Ich weiß, dass es einen Aufsatz oder ein literarisches Werk über die
allmähliche Verfestigung der Gedanken beim Reden gibt.
Allerdings, gemäß einer Methode, die Wittgenstein zugeschrieben wird, will
ich mal spekulieren, was sich der Autor wohl gedacht haben mag, als er eine
Verfestigung der Gedanken beim Reden annahm.
1. Eine Theorie des Unbewussten. Nicht wir reden, sondern es redet in uns.
So wie ja Lichtenberg mal schrieb, "*Es denkt*, sollte man sagen, so wie
man sagt: *es blitzt*."
Wir lassen sozusagen *durch uns* reden, um danach etwas zu sagen zu haben.
Vielleicht denkt dort auch auf mysteriöse Art und Weise die Sprache? Dann
dürfte der Autor eine sehr seltsame Theorie der Sprache gehabt haben.
2. Vielleicht ist mit Verfestigung aber auch gemeint, dass die Sprache, der
Ausdruck in Wort und Schrift, den flüchtigen Gedanken eine feste Form
aufzwingt. Aber wieso dann allmählich? Vielleicht, weil der Autor glaubte,
dass es eine mühselige Arbeit ist, den Gedanken vollständig auszudrücken.
Wer wüsste schon so genau, einen Gedanken hier von einem Gedanken dort
abzugrenzen.
3. Der Autor ist Schriftsteller. Es ist sein Beruf, das Kommunizieren, egal
ob Redend oder Schreibend, am Laufen zu halten. Ist es da nicht nur
natürlich, dass er oft, dadurch auch einen Gedanken zu verfestigen? Es wäre
sonst sinnlos.
4. Es entspricht aber der Erfahrung. Ich wurde oft aufgerufen, etwas zu
sagen und habe spontan bessere Argumente gebracht, Formulierungen gefunden
oder witzige Bemerkungen eingebracht als ich es planvoll getan hätte. Die
spontane Rede hat eine gewisse Schlagkraft, auch weil man nicht der
Versuchung unterliegt, sie zu überladen durch zu viele Vergleiche, zu viele
Anspielungen usw. Dafür setzt man sich der Gefahr aus, Hintergedanken zu
offenbaren oder keine Worte zu finden.
5. Vielleicht wollte der Autor auch das Rede gegen das Schreiben
verteidigen? Das geschriebene Wort ist tot, heißt bei Platon.
Eine gehaltvollere Antwort folgt, sobald ich den Text gelesen habe... Aber
ich müsste eigentlich was ganz anderes lernen und tun. Wie immer, wenn man
einer größeren Herausforderung ausweichen muss, holt man sich eine neue.
> „Lust am...“ läßt mich sogleich auch an „Lust am Lesen“ denken. Fast
könnte man sagen, man
> hätte ja schon alles gelesen, es dreht sich letztlich alles nur im Kreis
- nichts Neues; Inhaltlich
> gesehen mag es so sein, doch es bliebe der Verlust an der Lust, in eine
Art verstärkende
> Resonanz mit Sichtweisen zu gelangen, denen man zu Zeiten nahe steht oder
eben auch
> Kritik, die einen nachdenklich stimmt und zu elementar wichtigen
(Selbst-)Korrekturen führt. Auch
> wenn es bei unserer Kommunikation nach (sinnlosem) Kreislauf aussieht:
der Kreis ist
> eingebettet in die Spirale der Menschheitsentwicklung. Wo man „das Ende
der
> Spirale“ sieht resp. vermutet, bleibt letztlich dem Einzelnen überlassen.
Lichtenberg: "Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das,
was ich gegessen habe, ich weiß aber soviel, beides trägt
nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und Leibes bei. (besser)"
(J, 133)
Ich glaube, Lichtenberg ist ein Schatz. Auch wenn ich nicht immer mit ihn
einer Meinung bin und ihn vielleicht noch öfter widersprechen wollte.
Ich antworte ausdrücklich nur, um meinen neuen Account auszuprobieren. Sonst hätte ich nämlich die Klappe gehalten.Meiner Meinung nach ist die Frage einfach, unphilosophisch und zeitlos zu beantworten. Wenn man nichts zu sagen hat - so geht es mir meistens - sagt man nichts und überlegt sich vielleicht allenfalls, ob einem nicht vielleicht etwas mitteilenswertes einfällt. Das ist ausdrücklich nicht als Kritik an irgendjemandem gemeint, sondern ganz allgemein gesagt.Wenn man etwas zu sagen haben meint, sagt man es und kümmert sich nicht darum, ob und wie es ankommen könnte.Beste Grüße, Claus
null
Du sagst, daß es am Anfang der Demokratie nicht demokratisch zugeht. Das ist wie gesagt insofern nicht möglich, als es noch keine Regeln gibt, an die man sich halten könnte. Aber es ist ein Unterschied, ob man sich dabei einigermaßen im Sinn der späteren Regeln oder eher diktatorisch verhält. Im zweiten Fall würde ich dir recht geben. Aber auch im ersten meinst du ja: diejenigen, die sich das nicht ausgedacht haben und vielleicht einfach in Ruhe weiter Ackerbau und Viehzucht treiben wollen, werden da plötzlich in irgendetwas ihnen fremdes verwickelt, zu dem sie jetzt Stellung nehmen sollen. Ist das vielleicht demokratisch oder grenzt es nicht an eine Vergewaltigung? Wenn es nicht so wie im zweiten Fall abläuft, ist es das normale Leben. Wer das nicht will, sollte auf eine einsame Insel ziehen. Da wird er nicht mit neuen Ideen behelligt. Man könnte ja auch umgekehrt sagen: die Vorstellung, daß das Leben stillzustehen habe, ist eine Zumutung für die etwas weniger trägen Naturen. Die Anhänger der früheren Lebensweise sollen das Recht haben, sich herauszuhalten, das aber nicht für allgemein verbindlich erklären dürfen.Claus
null