[Philweb]
Am 21.11.20 um 20:49 schrieb waldemar_hammel via Philweb:
> [Philweb]
>
> _______
>
>> Am 20.11.2020 um 23:03 schrieb K. Janssen via Philweb
<philweb(a)lists.philo.at>:
>>
>>
>> … An diesen Daten findet sich nichts Körperliches!
>
> Hi Karl,
>
> so wird es immer wieder von Informationsfans wiederholt, aber wozu
dann die ständig erweiterten, gigantischen Rechenzentren zur
Datenverarbeitung? Daten sind genauso wenig immateriell wie die Energie
und Entropie, die zu ihrer Verarbeitung notwendig ist. Als IT-Ingenieur
wirst Du Landauers Grundsatzarbeiten kennen. Für die Mitleser: Der in
die USA ausgewanderte jüdische deutsche Physiker Rolf Landauer
(1927-1999) untersuchte 1961 die "Irreversibility and Heat Generation in
the Computing Process", um die thermodynamischen Grenzen des
elektronischen Rechnens auszuloten, 1991 formulierte er sein Diktum:
"Information is a Physical Entity" und 1996 hatte er "The physical
nature of information“ herausgearbeitet. Natürlich kann man ebenso wie
Zahlenräume auch Informationsräume abstrahieren, aber Grundlage bleibt
letztlich die schlichte physische Tätigkeit des Zählens.
entschuldigt bitte die kurze einmischung hier, aber ich ärgere mich echt,
denn "information" ist eben KEINE physikalische größe oder gar
grundgröße, auch wenn Berühmtheiten wie Landauer, Weizsäcker, und viele
andere irrtümlich (scheinbar??) gegenteiliges behauptet haben und es bis
heute tun.
Signale sind physikalische dinge, zb licht,
indem Signale (zb licht) von dazu geeigneten detektoren rezipiert
werden, zb Auge, werden aus Signalen => Informationen =
Information "besteht" also daraus "durch signale informiert zu werden"
= dass Signale von rezeptoren/detektoren/irgendwas entsprechendem/
aufgefangen (und mitunter vorverarbeitet) werden
(und diese Informationen können dann durch nachgeschaltete einheiten zu
Nachrichten aufinterpretiert werden)
Signal => Information => Nachricht
Diesen Beitrag lese ich erst jetzt, Waldemar.
Nun, das kommt der Sache näher.
Und die „Einmischung“ sollte natürlich ohne Ärger geschehen!
Ärger haben wir derzeit genug mit diesem Covid-Mist! Also keinen
zusätzlichen draufpacken!
Beste Grüße! - Karl
Am 21.11.20 um 20:49 schrieb waldemar_hammel via Philweb:
> [Philweb]
>
> _______
Diesen Beitrag lese ich erst jetzt. Nun, das kommt der Sache näher. Und
die „Einmischung“ sollte natürlich ohne Ärger geschehen! :-)
Ärger haben wir derzeit genug mit diesem Covid-Mist! Also keinen
zusätzlichen draufpacken!
Beste Grüße! - Karl
> ________________________________________
> Philweb mailing list
> Philweb(a)lists.philo.at
> http://lists.philo.at/listinfo/philweb
„Wer bin ich – wer sind wir?“ Unsere Diskussionsbeiträge zu diesen
Fragen haben uns zuletzt ein Stück weit in eine „Sackgasse“ laufen
lassen. Dies vielleicht auch deshalb, weil wir am Diskurs Beteiligten
mit unseren individuell fixierten Überzeugungen, Stellungnahmen,
Empfindlichkeiten etc. die Möglichkeit eines konsensfähigen
weiterführenden Dialogs erschwert haben, noch dazu, wenn persönliche
Standpunkte zu einen im Diskurs stehenden Sachverhalt als quasi
axiomatisches Faktum postuliert werden (etwa in Art eines
„Basta-Arguments“: das ist so – Punkt!). Letzteres ist natürlich
unumgänglich, wenn das diskutierte Thema tatsächlich (einem
interdisziplinär -wissenschaftlich breit angelegten Konsens folgend) als
allgemein gültig geklärt ist. Das kann aber selbstredend nicht für
Themenkreise der Metaphysik und schon gar nicht für Religion angenommen
werden (warum wir aus gutem Grund letztere hier etwas zurückstellen
wollen, allerdings ohne diese zu tabuisieren).
Diesbezüglich ebenso kritisch ist der Themenkomplex der Anthropologie,
gleichermaßen, ob man ihn aus philosophischer oder naturalistischer
Sicht betrachtet.
So kann etwa die mit Absolutheitsanspruch getroffene Aussage, der Mensch
sei nichts anderes, als ein geistloser, von „Kappes und Kartoffeln"
gefütterter Molekularverbund und damit: "leben ist nur materie und sonst
nix !“, jede weiterführende Diskussion abwürgen; diese weiterführen zu
wollen, erübrigt sich jedoch ohnehin, wenn unter derart unilateral
angelegtem Aspekt man davon ausgeht, dass das Rätsel des Lebens bzw. der
Lebensentstehung bereits (eben aus evolutionsbiologischer Sicht) gelöst ist.
Sollte man sich also mit derartig mono-polarem Denkmodell (demnach eine
als einzig gültig anzunehmende physikalisch-materialistische Realität)
abzufinden haben, erhebt sich die Frage, ob denn überhaupt noch ein
transmaterieller, philosophisch orientierter Blick auf den Menschen im
Kontext unseres Themas „wer bin ich – wer sind wir?“ sinnvoll ist und
insbesondere weiterführend sein kann.
Damit wäre dann auch die Aufforderung des Gnothi Seautón, also jenem
„erkenne dich selbst!“, das Du, Waldemar, uns vor einiger Zeit hier an‘s
Herz gelegt hast, obsolet geworden!
Wenn jedoch unumstößlich gelten sollte: "leben ist nur materie und sonst
nix !“ dann gibt es demnach nichts mehr zu erkennen, da „Materie“
(naturwissenschaftlich) hinreichend definiert und erklärt ist (vom
Phänomen der Dunklen Materie einmal abgesehen).
Wenn man mit Bezug auf pur geistlose Materie unser Thema erörtert und
sich demgemäß mit o.a. ernüchternder Erkenntnis zufrieden gibt,
letztlich nur ein geistloser Molekularhaufen zu sein, scheint es mir nur
wenig tröstlich, sich immerhin als ein hochkomplex wechselwirkendes
System zu erkennen, überdies dem genialen Prinzip der Autopoiese folgend.
Anm. für Ingo: Ich betrachte den Menschen (wie von Dir kritisch
gewürdigt) nicht als System im Sinne eines (von wem auch immer)
„gemachten Systems“, sondern (in spezifisch naturalistischer Sicht) als
ein Konglomerat chemisch-biologischer Kreisprozesse, die man mit
vornehmlich wissenschaftlich-systemischer Methode (Thermodynamik,
Entropie etc.) erklärt, bzw. diese zu beschreiben versucht. Dabei mache
ich eben nicht Halt bei ausschließlich positivistisch sowie
naturwissenschaftlich angelegten Denk- und Erklärungsmodellen (die
übliche Grundlage für ein rigides nihilistisches Weltbild) sondern
beziehe Fragestellungen bzgl. des (eigentlich nicht zu bezweifelnden)
immateriellen, also geistig-seelischen Daseins mit ein.
Erstere Weltsicht wird m.E. durch R. Dawkins auf ernüchternde, jegliche
Übernatürlichkeit entbehrende Art beschrieben:
„In einem Universum mit blinden physikalischen Kräften und genetischer
Verdoppelung werden manche Menschen verletzt, andere haben Glück, und
man wird darin weder Sinn und Verstand
noch irgendeine Gerechtigkeit finden. Das Universum, das wir beobachten,
hat genau die Eigenschaften, mit denen man rechnet, wenn dahinter kein
Plan, keine Absicht, kein Gut oder Böse steht,
nichts außer blinder, erbarmungsloser Gleichgültigkeit.“ (R. Dawkins)
Und diese Sichtweise trifft unumwunden zu, soweit sie unter Ausrichtung
auf ausschließlich evolutionsbiologische Kriterien angelegt ist.
Diesem „Horror vacui“ zu entkommen, könnte man es mit Epikur halten oder
versucht sein, ein von den Naturwissenschaften mit dem Anspruch auf
Letztbegründung erklärtes Weltbild zu übernehmen, ohne jedoch sicher
sein zu können, dass dieses definitiv unwiderlegbare, axiomatische
Relevanz hat (also letztlich doch nur eine auf Naturwissenschaft
bezogene Selbstinterpretation ist). Letzteres auszuschließen, kann m.E.
nur durch interdisziplinäres Bemühen um Verifizierung bzw.
Falsifizierung entsprechender Thesen sichergestellt werden. Daraus
ergibt sich, dass ein mit Absolutheitsanspruch (somit Letztbegründung)
allein durch Naturwissenschaft oder Geisteswissenschaft entwickeltes
Weltbild (von Theologie ganz zu schweigen) unzutreffend sein muss, da
jeder Seite die Perspektive der anderen fehlt.
Natürlich kann man versuchen, beide Perspektiven zusammenzuführen und
vom großen Ganzen, einem „alles ist eins“ ausgehen, wie dies vornehmlich
in spirituell bzw. magisch-animistisch (Waldemar-speech) angelegten
Weltbildern geschieht.
Ich kann dieser Weltsicht nichts abgewinnen, da sie zum einen die
Grundannahme eines (mittlerweile auch in unserem Kulturkreis weit
verbreitetes) irrational-idealistischen Wunschbild von unserer
Lebenswelt ist und zum anderen deren dialektisches Grundprinzip damit
verletzt wird.
Dieses Grundprinzip beziehe ich vordergründig nicht auf den
dialektischen Materialismus (Engels), wonach die Einheit der Welt in
ewig, unendlicher Materie begründet ist und damit, wegen der Äquivalenz
von Materie und Energie, letztere (ausschließlich!) als essentieller
Beweggrund fortwährend autopoietischer Welterschaffung zu gelten hätte.
Als definitiv zutreffend hingegen sehe ich die Tatsache, dass sich die
konkrete (von diversen Bewegungsgesetzen determinierte) Wirklichkeit im
Bewusstsein des Menschen abbildet. Diese Dynamik von Materie ~ Energie
ist der Gegensätzlichkeit geschuldet, eben also genau dieses
unumgängliche Spannungsfeld (Differenz) zu (evolutionärer) Veränderung
resp. Weiterentwicklung führt.
Den Unterschied resp. die spezifische Charakteristik von Materie
(Körperlichkeit) und Bewusstsein/Geist sehe ich nicht durch deren
synkretische Wechselwirkung neutralisiert, sondern in dialektischer
Wechselbeziehung zweier Systeme ausgeprägt, eben der Physis und dem
Komplex psychischer Grundfunktionen (Intuition, Empfinden, Fühlen,
Denken – gem. C.G. Jung).
Damit sind wir auch bei W. Pauli (hier als Patient von Jung), dessen
Gedicht zu "Quantenmechanik und I Ging" uns Ingo T. hier vorgestellt hat.
Pauli zählte zu jenen Forschern, die eine Reduzierung von
Bewusstsein/Geist einzig auf materielles Prozessgeschehen
(Wechselwirkung) als nicht hinreichendes Erklärungsmodell ablehnen (wie
sollte er auch: war er doch für seine „paranormale“ Ausstrahlung
berüchtigt und in Laborumgebungen gefürchtet :-) ).
Jung spricht in diesem Zusammenhang von dialektischer Entwicklung
mythischer Substanzen, die sich als Archetypen im kollektiven
Unbewussten widerspiegeln.
Somit könnte m.E. Waldemars Denkansatz von unterschiedlichen „Layern“
weiterführend sein:
/wh: „unser grundlegender emotionaler layer aber kennt diesen
immun-unterschied nicht, so behauptet der emotio-layer in uns lebenslang
"alles ist eins", während das immunsystem behauptet "es gibt ich selbst
und fremd", und so werden vom emotio-layer götter gebildet, die das
"alles ist eines" weiter tragen..“/
Dieser „emotio-layer“, ausgeprägt in diesem „alles ist eins“- Denken,
wäre nach C.G. Jung also nicht reduktiv, sondern würde zu transzendenten
und weltumfassenden Ideen führen.
Sich weder in derartigen Ideen verlieren, noch sich auf unbeweisbare
naturalistische Weltbilder zu versteifen, könnte dieses „Erkenne dich
selbst“ der griechischen Antike auf mahnende Weise hilfreich sein:
nämlich nicht im Erdenken und Erklären der Welt in Selbstüberhebung
(oder gar Selbstgefälligkeit) zu geraten.
Ebenso mahnend Waldemar:
/wh: „deshalb ist mensch im prinzip ein defekte-wesen, das lebenslang
auf einer art kindheitsstufe verbleibt = retardierung = gefangen in der
hirn-falle)“/
/Lebenslang auf Kindheitsstufe?/ Das mag für etliche Zeitgenossen
zutreffen, für uns hier alle in philweb möchte ich das keinesfalls
annehmen :-))
/Gefangen in der Hirn-Falle./ Nun, das sind wir bisweilen tatsächlich
(viel zu) oft!
Nicht darin gefangen sein zu müssen, also seinem Dasein (So-Sein)
lebenstüchtig zu begegnen, könnte man („im Zuge des „immun-erwachsen
werden“) aus der Erkenntnis des „ich und Außenwelt“ ein entsprechendes
Weltbild entwickeln, das von der Grundüberzeugung getragen ist, dass
jegliches Leben nur in Differenz möglich ist.
Sehr treffend (diesmal in mystischem Bezug!) von Waldemar ausgedrückt:
/wh: Es gibt [ihnen] die schlange mit gespaltener zunge (ja-nein,
gut-schlecht, nützlich-unnütz, usw) die sprache zur/der selbst- und
aussenwelt- erkenntnis, ...“/
Doch nicht nur Sprache als syntaktisch-logische Ausdrucksform von
ja-nein (analog zur informationstechnischen Symbolik von 1-0) sondern
die dahinter liegende Semantik gibt qualitativ Aufschluss über die
Relation von Selbst – und Außenwelterkenntnis (also dem Verhältnis des
subjektiven Selbstbilds zu einer objektiven Weltsicht). Dieses
Verhältnis ist m.E. nur durch objektive Introspektive zu erkennen (man
schaut, gemäß der Subjekt-Objekt-Trennung, gewissermaßen von außen auf
sich), d.h. das genuine ICH als Person (Persona) kann sich nur aus der
Perspektive einer Fremdsicht begreifen und das ist somit die einzige
Möglichkeit der Selbstobjektivierung.
/ “Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind
blind”./ Während erstere Aussage Kants als Binsenweisheit erscheinen
mag, ist die zweite elementar. Wenn man also keine Begrifflichkeit von
(für mich) unzweifelhaft existierenden seelisch-geistigen Elementen im
menschlichen Dasein hat, kann man auch keine zutreffende „Anschauung“
resp. Auffassung davon haben. Natürlich kann man diesem Defizit
abhelfen, indem man Begriffe wie Geist und Seele grundsätzlich infrage
stellt, bzw. ablehnt.
Für viele Menschen bedeutet dieses Defizit jedoch einen für sie
kritischen Sinnverlust.
Ich hatte vor einiger Zeit hier geschrieben, dass der Mensch ohne den
Glauben an Sinnhaftigkeit (hier ist nicht Religion gemeint!) bzw. ohne
die Überzeugung vom Sinn seines und des Lebens schlechthin, nicht in
zureichend psychischer Stabilität leben kann, d.h. die Last und Unbilden
des Lebens letztlich nicht ohne (meist psychosomatischen) Schaden zu
nehmen, ertragen kann.
Um nun der Furcht vor Sinnlosigkeit allen Lebens zu begegnen, muss bzw.
sollte man nicht in einen diffusen Glauben an einen „kosmischen Sinn“
oder ein irgendwie theologisch geprägtes Weltbild verfallen müssen.
Ebenso wenig sollte man glauben (resp. Glauben schenken), der Mensch
könne mit seinem letztlich beschränkten Erkennungsvermögen eine
letztbegründete „Theory Of Everything“ entwickeln (wir hatten hier
darüber geschrieben und ich meinte damit nicht Letztbegründetheit einer
allumfassenden Welterklärung einschließlich transnatürlicher Phänomene,
sondern die Möglichkeit, partiell letztbegründete Erkenntnis durch
Forschung zu gewinnen).
Für meine Begriffe bleibt Platons Höhlengleichnis auf alle Zeit
relevant, da Menschen nun mal intrinsischer Teil des kosmischen Systems
sind und daher nicht über die zur letztbegründbaren Erkenntnis
erforderliche Außensicht auf das kosmische Geschehen verfügen. Die
Überwindung der „kosmischen“ Subjekt-Objekt-Trennung kann (ohne Bezug
auf Metaphysik) nicht gelingen.
So stellt sich einmal mehr die Frage, ob Philosophie generell einem
Sinnverlust abhelfen kann (nicht gemeint ist die Frage nach dem Sinn des
Lebens als diesbezüglich allseits benutztem Stereotyp).
Ich denke ja, denn Philosophie, die nicht als schnödes Katheter-Ereignis
und nicht unter beharrlichem Bezug auf philosophiegeschichtliche Fakten
(so bedeutsam diese grundsätzlich sind) betrieben wird, sondern eben im
Sinne dieses „Erkenne dich selbst“ durch transzendentale Selbsterfahrung
zu generell erhellender wie ermunternder Sicht auf die Lebenswelt als
Ganzes führen kann.
Diese, an Husserls transzendentaler Ontologie anlehnende, Sichtweise
bezieht sich auf die faktische Weltverbundenheit und -offenheit des
Menschen, wie er sich dadurch eben nicht als sinnfreies Wesen
erniedrigt, sondern durch sein konkretes Einlassen auf die Lebenswelt
einen Platz einnimmt, von dem aus er seinen Eigenschaften und
Möglichkeiten entsprechend sinnstiftend wirken kann.
Weniger sinnstiftend ist m.E. eine grundsätzlich nihilistische
Weltsicht. Philosophie unter dem Aspekt eines radikalen Nihilismus
betreiben zu wollen, gleicht dem (hier nun wirklich) sinnlosen Vorhaben,
Fußball ohne Ball zu spielen.
Doch immerhin sehe auch für radikale Nihilisten eine Zukunftsvision: Den
Cyborg! Um es mit Shakespeare zu sagen: /„Früher war er Mensch, jetzt
ist er aus Eisen, mehr weiß man nicht!“/
Für nicht so sehr an spekulativ-philosophischen Aspekten interessierte
Zeitgenossen, sowie für jene Naturalisten, die sich in einer Art
Selbst-Transzendenz, quasi durch autopoietische „Selbst-Aktualisierung“
prägnante Authentizität erwirken und sich damit einen individuell
sinnstiftenden Lebensraum schaffen, könnte Huxleys Zielorientierung (und
doch in absoluter Anlehnung an Epikur!) als Maxime dienen:
/„Die Ziele, über die wir uns einigen könnten, liegen im Bereich eines
‚guten Lebens’, in einem erfüllten Dasein des Einzelnen, in den
hervorragenden Leistungen von Gesellschaften und Kulturen//
//und in der Vervollkommnung der Menschheit im Rahmen der biologischen
Evolution. […] Jeder einzelne Mensch sollte als ein geliebtes und
erwünschtes Kind in eine Umwelt hinein geboren wer-//
//den, die ihm in Freiheit die volle Entfaltung all der kennzeichnenden
Anlagen erlauben wird, mit denen er körperlich, geistig und seelisch
ausgestattet ist.“ (Huxley)/
Mit bestem Gruß in die Runde! - Karl
PS: Mit Goethe gesagt: Entschuldigung für meine längliche Ausführung,
zur Kürze fehlte mir die Zeit! (Ich sollte eher sagen, zur Kürze fehlte
mir Talent).
...und immer noch kein Wahlergebnis da über(n)see
Am 17.11.2020 um 10:14 schrieb waldemar_hammel via Philweb:
> [Philweb]
>
Wh: „zum "großen" thomas von aquin,
(quelle wikipedia)
zb Thomas' Anthropologie: ...“
Nun ja, lieber Waldemar, für Dich ist der Thomas v Aquin also kein
„Großer“, für viele andere (Andersdenkende) war er es; z.B. Edith Stein
(als Schülerin Husserls eine der zu dieser Zeit noch wenigen weiblichen
Größen der Philosophie, wie auch Hannah Arendt. Edith Stein - der man
die Habilitation wegen ihres Geschlechts versagte! - und die just von
jenen ermordet wurde, deren Anführer offensichtlich von einem Gott
zugelassen wurde, der Dir den Dreck Deiner Stiefel nicht wert ist.
Wh: „ein gott, der einen hitler ermöglicht hat, wäre den dreck an meinen
stiefeln nicht wert, dass ich ihn anbeten sollte ...“
Epikurs Theodizee lässt (nicht nur) Christenmenschen erschaudern und in
ernsthafte Zweifel bzgl. der absoluten Integrität stürzen, die man
einem allmächtigen Gott zuschreibt.
Aber genau von diesem Gott war Edith Stein überzeugt, wie ebenso von
Thomas v. Aquin, deshalb sie seine Schrift „de ente et essentia“ in‘s
Deutsche übersetzt hat („Über das Seiende und das Wesen“). Als ich darin
las, merkte ich, wie sehr wir uns mittlerweile von dieser „Sprach- und
Denkform“ entfernt haben. Ich habe mir eben das Büchlein hergeholt,
schlage auf und stoße auf diese Passage:
(41) Und so finden sich nach jener Form, die in der Seele ist, andere
Formen, die mehr Potentialität in sich haben und der Materie noch näher
stehen, sodass ihr Sein nicht ohne Materie ist. Auch unter ihnen findet
sich eine Stufenanordnung, bis zu den ersten Formen der Elemente, die
der Materie am nächsten stehen. Darum haben sie kein anderes Wirken als
entsprechend dem Erfordernis aktiver und passiver und sonstiger
Qualität, wodurch die Materie für die Form bereit gemacht wird. (Aquinus
übersetzt von E. Stein)
Wer kann das heutzutage (zumindest auf Anhieb) verstehen? Um Verständnis
und Interpretation wird man allenfalls in theologisch-philosophischen
Lehrveranstaltungen, wie auch mancher Christenmensch im „stillen
Kämmerlein“ (entspr. Bildungsstand vorausgesetzt) bemüht sein. Bringt
uns solches Unterfangen weiter? Insoweit hat Ingo T. treffend
kritisiert, wenn er von historischem Ballast im
geisteswissenschaftlichen Lehrgebäude spricht; mich lässt es an diese
aberwitzigen Dispute eben zur „Hochzeit“ der Scholastik denken. Wir
brauchen heute einen anderen (dem aktuellen Bildungsstand angemessenen)
Zugang in diese intelligible (Gedanken-)Welt; sofern man sich überhaupt
in diese begeben will! Letzteres jedoch (in kritikastischer Absicht) zu
tun, ohne die grundsätzliche Bedeutung und Validität dieser Schriften
(insbes. im Kontext der historischen Gegebenheiten) zu berücksichtigen,
entzieht jeder weiteren gemeinsamen Betrachtung die Basis.
Meiner Ansicht nach lässt sich eigentlich nicht bestreiten, dass Aquins
Schriften zu damaliger Zeit revolutionären Einfluss auf eine überkommene
orthodoxe Glaubensdoktrin genommen hat (unbenommen der Tatsache, dass
man darauf gründend geradewegs wieder dogmatisch fixierte Lehrmeinungen
geschaffen hat).
Vor einiger Zeit hatte ich mich hier schon auf die Participatio-Lehre
des Thomas von Aquin bezogen und finde immer noch Gefallen an der
Vorstellung von einer Potenzialität der Materie, jenem "Meer der
Möglichkeiten", aus dem ich (als an dieser "göttlichen Idee"
partizipierendes Wesen) im Sinne dieses „de potentia et actu“ konkrete
Dinge schaffen, also meine Lebenswelt gestalten kann.
Wenn man also Thomas von Aquin kleinreden will, muss man damit schon bei
Aristoteles beginnen. Auf ihn bezieht sich der Aquinus: Admirabilis
transitus a potentia ad actum (Wir hatten hier unter dem Betreff
aktuale/potentielle Unendlichkeit darüber geschrieben). Aber letztlich
ist und bleibt das alles akademische „Spiegelfechterei“, sofern man in
diese Gedankenwelt aus der Alltagswelt-Perspektive einzudringen
versucht: Dann ist es im Kern nichts anderes als brotlose Scholastik,
die dem Kampf im Hamsterrad des realen Lebensumfelds entgegensteht. So
bleibt wiederum die Frage: cui bono?
Platon (mit seiner Ideenwelt) kam ebenso in Ungnade hier:
Wh: „ es ist mir rätselhaft, wieso immer noch platons ideenlehre derart
hochgehängt wird ...was hat der mann gemacht?
er hat aus der tatsache, dass es zb vielerlei unterschiedliche blumen
gibt (rosen, astern, usw), und deshalb ein ein sammelwort dafür "die
blume/eine blume" (das ist reine sprachökonomie),eine eigene
-irrtümliche- philosophie gemacht, in der behauptet wird, "die blume als
sammelwort" wäre primordiale grundlage für "alle unterschiedlichen
blumen", "göttliche ideen" usw, und damit letztlich das supremat "der
form" über "ihre teile" behauptet ... (an dem wir noch heute leiden,
"das ganze mehr als seine teile",damit "emergenzen", "imergenzen", usw)
Das zu beantworten, fange ich mit Letztem an:
Mir ist rätselhaft, warum wir unter dem Phänomen der Emergenz leiden
sollten?!
Emergenz ist doch geradezu Ausdruck eines individuell (aber auch
intersubjektiv) empfundenen Ganzheits-Erlebens. Damit meine ich
definitiv nicht dieses esoterische Faseln, alles sei eins, wir seien
alle eins, und das Ganze sei mehr als seine Teile (als fälschlich
interpretierte Tatsache)!
Ich hatte kürzlich Tegmarks (m.E. sehr anschauliches) Beispiel für
Emergenz beschrieben, wonach wir unmöglich aus dem Anschauen (oder gar
einem Erleben wollen) einzelner H2O-Moleküle das Empfinden von Wasser
(etwa von wohltuend empfundener Nässe im Bad) entwickeln können.
Emergenz eines „Systems“ lässt sich eben nicht durch Aufsummieren oder
diskrete Betrachtung seiner Einzelteile beschreiben, Emergenz ist
(ideell) mehr als deren Summe. Emergenz ist Ausdruck (des Erlebens) von
Eigenschaften, wie er sich aus der Summe der Einzelteile eines Ganzen
und deren (intrinsischer wie auch extrinsischer) Interaktion
entwickelt. Somit entzieht sich Emergenz pur physikalischer
Beschreibungsmöglichkeit, was offenbar Dein Problem ist, Waldemar,
soweit Du immer wieder aufs Neue Deine Maßstäbe zur Erklärung der Welt
ausschließlich darauf anlegst.
Unter diesem Gesichtspunkt kann man denn auch Platon nicht verstehen!
Nimmt man beispielsweise einen Holzstuhl und betrachtet ihn
ausschließlich unter dem Gesichtspunkt seiner Einzelteile, so hat man
Stuhlbeine, -lehne, Sitzfläche. Holzteile also, die sich i.w. aus etwa
50% Cellulose, 20% Hemicellulose und 30% Lignin zusammensetzen (das in
Elementarteilchen und Plancklängen auszudrücken, bist Du Fachmann,
Waldemar :-)
Diese Holzstücke haben doch selbstredend nichts mit der Idee eines
Stuhls zu tun, die jenen frühen Menschen der Jungsteinzeit gekommen sein
mag, das unbequeme Sitzen auf Boden, Felsbrocken, oder Baumstämmen auf
erste hockerähnliche Gebilde zu verlagern; dass dann der Stuhl als
heutige Kulturerrungenschaft erst vor vierhundert Jahren Einzug fand,
sollte nicht der beispielgebenden Erkenntnis im Wege stehen, dass ein
paar Holzteile nicht für die geniale „Stuhl-Idee“ stehen, sondern eben
die Idee an sich (die den Stuhl, Stuhl werden lässt).
Den ersten „Stuhlbauern“ könnte im weiteren Verlauf empirischer
Fortentwicklung aufgefallen sein, dass ein Dreibein höhere statische
Stabilität hat als ein Vierbein hat. Ob sie über Kenntnisse der
Geometrie verfügten, weiß ich nicht zu sagen. Platon hatte diese
nachweislich.
Platons Ideenlehre entspringt eben nicht metaphysischen Hirngespinsten,
sondern sie gründet auf Mathematik. In seinem Umfeld galt er als
Mathematiker und in seiner Suche nach Urgründen bezog er Kenntnisse über
Geometrie ein, da er Mathematik an sich (als Ausdruck ursächlicher
Ideen) eine unveränderliche, ewige Gültigkeit zuschrieb. Die von ihm
darauf bezogene (irdische) Gegenständlichkeit (Dinglichkeit) entspringt
in ihrer Kreativität (als Ideen von Menschen) immer auf‘s Neue dieser
Ideenwelt, die eben keiner Veränderung, keinem Werden und Vergehen
unterliegt.
Insofern stehen diese formgebenden Ur-Ideen (gr. idea, eidos) zurecht
als Supremat über der Dinglichkeit und sind als urbildhaftes Prinzip in
ihrem Sein unabhängig von gegenständlichen Einzeldingen. Platons
Ideenwelt transzendiert demnach unsere Lebenswelt und steht für ein
vollkommen geordnetes Ganzes, das weder dem Zufall noch einer
Veränderung unterworfen ist.
Ob man sich nun dieser „klassisch-philosophischen“ Sichtweise
anschließen will/kann, sollte schließlich jedem selbst überlassen sein.
An der spezifischen Aussagekraft der Platon‘schen Ideenlehre ändert das
nichts, denn letztlich werden sich Menschen je nach ihrer Sichtweise
entweder dafür oder dagegen aussprechen. Für mein Teil bin ich darauf
bedacht, mich nicht in diesen Gefilden zu verfangen; schier uferlose
Interpretationen zu Platons Philosophie kümmern mich nicht.
Ein wertvoller Impuls daraus stützt jedoch meine Annahme, dass
potentiell eine Verbindung zwischen dieser von Platon beschriebenen
Ideenwelt als Teil einer (längst nicht nur von ihm angenommenen)
intelligiblen Welt und der Lebenswelt (Sinnenwelt) besteht. Wer nun
fragt, wo denn diese intelligible Welt in den kosmischen Tiefen
„verortet“ ist, bezeugt damit ein irgendwie noch immer zutiefst im
Menschen verankertes geozentrisches Weltbild (oben Himmel - unten Erde).
„Warum denn in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah“ möchte
man dann sagen. Durchaus noch bildlich spricht die Thora des Judentums
von „sieben Himmeln“. Erde und physisches Universum sind für den
Menschen sichtbar bzw. körperlich erlebbar, die weiteren „Himmel“ sind
spiritueller Art und der Sicht des Menschen (aber nicht seinem geistigen
Zugang zu diesen) entzogen. Das ist m.E. eine recht brauchbare
Darstellung und allemal besser als die plump christliche Vorstellung von
Himmel und Erde.
Dahin wollte ich jedoch nicht abschweifen, sondern diese Begrifflichkeit
von intelligibler Welt einer ideal-übersinnlichen, übersubjektiven,
zeitlosen Substanz von höherer Gefasstheit zuschreiben (wenn sie sich
denn überhaupt beschreiben lässt). Man sollte wohl nicht von Welten
sondern eher von Dimensionen oder Ebenen sprechen.
Und klar, das musste kommen: Für mich sind das verschränkte Ebenen.
Die „Ebene“ der Ideenwelt (Teil der intelligiblen Welt) birgt in sich
nicht isoliert gedankliche Abstrahierungen (Ideen) sondern steht in
dialektischer Verbindung mit der „Ebene“ der gegenständlichen Seinswelt,
also unserer realen Lebenswelt. Beide Ebenen bedingen und ergänzen sich.
Das ewig seiende, ideal wesenhafte Sein der intelligiblen Welt begründet
sich aus ihrer ontischen Überlegenheit aus der heraus sie „Ideengeber“
(technisch gesehen „Taktgeber“) für die defizitäre Welt des
Vergänglichen ist. Letztere versucht sich im ständigen Werden-Prozess
auf das ideale Sein hin zu entwickeln;
Ist‘s vergebliche Mühe, gleich dem Schicksal des Sisyphos?
Nun kommt Waldemars Geschichte von der Vertreibung aus dem Paradies vor
Augen oder eben das ewige Rad des Werdens.
Mit bestem Gruß an Dich und in die Runde! - Karl
Nun ein freundliches Hallo in die gesamte philweb-Liste!
Zuletzt hatte ich hier geschrieben:
"Eigentlich frage ich mich zunehmend, ob wir wenige Schreibende hier in
philweb (mit derzeit etwa 70 eingetragenen Teilnehmenden) lediglich ein
„Schauspiel vor leeren Rängen“ inszenieren. [...]Daher wäre es schon mal
ermunternd, von weiteren Listler*innen zumindest ein Lebenszeichen
(Lorenz-Piepser) zu vernehmen."
Da bislang keinerlei Reaktionen daraufhin zu vernehmen sind, kann man
ein ggf. vorliegendes technisches Problem mit der List-Verteilung
vermuten; diesem nachzugehen, wäre für mich als List-Admin die
einfachste Möglichkeit, wenn zumindest einige der an philweb
Teilnehmenden (nicht eben das übliche Protagonisten-Häuflein) unter
diesem Betreff kurz antworten.
Danke in die Runde und mit bestem Gruß! - Karl
Am 16.11.20 um 00:52 schrieb K. Janssen:
> ...
> Ja es ist richtig, es gibt ein Problem mit diesen Wiederholungen - vor
> allem, wenn sie unnütz sind!
>
>
> Aber welche Wiederholungen sind nutzlos, welche nützlich?
Es ging mir nicht um „diese Wiederholungen“, es ging darum, dass ich
zeigte, wieso das Wort Form mir nichts bringt, nichts beibringt. Ich
stehe hier vor dem „Ding-an-Sich“, gemäß Vaihinger vor einer Fiktion,
und damit nicht einmal einer Hypothese. Wenn nun jemand sagt: „Das
Ding-an-sich ist etwas sehr Wichtiges“, und mir das immer wieder
vorträgt, dann hilft mir das nicht weiter. Wenn ich also das Wort „Form“
als nichts bringend hinstellte, und dann kommt das Wort „Idee“, dann
befasse ich mich nicht auch noch mit diesem, weil alles auf dasselbe
hinaus läuft.
In deinem Sprachgebrauch gibt es die „nutzlose Materie“, das war der
Ausgangspunkt, und ich wollte die Ehre der Materie retten. Die Form, das
Ding-an-sich sollte die Materie „in Form“ bringen, warum nicht in
Bewegung? Also ich bin es nicht, der das Wort „nutzlos“ zuerst benutzte,
warum sollte ich jetzt sagen, was nutzlos und was nützlich ist. Hier
geht es nicht mehr um Materie, sondern um Wiederholungen von Sätzen, die
nicht einmal wiederholt werden können, weil ich dem Geist „Form“
Materialität unterstellt habe, was sogar von dir lieber Karl, auch so
gedacht wurde. Also jetzt etwas oder viel zu Wiederholungen und deren
Nützlichkeit zu schreiben, ok, das wäre aber ein ganz anderes Thema.
>
> Wir sollten da nicht sofort ungnädig sein, denke ich.
Das will ich auch auf keinen Fall.
> Nun, ich gehe davon aus, dass Verbrecher in erster Linie ihre niederen
> Instinkte in Form krimineller Handlungen ausleben, diesem Handeln
> liegen natürlich (durchaus teuflische) Ideen zugrunde.
So einfach mache ich es mir nicht. Würde die Form dann selbst niedere
Instinkte enthalten? Würde es dann teuflische Formen geben, die über
nutzlose Materie herfallen? Und was ist besser: Ein völlig sauberer
Kristall vor oder nach seinem Schliff? Wer sich in niederen Instinkten,
Nutzlosigkeit, Teuflichkeit auskennt, müsste Antworten parat haben.
Liegen die vielen Formen, nach denen der Diamant geschliffen werden
kann, im Reindiamanten schon als Möglichkeiten vor, unter denen der
Schleifer auswählt? Oder zwingt er dem Reindiamanten dann seine
persönliche Form auf? Sind verbrecherische Ideen genauso ewig wie
nicht-verbrecherische? Oder sind es keine Ideen? Sollte das was oberhalb
des Bauchnabels immer gut sein? Und der Blick nach oben gut, nach unten
schlecht?
Ich freue mich auch um unser Gespräch, das keiner unteratomaren
Erklärungen bedurfte.
JH
Nun kann es wirklich sein, Waldemar, dass ich schlicht außer Stande bin,
die folgend zitierten Passagen in einen sich mir erschließenden
Zusammenhang zu bringen:
wh: „mich wundert zb sehr, wie es sein kann, dass alles NUR aus quanten
besteht, aus raum und zeit, und auf höherer ebene NUR aus protonen +
neutronen + elektronen, und auf noch höherer ebene aus ca 100
zusammengestöpselten atome-sorten, und das ergibt die ganze ungeheuere
vielfalt der welt samt ihren unablässigen spielen ? = ich kann nicht
verstehen, wie aus der letztlich uniformen quantensuppe diese ganze
vielfalt der welt entstehen kann ...“
wh: „es ist alles (nur) materie (in erweitertem sinn: materie + raum +
zeit + energie) und ihre "spiele", nur kann materie halt viel mehr, als
man ihr gemeinhin (oder: "auf den ersten blick") halt zutraut, zb auch
"geistiges" ...“
Wenn ich Welt bewundernd als meine Lebenswelt als Ganzes betrachte,
kommt es mir nicht in den Sinn, diese in starrer Sicht auf „nur“
„quanten, protonen + neutronen + elektronen und ca. 100
zusammengestöpselten atome-sorten“ zu verstehen. Dies wäre etwa damit
vergleichbar, ein von Kindern mit Legosteinen zusammengefügtes
„Kunstwerk“ bewundern zu wollen, indem ich die dazu benutzten Bausteine
einzeln betrachte.
Jeder (Mensch) der Kinder hat, weiß es: Schier unerschöpflich (aber
höchst schöpferisch) sind die aus einer Kiste voller Legosteine in Form
gebrachten Ideen!
So eminent grundlegend Bausteine auch sind, ohne Ideen diese in Form zu
bringen (Platon), bleiben sie schlichtweg nutzlose Materie. Ob man es
hören will oder nicht: Anima unica forma corporis. Man muss sich aber
(für wen auch immer glücklicherweise) nicht auf Thomas v Aquin
beziehen, wenn man weitere, den Zusammenhang von Baustein und
„Kunstwerk“ erläuternde Darstellungen sucht.
Ich finde, dass David Tong die Überführung einer isolierten, pur auf
Elementarteilchen, Atome etc. gerichtete Sicht in eine darüber
hinausweisende quantenfeldtheoretische Betrachtung auf sehr
anschaulichen Weise gelungen ist. Wen es interessiert:
"The Universe is Made of Quantum Fields - David Tong":
https://www.youtube.com/watch?v=uLT6H1Yl_3Q
Und der ausführliche „Talk“: https://www.youtube.com/watch?v=zNVQfWC_evg
Wer Lust hat, kann auch Tongs (handschriftlichen) Skripte durchstöbern:
http://www.damtp.cam.ac.uk/user/tong/qft/col1.pdf ;
http://www.damtp.cam.ac.uk/user/tong/qft/col2.pdf
Waldemar ist und bleibt kritisch:
wh: „es gibt aktuell 4 grundkräfte:
feuer - erde - wasser - luft
oder andere namen:
a) starke ww + schwache ww + elektromagnetische ww + gravitations ww
und primordial waren nach dem bigbang:
wasserstoff + helium + kleine mengen lithium + winzige mengen beryllium
(die ersten drei hat grundkräfte (a) man schon fast vereinigt, die
gravitations-ww sträubt sich noch gewaltig gegen vereinigung), anders
gesagt, wir sind so gesehen nicht wesentlich weiter als die alten
auctoritates ... hihi, nur unsere begründungen sind vielleicht besser
geworden „
Wie man Tongs Ausführungen entnehmen kann, gibt es natürlich noch
ungeklärte Fragen, z.B. zum Verständnis von Quantenfluktuation, dessen
(emergente!) Bewegungsmuster nachzubilden, mathematisch derzeit noch
nicht zu bewältigen ist (wenn denn jemals). Und dennoch will ich mich
nicht Deiner Meinung anschließen, Waldemar, man würde heute
diesbezüglich über keine wesentlich weiterführenden Erkenntnisse verfügen.
Nicht weiterführen jedoch wird diese Erkenntnis:
wh: „zu erwähnen: laut "christlicher wissenschaft", "theologie" genannt,
gibt es allerdings nur 3 grundkräfte: vater + sohn + heiliger geist, „
Und doch denke ich, es würde Dir und mir helfen, sich gelegentlich der
Kraft „göttlicher“ Eingebung (vermittels der dritten) sicher zu sein :-)
Vielleicht würde es uns allen hier sogar helfen.
Eigentlich frage ich mich zunehmend, ob wir wenige Schreibende hier in
philweb (mit derzeit etwa 70 eingetragenen Teilnehmenden) lediglich ein
„Schauspiel vor leeren Rängen“ inszenieren.
Was mich anbetrifft, sollte ich diesbezüglich etwas Selbstobjektivierung
betreiben (wir hatten das kürzlich hier thematisiert). Daher wäre es
schon mal ermunternd, von weiteren Listler*innen zumindest ein
Lebenszeichen (Lorenz-Piepser) zu vernehmen.
Mit bestem Gruß an Dich und in die (womöglich leere?) Runde! - Karl
Am 10.11.2020 um 03:12 schrieb waldemar_hammel via Philweb:
>
> "wie werden wir eigentlich von natura gelebt"?, das ist eine zentrale
> frage/ sollte sein, im rahmen des "nosce te ipsum, mensch" = wer
> verdammt bist du eigentlich?
> (mit sicherheit nicht annährend der, für den du dich hälst)
>
> frei nach andré heller:
>
> Mir träumte ich sei versunken, tief im Chinesischen Meer.
> Versunken nur nicht ertrunken und Lärm kam vom Süden her.
> Das waren die Insekten, die bauten die Mandelbaumstadt.
> Worin jedes Lebewesen, seine Entsprechung hat.
>
> Für dich gibt es dort eine wie Dich.
> Für mich gibt es einen wie mich.
> Der gleicht mir in Schicksal und Nam.
> Der hat meinen Ruf und mein Ich.
>
> Da fragt ich den der ich war, ob er wisse wozu wir seien.
> Und er erwiderte sorgsam, wir sind der zweite aus dreien.
> Der erste kam aus dem Feuer, der dritte geht in das Licht.
> Der zweite im Zeichen der Schwäne, besitzt das zweite Gesicht.
>
> Ihm offenbart sich der ferne Klang.
> Ihm werden die Bilder zuteil.
>
> Erwache nun und schreib dieses Lied.
> Es sei dir Bogen und Pfeil.
>
>
> mich wundert zb sehr, wie es sein kann, dass alles NUR aus quanten
> besteht, aus raum und zeit,
> und auf höherer ebene NUR aus protonen + neutronen + elektronen,
> und auf noch höherer ebene aus ca 100 zusammengestöpselten atome-sorten,
> und das ergibt die ganze ungeheuere vielfalt der welt samt ihren
> unablässigen spielen ? =
> ich kann nicht verstehen, wie aus der letztlich uniformen quantensuppe
> diese ganze vielfalt der welt entstehen kann ...
>
> gruß, wh.
>
Wh: „ bei aller sympathie für lebendiges, weil ich selbst lebendig bin,
finde ich, lebendiges beobachtend, doch nur materie, komplex
zusammengestöpselt, und innerlich immunologisch und autopoietisch so
verschaltet,dass es zum überleben reicht: energieaufnahme, abfälle
ausscheiden, orientierung bezüglich umwelt zum futterfinden, vermehrung,
und eben die dazu notwendigen "geistigen" leistungen. mehr ist, meiner
meinung nach, beim besten willen nicht.“
Alles präzise wie auch ernüchternd beschrieben, soweit es die essentiell
notwendigen Funktionen von lebendiger Körperlichkeit betrifft. Der hier
aufscheinende Unterschied in unserer beiden Sichtweise liegt offenbar
darin, dass für Dich, Waldemar, „geistige Leistungen“ ausschließlich der
funktionalen Steuerung eben dieser Körperlichkeit dienen, während ich
dieses kongeniale Zusammenspiel von Geist und Materie weit über dessen
Funktion zum zweckdienlichen Erhalt lebender Physis hinausgehend
erachte. Dabei ist wesentlich, wo man Geist (an sich) lokalisiert. Dazu
haben wir uns hier bereits ausgetauscht und sind dabei in‘s Stocken
geraten, da wir auch hier sehr unterschiedlichen Denkansätzen folgen.
Für Dich gibt es eben nur Materie und eher akzidentiell fungierende
„geistige Leistungen“, denen Du lediglich physikalische Funktionalität
zuschreibst, wie etwa neuronale Prozesse im Gehirn/ZNS. Mein Verständnis
hingegen (oder - gebotener Bescheidenheit folgend – meine Vorstellung)
von Interaktion zwischen Materie und Geist geht weit darüber hinaus.
Der Frage nach dem Zusammenwirken von Materie und Geist im menschlichen
Körper wird ja nun nicht mehr ausschließlich unter philosophischem
Aspekt nachgegangen. Wir hatten uns hier ausführlich über in diesem
Kontext stehende Themen (Bewusstsein, freier Wille u.a.) ausgetauscht
und dabei insbes. die Rolle der Neurowissenschaft beleuchtet. Dabei
wurde deutlich, dass zur Erklärung des sog. „harten Problems“ (D.
Chalmers) kognitiv-neurowissenschaftliche Methoden (bildgebende
Verfahren, spezifische Zuordnungen von Gehirnregionen usf.) bislang noch
nicht weiterführen.
Daran scheitert somit vornehmlich auch die Erforschung emergenter
Eigenschaften des Gehirns/ZNS, wie etwa Bewusstsein und hier besonders
das von Menschen individuell wahrgenommene phänomenale Erleben
(Qualia). Es bleibt zunächst die Philosophie, die (mehr oder weniger)
plausible Erklärungen anbietet. (Und ja..wir wollten Religion, Theologie
erst mal aus dem Spiel lassen :-))
Doch in welcher Sprache, in welcher Diktion, unter welchen Aspekten kann
uns Philosophie dieses Phänomen näher bringen? Etwa in der alle
Alltagsvorstellungen, alle Illusionen zertrümmernden Nüchternheit
Kant‘scher Explikation? Mühselig und tatsächlich (wenngleich zutreffend)
ernüchternd!
Nicht aus dem Spiel lassen sollte man daher die Kunst, so also die
darstellende, die Poesie und die Musik, als (neben der Mathematik)
einzige Ausdrucksform/Sprache, mit der phänomenales Erleben beschrieben
bzw. diese Empfindung hervorgebracht werden kann.
Warum auch Mathematik? Für meine Begriffe deshalb, weil sie Kern und
Ausdruck (geometrische Grundformen, Schwingungs-/Harmonielehre,
Verslehre/Metrik der Dichtkunst etc.) der genannten Künste ist.
Vielleicht sollten wir deshalb einen kleinen Ausflug in‘s Reich der
Poesie wagen. Es wäre für mich eine Exkursion in weitgehend von mir
unbetretenes Land. Als Kompass könnte mir die Philosophie dienen und
wenn ich solchermaßen beides verbinde, komme ich unweigerlich zu Hölderlin.
Aber zunächst Poesie: Was mich irritiert und dabei doch staunend
erfreut, ist Dein, Waldemar, mit Bezug auf Andre Heller hier
veröffentlichtes Gedicht. Ebenso Dein hier vor einigen Wochen
abgegebenes Bekenntnis phänomenalen Erlebens von „Goldglanz“ (wie er
sich bisweilen - und nur mit dafür wachen Augen zu erkennen - über das
Naturgeschehen breitet).
Damit bringst Du doch Deine Überzeugung zum Ausdruck, dass Leben (als
tiefes Erleben) und Menschsein nicht einzig auf essentiell
überlebensnotwendige Funktionalität beschränkt ist!
Wh: „ Erwache nun und schreib dieses Lied.
Es sei dir Bogen und Pfeil.
{...]“
Erwachen (sich vom Schlaf des Alltäglichen entheben) und „Lieder“
schreiben. Davon beseelt war sicher auch Hölderlin, mit dem Du die
absolute Abneigung gegen orthodoxe Religionsausübung teilst. Er, der
über Jahre hinweg dem mächtigen und dringenden Wunsch seiner Mutter
ausgesetzt war, Pfarrer werden zu sollen, verschrieb sich bis zuletzt
einzig der Poesie. Doch Poesie durchweg als Lebenselixier? Mitnichten!
Hölderlin, dieser vom Spannungsfeld der Lebenswelt hin und her Gerissene
und zuletzt zerrissene Denker, wie viele andere seiner Kategorie
(Kirkegaard, Nietzsche – um nur diese beispielhaft zu nennen), steht mir
typisch für das Erwachen und poetische Schreiben. Ein Erwachen und
entwachsen aus der Orthodoxie einer ihm unzugänglich, unerträglich
gewordenen Glaubenswelt.
Er blieb ein Leben lang Suchender, Erwachender, im Spannungs-Bogen
zwischen unerbittlicher Realität und poetischem Ideal, als dem
zielgerichteten Pfeil in eine lebenswerte Welt.
Obgleich begleitet von wohlmeinenden Freunden (die schwäbische
Philosophenriege) und maßgeblich (wie diese alle) von Spinozas
Schriften geprägt. Spinoza also, (i. Ggs. zu Hölderlin) von nüchtern
rationaler Weltsicht geprägt, sieht das eigentlich Wertvolle am Leben
durchaus eben in der Erhaltung desselben und nicht darin, sich in
utopischen Ideen von Welttranszendenz zu verlieren.
Diese Grundhaltung könnte somit auch Deiner, Waldemar, entsprechen,
wonach eben dem bloßen Lebenserhalt dienende „immunologisch und
autopoietisch“ angelegte Funktionalität vorherrscht.
Die diesbezügliche Ausrichtung auf Spinozas rationaler Weltsicht sollte
aber nicht verdecken, dass er sehr wohl von der Existenz der
menschlichen Seele und damit auch vom Vorhandensein geistiger Substanz
überzeugt war. Dieser Seele sprach er die Fähigkeit zu, die eigentliche
Wesenheit (eines nicht persönlichen!) Gottes erkennen zu können. Im
Sinne Spinozas ist damit auch die Fähigkeit des Menschen verstanden,
urgründlich in die Geheimnisse der Natur vordringen zu können. Für
Spinoza damit auch verstanden: Das Göttliche in der Natur, als eben von
dieser durchwoben, zu erkennen.
(Ich neige nicht zu der Ansicht, Natur und Göttliches sei a priori
verwoben, sondern betrachte diese "Substanzen" als durchaus
verschiedene, jedoch sich bedingende Ebenen (Im Sinne von strange
loops), deren Verbindung sich jeweils durch bewusste Interaktion - in
Resonanz treten - vollzieht. Wenn schon Quanten ...dann entspräche dies
einer Aktualisierung (Dekohärenz) der potentiell möglichen Verbindung
(Superposition) durch einen "Messvorgang" oder schlichtweg durch einen
entsprechend agierenden "Beobachter". Für Christen hieße das, durch
Gebet oder Meditation in Verbindung mit Gott treten (Wer klopfet, dem
wird aufgetan). Ansonsten: "Das Schweigen Gottes".
Natur ist nach Spinoza eins mit Gott und eben dieser ist unendliche,
unteilbare durch und aus sich selbst geschaffene immaterielle Substanz.
Die Welt ist somit selbstdarstellende Repräsentanz Gottes.
Alle Dinglichkeit resp. Körperlichkeit erscheint als Ausformung
göttlicher Idee (im christlichen Bild als Schöpfung, im cartesischen als
res extensa); jegliche von Menschen wahrgenommene Übernatürlichkeit
entspringt einem intuitiven Empfinden als Quelle für die geistige
Beziehung zu Gott. Damit ist jedoch wiederum das Problem des
cartesianischen Leib-Seele-Dualismus vor Augen, dem Spinoza damit zu
begegnen suchte, indem er gleichermaßen Identität von Körperlichkeit und
Geist voraussetzte, die sich unter dem jeweiligen Betrachtungsaspekt von
res cogitans (Geist) und res extensa (Körperlichkeit) wieder entzweit.
Damit ist der Bogen unseres Erlebens (von Dasein in der Welt) gespannt
zwischen purer Lebensfunktionalität zum Selbsterhalt (Mensch als
unverbrüchlicher Teil irdischen Lebensraums) und einem dem Menschen
innewohnenden intuitivem Zugang zu einem (seinen sinnlichen
Erfahrungshorizont übersteigenden) übernatürlichen Raum.
Und hierzu nochmal Hölderlin:
"Es giebt zwei Ideale unseres Daseyns: einen Zustand der höchsten
Einfalt, wo unsre Bedürfnisse mit sich selbst, und mit unsern Kräften,
und mit allem, womit wir in Verbindung stehen, durch die bloße
Organisation der Natur, ohne unser Zuthun, gegenseitig zusammenstimmen,
und einen Zustand der höchsten Bildung, wo dasselbe statt finden würde
bei unendlich vervielfältigten und verstärkten Bedürfnissen und Kräften,
durch die Organisation, die wir uns selbst zu geben im Stande sind. Die
exzentrische Bahn, die der Mensch, im Allgemeinen und Einzelnen, von
einem Puncte (der mehr oder weniger reinen Einfalt) zum andern (der mehr
oder weniger vollendeten Bildung) durchläuft, scheint sich, nach ihren
wesentlichen Richtungen, immer gleich zu seyn."
Die ewige Wiederkehr also und die Exzentrik, von der ich kürzlich hier
schrieb. So lebt uns Natura, als von Geist und Materie potentiell!
verschränkte Substanz.
Und hier kommt der Break, sonst wird unser imaginärer „Wortzähler“
überstrapaziert.
Der Worte also erst mal genug, aber niemals der Gedanken: so hoffe ich
für uns alle hier.
Mit bestem Gruß an Dich und in die Runde! - Karl
PS: so ganz ohne Gott (ich denke und spreche lieber von Göttlichkeit)
geht es bei mir doch nicht.