In einem Zeitungsartikel wird die oft gehörte Behauptung angezweifelt, daß Musik (gründliches Erlernen eines Instruments) schlau mache. Zur Begründung dieser Behauptung reiche es nämlich nicht aus, einen Zusammenhang zwischen musikalischer Aktivität und Intelligenz nachzuweisen. Dabei könne es sich auch um eine blosse Korrelation handeln und nicht um einen Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Es könne schliesslich auch sein, daß nicht das eine auf das andere zurückzuführen wäre, sondern beides auf ein Drittes, etwa allgemeine Leistungsbereitschaft.
Aber niemand sagt ja, daß jede Korrelation eine Kausalbeziehung ist. Hume kam zum Ergebnis, daß es sich bei Kausalbeziehungen zwar nur um Korrelationen handele, die aber die Besonderheit aufwiesen, daß die Erfahrung sie ausnahmslos bestätigt habe, so daß man sie am Ende für selbstverständlich hielte.
Daß das Vorliegen einer Kausalbeziehung als widerlegt gilt, sobald die Korrelation nicht beobachtet wird, ist wohl allgemeiner begrifflich/sprachlicher Standard. Wenn wir also feststellen würden, daß gute Musiker tendenziell eher dumm sind, kämen uns zumindest Zweifel, aber wir könnten annehmen, daß sie sonst noch dümmer wären. Um es genauer zu wissen, würden wir die Entwicklung von Menschen vergleichen, bei denen alle wichtigen Parameter so ähnlich wie möglich sind und die einen ein Instrument lernen lassen, die anderen nicht. Dann könnten wir Aussagen über eine Korrelationstendenz machen. Da wir es hier mit Lebewesen und nicht mit Mechanismen zu tun haben, verwenden wir wohl einen abgewandelten Kausalitätsbegriff, der sich mit deutlichen Tendenzen begnügt und verlangen keine Ausnahmslosigkeit der Korrelation.
Aber die Aussage des Artikels ist wohl, daß eine Kausalbeziehung mehr als eine durch Erfahrung bestätigte Korrelation ist. Da müsste man dann zurückfragen, was denn hinzukommen muss. Als Antwort würde nicht ausreichen, das "weil" mit besonderer Betonung zu wiederholen. Es müsste wie jedes Zeichen erklärt werden, durch eine Gebrauchsanweisung, Beispiele, eine Demonstration oder Ähnliches.
Das war ja die Annahme und das Lebensgefühl der Renaissanceforscher, daß man endlich die Natur nicht mehr nur an der Oberfläche studiere, sondern ihr unter die Haube sähe und da die Kausalitäten am Werk beobachten könne. Und dazu war Humes ernüchternder Einwand: unter der Haube seht ihr auch nur Korrelationen.
Claus
Hallo Liste,
ich ergreife wieder das Wort, um das Thema noch einmal von einer
anderen Seite aus zu behandeln.
Um bei diesem Thema voranzukommen, so glaube ich, ist es hilfreich,
wenn man noch mal die beiden "Eckpunkte" getrennt anschneidet.
1. Warum "Bewusstseinsspaltung"?
Ich schrieb ja zu beginn der "Dichterische Bewusstseinsspaltungen" folgendes:
"//Ein junger Mann sitzt [..] vielleicht in seinem Zimmer, bis spät in
die Nacht und stellt sich selbst solche Fragen wie "soll ich studieren
oder ein Handwerk lernen?", "Soll ich wirklich 'Philosoph' werden oder
wäre es nicht vielfach klüger, etwas anderes zu werden?" oder "Ist die
Art und Weise, in der sich unsere Gesellschaft entwickelt gut? Was
bedeutet die Antwort auf die Frage für mich, werde ich nicht sowieso
mitmachen?"
In dem Moment macht auch Determinismus keinen Sinn//"
Ich meine, dieser Teil des Satzes bringt nach wie vor eine Wahrheit
zum Ausdruck. Wenn jemand hineinkommen würde und diesen jungen
Menschen z. B. Statistiken darüber vorlegen würde, wie andere junge
Menschen in seiner Situation, mit seinem Hintergrund usw.usf.
entschieden haben, würde es den jungen Mann keinen Schritt
weiterhelfen. Eine dritte Person könnte vielleicht die Aussage machen
"wenn 99% der Menschen mit den Eigenschaften des jungen Mannes die
Entscheidung treffen, irgendwas zu studieren, dann ist die
Wahrscheinlichkeit auch sehr hoch, dass dieser individuelle junge Mann
tatsächlich studiert", aber das hilft den jungen Mann wenig weiter.
Mal ehrlich, wer von uns würde sich durch so eine Begründung schon
motiviert fühlen? Das ist vielleicht eine rationale Vorhersage des
Verhaltens, aber keine rationale Rechtfertigung.
Ich denke hier berechtigt zu sein eine Linie zu ziehen bis vor Gericht.
Vor Gericht steht ein Verbrecher. Man kann jetzt lückenlos nachweisen,
dass Menschen z. B. aufgrund schlechter Erziehung, schlechter
Wohngegend, neurologisch-psychologischen Eigenschaften oder andere
Kriterien häufiger Deliquent werden. Man kann dann sagen, "er kann
nichts dafür, er ist Opfer der Umstände oder der Gesellschaft, die das
zugelassen hat", aber negiert das seine individuelle Schuld, ein
Verbrechen begangen zu haben?
Der Punkt ist, dass wir mildernde Umstände geltend machen würden, wenn
z. B. irgendwelche hormonellen Störungen vorliegen. Dann kann es sein,
dass die Person wirklich nicht mehr als Person handeln konnte wie sie
wollte und wir hier quasi nur die Aktion seines Körpers haben.
Jetzt könnte ein Determinist kommen und betonen, dass jedes Verhalten
immer eine neurologische Ursache haben muss, da der menschliche Geist
eine Funktion des Gehirns (und vielleicht anderer Teile des
Nervensystems, eventuell des Immunsystems) ist. Wer diese Annahme in
Frage stellt, der müsse spirituelle Substanzen, Geister oder
dergleichen annehmen. Das sei aber doch noch schwerer zu rechtfertigen
als die Existenz von Materie und Energie.
Das scheint die Herausforderung zu sein, die ich durch die
"dichterische Bewusstseinsspaltung" lösen wollte. Der "Dichter" kann
sich nicht selbst als eine Art Automat betrachten, er muss
zwangsläufig als handelndes Subjekt auftreten.
Und das "Dichterbewusstsein" ist deshalb gespalten, weil es einerseits
anerkennt, dass es ein "natürlicher", biochemisch/bioleketrischer
Prozess ist, aber andererseits an Schuld und Verantwortung festhält.
Die Spaltung würde augenblicklich aufhören - zumindest in Dichtung,
nicht unbedingt in Wahrheit - , sobald entweder die Perspektive als
handelndes, erkennendes Subjekt aufgegeben wird oder wenn der
Materialismus-Determinismus negiert wird. Abstrakt, "from a logical
point of view" stehen beide Optionen natürlich zur Verfügung, doch
nicht für den "Dichter", weil er ja Subjekt bleibt und die Welt ihn
eben als materielle Welt erscheint.
Das mit dem gespaltenen Bewusstsein erstreckt sich aber auch auf
Richter, Mathematiker oder Piloten. Auch hier haben wir es mit
Menschen zu tun, die eine Entscheidung treffen und gleichzeitig mit
Leuten, deren Entscheidung man zumindest prinzipiell voraussagen
könnte. Bei den Richtern ist das inzwischen schon Realität geworden
und es stellt sich die Frage, wie die Gesellschaft damit umgeht.
2. Die zweite Frage ist mein Vorschlag zur Auflösung dieser Spaltung:
Die teilweise Aufgabe des Satzes vom Widerspruch.
Dieser Teil hat wohl am Meisten Widerspruch angeregt.
Ich muss an dieser Stelle noch einmal voraus schicken, die Aussage "Es
gibt Sätze, die gleichzeitig beides sind, wahr und falsch" impliziert
nicht, dass alle Sätze zugleich wahr und falsch sind. Das ist ein
Fehlschluss, eine Unterstellung. In Wahrheit wird auch jemand, der
diesen Satz zustimmt, in 90% der Fälle ein "Entweder Oder" akzeptieren
können. Genauso wie der Intuitionist in viele Fällen
Widerspruchsbeweise akzeptiert.
Widerspricht die These damit den Gesunden Menschenverstand? Ist sie
pauschal unsinnig? Ich glaube nicht.
Das Problem ist, soweit meine Einschätzung, dass wir Regeln brauchen,
wann ein Widerspruch okay und zu akzeptieren und wann er tatsächlich
ein Problem ist. Die Logiken, die diese Regeln aufstellen und
enthalten, scheinen mir aber allgemein bei weitem weniger einfach
einsichtig und handhabbar zu sein als die klassische Logik.
Es besteht also doch eine hohe Motivation, eine klassische Lösung zu suchen.
Ich bitte die Diskussionsteilnehmer nur, sich die bloße Möglichkeit
durch den Kopf gehen zu lassen.
P.S. Die Überschriften "Dichterische Bewusstseinsspaltungen" und
"Plaudereien am Rande des gespaltenen Dichterbewusstseins" spiegeln in
erster Linie die Vorliebe des Autors "Ratfrag" wider. Ursprünglich
bezog der Dichter auf den von Ingo zitierten Gerhard Tersteegen.
Bewusstsein und dessen Spaltung ist thematisch gewählt und Dichter
passt dazu sehr gut, auch wenn Tersteegens Gedicht nach meinen
Dafürhalten weder eine Spaltung ausdrückt, noch ein direkter Bezug
besteht. Philosophische Bewusstseinsspaltung und dergleichen hätte
meines Erachtens falsche Assoziationen geweckt. Andere Begriffe einen
noch unerwünschteren Beigeschmack.
Am Di., 11. Feb. 2020 um 12:30 Uhr schrieb waldemar_hammel via Philweb
<philweb(a)lists.philo.at>:
> das besondere zb am lachen und lächeln ist für mich das zähne zeigen =
> zähne fletschen,
Das kann man ziemlich sicher ausschließen, weil diese Geste (a)
kulturübergreifend überall verstanden wird, egal ob bei einem Stamm im
Amazonas, in einer westlichen Großstadt oder in Japan, das Lächeln
wird verstanden, (b) man vergleichbare Verhaltensweise selbst bei
Schimpansen beobachten kann. Wenn diese in Verlegenheit sind oder eine
Art Demutsgeste gegenüber der Horde machen, lächeln sie.
Wir sind nun mit diesen Primaten viel näher verwandt als mit Hunden.
Bei letzeres ist das Zähne zeigen ein schlechtes Zeichen, bei Menschen
dagegen nicht.
> das ist kein zufall,
> genau wie die ganzen zähne-pflege-reklamen: strahlend weißes (intaktes)
> gebiss als drohung
Siehe oben. Meine Argumentation ist klar.
> und kultur des menschen?
> kultur ist fressen, schei ..., kindermachen bis zum gehtnichtmehr,
Das ist doch grade das, was es ohne Kultur auch gäben würde.
> welch großartige kulturelle leistung ...
Die Tatsache, dass uns das bewegt, ist doch ein wahnsinniger
Fortschritt in der Kultur. Ja, es würde uns auch biologisch bewegen,
aber dort hätten wir diesen Impuls eher abgeschaltet oder kaum
wahrgenommen, ansichts der Notwendig zu Essen zu finden.
Darüber könnte ich jetzt auch noch ein bisschen was schreiben, aber
ich überlasse es mal den Besseren, die da hoffentlich kommen werden.
Und auch ich neige zu Deiner hier beschriebenen Einschätzung, Waldemar! Ungeachtet dieser womöglich berechtigten apokalyptischen Diktion, möchte ich dennoch auf die biblische Geschichte der Arche Noah verweisen: nicht nur Kultur-Geschichte wiederholt sich (wie man so sagt), sondern am Ende auch biblische Geschichte...
Aber Du hast Recht, eine weiter explodierende und bereits viel zu hohe Bevölkerungsdichte dieser Erde ist das eigentliche Problem; und so schliesst sich der Kreis zu unserer Religionskritik: „seid fruchtbar und mehret euch!“. Welch fatale Folgen es doch hat, diesen biblischen Aufruf bis in die heutige Zeit zu postulieren!
Mal sehen, wie viele auf der Arche Platz finden können...
Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl
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> Am 10.02.2020 um 11:55 schrieb waldemar_hammel <waha3103x(a)googlemail.com>:
>
>
>
>> Am 10.02.2020 um 06:34 schrieb Arnold Schiller via Philweb:
>> [Philweb]
>>> Am 10.02.20 um 03:22 schrieb K. Janssen via Philweb:
>>> Löblich durchaus! Nur würde ich definitiv ausschließen, dass auch nur
>>> ein Bruchteil dieser jungen AktivistInnen sich mit den Fakten
>>> naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zum Klimawandel
>>> auseinandergesetzt hat.
>
>>> Es ist (wie zu allen Zeiten) ein blindes
>>> Hinterherlaufen einer naiven Idee,
>>
>
> sehe ich LEIDER auch so,
> die meisten laufen nur hinterher, aber immerhin, es sind viele ...
>
> das klima und weiteres damit zusammenhängendes werden sie nicht retten, denn es gibt points of no return,
> von denen einige schon irreversibel überschritten sein dürften,
> zb die noch immer weiter zunehmende überbevölkerung der erde,
> und jeder einzelne will essen, trinken, und möglichst (wie wir) im luxus leben,
> das KANN nicht gutgehen ...
> oder die trotz aller warnungen immer weitergehende zerstörung der umwelt, der biosphäre,
> und deren zunehmende vergiftung,
> das ist nicht rückgängig zu machen, nichtmal auch nur zu stoppen ...
>
> 10-20-30 jahre hätten wir noch zeit ?
> ja, haben wir, aber nur vor dem endgültigen kollaps "des unternehmens mensch" ...
> und das sind keine katastrophen-phantasien, sondern ist nackte wissenschaft !
>
> vor vielleicht 50 jahren wäre zeit gewesen, konsequent und mit drakonischen maßnahmen umzusteuern,
> heute dürfte es zu spät sein.