Am So., 15. März 2020 um 14:51 Uhr schrieb Ingo Tessmann
<tessmann(a)tu-harburg.de>:
> konstruktive Mathematiker akzeptieren nichts aktual Unendliches.
Ist es nicht ein Problem, wenn man nicht klar definieren kann, was man
da nicht akzeptiert?
> Das ist genau ihr Kritikpunkt, zu hinterfragen, was das sein soll und die Mathematik so weit zu entwickeln, wie
> man ohne metaphysische oder etwa theologische Annahmen kommt.
Ist es nicht streng genommen auch eine metaphysische Annahme, dass
nichts aktual-unendliches existiert?
Wenn die Zahl Pi nicht aktual unendlich ist, dann verstehe ich
wahrscheinlich gar nicht, was genau mit aktuall unendlich hier gemeint
ist. Die Intuitionisten scheinen andere probleme mit der Mathematik
gehabt zu haben, in Sachen Negation, Bildung von Komplementärmengen
usw.
> Die methodischen Konstruktivisten knüpften wieder mehr an Kant an als es der Vorläufer des Wiener Kreises, Bolzano, tat.
Als Kant ist Raum und Zeit (und damit Zahl!) eine reine Anschauung des
Subjektes. Wir wissen nicht, ob dies dem "Ding an sich" entspricht,
aber es ist "Bedingung der Möglichkeit", also im heutigen
Sprachgebrauch "notwendige Bedigung" der Erkenntnis. Das lässt sich
dann umdrehen, B notwendige Bedingung für A, so ist A hinreichende
Bedingung für B. Raum und Zeit folgen also, laut Kant, schon daraus,
dass wir überhaupt etwas erkennen können.
Von Bolzano habe ich leider auch viel zu wenig gelesen.
Mit freundlichen Gruß
der Ratlose
Hallo Liste,
was sagt ihr zu dem Gegensatz in dem oben genanten Zusammenhang, den
Unterschied zwischen "kontinentaler" und "analytischer" Philosophie?
Interessanterweise sind in Deutschland die Analytiker ebenfalls die
Mehrheit, während die sog. "Kontinentalphilosophie" auch außerdem des
Kontinentes wahrgenommen wird. Abgesehen von dieser kleinen,
sprachlichen Ungenauigkeit, scheint mir da allerdings wirklich ein
Unterschied zu bestehen.
Man könnte den Unterschied sehr verkürzt so zusammenfassen: Die
Analytische Philosophie orientiert sich an der Sprache der Mathematik,
stellt Definitionen auf und zieht logische Schlussfolgerungen. Die
"kontinentale" Philosophie dagegen orientiert sich eher an der Sprache
der Literatur, zieht Erfahrungen heran und begründet daraus seine
Schlüsse, die dann weniger logisch sein müssen.
Wobei letztere Charakterisierung solchen Denkern wie Schopenhauer oder
marxistisch orientierten Denkern eher weniger gerecht wird.
Die Fixierung auf Sprache scheint in erster Linie eine Eigenheit der
analytischen Schule zu sein, die aber von einigen anderen Schulen
geteilt wird, aber nicht von allen.
Die Analytiker betonen daher ihre Orientierung an den modernen
(Natur-)Wissenschaften, während die "kontinentalen" Denker eher
Abstand erkennen lassen und diese gar nicht aufnehmen.
Wenn ich mir allerdings einige "analytische" Texte so durchlesen, dann
tauchen darin schon einige Konzepte auf, im Vergleich zu dem die
"Kontinentalen" nahezu harmlos wirken: Ethische Intuition, mögliche
Welten oder Induktionsprobleme.
Allein die Idee, dass es so etwas wie eine ethische Intuition gibt,
ist sehr voraussetzungsreich und erlaubt die Schlussfolgerung, dass
wir es mit in der Ethik entweder nur mit der Formalisierung von
gewissen Ansichten zu tun haben (die "Intuition" gibt dann unser
vorphilosophisch vorgefundenes Verständnis von Werten wieder) oder
dass die Menschen über einen geheimnisvollen, von den
naturwissenschaftlichen Wegen unabhängigen Zugang zur Wahrheit
verfügen, die "ethische Intuition", mit der sie moralische
Sachverhalten beurteilen können.
Mögliche Welten machen logisch durchaus einen Sinn, aber sie sind weit
davon entfernt, was sich ein gewöhnlicher Mensch unter einer
philosophischen Frage vorstellt.
Auf der anderen Seite haben wir es bei den "Kontinentalen" häufig mit
einer Art Archivaren oder bloßen Historikern zu tun. Man könnte etwas
überspitzt formulieren: Die Philosophieprofessoren sind die Kuratoren
der Philosophie, die eigentliche Kunst (neue "Philosopheme") wird
woanders gemacht.
Es müsste auch erst Mal begründet werden, warum die Antwort auf die
Frage "was hat Platon zum Thema X gesagt" für einen heutigen Menschen
relevant sein soll.
Philosophie ist ja selbst in den Augen der meisten Philosophen mehr
als die Auslegung von philosophischen Texten, die den Klassikerstatus
erreicht haben.
Das Problem ist natürlich auch, dass "Kontinentalphilosophie" ein
Exonym ist und eine Sammelbezeichnung für westliche Philosophien
außerdem der positivistisch-analytischen Tradition. Man könnte in
gewisser Weise auch sagen, es sind die Heterodoxen außerdem des
Mainstreams.
Wobei, soweit ich beurteilen kann, beispielsweise japanische
Philosophie sehr wohl durch diese westliche Philosophie beeinflusst
wurde.
Chinesische, marxistische Philosophie auf jeden Fall.
Vielleicht haben bis in die 1980er Jahre hinein noch die Kommunisten
eine eigene Strömung gebildet. Allerdings ist mir davon weit weniger
bekannt.
Ebenso scheint es in den katholischen Gebieten eine gewisse
Neo-Thomistische Strömung zu geben, von der ich allerdings nur gehört
habe. (Falls jemand lesbare Lektüreempfehlungen hat, nur her damit.)
Allen großen phil. Strömungen des 20. Jahrhunderts scheint gemein,
dass sie von einem scheitern der Metaphysik in der modernen Welt
ausgehen. Eine Erkenntnis über die reine Physik hinaus ist nicht
möglich. Auch ist eine erleuchtungshafte Eingebung, wie sie
Schopenhauer wohl für seine Willensmetaphysik reklamierte,
unplausibel.
Allerdings sind die Probleme, die die Metaphysik lösen wollte, nicht
einfach aus der Welt verschwunden, wie solche Diskussionen wie die um
die Gehirne im Tank, die Frage nach der "Blockzeit" oder um die
Begründung der Ethik beweisen. Vielleicht wäre es in diesem
Zusammenhang hilfreich gewesen, die Art der Antworten, die offenbar
nicht mehr in Frage kommen, genauer zu charakterisieren?
Die Analytiker wollen über die Philosophie eigentlich keine neuen
Erkenntnisse mehr erlangen, sondern nur vorhandenes Wissen besser
klären. Vor diesem Hintergrund könnte es aber durchaus sein, dass man
tatsächlich einen Mangel an Wissen feststellen muss. Solche
grundsätzlichen Fragen wie "Was ist Realität?" können vielleicht mit
Hinweis auf den Sprachgebrauch beantwortet werden, "mit Realität
meinen wir den Ort, in den unser alltägliches Leben stattfindet", aber
welche Bedeutung in diesem Zusammenhang die Entdeckungen der neueren
Physik haben, bleibt dabei offen.
Einige Kritiker merken an, dass die analytische Philosophie auch gar
nicht so eng an den modernen (Natur-)Wissenschaften bleibt, wie häufig
gedacht wird. Zum Beispiel wird bei der Sprachanalyse ja fast nie
Bezug auf Linguistik genommen oder bei der Fragen, ob Blockzeit
existiert, die Grundlagenphysik in Betracht gezogen. Wobei doch grade
Physiker zu diesem Thema etwas zu sagen hätten.
Man wird der Welt einen zweifelhaften Gefallen tun, wenn man statt
einzelne Fragen zu erörtern neue -Ismen schafft. Der letzte halbwegs
gelungene Versuch in dieser Richtung scheint mir der Existenzialismus
gewesen zu sein, wobei mein Wissen darüber fast vollständig "aus
zweiter Hand" kommt. Daneben gibt es nur einige, vielleicht
interessante, Positionen, die aber keine vollständigen Philosophien
mehr zu sein scheinen.
Ich bitte zu entschuldigen, wenn dieser Text zu lang und zu essayhaft
geworden ist.
Gruß
Der Ratlose
Hier
https://www.youtube.com/watch?v=EIpYcITXzYE
behauptet Bazon Brock in einem Interview ab Minute 13: "Ein normaler
Wissenschaftler muss nach Poppers Falsifikationsprinzip beweisen, daß
das, was er als Hypothese behauptet, falsch ist. Dann hat er einen
wissenschaftlichen Beitrag...Arbeitet ein Wissenschaftler normal, dann
muss er beweisen, daß seine Hypothese falsch ist."
So einen Blödsinn hat Popper nie behauptet. Er hat ungefähr gesagt, daß
Hypothesen, die diesen Namen verdienen, an der Erfahrung scheitern
können müssen. (Wobei mir statt eines Beweises, die Erinnerung daran
reichen würde, daß ein Erfahrungssatz als einer, der sich auf Erfahrung
bezieht, an ihr zu messen ist.)
Die Form des Gesprächs erinnert an die der Fernsehgespräche von
Alexander Kluge und suggeriert Seriosität und Ernsthaftigkeit. Gesendet
von RT Deutsch, dem Kanal ihres Vertrauens. Das ist leider kein
russophobes Vorurteil, sondern man lernt aus Erfahrung.
Claus
Hi there,
in dem Coronablog der Uni Mainz werden zum Fortgang des sozialmedizinischen Experiments eher vage Hypothesen gewagt:
https://www.macro.economics.uni-mainz.de/category/corona/ <https://www.macro.economics.uni-mainz.de/category/corona/>
Verfolgen wir wie es wirklich weiter geht. …
Ingo
> Am 27.03.2020 um 03:40 schrieb Claus Zimmermann <mail(a)clauszimmermann.de>:
>
> Zur Ehrenrettung von Bazon Brock muss man sagen, daß er selbst die von ihm erwähnte Chamäleonmethode anwendet und dem Interviewer ein hässliches, stinkendes Ei ins Nest legt, indem er sagt, daß die Mitglieder eines Termitenstaats als Einzelne völlig unfähig wären. So ein Gesellschaftsmodell ist attraktiv für Menschen, die gern kommandieren und andere, die sich ohne klare Ansagen nicht zurechtfinden. Dagegen wäre auch nichts einzuwenden, solange das eine geschlossene Veranstaltung wäre, die niemanden betrifft, der weder andere unterdrücken, noch unterdrückt werden will.
>
> -------- Ursprüngliche Nachricht --------
> Von: Ingo Tessmann via Philweb <philweb(a)lists.philo.at>
> Datum: 24.03.20 17:59 (GMT+01:00)
> An: philweb <Philweb(a)lists.philo.at>, Erich Hartmann <erich(a)hf-plus.com>
> Betreff: Re: [Philweb] Popper fake news
>
> [Philweb]
> Hi there,
>
> eine stimmige Hypothese in Verbindung mit der unterschiedlichen Verteilung der COVID-19-Infektionen über die Länder haben gerade Christian Bayer und Moritz Kuhn veröffentlicht: "There are large differences in case fatality rates from the coronavirus outbreak across countries, from around 6% in Italy to close to zero in some northern European countries (as of 12 March). This column uses World Value Survey data on the share of people aged 30-49 who live with their parents to show that fatality rates are initially higher in countries with more intergenerational interactions. It provides a warning for how important it is for countries where the elderly and the young live close together in particular to try to contain the virus early on.“
>
> https://voxeu.org/article/intergenerational-ties-and-case-fatality-rates <https://voxeu.org/article/intergenerational-ties-and-case-fatality-rates>
>
> Es grüßt,
>
> Ingo
>
>
>
> > Am 24.03.2020 um 01:43 schrieb Erich Hartmann via Philweb <philweb(a)lists.philo.at>:
> >
> > [Philweb]
> > Das ist völliger Blödsinn! Poppers Falsifikationsprinzip fordert von einer (natur)wissenschaftlichen Theorie lediglich, dass sie im Prinzip widerlegbar sein muss. Sie muss Voraussagen machen die dann eintreffen - oder eben nicht. Wenn diese eintreffen (und sie den Sachverhalt besser erklärt als eine konkurrierende Theorie) gilt sie als vorläufig anerkannt.
> >
> > Von meinem iPhone gesendet
> >
> >> Am 23.03.2020 um 18:36 schrieb Claus Zimmermann via Philweb <philweb(a)lists.philo.at <mailto:philweb@lists.philo.at>>:
> >>
> >> [Philweb]
> >> Hier
> >>
> >> https://www.youtube.com/watch?v=EIpYcITXzYE
> >>
> >> behauptet Bazon Brock in einem Interview ab Minute 13: "Ein normaler Wissenschaftler muss nach Poppers Falsifikationsprinzip beweisen, daß das, was er als Hypothese behauptet, falsch ist. Dann hat er einen wissenschaftlichen Beitrag...Arbeitet ein Wissenschaftler normal, dann muss er beweisen, daß seine Hypothese falsch ist."
> >>
> >> So einen Blödsinn hat Popper nie behauptet. Er hat ungefähr gesagt, daß Hypothesen, die diesen Namen verdienen, an der Erfahrung scheitern können müssen. (Wobei mir statt eines Beweises, die Erinnerung daran reichen würde, daß ein Erfahrungssatz als einer, der sich auf Erfahrung bezieht, an ihr zu messen ist.)
> >>
> >> Die Form des Gesprächs erinnert an die der Fernsehgespräche von Alexander Kluge und suggeriert Seriosität und Ernsthaftigkeit. Gesendet von RT Deutsch, dem Kanal ihres Vertrauens. Das ist leider kein russophobes Vorurteil, sondern man lernt aus Erfahrung.
> >>
> >> Claus
> >>
> >> _______________________________________________
> >> Philweb mailing list
> >> Philweb(a)lists.philo.at
> >> http://lists.philo.at/listinfo/philweb
> >
> > _______________________________________________
> > Philweb mailing list
> > Philweb(a)lists.philo.at <mailto:Philweb@lists.philo.at>
> > http://lists.philo.at/listinfo/philweb <http://lists.philo.at/listinfo/philweb>
> _______________________________________________
> Philweb mailing list
> Philweb(a)lists.philo.at
> http://lists.philo.at/listinfo/philweb
In einem Zeitungsartikel wird die oft gehörte Behauptung angezweifelt, daß Musik (gründliches Erlernen eines Instruments) schlau mache. Zur Begründung dieser Behauptung reiche es nämlich nicht aus, einen Zusammenhang zwischen musikalischer Aktivität und Intelligenz nachzuweisen. Dabei könne es sich auch um eine blosse Korrelation handeln und nicht um einen Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Es könne schliesslich auch sein, daß nicht das eine auf das andere zurückzuführen wäre, sondern beides auf ein Drittes, etwa allgemeine Leistungsbereitschaft.
Aber niemand sagt ja, daß jede Korrelation eine Kausalbeziehung ist. Hume kam zum Ergebnis, daß es sich bei Kausalbeziehungen zwar nur um Korrelationen handele, die aber die Besonderheit aufwiesen, daß die Erfahrung sie ausnahmslos bestätigt habe, so daß man sie am Ende für selbstverständlich hielte.
Daß das Vorliegen einer Kausalbeziehung als widerlegt gilt, sobald die Korrelation nicht beobachtet wird, ist wohl allgemeiner begrifflich/sprachlicher Standard. Wenn wir also feststellen würden, daß gute Musiker tendenziell eher dumm sind, kämen uns zumindest Zweifel, aber wir könnten annehmen, daß sie sonst noch dümmer wären. Um es genauer zu wissen, würden wir die Entwicklung von Menschen vergleichen, bei denen alle wichtigen Parameter so ähnlich wie möglich sind und die einen ein Instrument lernen lassen, die anderen nicht. Dann könnten wir Aussagen über eine Korrelationstendenz machen. Da wir es hier mit Lebewesen und nicht mit Mechanismen zu tun haben, verwenden wir wohl einen abgewandelten Kausalitätsbegriff, der sich mit deutlichen Tendenzen begnügt und verlangen keine Ausnahmslosigkeit der Korrelation.
Aber die Aussage des Artikels ist wohl, daß eine Kausalbeziehung mehr als eine durch Erfahrung bestätigte Korrelation ist. Da müsste man dann zurückfragen, was denn hinzukommen muss. Als Antwort würde nicht ausreichen, das "weil" mit besonderer Betonung zu wiederholen. Es müsste wie jedes Zeichen erklärt werden, durch eine Gebrauchsanweisung, Beispiele, eine Demonstration oder Ähnliches.
Das war ja die Annahme und das Lebensgefühl der Renaissanceforscher, daß man endlich die Natur nicht mehr nur an der Oberfläche studiere, sondern ihr unter die Haube sähe und da die Kausalitäten am Werk beobachten könne. Und dazu war Humes ernüchternder Einwand: unter der Haube seht ihr auch nur Korrelationen.
Claus
Hi Waldemar,
Du erinnerst mich mit Deiner nimmermüden Schaumschlägerei für die WW an die dialektischen Betonköpfe der 1970er; wobei Dialektiker sich nicht selten auch als Wechselwirker bezeichneten. Aber was ist daraus geworden? Schon Engels hatte die Dialektik in der Natur gesehen, sie aber 1895 unvollendet hinterlassen. Und Havemann hat sie 1964 wieder ohne Dogma gedacht. 2018 war ihr anlässlich des 200-jährigen Geburtstages Marxens gedacht worden und in diesem Jahr wäre sein Lehrer Hegel 250 Jahre alt geworden. Nach Hegel soll das Bedürfnis zu philosophieren ja einer Krisensituation erwachsen. …
Für die Quanten und Schleimpilze sind andererseits die tollsten mathematischen Verfahren entwickelt worden, die Unschärfen und Fluktuationen zu berechnen vermögen. Seien es Wahrscheinlichkeitstheorie oder Funktionalanalysis für die Quanten bzw. das "Cellular Potts Model" oder die Fluktuationstheoreme für die Schleimpilze.
Der Strukturreichtum der Mathematik ist unerschöpflich. Im Vergleich damit sind die Quantenmechaniken oder die Thermodynamiken der Schleimpilze geradezu trivial, aber reichhaltig genug, um mit den vielen Experimentalergebnissen übereinzustimmen. Sollte nicht auch ein Relationalismus darin Platz finden? Den gab es bereits bei Leibniz und in neuerer Zeit haben beispielsweise Badiou (Das Sein und das Ereignis), Rovelli (Relational Quantum Mechanics) und Smolin (Temporal relationalism) wieder daran angeknüpft. Wenn Du die nicht zu verstehen suchst, solltest Du es besser zu machen versuchen; denn die ständige Wiederholung bloßer gleicher Ahnungen und Ansätze langweilt.
Es grüßt,
Ingo
> Am 11.03.2020 um 16:41 schrieb waldemar_hammel <waha3103x(a)googlemail.com>:
>
>
> einen (alten) vorschlag hab ich schon:
>
> - wenn die operatoren der mathematik, statt ihre vorgefertigten grammatiken mitzubringen,
> zb die bekannten rechenregeln beim "+"-operator,
> diese aus der wechselwirkung zwischen den operanden und der realität beziehen,
> haben wir UNSCHÄRFEN in den ergebnissen, die wir (konkret-situativ) ausinterpretieren müssten
>
> so wäre dann 3+2 etwa -1 bis +8, mit einem - interpretatorisch (nur evtl.) zu erzeugenden - peak nahe +5
> (so "rechnen" zb schleimpilze bei der nahrungssuche, ich habe das "thermodynamische mathe" genannt)
>
> damit hätten wir
> 1) eine wechselwirkungs-mathematik (eine wechselwirkung-als-grundprinzip adäquate mathe)
> 2) hätten wir semantiken (als meta-sache) drin
> 3) wären wir von den platonischen sachen/vorstellungen komplett weg
> 4) wir haben so eine physik-nahe mathe (unschärfen, quantenwelt, usw.)
>
> wir müssten nur zulassen, dass operatoren ihre grammatiken aus den jeweils konkreten ww beziehen, statt sie von haus mitzubringen,
> und einsehen, dass gerade die heutige exaktheit der mathe ein fehler im gebäude ist.
>
> gruß, wh.
>
>
>
> <https://www.avast.com/antivirus>
> Diese E-Mail wurde von Avast Antivirus-Software auf Viren geprüft.
> www.avast.com <https://www.avast.com/antivirus>
> <x-msg://9/#DAB4FAD8-2DD7-40BB-A1B8-4E2AA1F9FDF2>
> Am 09.03.2020 um 19:35 schrieb waldemar_hammel <waha3103x(a)googlemail.com>:
>
>
> gerade WEIL die gesamte mathematik genau genommen letztlich aus beliebig drei auf einen acker geworfenen steinen erwuchs,
> ist das gesamte heutige mathematische konvolut (auf seine grundlagen) zu hinterfragen, und das auch philosophisch,
> was weitgehendst garnicht getan werden kann, weil phil. sich circulus-vitiosus-artig mit sich selbst beschäftigt,
> und dabei nichtmal mehr einig ist, wie überhaupt philosophiert werden soll oder kann.
Hi Waldemar,
zum Glück gibt es die philosophierenden Mathematiker, neben Paul Lorenzen z. B. Stefan Müller-Stach, der gerade unter dem Titel "Wahrheit, Beweis, Gedanke, Identität“ einen für das breite Publikum gehaltenen Vortrag ausgearbeitet und veröffentlicht hat:
https://arxiv.org/pdf/1805.05419.pdf <https://arxiv.org/pdf/1805.05419.pdf>
Und natürlich geht es ihm darin auch um die Suche nach einer Universalsprache für die Universalwissenschaft. Aber was könnten wir hinsichtlich einer neuen Philosophie mehr haben als eine Universalsprache? Die Physiker bedienen sich darüber hinaus der Technik zur Erforschung der Natur. Was könnte physisch noch weiter reichen?
Es grüßt,
Ingo
Hallo Liste,
ich ergreife wieder das Wort, um das Thema noch einmal von einer
anderen Seite aus zu behandeln.
Um bei diesem Thema voranzukommen, so glaube ich, ist es hilfreich,
wenn man noch mal die beiden "Eckpunkte" getrennt anschneidet.
1. Warum "Bewusstseinsspaltung"?
Ich schrieb ja zu beginn der "Dichterische Bewusstseinsspaltungen" folgendes:
"//Ein junger Mann sitzt [..] vielleicht in seinem Zimmer, bis spät in
die Nacht und stellt sich selbst solche Fragen wie "soll ich studieren
oder ein Handwerk lernen?", "Soll ich wirklich 'Philosoph' werden oder
wäre es nicht vielfach klüger, etwas anderes zu werden?" oder "Ist die
Art und Weise, in der sich unsere Gesellschaft entwickelt gut? Was
bedeutet die Antwort auf die Frage für mich, werde ich nicht sowieso
mitmachen?"
In dem Moment macht auch Determinismus keinen Sinn//"
Ich meine, dieser Teil des Satzes bringt nach wie vor eine Wahrheit
zum Ausdruck. Wenn jemand hineinkommen würde und diesen jungen
Menschen z. B. Statistiken darüber vorlegen würde, wie andere junge
Menschen in seiner Situation, mit seinem Hintergrund usw.usf.
entschieden haben, würde es den jungen Mann keinen Schritt
weiterhelfen. Eine dritte Person könnte vielleicht die Aussage machen
"wenn 99% der Menschen mit den Eigenschaften des jungen Mannes die
Entscheidung treffen, irgendwas zu studieren, dann ist die
Wahrscheinlichkeit auch sehr hoch, dass dieser individuelle junge Mann
tatsächlich studiert", aber das hilft den jungen Mann wenig weiter.
Mal ehrlich, wer von uns würde sich durch so eine Begründung schon
motiviert fühlen? Das ist vielleicht eine rationale Vorhersage des
Verhaltens, aber keine rationale Rechtfertigung.
Ich denke hier berechtigt zu sein eine Linie zu ziehen bis vor Gericht.
Vor Gericht steht ein Verbrecher. Man kann jetzt lückenlos nachweisen,
dass Menschen z. B. aufgrund schlechter Erziehung, schlechter
Wohngegend, neurologisch-psychologischen Eigenschaften oder andere
Kriterien häufiger Deliquent werden. Man kann dann sagen, "er kann
nichts dafür, er ist Opfer der Umstände oder der Gesellschaft, die das
zugelassen hat", aber negiert das seine individuelle Schuld, ein
Verbrechen begangen zu haben?
Der Punkt ist, dass wir mildernde Umstände geltend machen würden, wenn
z. B. irgendwelche hormonellen Störungen vorliegen. Dann kann es sein,
dass die Person wirklich nicht mehr als Person handeln konnte wie sie
wollte und wir hier quasi nur die Aktion seines Körpers haben.
Jetzt könnte ein Determinist kommen und betonen, dass jedes Verhalten
immer eine neurologische Ursache haben muss, da der menschliche Geist
eine Funktion des Gehirns (und vielleicht anderer Teile des
Nervensystems, eventuell des Immunsystems) ist. Wer diese Annahme in
Frage stellt, der müsse spirituelle Substanzen, Geister oder
dergleichen annehmen. Das sei aber doch noch schwerer zu rechtfertigen
als die Existenz von Materie und Energie.
Das scheint die Herausforderung zu sein, die ich durch die
"dichterische Bewusstseinsspaltung" lösen wollte. Der "Dichter" kann
sich nicht selbst als eine Art Automat betrachten, er muss
zwangsläufig als handelndes Subjekt auftreten.
Und das "Dichterbewusstsein" ist deshalb gespalten, weil es einerseits
anerkennt, dass es ein "natürlicher", biochemisch/bioleketrischer
Prozess ist, aber andererseits an Schuld und Verantwortung festhält.
Die Spaltung würde augenblicklich aufhören - zumindest in Dichtung,
nicht unbedingt in Wahrheit - , sobald entweder die Perspektive als
handelndes, erkennendes Subjekt aufgegeben wird oder wenn der
Materialismus-Determinismus negiert wird. Abstrakt, "from a logical
point of view" stehen beide Optionen natürlich zur Verfügung, doch
nicht für den "Dichter", weil er ja Subjekt bleibt und die Welt ihn
eben als materielle Welt erscheint.
Das mit dem gespaltenen Bewusstsein erstreckt sich aber auch auf
Richter, Mathematiker oder Piloten. Auch hier haben wir es mit
Menschen zu tun, die eine Entscheidung treffen und gleichzeitig mit
Leuten, deren Entscheidung man zumindest prinzipiell voraussagen
könnte. Bei den Richtern ist das inzwischen schon Realität geworden
und es stellt sich die Frage, wie die Gesellschaft damit umgeht.
2. Die zweite Frage ist mein Vorschlag zur Auflösung dieser Spaltung:
Die teilweise Aufgabe des Satzes vom Widerspruch.
Dieser Teil hat wohl am Meisten Widerspruch angeregt.
Ich muss an dieser Stelle noch einmal voraus schicken, die Aussage "Es
gibt Sätze, die gleichzeitig beides sind, wahr und falsch" impliziert
nicht, dass alle Sätze zugleich wahr und falsch sind. Das ist ein
Fehlschluss, eine Unterstellung. In Wahrheit wird auch jemand, der
diesen Satz zustimmt, in 90% der Fälle ein "Entweder Oder" akzeptieren
können. Genauso wie der Intuitionist in viele Fällen
Widerspruchsbeweise akzeptiert.
Widerspricht die These damit den Gesunden Menschenverstand? Ist sie
pauschal unsinnig? Ich glaube nicht.
Das Problem ist, soweit meine Einschätzung, dass wir Regeln brauchen,
wann ein Widerspruch okay und zu akzeptieren und wann er tatsächlich
ein Problem ist. Die Logiken, die diese Regeln aufstellen und
enthalten, scheinen mir aber allgemein bei weitem weniger einfach
einsichtig und handhabbar zu sein als die klassische Logik.
Es besteht also doch eine hohe Motivation, eine klassische Lösung zu suchen.
Ich bitte die Diskussionsteilnehmer nur, sich die bloße Möglichkeit
durch den Kopf gehen zu lassen.
P.S. Die Überschriften "Dichterische Bewusstseinsspaltungen" und
"Plaudereien am Rande des gespaltenen Dichterbewusstseins" spiegeln in
erster Linie die Vorliebe des Autors "Ratfrag" wider. Ursprünglich
bezog der Dichter auf den von Ingo zitierten Gerhard Tersteegen.
Bewusstsein und dessen Spaltung ist thematisch gewählt und Dichter
passt dazu sehr gut, auch wenn Tersteegens Gedicht nach meinen
Dafürhalten weder eine Spaltung ausdrückt, noch ein direkter Bezug
besteht. Philosophische Bewusstseinsspaltung und dergleichen hätte
meines Erachtens falsche Assoziationen geweckt. Andere Begriffe einen
noch unerwünschteren Beigeschmack.