Am 17.01.2020 um 02:28 schrieb K. Janssen via Philweb:
[Philweb]
Am 02.01.20 um 16:44 schrieb Ingo Tessmann via Philweb:
[Philweb]
Wissenschaft ist hochstilisierte Lebenspraxis, darüber sind wir uns
wohl einig. Aber der Zuwachs an Präzision durch Technik und Mathematik
scheint mir gleichwohl zu andersartiger Erkenntnis zu führen. Denn
quantitative Genauigkeit wohnt bereits unseren Sinnen inne, wird in
den Sprachspielen der Philosophen (die natürlich nicht nur Spielerei
sind) aber einfach übergangen. Ist das Kausalitätsprinzip erst einmal
mathematisiert, wird es belanglos wie ich das Wort `weil’ verwende
oder verstehe. Die Umgangssprache ist doch unseren
Lebenszusammenhängen hier auf der Erdoberfläche erwachsen. Wie soll
ich mit ihr darüber hinaus gehende Erkenntnisse erlangen können? Die
Physik des 20. Jahrhunderts wird durch Mathematik und Technik
bestimmt, nicht um das Gerede darüber. Das dient nur den
Interpretationen und zum Erzählen von Geschichten. Was zählt ist der
Formalismus. Ich halte mathematisiertes Wissen für andersartig als
umgangssprachlich formulierte Gewohnheiten.
d‘accord! Vielleicht könnte man auch schreiben: Zunehmend mutig
angewandte neuere Methoden der Mathematik (etwa den
Pfadintegralformalismus als numerisches Verfahren zur Behandlung von
Quantenfeldtheorien) führen zu gesichert andersartiger Erkenntnis,
Hallo Karl,
das wird wohl so sein. Nur nicht in dem Sinn bzw. Unsinn, daß damit
erfahrungsunabhängiges Erfahrungswissen generiert werden könnte. Wenn
bei der Überprüfung einer Hypothese die Rechnung mit dem Quantencomputer
das Experiment ersetzen soll (ich beziehe mich da auf den von Ingo
zitierten Auszug aus
https://arxiv.org/abs/1106.3029)
liegt das vielleicht daran, daß die Realität, von der hier die Rede ist
("It has been suggested that reality works like a quantum computer"),
nicht die des Alltags ist, denn da treten ja keine Quanteneffekte auf,
und daß man eine Rechnung in diesem Fall auch unter dem Aspekt eines
Experiments auf Quantenebene betrachten kann. Soweit meine Mutmassungen
dazu.
Sicherheit in dem Sinn, daß einem die Erfahrung keinen Strich durch die
Rechnung machen kann, gibt es nur bei den eigenen Konstruktionen, die ja
auch nichts über die Erfahrung aussagen. Aber da würden wir kaum von
Wissen reden wollen.
Claus
leistet sie doch heute schon (auch bedingt durch
innovative
Technikentwicklung, besonders im IT-Sektor) den entscheidenden
„Sprachanteil“ zur Beschreibung unserer Lebenswelt und deren
Zusammenhänge (in der Diktion Wittgensteins).
Soweit jedoch philosophischer Sprachgebrauch nicht Spielerei ist, hat er
den unschlagbaren Vorteil, den „Phasenübergang“ von rein quantitativ
besetzten Wertebereichen in jene zu beschreiben, die weder rechnerisch
noch messtechnisch eindeutig erfassbar, also ausschließlich qualitativ
besetzt sind. Die dabei benutzten Ausdrucksformen erscheinen bisweilen
höchst eigentümlich, was dem Umstand geschuldet sein mag, dass letztere
eben nicht mit klassisch physikalischem Symbol- bzw. Sprachgebrauch
darstellbar sind.
Und immer ermahnt uns Wittgenstein (wenngleich posthum) auf‘s Neue zu
exaktem Sprachgebrauch, zu klarer Definition und Unterscheidung der
jeweils in Betracht genommenen Wertebereiche hinsichtlich ihrer
Skalierung und ihrer quantitativen bzw. qualitativen Inhalte.
Wo Philosophie und Naturwissenschaften sich (mittlerweile zunehmend
erkennbar) annähern und sich dabei einer untereinander verständlichen
Sprache (durchaus auch auf „mathematisierte“ Prinzipien aufbauend)
bedienen, werden die Vorteile interdisziplinärer Forschung sehr bald
sichtbar werden. Am Beispiel der Hirnforschung, bei der es beiden
„Lagern“ um Erklärungen zu Fragen zur Körper-Geist-Problematik geht,
lässt sich erkennen, dass man infolge unterschiedlich durch die
jeweiligen Wissenschaftsbereiche geprägten Sichtweisen grundsätzlich zu
keiner umfassenden, allgemein anerkannt schlüssigen Beschreibung kommen
konnte. Ob dieses dem Menschen überhaupt möglich sein wird, könnte
bezweifelt werden, wenn man davon ausgeht, dass bei der Erforschung
sowohl der Makro- wie der Mikrowelt nur Fakten aus quantitativ besetzten
Wertebereichen vorliegen, die bzgl. ihrer Skalierung weit jenseits
menschlicher Vorstellungskraft liegen. Dennoch bin ich überzeugt, werden
künftig zunehmend Denkmodelle vorliegen, die auf einer Fülle weltweit
interdisziplinär gewonnener Erkenntnisse basieren, deren aproximativ
optimierte Schnittmenge eine bislang nicht erreichbare Geschlossenheit
aufweisen könnte. Der damit einhergehende Paradigmenwechsel wird m.E.
durch einen Aspektewechsel herbeigeführt, nämlich die verstärkte
Ausrichtung der Forschung auf eine die physikalisch-biologische Elemente
übersteigende Betrachtung unserer Lebenswelt hinsichtlich deren
qualitativ besetzten Wertebereichen. Auf Basis der mit hoher Präzision
bereits erforschten Fakten der physikalischen Ebenen unseres Biotops
wird eine zweckmäßige Kombination dieser Erkenntnisse mit darüber
hinausreichenden psychisch-immateriellen Aspekten einer durchaus als
mehrschichtig bzw. mehrdimensional anzunehmenden Lebensraumstruktur eben
zu radikal neuen Weltbildern führen.
Diese Kombination kann jedoch niemals ein simples Zusammenwerfen bzw.
Zusammenfügen von Fakten, Annahmen und diverser Mutmaßungen sein,
sondern ein differenziert gedankliches Nachvollziehen jener
Zusammenhänge, wie sie uns (als eben quantitativ und qualitativ besetzte
Wertebereiche) unterschiedlicher Strukturebenen des Daseins aufscheinen.
Oben von mir erwähnter Phasenübergang (in mathematischer Sprache der
Mengenbereichswechsel von trajektorischer Beschreibung rein
physikalischer Vorgänge hin zur Wahrscheinlichkeitsinterpretation von
Observablen eines betrachteten Wertebereichs) kann nicht zur Folge
haben, je nach Sichtweise (gedanklich) dann im einen oder anderen
Beschreibungsraum zu verharren, sondern sich der permanenten
Verschränkung dieser „Räume“ bewusst zu werden bzw. zu sein.
Etwas leger ausgedrückt, sind also Vorstellungen von getrennten Räumen
wie „Himmel“ und „Erde“ obsolet. „Himmel und Erde“ finden immer zugleich
in allen habitablen Lebensräumen des Universums (womöglich in unendlich
vielen) statt. Und wenn auch die von uns real erlebte Raum-Zeit
lediglich eine emergente Scheinrealität „vorgaukeln“ sollte, hat sie
lebenspraktisch dennoch essentiell eminente Bedeutung.
Wenn „Geist“ die Schönheit seiner Ideen durch steuernde
Organisationsmuster geformter Materie erleben will, muss er sich
verkörpern und dazu „aus dem Paradies vertrieben oder (je nach
Sichtweise) gelockt werden. Und wenn er in „irdischen Welten“
(sinnvollderweise) seiner Allwissenheit entledigt ist, wird er bei der
Suche nach dem Sinn seiner irdischen Existenz bis zu deren kleinste
Dimensionen vordringen: dorthin, wo Raum und Zeit ihre Bedeutung
verlieren und lediglich Quantengravition herrscht. Die „Fußspuren“ in
dieser „Unendlichkeit“ wird er als seine eigenen erkennen. Dieser
unendliche Kreislauf ist das Schicksalhafte am Körper-Geist-Problem.
Darüber lässt sich wohl unendlich lange nachdenken …derweilen man die
beruhigende Gelassenheit eines Reisenden empfinden sollte, lieber
vergnügt und hoffnungsvoll zu einem Ziel unterwegs zu sein, als dieses
schließlich erreicht zu haben und sich dort ggf. nur Ernüchterung einstellt.
Bester Gruß in die Runde! - Karl
PS: Antipodal gesehen, wird auch ein „Antigeist“ zu seinem Recht kommen
wollen, sich also in Lebenswelten verkörpern und in den „Kampf der
Geister“ eintreten. Ungeist, wie man ihn tagtäglich erlebt.
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