Am 05.05.2022 um 10:31 schrieb Ingo Tessmann
<tessmann(a)tu-harburg.de>de>:
Hi Karl, hältst Du die Gültigkeit der Quantenalgebra nicht für erklärend genug? Im
Gegensatz zu zeitlichen WW ist es bei der Verschränkung die instantane Einbettung im
Ganzen, die womöglich Goethe poetisch besser zu formulieren wusste? „Natur hat weder Kern
noch Schale, alles ist mit einem Male“. Schrödinger führte den Ausdruck „Verschränkung“ ja
in der Artikelserie „Die gegenwärtige Situation in der Quantenmechanik“ ein, die er noch
1935 sogleich als Antwort auf die Arbeit von Einstein gegeben hatte. Hast Du die etwa noch
nie gelesen? Oder meinst Du, dass es für alles alltagstaugliche „Erklärungen“ geben müsse?
Bei mir wäre es gerade umgekehrt, da ich umgangssprachliche Alltagstauglichkeit
hinsichtlich der unendlichen Naturvielfalt für die Ausnahme halte.
Dabei kommt es doch häufig vor, dass mathematische Ausformulierungen verblüffender
Experimentalergebnisse oder nicht weiter verfolgter Ansätze mehr Folgerungen zulässt als
erahnt werden konnten; denn auch die mathematischen Strukturen sind unendlich vielfältig.
Und statistische Verteilungen enthalten stets mehr als wir von ihnen wissen können. Das
macht ja gerade den Sinn von Wahrscheinlichkeit aus.
Hi Thomas,
ich hatte Karl die Frage nach dem Genügen der quantentheoretischen Erklärung für die
Verschränkung gestellt. Und auch Du hältst die Perspektivität unreflektierten
Mathematisierens für philosophisch stümperhaft, indem Du schriebst: „Beiträge, die im
Rahmen der Perspektivität annullierenden, Eigenheit übersehenden, Eigenzeiten
ignorierenden abstrakten Zeichenwelt der Mathematik und der mathematisierten Physik
argumentieren, sind in der Regel ihrer Blindheit für das, was tätiges Bezogensein, auch im
Sinn des auswählenden, gestaltenden Bezogenseins auf die eigene Vergangenheit, das eigene
Jetzt und die eigene Zukunft angeht nicht bewusst. Sie argumentieren erkenntnistheoretisch
naiv, ohne ihre Grundlagen zu reflektieren, und deshalb in der Regel philosophisch
stümperhaft.“
Natürlich gibt es die von Dir beschriebenen Beiträge, aber was war mit dem romantischen
Dialektiker Oersted und seinem Experiment mit der Magnetnadel, nach dem ich einmal fragte,
Du aber nicht darauf reagiertest? Vielleicht lag es am Physikbeispiel und Medizin
interessiert Dich mehr. Konkret könnten wir die gerade endemisch werdende
Covid-19-Pandemie bedenken. Kurzgefasst geht es von der konkreten Lebenssituation über das
Rollenspiel im medizinethischen Seminar und die Simulation des mathematischen Modells im
epidemiologischen Seminar hinaus ins Feld mit dem Blick in den Sternenhimmel.
Wir sind doch stets eingebunden in den Kreislauf des Lebens auf der Erde. Sichwortartig:
Lebenssituation — Rollenspiel — Simulation — Universum. So geht es ja auch im
medizinisch-naturwissenschaftlichen Studium zu. In dem lesenswerten Buch „Projekt
Lightspeed“ wird berichtet, dass der BioNTech-Chef Ugur Sahin neben seinem Medizinstudium
noch ein Fernkurs in Mathematik absolviert hatte, so dass er nach den Berichten über die
Ausbreitung erster ungewöhnlicher Infektionsfälle in China sofort abzuschätzen begann, wie
schnell es zu einer Pandemie kommen könnte. Sahins Interesse für Mathematik und
Epidemiologie war neben seiner medizin-ethischen Gesundheitsorientierung offensichtlich
wesentlich — und hatte am Ende zu einem grandiosen Erfolg geführt. Wie hätte es in Deinem
Modell gedacht besser laufen können?
Neben den Experten, wie Sahin, gibt es die vielen Betroffenen, im Gesundheitswesen wie im
persönlichen und nachbarschaftlichen Umfeld. Wir alle kennen ja die Streitereien auf allen
gesellschaftlichen und politischen Ebenen. Welche Erfahrungen hast Du im Rahmen des
Bedenkens von Eigenheiten gemacht? Ich habe selbstredend zumeist quellenorientiert
epidemiologisch-statistisch und biochemisch-virologisch argumentiert, denn
umgangssprachliche Alltagstauglichkeit reicht nicht weit. Du bist mit Karl anderer
Meinung, nehme ich an. Einen konstruktiven Zusammenhang zwischen Eigenheiten und
Universalen sehe ich gleichwohl z.B. in der genetisch-individualisierten Krebstherapie,
die einmal das leidige Vergiften, Bestrahlen, Verbrennen oder Herausschneiden von Tumoren
ersetzen könnte. Aber natürlich spielt auch in der Genetik die Mathematik wiederum eine
Hauptrolle.
IT