Moin Joachim,
wir hatten uns seinerzeit geduzt, deshalb behalte ich es vorerst bei. Meine Quelle hatte
ich in der Mail von 21.5.24 genannt: "Barrett dubbed the cognitive system responsible
for detection intentional agency the Hypersensitive Agency Detection Device (HADD). HADD
is regarded as part of our automatic, reflexive, intuitive processing system and subject
to being over-ridden by our reflective system.“ Quelle: "Cognition, Evolution, and
Religion“ by Barrett and Zahl. Hier der Link (siehe speziell S. 12):
https://www.researchgate.net/publication/304989997_Cognition_evolution_and_…
<https://www.researchgate.net/publication/304989997_Cognition_evolution_and_religion>
Der evolutionäre Ausgang des HADD ist in der Überreaktion auf heute nur noch vermeintliche
Gefahrensituationen zu sehen. Wird sie allerdings nicht reflexiv überdacht, bleibt sie
wirksam. Trotz der basalen Hirnphysiologie kann Philosophie selbstredend hilfreich sein.
Dass Du allerdings von einer noch ausstehenden endgültigen Widerlegung von Gottesglauben
schreibst, kehrt die Beweislast bloß um. Zudem muss klar benannt werden, worum es
eigentlich geht. Aber darüber hatten wir hier doch schon bis zur Sinnlosigkeit
wiederholend geschrieben. Als anerkennenswürdige Ausnahme habe ich Gödel in Erinnerung,
der sich nicht vor einem Gottesbeweis drückte und sich damit nachvollziehbar und
kritisierbar verständlich machte (vgl. meine Mail vom 19.3.22 an RF).
IT
Am 09.07.2024 um 18:17 schrieb Landkammer, Joachim
über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Lieber Herr Tessmann,
darf ich zunächst mal rein „philologisch“ etwas pingelig sein/werden? Irgendwas stimmt
mit dem englischen Zitat nicht, der Satz, der mit „To distinguish“ beginnt, funktioniert
grammatikalisch doch nicht ganz, oder? Ich hab das bißchen recherchiert, finde aber bis
jetzt nur, daß der Text offenbar aus Justin L. Barretts Aufsatz „Exploring Religion`s
Basement: The Cognitive Sciene of Religion“ stammt, den man (u.a.?) im „Handbook of the
Psychology of Religion and Spirituality“, und zwar leider in dessen ZWEITER Auflage (ich
finde nur die erste von 2006, in der der Aufsatz nicht drin ist) von 2013. Dort aber (und
ich habe nur eine blöde Google-Books-Vorschau) geht dieser Satz aber etwas anders weiter,
v.a.: Barrett nennt dort seine HADD-Benennung selbst „clumsy“ (plump, unbeholfen,
ungeschickt, tollpatschig), was ja diese Experten-Fachsprachen-Aura, mit der Sie diese
Kategorien hier präsentieren, etwas relativieren dürfte.
Mich würde jedenfalls zunächst der Originaltext in vollständiger und richtiger Gestalt
von Barrett interessieren, haben Sie da ein pdf oder was frei Herunterladbares für mich?
Davon unabhängig (und vielleicht daher etwas voreilig) würde ich allerdings vermuten, daß
Religionspsychologie uns hier (wie bei anderen genuin „philosophischen“ Problemen, Sie
kennen die Geschichte des philosophischen Psychologie-Bashings spätestens seit Husserl)
kaum weiterhilft, weil sie ja immer dazu tendiert, zu jeder menschlichen Handlungs- und
Verhaltensweise flugs ein entsprechendes Syndrom, eine Tendenz, eine
menschlich/allzumenschliche Neigung auszumachen, und damit die Sache für „erklärt“ zu
erklären: für die Liebe gibt’s die Libido, für den Haß den Todestrieb, für Diebstahl und
Neid das Besitzsyndrom, für das Niesen den Niesreiz, für jede optische Täuschung die
entsprechenden „Eigen“-Aktivitäten des Auges, das sich zurecht“sieht“, was gar nicht da
ist. Und jetzt eben auch eine „Agency Detection Device“ für die Annahme übernatürlicher
Einwirkungen. Alles sehr schön – nur: so what? Welchen Status haben solche Erklärungen?
Was „erklären“ sie wirklich? Haben sie nicht genau zuallererst die pseudo-epistemologische
Funktion, die Sie am Ende selbst andeuten, wenn Sie rhetorisch fragen: „können wir es
nicht dabei belassen“? Genau darum scheint es tatsächlich zu gehen: wir haben ein „Device“
identifiziert, hervorragend, fertig, dabei „belassen“ wir es jetzt. Psychologismen sind
eben, hier wie anderswo, nichts anders als pseudo-erklärende Stop-Argumente,
reduktionistische Schubladen-Verschließ-Einfälle: rein damit mit der Frage, und zumachen.
Nächstes Problem her, nächstes Paper für die „Psychological Experimental Research Review“
fertigmachen…
Die armen Philosophen aber, die keine solchen Schubladen (und keine solchen
Paper-verschlingende Fachzeitschriften) haben und die es mit ihrer verbohrten Sturheit
eben „dabei nicht belassen“ wollen, bestehen bockig darauf, daß mit all diesen
angeblichen, experimentalpsychologisch so wunderbar „aufgedeckten“ und „nachgewiesenen“
menschlichen Wahrnehmungs/Denk/Spekulier-Leistungen ja die Frage nach deren WAHRHEIT nicht
„geklärt“ ist, die Frage nach dem „Wesen“ von (etwa) Liebe, Haß, Tod, Besitz, Wirklichkeit
und „Mehr-als-Wirklichkeit“. Mit dem Versuch eines (ebenfalls very clumsy) Gleichnisses:
natürlich „tendieren“ wir dazu, uns Bilder zu machen, auch dort, wo es gar keine gibt,
also z.B. sah man einstmals ein erkennbares Gesicht auf dem Mond. Man konnte von einem
Mann im Mond reden, weil man ihn „sah“. Und da konnten die Psychologen nun lange darüber
reden, daß das nur eine allzumenschliche anthropomorphe Einbildung ist, tatsächlich nicht
mehr daran geglaubt hat man trotzdem erst, als man eben hingefahren ist und gesehen hat:
da ist ja tatsächlich niemand, nur Krater und Geröll. Erst dann, erst mit diesem
(negativen) Faktizitäts-Beweis, wird die Illusion wirklich dementiert, völlig unabhängig
davon, wie wissenschaftlich-exakt man ihr Zustandekommen erklärt hat. Und beim
Gottesglauben steht eben diese endgültige Widerlegung noch aus: wir haben eben noch nicht
„überall nachgesehen“ (und können das vielleicht ja auch nicht), darum wird dieser Glaube
von all diesen psychologischen Erklärungen seiner Existenz überhaupt nicht tangiert. Es
geht um die Existenz Gottes, nicht die des Gottesglaubens.
Aber wie gesagt: gern les ich mir auch erst mal diesen Religionspsychologen-Aufsatz
durch…
J. Landkammer