Ok, hauen wir uns erstmal noch ein paar Clausewitz-Zitate um die Ohren:
"Der Krieg ist mehr für den Verteidiger als für den Eroberer da, denn der Einbruch
hat erst die Verteidigung herbeigeführt und mit ihr erst den Krieg. Der Eroberer ist immer
friedliebend (wie Bonaparte auch stets behauptet hat), er zöge ganz gern ruhig in unseren
Staat ein; damit er dies aber nicht könne, darum müssen wir den Krieg wollen und also auch
vorbereiten, d. h. mit anderen Worten: es sollen gerade die Schwachen, der Verteidigung
Unterworfenen, immer gerüstet sein und nicht überfallen werden; so will es die
Kriegskunst." (Kap. 6, Abschn. 5).
Ich schlage vor: ich les mir das alles nochmal durch, v.a. dieses 6. Kapitel
"Verteidigung", aus dem du auch zitiert hast, dann diskutieren wir weiter, ok?
Denn dieser von der Wikipedia zitierte Satz „Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt, um den
Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen“ scheint in der Tat nicht zu genügen, da
geb ich dir Recht. Du meinst: "Damit beginnt der Krieg mit einem Gewaltakt und nicht
damit, dass darauf reagiert wird." Ich würde sagen: Clausewitz meint eigentlich: im
Vorfeld jedes Kriegs steht noch kein "Akt der Gewalt", sondern ein "Akt der
Androhung von Gewalt" (die einen dem Willen konforme Handlung erzwingen will). Der
(oft geleugnete) Unterschied zwischen Gewaltandrohung und -ausübung ist vermutlich
wichtig; denn ob es zur tatsächlichen Gewalt wird, "entscheidet" erst der
Bedrohte.
Ich vermute mal, daß das eben auch mit der anderen famosen These von der
"Weiterführung der Politik mit anderen Mitteln" zusammenhängt: am Anfang steht
nichts als ein "politischer Wille", der dem anderen eben, bei dessen mangelnder
Einsicht, aufgezwungen werden muß. Der diesem Wollen Widerstehende entscheidet über die
Mittel, mit der dann über "Durchsetzung" und "Durchsetzbarkeit" dieses
Willens entschieden wird. Wenn es "politisch" (also etwa mit
"Verhandlungen") nicht geht, dann muß es eben militärisch "geklärt"
werden.
(Die hier zitierte Putin-Propaganda will ja offenbar genau das sagen: wir haben es euch
doch lange genug gesagt: laßt die russischen Minderheiten auf der Krim in Ruhe, tretet
nicht der NATO bei, laßt euch nicht westlich "unterwandern", usw.; ihr habt aber
nicht auf uns gehört, also wollt IHR den Krie... - äh: die militärische Spezialoperation.
Das ist nicht nur Propaganda und Lüge, was es zur Lüge macht, ist nur, daß die Kriegsziele
ganz andere sind, es geht um Macht, Einfluß, Territorium, Bodenschätze, Ablenkung von
Innenpolitik, Ideologie, usw.)
JL
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Ingo Tessmann über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>
Gesendet: Mittwoch, 17. Juli 2024 10:11
An: philweb <philweb(a)lists.philo.at>
Cc: Ingo Tessmann <tessmann(a)tu-harburg.de>
Betreff: [PhilWeb] Re: Gewalt ist (k)eine Lösung?
Am 17.07.2024 um 08:32 schrieb Landkammer, Joachim
über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Lieber Ingo,
ja, du hast "überlesen", daß das Zitat von mir kommt, was nicht weiter schlimm
ist (ich bin´s gewohnt...), aber mich trotzdem jetzt in die Pflicht bringt, das näher zu
belegen - was mir tatsächlich auf Anhieb nicht gelingt. Zum Glück hilft mir zunächst mal
Wikipedia: sie zitiert das hier: „Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur
Erfüllung unseres Willens zu zwingen.“ (Clausewitz: Vom Kriege, Buch I, Kapitel 1,
Abschnitt 2) und kommentiert das so: "Eine der provokantesten Thesen des Buches Vom
Kriege lautete, dass ein Krieg erst mit der Verteidigung des Angegriffenen beginne. Ohne
Verteidigung würde es nicht zu bewaffneten Kämpfen kommen, die Clausewitz für die
Grundlage des Kriegsbegriffs hielt."
Genügt das fürs erste?
Moin Joachim,
als Quellenhinweis reicht mir das, nicht aber inhaltlich; denn den Kommentar zum Zitat
kann ich nicht nachvollziehen. „Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur
Erfüllung unseres Willens zu zwingen.“ Damit beginnt der Krieg mit einem Gewaltakt und
nicht damit, dass darauf reagiert wird. Weitergehender interpretierbar wäre: „Einer der
beiden Teile muß, politisch genommen, notwendig der Angreifende sein, weil aus
gegenseitiger Verteidigungsabsicht kein Krieg entstehen kann. Der Angreifende aber hat den
positiven Zweck, der Verteidiger einen bloß negativen;“ Beim politisch motivierten
Verteidigungskrieg könnte lediglich der politische Verteidiger zum gewaltsamen Angreifer
werden.
Beil Clausewitz heißt es weiter: Was ist der Begriff der Verteidigung? Das Abwehren eines
Stoßes. Was ist also ihr Merkmal? Das Abwarten dieses Stoßes. Dieses Merkmal also macht
jedesmal die Handlung zu einer verteidigenden, und durch dieses Merkmal allein kann im
Kriege die Verteidigung vom Angriff geschieden werden. Da aber eine absolute Verteidigung
dem Begriff des Krieges völlig widerspricht, weil bei ihr nur der eine Krieg führen
würde, so kann auch im Kriege die Verteidigung nur relativ sein, und jenes Merkmal muß
also nur auf den Totalbegriff angewendet, nicht auf alle Teile von ihm ausgedehnt werden.“
IT
_______________________________________________
PhilWeb Mailingliste -- philweb(a)lists.philo.at Zur Abmeldung von dieser Mailingliste
senden Sie eine Nachricht an philweb-leave(a)lists.philo.at