Moin Karl,
Kinderverblödung als Erklärungsmodell, das Du auch noch für praktische
Entwicklungspsychologie hältst!? In welcher Zeit leben wir? Ich habe mich ja abfällig über
den Film "Partly Cloudy“ geäußert, der in einer Untersuchung zur Topologie zeitlich
veränderlicher fMRT-Daten verwendet wurde:
https://en.wikipedia.org/wiki/Partly_Cloudy
"Partly Cloudy“ von 2009 wirkt topologisch unterschiedlich auf Kinder und Erwachsene;
ein Ergebnis, das durchaus als Beitrag zur Entwicklungspsychologie angesehen werden kann.
Nur schade, dass die Bioinformatiker, Mathematiker und Psychologen der Studie nicht die
Wirkungen weiterer Animationsfilme untersucht haben, um Vergleiche anstellen zu können.
Und warum hat der 1977 geborene und aus der Bronx in New York City stammende Filmemacher
Peter Sohn Kinder in Wolken entstehen und durch Störche liefern lassen und nicht eine
ebenso anrührende Geschichte über die Wege von Eiern kreiert? Wie die Vögel und die
Menschen Eier besamen und dann in bzw. aus den Eiern neue Lebewesen heranwachsen.
Sohn hat am California Institute of the Arts (CalArts) studiert und wird auch allgemein in
Kunsttheorie und speziell in Filmtheorie unterrichtet worden sein. Den religiösen
Hintergrund seines Kinderfilms wird er mit Bedacht gewählt haben. Ich hatte mir 1989 mit
meinem Sohn den herzergreifend und tierisch niedlichen Zeichentrickfilm „In einem Land vor
unserer Zeit“ Steven Spielbergs angeschaut. Der war auch kindgerecht, aber nicht
verblödend.
Wie die Materie Raum und Zeit krümmt, bestimmt die Macht Geographie und Geschichte. In den
1950ern dominierte der rheinische Katholizismus Adenauers die BRD. Dem ausgesetzt erlebte
ich mit dem nordischen Sozialismus Brandts die befreiende Aufklärung. Nunmehr dominiert
hierzulande wieder der Konservativsmus: von rechts über die Mitte bis links bzw. von der
AfD über die CDU/CSU bis zum BSW. In Sachsen und Thüringen macht er schon über 70% der
Wählenden aus. Im Unterschied zu den 1950ern kommt die ideologische Verblödung nicht nur
aus dem Süden, sondern auch aus dem Osten.
IT
Am 27.10.2024 um 03:56 schrieb Karl Janssen über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Ich wurde in den 1950ern auch noch mit dem
Storchschwachsinn zum Kinderkriegen verblödet. Wird das jemals aufhören?
Ist es nicht wohlfeil, die Menschen einer mittlerweile vergangenen Generation,
vornehmlich eben auch unsere eigenen Eltern für die Art und Weise von Antworten auf naiv
kindliche Fragen zu brandmarken, die sie dem gesellschaftlichen Zeitgeschehen, resp.
Zeitgeist entsprechend kaum anders formulieren konnten.
Unbenommen meiner diesbezüglich eigenen Erfahrung - denn mein Vater war ein nüchterner,
knochentrockener Akademiker und daher weitab von „Märchenerzählungen“, meine Mutter viel
zu früh gestorben - erinnere ich dennoch sehr lebhaft die zu dieser Zeit üblichen
Narrative.
So waren und sind es längst nicht nur Kinder zur Welt bringende Störche, sondern auch die
„schwarzen Männer im Keller“, die Nikoläuse und Christkindl (hier in südlichen Gefilden)
und einige Erklärungsmodelle mehr dieser Art, die aus heutiger Sicht nahezu obskur
anmuten. Dennoch möchte ich mich nicht dazu aufschwingen, Menschen einer vergangenen
Generation vorzuwerfen, sich dem Usus ihrer Zeit entsprechend der gängigen
Erklärungsmodelle bedient zu haben, zudem sich längst nicht alle Erwachsene kindlich
naiver Narrative zur Beantwortung entsprechender Fragen bedient haben. So eben mein Vater
- der hat dieses Thema mit Störchen für mich schlicht ausgeblendet und damit wäre er der
letzte gewesen, den ich danach gefragt hätte. Diese Zeiten haben sich definitiv geändert
und mir kann keiner erzählen, dass die Geschichte von den kinderbringenden Störchen heute
noch verbreitet ernsthaft erzählt wird, wenngleich Störche aus Pappe in Gärten und vor
Häusern das freudige Ereignis einer anstehenden Geburt - nichts anderes als eine nette
Geste vermittelt in alt hergebrachter Symbolik.
Eine Symbolik, wie sie geradewegs in Märchen Kindern eine Brücke bauen kann zwischen
einer sie faszinierenden Zauberwelt, in der sie sich gedanklich noch zu gerne aufhalten
und den für sie rational noch nicht zugänglichen Phänomenen ihres konkreten Lebensumfelds.
Mit „Schwachsinn“ hat das nichts zu tun, sondern mit praktischer Entwicklungspsychologie.