Moin Joachim,
Robinson entstammte einer entwickelten Zivilisation und war entsprechend sozialisiert
bevor er auf der Insel strandete, wo er nur vorübergehend allein war. Dein „Ideal“ des
Einzelwesens ist inkonsistent, da Einzelwesen nicht geboren werden und überleben können.
Als Alterslebensform aber scheint mir das Alleinsein durchaus plausibel, allerdings bleibt
es stets abhängig von den Periodizitäten infolge der Erdrotation und ihres Sonnenumlaufs.
An denen orientierte sich ja auch Robinson und ich sehe in ihnen ebenso eine Berechtigung
für die Außensicht; der wir nicht entkommen können. Weder abgeleitet oder verfremdet,
sondern authentisch bzw. empirisch an ihr ist aber nur die Quantität. Im Gegensatz zur
stets verfremdenden Umgangssprache sind die mathematischen Beziehungen zwischen den
Bewegungen im Sonnensystem authentisch.
Den äußeren Zeiten entkam Robinson nicht, wohl aber den Geschäftszeiten seines
Herkunftslandes. Der Verbindung von Energie und (Stech-)Uhr im Kapitalismus entstpricht
die Verbindung von Energie und Zeit im Wirkungsquantum. Dem Kapitalismus voran ging die
Landwirtschaft, in der es bereits um die Verbindung von Ertrag und Jahreszeit ging. Und
bei den vorangehenden Wildbeutern ging es um die Verbindung von Jagderfolg und Tageszeit.
Da alle Lebewesen der Natur erwachsen sind, prägten sich ihnen die äußeren
Regelmäßigkeiten ihrer Umwelten nachwirkend ein. Der circardianische Rhyhtmus in uns ist
ein Beispiel dafür. Dass es vielerlei Fluktuationen darüber in unserem Zeitgefühl gibt,
widerspricht nicht seiner quantitativen Authentizität.
Deine persönliche Abneigung gegen Pünktlichkeit und temporale Sozialkoordination kann ich
nachvollziehen und genoss die flexiblen Arbeitszeiten im akademischen Mittelbau. Während
meiner Industrietätigkeit war es mir nicht so gut ergangen. Deine Angst vorm Fliegen kann
ich nicht nachvollziehen. Ich fliege selten, ängstige mich dann aber nicht. Ganz anders
ergeht es mir, wenn ich einmal in einem Auto sitze. Insofern folge ich den statistischen
Berechnungen. Häufig fahre ich mit der Bahn oder dem ÖPVN, was leider viel zu wenige
meiner Artgenossen machen, obwohl das Autofahren viel gefährlicher ist. Aber die
Irrationalität unter den Menschen ist ein weites Feld.
PS. Im Gedenken an Hermann Haken, einem der herausragendsten Physiker der Nachkriegszeit:
https://pro-physik.de/nachrichten/hermann-haken-pionier-der-lasertheorie-ge…
<https://pro-physik.de/nachrichten/hermann-haken-pionier-der-lasertheorie-gestorben>
IT
Am 22.08.2024 um 10:55 schrieb Landkammer, Joachim
über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Hi Ingo
meine (zugebenermaßen noch nicht recht ausgegorene, also: durch Zeit noch nicht
„gereifte“) Idee war ja gerade, daß man vielleicht nicht so einfach neben die „Innensicht“
die „Außensicht“ stellen kann und sollte (du sagst einfach: „es gibt auch die Außensicht“,
aber die phil. Frage wäre ja: wieso und mit welcher Berechtigung? wirkungsmächtige phil.
Strömungen des 20. Jahrhunderts behaupten nicht nur einen „Primat“ der Innensicht, sondern
halten jede Außensicht für nur „abgeleitet“, verfremdet und nicht authentisch…). Natürlich
kann man der Innen- und Eigenzeit immer eine rein mathematisch konstruierte physikalische
Zeit entgegenhalten und sich an ihr „orientieren“, aber das könnte ja ähnlich „lebensfern“
sein wie andere physikalisch-mathematische „Gegenwelten“ auch: wenn mir etwa jemand
erklärt, daß aufgrund von statistischen Berechnungen Fliegen 137,83 mal „sicherer“ ist als
Autofahren, werde ich trotzdem nicht in ein Flugzeug steigen; und wenn mir jemand mit der
Stop-Uhr in der Hand nachweist, daß ich zum Lesen von 1000 Wörtern von Thomas Mann 5
Minuten 34 Sekunden länger gebraucht habe als zum Lesen von 1000 Wörtern von Hegel, werde
ich trotzdem sagen, Mann habe ich „schneller“ gelesen, usw. Das subjektive Zeitempfinden
ist einfach durch die objektive Zeit „der anderen“ nicht einholbar, nicht darstellbar; und
Robinson begibt sich bekanntlich sofort wieder in einen „sozialen Käfig“, wenn er kaum
angekommen auf seiner Insel, wo ihm endlich mal alles egal sein könnte, auf Baumrinden
einen Kalender einritzt und die Tage (=Sonnenuntergänge) zählt. Aber warum? Man würde doch
sagen: aus internalisiertem Fremdkontroll-Wahn, wie fast alles, was wir so tun und denken
(und man könnte/müßte natürlich dann auch über Kapitalismus und protestantischen
Arbeitsethos reden, usw.). Eigentlich also alles überflüssig und falsch, zumindest für
Robinson. Und wieso sollte so ein Robinson-Leben nicht ein plausibles „Ideal“ sein?
(Annäherungen daran soll es ja angeblich in anderen „südlicheren“ Kultursphären als den
unseren geben, wo „Pünktlichkeit“ und temporale Sozialkoordination keinen so hohen
Stellenwert zu haben scheinen. Die Deutsche Bahn macht es uns ja schon vor, sie gewöhnt
uns an solche „flexiblen“ Zeitvorstellungen…).
JL