Hi Karl,
von der Frage: „Wer bin ich?“, bist Du nach meinem Verständnis zu schnell zu der Frage:
„Was bin ich“, übergegangen. Bist Du nicht zunächst einfach derjenige, der sich die Frage
stellt? Mit der Frage könnte man einen Roman oder seine Memoiren beginnen. Aber das wäre
Literatur, also: „Was bin ich?“ Atome und Leere bzw. Quanten und Felder. Das wäre Physik.
Die Philosophie vermittelt, so wie es Konstantin Wecker zum Abschied Hans Peter Dürrs
poetisch versucht hat:
Wenn durch den Dom von sommergrünen Bäumen
die Lichter wie ein Segen niedergehn
und als Kristalle in den Zwischenräumen
von Laub und Ast und Himmel stehn,
da ahnst du, dass, was scheinbar fest gefügt
und uns sich als die Wirklichkeit erschließt,
nichts als ein Bild ist, das sich selbst genügt,
durch das verträumt ein großer Atem fließt.
Du magst es greifen, du begreifst es nicht
was du auch siehst ist nur gefrorenes Licht.
Wenn sich in solchen seltnen Stunden
des Daseins Schönheit leise offenbart,
weil sich - sonst nie so leicht verbunden,
das Ahnen mit Erleben paart,
dann zögre nicht, dich zu verwandeln.
Nimm diese Stunde tief in dich hinein.
So aus der Zeit erübrigt sich das Handeln
und in der Leere offenbart sich erst dein Sein.
Du magst es greifen, du begreifst es nicht
was du auch siehst ist nur gefrorenes Licht.
Quelle:
<http://www.friedenskonferenz.info/pdfs/DuerrNachr_03_kl.pdf>
Die Metapher vom "gefrorenen Licht“ vermittelt zwischen den Lichtquanten, die im
Wirkungsquantum bereits Energie und Zeit hervorbringen, der Photosynthese und Atmung über
des Daseins Schönheit bis hin zum Ahnen mit Erleben: Sind ich und du / und alles immerzu -
vielleicht nur Licht?
Es grüßt,
Ingo
Am 11.09.2020 um 02:36 schrieb K. Janssen via Philweb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
[Philweb]
Bevor uns die Covid-Plage hier in philweb nun gänzlich die Lust am Denken und Schreiben
verleidet (oder - wie mir - die Gesundheit nimmt) könnte man sich der Frage zuwenden: Was
macht unsere Spezies so vulnerabel, dass sie dieses Viren-Übel so schonungslos treffen
kann, es weltweit Gesundheit, Wirtschaft und Kultur zu Boden wirft ohne Rücksicht auf
Stellung, Amt und Würden.
Den sog. Corona-Leugnern möchte man die Sage erzählen, an die ich mich nur sehr vage
erinnere:
In einem herrschaftlichen Baderaum war des Königs Gattin der Gefahr ausgesetzt, wegen
Wasserüberlauf zu ertrinken, davor sie vom Bademeister gewarnt wurde. „Als wer schreist du
da?“, fragte die Noble herrschend zurück, verweilte und ertrank schließlich. Fazit: Fühlt
man sich über Warnende erhaben, könnte man also in‘s Unglück geraten.
Wann immer man sich - berechtigt oder nicht - erhaben fühlt oder gibt, sollte man sich
die Frage stellen: Als welcher denke, fühle und handle ich? Wer verkörpert denn dieses
mein ICH? Wer bin ich überhaupt?
„Wer bin ich“ scheint eine ewige Frage zu sein. Um nun nicht in den Verdacht zu geraten,
damit einem populären wie omnipräsenten Medien- und TV-Protagonisten in die Quere zu
kommen, verweise ich sogleich auf einen Spektrum-Beitrag (Wiss.Magazin), der mich wieder
einmal an dieses Thema herangeführt hat. Dabei ist es nicht so, dass mich diese Frage
selbstquälerisch umtreiben würde; da halte ich es eher mit Descartes‘ cogito. Erstaunlich
jedoch für mich, dass sein vielgescholtener Geist-Körper-Dualismus (interaktionistischer
Substanzdualismus) immer noch nicht in seiner eigentlich intendierten Tiefe verstanden
sein will. Seine Argumentation bzgl. der Art des denkenden Ichs wird zitiert mit
a) „ich kann mir nicht widerspruchsfrei vorstellen, dass ich nicht existiere, solange ich
denke“
b) „ich kann mir jedoch widerspruchsfrei vorstellen, dass ich auch ohne alle körperlichen
Eigenschaften existiere“
Ersteres Argument sollte, trotz seiner radikalen Reduzierung auf das Denken, tatsächlich
widerspruchsfrei gültig sein. Letzteres hingegen kann Descartes nur in der Annahme einer
möglichen „jenseitigen“ Existenz getroffen haben (was als Jesuiten-Zögling auch nicht
verwundern kann), wie dies eben auch in den religiösen Vorstellungen verschiedenster
Kulturen geschieht. Das Argument wird dort jedoch als ungültig angesehen werden, wo für
eine (menschlich) erlebbare Existenz einzig die hinreichend körperliche Funktionalität -
durchaus in Interaktion mit immateriellen Agenzien (Geist) – vorausgesetzt wird.
Grundsätzlich aber sollte eine eindeutige Unterscheidbarkeit (und damit Dualität)
zwischen pur materieller Körperlichkeit des Menschen und sog. reinem Geist
widerspruchsfrei anzunehmen sein.
Einerseits also der physische Körper (soweit unversehrt) als ureigenste Voraussetzung für
erlebbare Selbstbewusstheit (dem Ich); andererseits reiner Geist, der an sich autonom
existierend (wie und wo auch immer) angenommen werden kann.
Descartes ging davon aus, dass Leib und Geist (Seele) grundlegend verschiedene Substanzen
sind, die funktional jedoch kausal (seiner Ansicht nach in der Zirbeldrüse) interagieren.
Soweit – so gut, was spräche dagegen, außer der Annahme, dass Geist, eben als Homunkulus
im Gehirn des menschlichen Körpers, diesen solchermaßen als isolierte immaterielle
Substanz steuern sollte. Dennoch sollte man Descartes und seinen Zeitgenossen diese
Fehleinschätzung nicht geringschätzig anrechnen, denn sie wird insoweit bis heute
betrieben, als man nach wie vor im Gehirn isoliert Geist resp. Bewusstsein zu lokalisieren
sucht. Davon ausgenommen ist sicher die metaphorische Darstellung eines kortikalen
Homunkulus in den Neurowissenschaften (Penfield).
Wie immer man auch Geist (oder Seele) an sich definieren wollte, es bleibt anscheinend
bislang einzig die (Aus-)Flucht in die Metaphysik, ausgeformt durch Religionen,
philosophische Konstrukte (Ontologischer Dualismus) oder aber auch (bisweilen irrwitzige)
Esoterik.
Kraft seines Denkens war Descartes von seiner irdischen Existenz überzeugt; die Annahme,
ohne Körperlichkeit (wo auch immer) existieren zu können, konnte nur auf Glauben gegründet
sein.
Glauben (müssen/sollen) ist nicht jedermanns Sache, wenngleich mir in diesem Zusammenhang
die Ausführungen des Thomas von Aquin (wie so oft) sympathisch und daher eingängig sind.
Seine Unterscheidung von Geist und Materie basiert auf seiner Akt und Potenz-Lehre (wir
haben hier vor Jahren darüber geschrieben). Als da sind die „universalia ant rem“, die
ursächlich im Geist (Gottes) vorgebildet sind, solchermaßen als „universalia in re“ in
Realität (in den Dingen) sind und schließlich „universale post rem“, die durch den
Intellekt aus den Dingen hergeleitet werden. Für Aquinus ist der intellectus possibilis
(in Anlehnung an Aristoteles) das grundsätzliche Vermögen, per Intellekt (Verstand und
Vernunft) die real möglichen Dinge der Lebenswelt zu erkennen und in Bezug auf die Seele
(Geist) per intellectus agens das Erkannte zu verwirklichen (zufolge der menschlichen
Befähigung zur Abstraktion in Aktualität zu bringen).
Abstrakte Scholastik, möchte man sagen, die jedoch (in diesem Fall) von prinzipiellem
Verständnis der Zusammenhänge von Interaktion zwischen Geist und Körper zeugt und vor
allem als wohlwollende Abstraktheit den oftmals dogmatisch festgezurrten Thesen und
Theorien in Philosophie und Neurowissenschaft entgegensteht, sowie Raum lässt für
diesbezüglich künftige weiterführende Erkenntnisse der Menschheit, die durch
interdisziplinäre Forschung zutage kommen werden.
Unbenommen der so interessanten wie lehrreichen historischen Annahmen, Theorien etc.,
liegen uns gegenwärtige Denkmodelle näher, so beispielsweise namhafte Vertreter des
interaktionistischen Dualismus wie Popper und Eccles. Sie führen ihre diesbezügliche
Argumentation zur Interaktion zwischen Geist und Körper (i.W. Gehirn) auf eine quasi
subatomare (und damit irgendwie auch virtuelle) Ebene.
Eccles Wechselwirkungstheorie und Poppers 3-Welten-Theorie beschreiben die Interaktion
als Prozesse zwischen allen Dingen, Körpern etc. der physisch realen Lebenswelt (Poppers
Welt1) und abstrakt geistigen Elementen immaterieller Welten (Poppers Welt 2 und 3).
Bedeutsam bei diesen Denkansätzen (wobei mir die Theorien beispielsweise von Burkhard
Heim oder Alan Guth fundierter erscheinen) ist für mich der Wechselwirkungsbegriff,
insbesondere die Interaktion zwischen (funktionalem) Körper und Geist, also zwischen
materiellen und immateriellen Substanzen/Entitäten. Voraussetzung hierzu ist die Fähigkeit
mit letzteren in wechselwirkende Resonanz zu treten. Dazu bedarf es m.E. nicht
notwendigerweise irgendwelcher religiös, metaphysisch oder gar esoterisch beschriebener
Mechanismen (obgleich fallweise praktikabel), sondern der Kenntnis und Bewusstheit von
Feldtheorien. Wie der hochgeschätzte Feynman postulierte „Everything is made of atoms“,
möchte ich sagen, alles ist prozessoraler Teil von 12 Quantenfeldern (Materie) und 4
damit interagierenden Kraftfeldern (Gravitation, Elektromagn,, starke u schwache
Kernkraft) mittels deren wechselwirkende Mechanismen jegliches Leben begonnen, geformt,
bestimmt und auf Zeit erhalten wird.
Wenn also Descartes einen Homunkulus in der Epiphysis cerebri am Werk sah, würde ich
heute den Bewusstseinsbegriff eher an den Thesen von Hameroff und Penrose festmachen,
wonach das Bewusstsein von biologisch „orchestrierten“ kohärenten Quantenprozessen in
Clustern von Mikrotubuli in Gehirnneuronen abhängt und diese informationsverarbeitenden
Quantenprozesse mit der neuronalen synaptischen und Membranaktivität (Resonanz!)
korrelieren sowie diese regulieren. Diese „Denkprozesse“ laufen also nicht klassisch
algorithmisch ab, sondern als Quantenmechanismen. Gewissermaßen Biophysik des
Bewusstseins, der mittlerweile durch beobachtbare elektroenzephalographische („EEG“)
Korrelate des Bewusstseins eine Schlüsselrolle in der Lebensentwicklung zugesprochen
werden könnte. Daraus ließe sich schließen, dass das Bewusstsein eine intrinsische Rolle
im Universum spielt, dessen unverbrüchlicher Teil der Mensch ist und dies durch
fortwährende Interaktion mit diesem verkörpert. Sein inneres Erleben vollzieht sich durch
aufeinanderfolgende multimodal integrierte Erfahrungen und führt mit steigendem
Komplexitätsgrad zu Bewusstsein als eine emergente Eigenschaft des Gehirns.
René Descartes kommt jedenfalls das Verdienst zu, Grundlegendes zur
Wechselwirkungstheorie von Körper und Geist entwickelt zu haben. Das Leib-Seele-Problem
und damit die Frage „wer bin ich“ wird uns dennoch weiterhin einige Zeit beschäftigen und
ich hoffe auf lehrreiche Beiträge hier in diesem Freundeskreis.
Bester Gruß in die Runde!
Karl
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