Am 11.07.2024 um 22:23 schrieb Landkammer, Joachim
über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Hi Ingo,
ok, also das würde heißen: Am Anfang war die Fluktuation. Das große Zittern, Rauschen,
Vibrieren, Schwanken. Denn sobald irgendein Esel daherkommt und sich auf nur zwei Optionen
fixiert, die sich gegenseitig ausschließen, aber gleichwohl überlebenswichtig sind, setzt
das Zittern aus, und der Esel sitzt fest. Alles Logische, Präzise, streng Fokussierte
würde dieses Risiko der Selbststillegung mit sich bringen. Nur wessen Aufmerksamkeit
schwankt, kann überhaupt aufmerksam sein.
Moin Joachim,
im Leben wirkt ja vieles zusammen, es ist ein vielfältiger Wirkungszusammenhang. Das
fluktuierende Leben in uns bekommen wir kaum mit, erleben es gelegentlich in
Aufmerksamkeitsabweichungen, die bspw. auf die autonomen Augenbewegungen folgen können.
Siehe dazu bspw. das Zusammenspiel von stabilisierenden, zielsuchenden und Mikrobewegungen
der Augen:
https://tu-dresden.de/mn/psychologie/iaosp/applied-cognition/ressourcen/dat…
<https://tu-dresden.de/mn/psychologie/iaosp/applied-cognition/ressourcen/dateien/publikationen/pdf/joos2002.pdf>
Weitergehend wirkt sich das Nervenrauschen auf unser Verhalten aus. Siehe dazu bspw.
"How the “noise” in our brain influences our behavior. Neural variability provides an
essential basis for how we perceive the world and react to it“:
https://www.mpib-berlin.mpg.de/press-releases/noise-brain-behaviour
<https://www.mpib-berlin.mpg.de/press-releases/noise-brain-behaviour>
Also unser aller Aufmerksamkeit schwankt ständig mehr oder weniger, auch wenn wir uns
stark auf etwas zu konzentrieren meinen:
Aber dann gibt es sicher auch Grenzwerte, oder? Wer
nur ganz haltlos immer mit-fluktuiert, kommt auch nicht voran, richtig? ADS wäre dann
sowas wie die pathologisch überschrittene Obergrenze der zuträglichen
Aufmerksamkeitsschwankungs-Toleranz. Leben, Handeln, Entscheiden ginge dann nur in einem
Korridor von nicht zu viel und nicht zu wenig „Fluktuation“. Wäre das korrekt? Und wie
würde das in der einschlägigen Fachterminologie beschrieben werden?
Die Fachterminilogien der Physik, Physiologie, Psychologie und Philosophie unterscheiden
sich vor allem hinsichtlich ihrer Bezüge auf Mathematik und Umgangssprache, wobei mir die
Stochastik als angemessener übergreifender Rahmen plausibel scheint, da mit ihr grobe
Alltäglichkeit mit genauer Mathematik verknüpfbar ist. In Physik und Physiologie werden
Fluktuationen hauptsächlich quantitativ beschrieben, in Psychologie und Philosophie
zumeist qualitativ. Also wie kämen Augenzittern und Nervenrauschen mit Aufmerksamkeit und
Denken zusammen? Bei der Lifespan Neural Dynamics Group (LNDG) heißt es einleitend dazu:
"A recent LNDG study published in the journal eLife exemplifies the direct link
between neural variability and behavior. Participants’ brain activity was measured via
electroencephalography (EEG) while they responded to faint visual targets.“
https://elifesciences.org/articles/54201 <https://elifesciences.org/articles/54201>
(Mir ist noch ein aktualisiertes Beispiel für den
Buridan-Esel eingefallen: wir haben so einen Billig-Saugroboter, der es tatsächlich
manchmal schafft, sich „festzufahren“, der fährt dann nur noch zwischen zwei nahen
Möbelkanten hin- und her und läuft sich tot…Die Psychologen würden wahrscheinlich von
Wiederholungszwang reden.).
Das Billig-Teil ist offensichtlich zu simpel programmiert. Aber wie geraten Menschen in
Zwangsverhalten? Das werden (Neuro-)Psychologen wohl schon ausgiebig untersucht haben.
IT