/rf: „Der Streit zwischen dir und Waldemar scheint mir, soweit ich es
überblicke, der uralte Streit zwischen Gläubigen und Atheist zu sein.//
//Von einem abstrakten, also "philosophischen" Standpunkt aus stellte
sich diese Frage im Prinzip schon im Altertum. Nur scheint es damals so
etwas wie direkten Atheismus nicht gegeben zu haben.“/
So möchte ich jetzt noch einmal auf diesen Punkt zurückkommen, diesmal
jedoch nicht in Bezug auf Waldemars und meiner Weltsicht (die sich - wie
ich schrieb – meiner Einschätzung nach, im Kern nicht wesentlich
unterscheiden), sondern nun eher grundsätzlich auf den von Dir
angeführten „uralten Streit zwischen Gläubigen und Atheisten “.
Gläubige als Oberbegriff für Menschen eingeführt, die glaubend einer
Religion folgen, haben trotz aller Gegensätzlichkeit eine Gemeinsamkeit
mit Atheisten: sie glauben beide, die einen glauben an einen Gott, die
anderen eben nicht; es bleibt beiden nur der Glaube, da es kein Wissen
über einen Gott geben kann.
Gläubige, die davon ausgehen, ihr Wissen von Gott aus biblischer
Überlieferung resp. Offenbarung ableiten zu können, haben allenfalls
Wissen über dieses Schrifttum, jedoch kein unmittelbares Wissen von Gott.
Atheisten, die vorgeben, von der Nichtexistenz eines Gottes zu wissen,
scheitern an dem ihnen nicht verfügbaren Zugang zum Transzendenten.
Beide können jedoch von ihren jeweiligen Annahmen überzeugt sein und das
führt wiederum zu beliebigen Auseinandersetzungen. Und so wird sich der
„uralte Streit“ bis auf weiteres fortsetzen.
Die Existenz eines transzendenten, göttlichen Wesens ist aus Sicht und
Vermögen des Menschen weder beweisbar noch zu widerlegen. Diesbezüglich
darf man sich durchaus auf Kant‘s Denkleistung beziehen, wonach alle
Gottesbeweise (gleich ob kosmologisch, ontologisch oder teleologisch)
wegen des fehlenden Zugangs zum Transzendenten scheitern müssen.
Mit dieser Widerlegung verneint Kant jedoch nicht grundsätzlich die
Existenz eines Gottes, sondern lediglich die Möglichkeit zu dessen
rationaler Erkenntnis, er leitet sein (persönliches) Gotteskonzept aus
ethisch-moralischen Begriffen resp. Ideen ab und stellt diese als ein
Postulat Gottes dar:
„Da aber die sittliche Vorschrift zugleich meine Maxime ist (wie denn
die Vernunft gebietet, dass sie es sein soll), so werde ich
unausbleiblich ein Dasein Gottes und ein künftiges Leben glauben und bin
sicher, dass diesen Glauben nichts wankend machen könne, weil dadurch
sittliche Grundsätze selbst umgestürzt werden würden, denen ich nicht
entsagen kann, ohne in meinen eigenen Augen verabscheuungswürdig zu
sein.“ (Kant: Postulat der Vernunft 1781)
Kants Annahme eines Gottes gründet somit auf seinen Vorstellungen von
Vernunft und Moral (sittliche Vorschrift) und der daraus abgeleiteten Ethik.
Die dem Menschen zugeschriebene sittliche Vernunft und ein aus freien
Stücken daraus erfolgendes moralisches Handeln (gemäß dem kategorischen
Imperativ) fordert nach Kant den Lohn dieses Tuns als eine
„Glückseligkeit“, die im irdischen Leben nicht jeweils gegeben ist und
damit einen Ausgleich post mortem verlangt. Diese Vorstellung entspricht
dem (von Religionen) verheißenen Lohn der guten Tat in einem „Jenseits“
und würde demnach eine entsprechende transzendente Instanz (Gott als
notwendige Voraussetzung ethischen Handelns) voraussetzen, an die Kant
offensichtlich geglaubt hat:
„Der gestirnte Himmel über mir und das Sittengesetz in mir lassen mich
an einen Gott glauben.“
Was mich anbelangt, würde ich angesichts des „gestirnten Himmels“
(sprich: Universum) durchaus an eine transzendente Entität glauben,
hingegen sicher nicht bezogen auf ein „himmlisches“ Sittengesetz. Mein
Bild eines derartig angenommenen Gottes entspricht zudem keinesfalls der
üblich anthropomorphen Vorstellung (ganz im Sinne Bonhoeffers: „„Einen
Gott, den es gibt, gibt es nicht“.
Wo in den Weiten des Universum sollte denn ein derartiger Gott
residieren, wenn nicht intra-agierend inmitten aller Welten?
Ethik und Moralen in einer Lebenswelt wie dieser, müssen nicht
notwendigerweise an die transzendente Existenz eines Gottes (bzw. den
Glauben daran) gebunden sein; vor allem nicht im Sinne der üblich
anthropomorphen Vorstellung), wie sich das in Deiner Feststellung ganz
klar zeigt:
/
/
/rf: „Wichtig ist schon mal festzustellen, dass es viele Atheisten,
Freidenker oder "Heiden" mit hervorragender Moral gibt. Sofern man den
Glauben nicht einfach selbst als höchste Tugend nimmt, den die alle
nicht haben.“//
/
Ein an Grundsätze moralischen Handelns (etwa im Sinne des Kant‘schen
Moralbegriffs des kategorischen Imperativs) orientierter Mensch braucht
diesbezüglich keine Religion bzw. einen Gottesglauben. Damit ist
allerdings nicht gesagt, dass letztere generell abzulehnen seien; dies
vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass sie wesentlich sittliches
Handeln der Menschheit fördern. Dabei spreche ich ausdrücklich nicht von
falsch oder verbrecherisch vermittelter Religion bzw. deren
fehlgeleiteter Ausübung, wie dieses tagtäglich zu beobachten ist.
Vielleicht ist es hilfreich, hier noch einmal auf die Begrifflichkeit
von Moral einzugehen, da dieser (im Gegensatz zur Ethik) sehr
vielschichtig angelegt ist. Es gibt viele Moralen jedoch nur eine Ethik.
Moral als Normensystem beschreibt bzw. gibt einen konkreten
Handlungsrahmen für sittliches Verhalten. Dieses gilt für Religionen,
insoweit sie sich als Wertesystem verstehen und dessen Einhaltung
einfordern, etwa die zehn Gebote der christlichen, der Halacha der
jüdischen Religion oder dem Koran (Hadith/Sunna) des Islam.
Derart vorgegebene resp. eingeforderte Gebote und Vorschriften als
Grundlage gesellschaftlich sittlichen Verhaltens stellen einen
Moralkodex dar, der jedoch längst nicht von allen Menschen akzeptiert
und damit auch nicht umfassend eingehalten wird.
Religion als religio, im Verständnis einer transzendenten Rückbindung
und damit verbunden der persönliche Glaube an eine göttliche Wesenheit,
würde nicht mehr notwendig eine (wie immer geartete) pflichtbewusste
Beachtung eines Normensystems als elementare Grundlage sittlichen
Verhaltens im Sinne des egoistischen Kalküls „do ut des“ in den
Vordergrund stellen; vielmehr dieses aus eigener innerster Überzeugung
(pietas) zum Wohle der irdischen Gemeinschaft und nicht um das
Wohlgefallen eines Gottes oder „himmlischen Lohn“ zu erheischen.
Bezogen auf die Annahme der Existenz eines göttlichen Wesens (und nicht
einer dogmatischen Gottesvorstellung folgend) würde die wesenhaft innere
Überzeugung (der Mensch als ethisch handelndes Wesen) gewissermaßen
göttliches Wirken als numen transformieren, wie ich es hier vor einiger
Zeit mit dem Zitat aus dem Tagebuch eines früheren UN-Generalsekretärs
Dag Hammerskjöld ausdrückte: „numen semper adest“.
Abseits dieser hier beschriebenen - auf Religion und Glauben basierenden
- Begrifflichkeit von Ethik und Moral gilt es für alle Menschen unserer
Zeit, mit den Mitteln von Wahrnehmung, Verstand und Vernunft sowie
entsprechender Inferenz eine bestmögliche soziale Kompetenz auszubilden.
Es ist eine aus dem eigenen Charakter (Ethos) erwachsende
Verantwortlichkeit, die einer (von Religion und Ideologie unabhängigen)
grundsätzlich angelegten Ethik folgt und damit als Lebensaufgabe jedes
an Zielen und Lebenssinn orientierten Menschen in seinem unmittelbar
persönlichen, wie selbstredend auch im weiteren gesellschaftlichen,
wirtschaftlichen und ökologischen Umfeld gesehen werden kann.
Bester Gruß! - Karl
PS: Damit die Beiträge nicht zu lang werden (wie so oft bei mir), möchte
ich auf Deine weiteren Argumente demnächst eingehen.