Moin Thomas,
ich hatte historisch-faktisch argumentiert, Du antwortest mir wieder phänomenologisch. Wie
soll ein Nichtphänomenologe Dich verstehen können? Ich beginne in der Alltagspraxis,
beziehe mich umgangssprachlich auf ihre Fakten und versuche kritisch die sprachlichen
Ungenauigkeiten und Verzerrungen, die verbreiteten Vorurteile, Gewohnheiten, Bräuche und
Traditionen historisch zu überdenken. Denn alles ist geworden, nicht einfach vorhanden. Du
sprichst von der "Qualität Abzählbarkeit", ich beginne mit dem Zählen und
konstruiere mir etwas Mathematik nach. Was hat Deine "Qualität" damit zu tun?
Als Beispiel wählst Du Stimmungen, die gefühlt sehr wohl abzählbar sind, in dem wir sie
bewerten. Das ist noch Alltag und gilt bis hin zur Gestimmtheit in einer Situation.
"Es herrschte eine tolle Stimmung", ist doch ein häufig verwendeter Satz.
Und auch Stimmen und ihre Interaktionen sind über die Empfindungen hinaus mathematisch und
physikalisch exakt erfassbar. Damit begannen doch schon Fechner und Helmholtz.
Was ich beim Musikhören erlebe, ist natürlich nur mir leiblich gegeben, aber das
Schallfeld ist von den Quellen her über den Raum bis in mein Innenohr genau bestimmbar. An
Fechner und Helmholtz knüpfte ja Bekesy mit seiner Physiologie des Hörens an. Beim
Übergang ins auditive Projektionszentrum wird es sehr kompliziert und entsprechend
anspruchsvoll die mathematischen Modelle.
Kurz geschrieben: Ich sehe nicht, wie mir irgendeine "Qualität" beim
Nachvollziehen meiner (inneren) Stimmungen wie der (äußeren) Stimmen helfen kann. Worte,
die für Qualitäten stehen sollen, sind doch viel zu vage als dass sie ein Schallfeld
charakterisieren könnten. Das mathematische Modell dagegen gewährleistet nicht nur die
formale Gegenständlichkeit der stimmlichen Interaktionen, sondern auch ihren physischen
Verlauf nach Frequenz, Zeit, Dynamik u.a.
Auch Dir ein frohes neues Jahr!
IT
Am 06.01.25 um 09:19 schrieb "Dr. Dr. Thomas Fröhlich":
Lieber Ingo,
die Qualität der Abzählbarkeit eignet Kohärenzen dann, wenn sie klar abzugrenzende und in
sich unveränderliche Instanzen sind. Dann haben sie die bleibende Eigenschaft, abzählbar,
das heißt auf ebenfalls klar abzugrenzende Weise auf in sich unveränderliche Zeichen
abgebildet werden zu können. Wo sowohl die Entzeitlichung als auch die klare Abgrenzung
nicht möglich sind, wie etwa bei sequentiellen Kohärenzen in Form von vorherrschenden
Stimmen als interaktionelle Stimmungen, fehlen beide Grundlagen der Abzählbarkeit,
Kategorisierungen sind zwas behelfsweise möglich, suggerieren aber fälschlich, dass
Stimmungen wie getrennt voneinander vorliegende Gegenstände gegeben seine. Erstens sind
sie nicht streng und deutlich markiert getrennt, zweitens sind sie im permanenten Übergang
und in permanenter Verschmelzung mit weiteren, als Stimmung kategorisierten Stimmungen
begriffen.
Sie sind, kurz gesagt, keine Gegen-stände: sie stehen nicht, und sie stehen uns nicht als
klar abgegrenztes Objekt gegenüber. Ihnen fehlt die Qualität der Abzählbarkeit, und auch
im Analog, den Kategorien und Begriffen können sie nur vage umschrieben, aber nicht
eindeutig und punktgenau abgebildet werden.
Viele Grüße und guten Start ins neue Jahr,
Thomas
> Am 05.01.2025 um 10:01 schrieb Ingo Tessmann über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at
<mailto:philweb@lists.philo.at>>:
>
>
>
>> Am 04.01.2025 um 13:01 schrieb Dr. Dr. Thomas Fröhlich über PhilWeb
<philweb(a)lists.philo.at <mailto:philweb@lists.philo.at>>:
>>
>> Die Leibphilosophie, die sich dagegen entwickelt hat krankt aber immer noch an
einer mangelnden Auffassung von Natur als sich wechselseitig erscheinender, als
aspekthafte Information aufnehmende und diese verarbeitende Interaktionsdynamik.
>>
>> Die Aspekte des sich wechselseitig Erscheinen-Könnens, die allem Erscheinenden
zueigen sind sind die, die für jedweden Raum und jedwedes Zeiten gelten, und die deshalb
in Skalen messbar sind: es sind die Aspekte, auf die sich Naturwissenschaften beziehen.
>>
>> Mathematik wiederum ist das am strengsten durchdeklinierte System definierter
Wechselbezüglichkeit, und gilt daher für alle Wechselbezüglichkeit (im Sinn der
wechselseitigen Abbildung aufeinander mit Mitteln der Algebra und Topologie), die zugleich
allgemein und darin streng definiert ist. Sie ist nicht deskriptiv, erfasst aber
allgemeine Aspekte, die für die Beschreibung zu nutzen sind.
>
> Moin Thomas,
>
> in der von der Leibphilosophie vernachlässigten Interaktionsdynamik treffen wir uns,
nicht aber in der auf Nützlichkeit reduzierten Mathematik; denn Quantität und Zahligkeit
gehen Qualität und Sprachlichkeit voran. Bereits Neugeborene schreien lauter oder leiser,
modulierter oder gleichförmiger, gestikulieren, grimassieren mehr oder weniger, bewegen
sich spontan vielfältig, klammern und schmiegen sich an. Und damit beginnt ja schon die
physisch-quantitative Interaktionsdynamik. Die Leiblichkeit ist primär quantitativ und
erst daran anschließend narrativ und umgangssprachlich. Von den ersten
Lust- und Schmerzensschreien über das vielfältige Fühlen und Empfinden bis hin zu den
umgangssprachlichen Ausdrücken ist es ein weiter Weg.
>
> IT
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