Kinder erleben alles zum erstenmal mit aufgerissenen Augen und jedenfalls noch nicht mit
der müden Routine vieler Älterer. Sie sind zwar die Könige der Welt, wollen aber nur Spass
haben und legen keinen Wert auf ein Hofprotokoll. Das ist aber nicht ihr Verdienst. Sie
kennen das eben noch nicht. Die Stolpersteine liegen noch vor ihnen.
Erwachsene haben mehr erlebt und, wenn es gut gelaufen ist, sogar etwas daraus gelernt.
Sie sind diejenigen, die allein den Laden am laufen halten können und müssen. Ihre
spezifischen Defizite, Kindern völlig fremd, sind z.B. Verknöcherung, Aufgeblasenheit,
berechnendes, manipulatives Verhalten, Fanatismus, Mitläuferei, Querdenkerei etc. etc. Die
Liste liesse sich endlos verlängern. Je älter man wird, desto gründlicher kann man sich
verlaufen.
Nach der Kindheit nicht mehr ganz angemessen ist, immer die Hand aufzuhalten, ohne
irgendwas zu liefern. So kann die Welt nicht funktionieren.
Ein Fall fürs Panoptikum ist der sogenannte Berufsjugendliche, weder wirklich jung, noch
wirklich erwachsen.
Der Idealfall wäre vielleicht, ohne Hornhaut auf der Seele erwachsen zu werden und sich
nicht für allzu wichtig zu halten, wofür du hier ja ein schönes Beispiel lieferst.
Du fragst nun, wie es mit der Fähigkeit, Gegenstimmen zu Wort kommen zu lassen, in
verschiedenen Lebensaltern aussieht.
Meine Vermutung ohne praktische Erfahrung (die eigene liegt so lange zurück, daß ich mich
nicht daran erinnern kann) und theoretische Kenntnisse wäre, daß Kleinkinder
Fressmaschinen sind, bei denen Habenwollen und zugreifen eins ist. Daß sich das Interesse
für andere und ihren Zustand dann vielleicht mit der Zuneigung entwickelt.
Andererseits gibt es ja auch Wichtigtuerei und Rechthaberei als spezielle
Erwachsenenkrankheiten, s.o. Das willst du nicht. "Anything goes" scheint mir
aber auch nicht erstrebenswert. Eine Alternative zu beidem wäre vielleicht, in Sachfragen
schon zu urteilen, so gut oder auch schlecht man kann und Einwände zuzulassen
Claus
Am 21. Nov. 2020, 12:01, um 12:01, Rat Frag via Philweb <philweb(a)lists.philo.at>
schrieb:
[Philweb]
Hallo,
zunächst entschuldige ich die für mich unübliche Zitierweise, aber
dieser Beitrag ist bei mir im Spam gelandet und ich hoffe ihn dadurch
wieder hervorzuheben.
Erwachsenwerden ist zunächst einmal ein physiologischer Prozess, der
durch unsere biologischen Baupläne grundsätzlich vollständig
determiniert wird. Zunächst verlieren wir unsere Milchzähne, dann
wächst uns der erste Bart (stellvertretend für andere Behaarung
genannt) und während dieses Prozesses verändern wir uns auch geistig.
Das ist nicht allein eine psychische Reaktion darauf, was mit den
Körper passiert, sondern offenbar passiert da auch etwas im Geist
selbst.
Das Kind denkt anders als der Pubertierende, der Erwachsene wiederum
blickt mit Scham auf seine Jugendsünden.
Ist es nun eine gute Idee, diese physiologisch-psychologische
Entwicklung auch normativ aufzuladen ("wir müssen endlich erwachsen
werden")? Für viele Psychologen scheint das eine Art schwer zu
überwindende Versuchung zu sein. Andere dagegen sehen die erwachsene
Perspektive als falsch, "Kinder an die Macht", bzw. Markus 10., Vers
15.
Wenn ich nun dieses Zitat lese und versuche es zu verstehen, dann
kommen mir in der Tat ein paar Gedanken. Als Kind oder Jugendlicher
hat man häufig dieses Gefühl, dass eine bestimmte Seite eines
Konfliktes im Recht ist und die andere Seite sozusagen "besiegt"
werden soll. Mir wurde bereits als Jugendlicher klar, dass es manchmal
die überlegene Geisteshaltung ist, sich mit dem eigenen Urteil
zurückzuhalten, am Besten gar nicht zu urteilen, sondern beide Seiten
zu Wort kommen zu lassen. Das kann manchmal hart sein, wenn man das
dringende Bedürfnis verspürt, widersprechen zu wollen.
Auch erscheint man auf diese Weise nicht unbedingt als "starker
Anführer" oder zuverlässiges Stimmrohr. Dennoch ist diese Qualität
meines Erachtens unabdingbar, wenn man akademisch oder demokratisch
sich weiterentwickeln will. Man muss der Gegenseite zumindest eine
Chance lassen.
Auch wenn ich es nicht für klug halte, wenn man das ganze
"gesellschaftspolitisch" wendet, ist das vielleicht unser heutiges
Problem: Zu viele Leute "Wissen" einfach schon, was die richtige
Antwort auf verschiedene Fragen ist und haben daher kein Verständnis
dafür, dass die Gegenseite ebenfalls zu Wort kommen soll oder warum
man darüber noch lange diskutiert.
Die richtige Seite ist ja offensichtlich, die "falsche Seite" soll
sich gefälligst geschlagen geben. Das ist auch ein Phänomen, das wir
auf allen Seiten des politischen Spektrums und bei fast allen
Bewegungen beobachten können.
Gruß
Am So., 8. Nov. 2020 um 14:16 Uhr schrieb Joseph Hipp via Philweb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
[Philweb]
Gefunden unter
https://www.nachdenkseiten.de/?p=66601, und dort aus:
Alexander Kissler diagnostiziert in seinem Buch „Die infantile
Gesellschaft“,
zitiert:
„Die Kunst des Erwachsenenseins besteht darin, Distanz zu ertragen,
abstrahieren zu können, von sich selbst absehen zu können, den
Unterschied zwischen drinnen und draußen, Privatheit und
Öffentlichkeit,
Ich und Nicht-Ich ermessen zu können. (...) Er
(der Erwachsene; UB)
hält
weder die Welt für eine Ausformung des Ichs noch
das Ich für einen
bloßen Wurmfortsatz der Welt. (...) Unter Erwachsenen spricht man auf
erwachsene Art und Weise miteinander. Man versteckt sich nicht hinter
Wolken der Empfindsamkeit oder in der Maske der Rechthaberei“ (S.
216-217).
Nun eine Frage: Haben bisher Kinder die Frage im
Betreff beantwortet?
Joseph Hipp
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