Am 27.02.2021 um 19:20 schrieb K. Janssen via Philweb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
Ich würde generell lieber von Freiraum als von Freiheit sprechen. Zu oft wird Freiheit
als gewissermaßen grenzenlos verfügbar gesehen – und doch endet diese meist abrupt, wo
subjektiv ausgelebte gegen kollektive Freiheit steht.
Freiraum ist bedeutungsgleich mit Spielraum, der immer begrenzt und dennoch unverzichtbar
ist. Das zeigen technische Modelle (wie so oft): Keine Welle dreht sich ohne „Spielraum“
d.h. Toleranz. Vielleicht verständlicher dargestellt am Kolben des Motors, der ohne
präzise geformten (gehonten) Spielraum im Zylinder klemmt und dagegen mit zu viel Toleranz
(Freiheitsgrad) die zur Leistung erforderliche Verdichtung verliert.
Hi Karl,
Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit zu verstehen, hätte schon längst Liberale und
Grüne zuzammenbringen müssen!? Im Gegensatz zu den Grünen ist es mit den Liberalen in der
BRD allerdings nicht weit her, dabei hatten sie nach der ersten Wahl zum Reichstag 1871
noch die Mehrheit erlangt. Und in der Fortschrittspartei wirkten so findige Forscher wir
Robert Virchow mit, heute entspräche ihm Christian Drosten, der allerdings kaum Zeit für
politisches Engagement finden dürfte.
An was ich zum "Freiraum" oder "Spielraum“ denken musste, hatte ich gerade
gelesen in: „Two generalizations of Markov blankets“:
https://arxiv.org/abs/1903.03538
Auf Seite 2 ist farblich unterlegt veranschaulicht, was wahrscheinlichkeitstheoretisch mit
„Freiraum“ oder „Spielraum“ berechenbar gemeint sein mag.
Gemessen an Wahrscheinlichkeiten, die definitionsgemäß zwischen 0 und 1 liegen, gibt es
mit 0 < möglich < 1 ja stets einen Übergang zwischen unmöglich 0 und notwendig 1.
Das gilt auch noch für die deterministischen Verlaufsgesetze der Physik, die ja aufgrund
der nie beliebig genau erfassbaren Einschränkungen durch Anfangs- und Randbedingungen
stets zufallsbeeinflusst bleiben.
Und dennoch: wie sich Technik in Technik einfügen
muss, ist es auch mit dem Freiraum der Menschen bestellt. Innerhalb eines durch und durch
festgelegten (berechneten) Systems müssen Spielräume existieren. Es sind immer nur
begrenzte, aber wesentliche Freiheitsgrade, wie sie permanent durch (notwendigerweise)
winzige Symmetriebrüche vorgegeben sind: Determinismus, wie er durch die Tatsache
festgelegt ist, dass sich jeweils und immer das Wahrscheinlichste aus der
Wahrscheinlichkeit unendlicher Potentialität verwirklicht. Das steht der Dawkin‘schen
These vom „blinden Zufall“ der Weltentstehung elementar entgegen!
Ich halte Dawkins Zufallsverständnis durchaus mit dem aus der Physik ebenso wie mit Deinem
für kompatibel. Im Preface aus THE BLIND WATCHMAKER ist zu lesen: "It is almost as if
the human brain were specifically designed to misunderstand Darwinism, and to find it hard
to believe. Take, for instance, the issue of 'chance', often dramatized as blind
chance. The great majority of people that attack Darwinism leap with almost unseemly
eagerness to the mistaken idea that there is nothing other
than random chance in it. Since living complexity embodies the very antithesis of chance,
if you think that Darwinism is tantamount to chance you'll obviously find it easy to
refute Darwinism! One of my tasks will be to destroy this eagerly believed myth that
Darwinism is a theory of 'chance'. Another way in which we seem predisposed to
disbelieve Darwinism is that our brains are built to deal with events on radically
different timescales from those that characterize evolutionary change.“
Das Wahrscheinlichkeitsmaß des "evolutiven Zufalls“ ist also nicht gleichzusetzen mit
dem des reinen Zufalls, wie er sich in der Radioaktivität zeigt. Dabei drängt sich mir
gerade die Frage auf, wie wohl Deterministen die zufälligen radioaktiven Zerfälle in ihre
Metaphysik integrieren. Unterstellen sie womöglich eine irgendwie unterliegende Schicht
der Ordnung und Bestimmtheit?
IT