Karl, ich wollte eigentlich nur sagen, dass unsere Begriffsbildungen zwar nicht jenseitige
Wesenheiten wiederspiegeln, aber auch nicht voraussetzungslos sind.
Bei "Baum" z.B. würde zu den Voraussetzungen zwar nicht die Farbwahrnehmung
gehören - auch ein Farbenblinder kann den Ausdruck verstehen - aber u.a. die
hell-dunkel-Wahrnehmung oder zumindest taktile Wahrnehmung. Die kann man nach
entsprechenden Experimenten mit physiologischen Gegebenheiten in Verbindung bringen. Sie
ist darin aber nicht enthalten. Wir könnten sagen, dass wir nur eine bestimmte Wahrnehmung
haben, wenn ein bestimmter physiologischer Vorgang stattfindet. In dieser Terminologie
könnte auch ein Blinder "sehen". Von einem üblichen Sehtest hätten wir uns damit
verabschiedet.
Unter Berücksichtigung der Voraussetzungen unserer Begriffsbildung finde ich es nicht
abwegig, von "angeborenen Ideen" zu reden, die wir uns nicht ausgedacht haben.
Statt "Mannigfaltigkeit" (Kant) könnte man auch "komplexes Gebilde"
oder "Lebensvielfalt" sagen.
Claus
Am 16. März 2023 03:13:43 MEZ schrieb "Karl Janssen über PhilWeb"
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
Hallo Claus,
offen gestanden, vermag ich nicht auf Anhieb zu kapieren, auf was Du – bezogen auf den
herausgeschnittenen Passus meiner Ausführung – hinaus willst. Nebenbei gesagt, finde ich
überhaupt nichts dabei, wenn Du in dieser Art auf einen Beitrag von mir eingehst.
Offenbar geht es Dir um Eigenschaften als „Mannigfaltigkeiten“ einer Gesamtheit, also hier
beispielsweise Einzelnoten, die in geeigneter Anordnung eine Melodie (als
Gesamt-Komposition) abbilden oder – sofern auf einem Instrument gespielt – diese hörbar
machen. Dieses Beispiel könnte verdeutlichen, dass mit einzelnen Noten – ohne entsprechend
rhythmische resp. harmonische Aneinanderreihung – keinesfalls der Eindruck von Musik als
Klangfolge vermittelt werden kann.
Vermutlich hab ich's nicht begriffen, was Du damit meinst. Also Mozart oder Beethoven
etwa, jeder dieser Komponisten konnte sich sehr sicher aus einem Notenbild unmittelbar das
damit gezeichnete Gesamtklangbild vergegenwärtigen. Das kann musikalischen Laien nicht
gelingen.
Wenn ich ein mir unbekanntes Stück vom Notenblatt auf der Geige spiele, muss ich mir die
Noten „stückweise“ aus dem Blatt heraus lesen und dann Ton für Ton streichen. Bei einem
bekannten Stück hingegen sehe ich die Noten quasi ganzheitlich und spiele sie fast
unbewusst „herunter“ und damit bin ich viel eher „ganzheitlich“ bzw. geschlossen
unterwegs, als wenn ich Note für Note aneinander gereiht fideln muss.
Nehme ich Dein Beispiel von Baum, Wurzeln und Ästen, versuche ich auch an einem
praktischen Beispiel zu verstehen, was Du damit gemeint haben könntest. Ab und zu zeichne
ich etwas und das könnte nun so ein Baum sein, um den herum sich irgend etwas gruppiert.
Ich bemerke dann immer wieder, dass ich mich mit Einzelheiten (hier also Wurzeln, Stamm,
Zweigen, Blättern) schwer tue, sie zu malen, wenn ich mich darauf als Einzelheit
konzentriere, weitaus weniger hingegen, wenn ich den Baum als Ganzes im Kopf habe und
diesen auch erst mal so skizziert zeichne, um danach erst die Einzelheiten zu
„verfeinern“.
Ich merke aber, dass ich immer noch nicht begriffen habe, auf was Du mit diesen Beispielen
als Verhältnis von Einzelheit zur Gesamtheit hinauswillst. Mich jedenfalls bringen diese
Überlegungen zu der Annahme, dass man ein Musikstück oder einen Baum als Gesamtheit eher
ein seiner Wesenheit wahrnehmen und beschreiben kann, als in der Summe seiner Teile.
Dann komme ich nochmal auf mein abstrakt formuliertes Beispiel zu sprechen. Aus
lebenspraktischer, also Alltagssicht nehmen wir einen Baum in seiner Ganzheit wahr, ohne
uns dabei bewusst zu sein bzw. zu werden, dass es sich dabei eigentlich um
quantenmechanische „Wellenberge“ handelt, die neurobiologisch in unser Gehirn/ZNS
„eingekoppelt“ werden und dort „informationstechnisch“ verarbeitet, als geschlossenes Bild
eines Baumes aufscheint. Es ist somit Schein und nicht materielle, sondern konstruierte
Wirklichkeit.
Ob ich das nun verständlich und obendrein zutreffend formulieren konnte und überhaupt Dein
Anliegen verstanden habe?
Melde Dich einfach wieder, wenn noch Fragen sind.
Bester Gruß! - Karl
Am 15.03.2023 um 19:48 schrieb Claus Zimmermann
über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Am 15. März 2023 02:56:30 MEZ schrieb "Karl Janssen über PhilWeb"
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
So erweisen sich aus meso-/makroskopischer, also
lebenspraktischer Sicht heraus, neurobiologisch rezipierte und verarbeitete mikroskopische
Wellenpakete als deutlich erkennbare, konkrete materielle Objekte, wie man diese im
alltäglichen Leben wahrnimmt.
Ich weiss, es gehört sich nicht, Karl, aber ich schneide trotzdem nur diesen Satz aus
deiner mail heraus, vernachlässige noch den naturwissenschaftlichen Inhalt und beschränke
mich auf den Zusammenhang zwischen Alltagserfahrung und Begriffsbildung, wie ich ihn sehe.
Ich missbrauche den Satz nur als Aufhänger, was natürlich nicht gerade höflich ist.
Ausdrücke, die "Mannigfaltigkeiten" bezeichnen (der Gegensatz dazu wäre, was
nicht beschrieben, sondern nur gezeigt werden kann wie z.B. eine Farbe -oder auch eine
zwar aus Tönen zusammengesetzte Melodie, die aber dann zu einer Einheit wird- und dann
entweder verstanden wird oder nicht) sind Abkürzungen für eine Mehrzahl von
Zuschreibungen. Statt "Ding mit Stamm, Wurzeln, Zweigen und Blättern" sagt man
z.B. der Einfachheit halber "Baum". So auch bei "Stamm",
"Wurzel" etc. Dann gibt es Eigenschaften, die ein Baum haben muss, um einer zu
sein und andere, die ihn zwar nicht zum Baum, aber zu diesem speziellen Exemplar machen
wie z.B. die Grösse, die Form der Blätter etc. Wir sind zwar grundsätzlich in der Bildung
dieser abkürzenden Ausdrücke frei, aber es dürfte kein Zufall sein, dass wir keine
spezielle Abkürzung für "Ding mit Stamm, Rädern und Flügeln" gebildet haben,
weil uns so etwas in der Praxis nicht begegnet.
Anders als im Fall der Farbe oder der Melodie müssen wir keinen Schimmer von einem Baum
haben, um ihn zu erkennen, wenn er uns begegnet. Man kann sich so etwas auch ausdenken wie
ein Fabelwesen, anderen beschreiben und es wird verstanden.
Wie er uns begegnet, hängt allerdings auch davon ab, ob wir einen Schimmer von Farben
haben und wenn wir die anderen Sinne dazunehmen, wird aus dem "wie" ein
"ob".
Claus
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