Am 01.04.2023 um 17:39 schrieb Rat Frag
<rat96frag(a)gmail.com>om>:
Am Do., 30. März 2023 um 14:12 Uhr schrieb Ingo Tessmann über PhilWeb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
Diesen Text überliefend, gestatte ich mir dann einige Bemerkungen zu treffen:
1. Es scheint so zu sein, dass eine mystische Weltanschauung sich mit
der Mathematik gut verträgt.
Hi RF,
eine „mystische Weltanschauung“ kann ich weder bei Brouwer noch bei Fromm erkennen. Bezug
nehmen beide lediglich primär auf das Innenleben. Bei Brouwer ist es die Intuition, bei
Fromm das Erleben: Dabei bezieht Brouwer sich auf die Zweiheit in der Reihenfolge der
Erlebnisse im Bewusstsein zwischen Erinnerung und Vermutung bzw. Vergangenheit und
Zukunft:
"The first act of intuitionism … is an essentially languageless activity of the mind
having its origin in the perception of a move of time, i.e. of the falling apart of a life
moment into two distinct things, one of which gives way to the other, but is retained by
memory. If the two-ity thus born is divested of all quality, there remains the empty form
of the common substratum of all two-ities. It is this common substratum, this empty form,
which is the `basic intuition of mathematics'.“
Dass unser Hirn ständig Prognosen erstellt und mit dem Gedächtnis abgleicht, ist heute
Untersuchungsfeld der Neurowissenschaft und Kognitionsforschung. Zudem ist ja bekannt,
dass Menschen eine primitive Zahligkeit bis 3 oder 4 angeboren ist. Wir hatten das ja
bereits thematisiert. Auch davon ausgehend lässt sich das Weiterzählen explizit machen im
Zählzeichenkalkül, wie Lorenzen es ja gemacht hat.
Brouwer geht von Intuitionen im Erleben aus, Lorenzen von hingeschriebenen Strichlisten.
Nach Fromm sind die dann zu haben und nicht mehr dem Sein verhaftet; denn „Haben bezieht
sich auf Dinge, und Dinge sind konkret und beschreibbar. Sein bezieht sich auf Erlebnisse,
und diese sind im Prinzip nicht zu beschreiben.“ Hinzuzufügen ist, dass die Dinge erst aus
der Verdinglichung des Geschehens hervorgehen und ebenso Erlebnisse erst dem
Bewusstseinsstrom erwachsen. In der Außenwelt geht es um Ereignisse im Geschehen, in der
Innenwelt um Erlebnisse im Erleben.
2. Die Fromm'sche Interpretation von Brouwer
scheint mir tatsächlich
etwas befremdlich.
Mir scheint Pambuccian’s Zusammendenken von Brouwer und Fromm nicht etwas befremdlich.
Fromm’s sozialpsychologischer Zugang passt doch gut zur Bewusstseinsorientierung
Brouwer’s. Aber Lorenzen's operative Begründung der intuitionistischen Logik liegt mir
natürlich näher. Dennoch halte ich den Intuitionismus nicht für mystisch. Aber er steht
natürlich Psychologie, Phänomenologie, Spiritualität nahe. Passt insofern auch in die
angedachte „Bewusstseinskultur“ Metzingers.
Der sagt immerhin voraus, dass es neben den zu erwartenden physikalischen auch einen
entscheidenden psychologischen Kipppunkt geben wird: „Der `globale Panikpunkt’ wird der
historische Moment sein, in dem die große Mehrheit der ganz normalen Menschen auf unserem
Planeten wirklich realisieren wird“, dass 1. die Warnungen aus der Wissenschaft wahr sind,
es aber 2. zu spät ist, die sich beschleunigende Katastrophe abzuwenden.
Angesichts der Klimakrise scheint es mir absurd, noch einer Perspektivität das Wort zu
reden, nach der Religionen und Naturwissenschaften bloß verschiedene Hinsichten der
Weltbetrachtung sein sollen. Hartmut von Sass vergleicht dazu in seinem Buch „Atheistisch
glauben“ die vielen möglichen Sichtweisen auf eine Zeichnung mit denen „auf unsere Welt in
ihrer Gesamtheit“. Wie kann man noch immer diesen postmodernen Unsinn unter die Leute
bringen; denn was hat die naturwiss. Analyse einer Zeichnung mit der unserer Weltlage zu
tun? Kunst- und Naturinterpretationen gibt es viele, aber nur die naturwiss. stimmen und
sind wahrscheinlich. Wohl erst am Panikpunkt werden die Menschen das einsehen bzw. zu
erleiden haben.
… Worum es im Kern also geht ist der indirekte
Nachweis der Existenz.
Dass man also postulieren kann, ein mathematisches Problem habe eine
Lösung, ohne eine angeben zu können.
Mir scheint dies nach einigen Nachdenken durchaus berechtigt. Es gibt
Situationen in denen wir die Existenz einer Sache indirekt nachweisen
können.
Indirekte Beweise ebenso wie implizite Definitionen funktionieren nur in der klass. Logik.
Insofern anerkennst Du die in Deinem Nachdenken. Und an welche Situationen denkst Du
hinsichtlich indirekter Nachweise? Wenn es um Indizienbeweise geht, um bspw. vorsätzliche
Täter ohne Leichen als Mörder zu verurteilen? Das Läge dann im Spielraum der
Prozessordnung. Aber sollte es auch in der mathematischen Logik Spielraum geben? Implizite
Definitionen ließen sich konstruktiv anerkennen, wenn sie rekursiv konvergent sein
sollten.
IT