Hi Claus,
das Problem hatten wir hier schon wiederholt behandelt. Formale Korrelationen sind durch
physische Wirkungungszusammenhänge und kausale Modelle zu ergänzen, um als Kausalbeziehung
zu gelten. Nehmen wir als Beispiel Ignaz Semmelweis. Mit ihm begann die evidenzbasierte
Medizin. "Die Aetiologie, der Begriff und die Prophylaxis des Kindbettfiebers“
erschien 1861. Semmelweis begann mit dem Vergleich von Sterbefällen im Kindbett
verschiedener Kliniken. Dabei fiel ihm auf, dass wesentlich weniger Frauen an
Kindbettfieber erkrankten, wenn sie Geburtshilfe von Hebammen und nicht von Ärzten
erhalten hatten.
Heute kennen wir die genauen Gründe für die Wirksamkeit der Hygiene aufgrund der
physischen Wirkungungszusammenhänge und kausalen Modelle, wie sie in der Keimtheorie
beschrieben werden. Damals handelte es sich lediglich um formale Korrelationen, heute
lässt sich die physische Wirkungskette von den mit Bakterien infizierten Händen der Ärzte
bis in die Organe der erkrankten Frauen verfolgen.
In ihrem Artikel "A Quantum Observation Scheme Can Universally Identify Causalities
from Correlations“ weisen die Autoren darauf hin, dass „in classic cases, it is only
recently that a rigorous framework for causal inferring has been developed“ und verweisen
dabei auf das Buch „Causality" von Judea Pearl aus dem Jahr 2009. Eine Kurzfassung
findest Du hier:
https://ftp.cs.ucla.edu/pub/stat_ser/r350.pdf
<https://ftp.cs.ucla.edu/pub/stat_ser/r350.pdf>
Obiger Artikel zur Quantenmechanik ist ebenfalls klickbar:
https://arxiv.org/abs/1903.03449 <https://arxiv.org/abs/1903.03449>
Was Hume wohl dazu gesagt hätte?
Es grüßt,
Ingo
Am 27.12.2019 um 20:03 schrieb Claus Zimmermann via
Philweb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
[Philweb]
In einem Zeitungsartikel wird die oft gehörte Behauptung angezweifelt, daß Musik
(gründliches Erlernen eines Instruments) schlau mache. Zur Begründung dieser Behauptung
reiche es nämlich nicht aus, einen Zusammenhang zwischen musikalischer Aktivität und
Intelligenz nachzuweisen. Dabei könne es sich auch um eine blosse Korrelation handeln und
nicht um einen Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Es könne schliesslich auch sein, daß
nicht das eine auf das andere zurückzuführen wäre, sondern beides auf ein Drittes, etwa
allgemeine Leistungsbereitschaft.
Aber niemand sagt ja, daß jede Korrelation eine Kausalbeziehung ist. Hume kam zum
Ergebnis, daß es sich bei Kausalbeziehungen zwar nur um Korrelationen handele, die aber
die Besonderheit aufwiesen, daß die Erfahrung sie ausnahmslos bestätigt habe, so daß man
sie am Ende für selbstverständlich hielte.
Daß das Vorliegen einer Kausalbeziehung als widerlegt gilt, sobald die Korrelation nicht
beobachtet wird, ist wohl allgemeiner begrifflich/sprachlicher Standard. Wenn wir also
feststellen würden, daß gute Musiker tendenziell eher dumm sind, kämen uns zumindest
Zweifel, aber wir könnten annehmen, daß sie sonst noch dümmer wären. Um es genauer zu
wissen, würden wir die Entwicklung von Menschen vergleichen, bei denen alle wichtigen
Parameter so ähnlich wie möglich sind und die einen ein Instrument lernen lassen, die
anderen nicht. Dann könnten wir Aussagen über eine Korrelationstendenz machen. Da wir es
hier mit Lebewesen und nicht mit Mechanismen zu tun haben, verwenden wir wohl einen
abgewandelten Kausalitätsbegriff, der sich mit deutlichen Tendenzen begnügt und verlangen
keine Ausnahmslosigkeit der Korrelation.
Aber die Aussage des Artikels ist wohl, daß eine Kausalbeziehung mehr als eine durch
Erfahrung bestätigte Korrelation ist. Da müsste man dann zurückfragen, was denn
hinzukommen muss. Als Antwort würde nicht ausreichen, das "weil" mit besonderer
Betonung zu wiederholen. Es müsste wie jedes Zeichen erklärt werden, durch eine
Gebrauchsanweisung, Beispiele, eine Demonstration oder Ähnliches.
Das war ja die Annahme und das Lebensgefühl der Renaissanceforscher, daß man endlich die
Natur nicht mehr nur an der Oberfläche studiere, sondern ihr unter die Haube sähe und da
die Kausalitäten am Werk beobachten könne. Und dazu war Humes ernüchternder Einwand: unter
der Haube seht ihr auch nur Korrelationen.
Claus
_______________________________________________
Philweb mailing list
Philweb(a)lists.philo.at
http://lists.philo.at/listinfo/philweb