Was bin ich, damit ich WER sein kann. Im Kontext dieser Frage waren
unsere jüngsten Beiträge hier verfasst, die wie immer (allein schon
durch das Erfordernis über zu Schreibendes nachzudenken) lehrreich sind.
Zutiefst verständlich auch, dass unterschiedliche Sichtweisen zutage
treten, mit dem klaren Vorteil jedoch, die eigene Ansicht ggf.
korrigieren zu können. Zudem der Austausch von Ansichten/Fakten
grundsätzlich zu einer vertiefenden Hinwendung auf hochkomplexe
Themengebiete führen kann, gleich, ob das unter philosophischen,
sozio-psychologischen oder naturwissenschaftlichen Aspekten geschieht.
Deshalb ist es m.E. wichtig, nicht zu schnell einen laufenden Diskurs
abzuschließen, etwa infolge geläufiger Antizipation oder (modulo
axiomatischer Fakten) durch die Verwendung ultimativer Definitionen .
Nun möchte man sich (wie von mir kürzlich schon erwähnt), angesichts
einer unübersehbaren Fülle von Theorien, Thesen, Meinungen zu nahezu
allen Lebensbereichen fragen, ob es überhaupt noch sinnvoll und vor
allem weiterführend ist, weiterhin über uns Menschen bzw. generell über
Urgründe von Existenz nachzudenken - ganz im Sinne von Leibnitz‘ Frage,
warum überhaupt etwas existiert und vielmehr nicht nichts, also
schlichtweg dem „woher, warum und wohin“ irdischer Existenz nachzuforschen.
Sollte man sich nicht eingestehen, des Denkens und Schreibens müde zu
werden resp. geworden zu sein, besonders mit Blick auf diese
globalisierte, abgewirtschaftete Welt, die uns tagtäglich (per digitale
Medien eher sekündlich) in all ihrer Misere und Problematik vor Augen
geführt wird.
Liest man nun aber in historischer Literatur (durchaus Jahrhunderte
zurück liegend), zeigt sich, dass es zu jeder Zeit massive Probleme mit
der Bewältigung irdischen Lebens gab und dies (eher lokal und auf das
Einzelschicksal von Menschen bezogen) prinzipiell den immer gleichen
Grundübeln menschlicher Existenz entspricht. So verwundert es nicht,
dass es von Anbeginn die Sehnsucht des Menschen nach (bzw. den Glauben
an) Ausgleich, Vergeltung oder Erlösung von allem irdischen Ungemach
gibt. Wir hatten hier darüber geschrieben („Warum glauben wir“).
Menschen spüren (wie vermutlich alle Lebewesen bei hinreichender
Sensitivität) untrüglich das Vorhandensein außerhalb ihrer eigenen
Körperlichkeit befindliche Instanzen. Sicher war die Interpretation
dieses spirituellen Empfindens ursächlich mit der Befähigung zu dessen
mentaler Verarbeitung und Abstraktion durch die spezifische Ausbildung
adäquater Gehirnstrukturen (vornehmlich präfrontaler/assoziativer
Kortex) verbunden. Damit war erst die Voraussetzung von
instrumentalisierter Spiritualität durch (Geister- resp Götter-)Glauben
und im weiteren Verlauf die Ausbildung diesbezüglich kollektiver
Rituale, vor allem aber der Vorstellung von einem beseelten Körper
gegeben. Mit der Annahme personaler Einheit von Leib und unsterblicher
Seele entwickelten sich Ahnenkult sowie Vorstellungen von
Seelenwanderung und Reinkarnation. Erstaunlich dabei ist, dass die
empfundene Einheit von Leib-Seele dennoch als Zweiheit interpretiert und
damit bereits der Substanzdualismus begründet wurde.
Rätselhafte Ambivalenz: Seele an sich, dieser nichtkörperlich geistigen
„Substanz“, sieht sich der Mensch anschaulich als Objekt gegenüber,
obgleich er Seele subjektiv als im eigenen Körper etabliert annimmt.
Somit wird verständlich, dass man diesem Dualismus kritisch gegenüber
steht. Die tatsächliche Auflösung dieses Rätsels hingegen steht noch
aus. Vielleicht könnte man mit Jaspers sagen, wir würden das Rätsel kaum
spüren, weil wir es nicht befragen.
Insoweit wir uns selbst zum Gegenstand unseres Denkens machen, werden
wir (quasi spiegelbildlich) zu einem anderen und bleiben doch als
denkendes Ich jener, der dieses Denken vollzieht (sinngemäß Jaspers).
Irgendwie ein komplizierter Zusammenhang, wie es eben die
Subjekt-Objekt-Spaltung repräsentiert. Diese Differenzstruktur kann
letztlich nur durch Transzendierung aufgehoben werden, ohne sie im
Grunde beseitigen zu können (Jaspers). Mit dieser Mystifizierung
verliert bzw. verbietet sich jegliches objektbezogene Denken, entzieht
sich das der Realität enthobene Objekt jedem sprachlichen Ausdruck und
bleibt/wird trotz dieser Unsagbarkeit (Wittgenstein) durch unmittelbare
intellektuelle Anschauung, als eine Art übersinnlicher Intuition,
dennoch erlebbar (womöglich doch eher erspürbar).
In heute populär gewordenen spirituell angelegten Deutungen der
Quantenphysik wird die Objekt-Subjekt Trennung als zu überwindende
Illusion beschrieben; hingegen wird eine „alles mit allem verbundene
Einheit beschworen. Dabei übersieht man, dass diese Trennung essentiell
notwendige Voraussetzung für jegliches Leben ist. Theologisch betrachtet
ist Leben nur außerhalb des EINEN, also nur in Differenz möglich.
Biblisch, metaphorisch aufgezeigt durch der Verstoßung aus dem Paradies,
gewissermaßen „in die Welt geworfen“ (Heidegger).
Zurückkommend auf den hier erörterten Leib-Seele-Dualismus, der in
seiner stringenten Interpretation von zwei getrennten Substanzen im
Körper, als eben diesem und einem reinen Geist (Homunkulus) ausgeht,
würde ich diese (für die zu Descartes Zeiten verständliche)
Fehleinschätzung dahingehend ändern, dass sehr wohl Geist im Körper
wirkt; nur eben nicht als darin isolierte Substanz, sondern per
Geist-Körper-Interaktion. Wenn man dieses prozessuale Geschehen von
üblich metaphysischer Betrachtung resp. Auslegung auf die subatomare
Ebene bringt und dabei vornehmlich feldtheoretische Aspekte einbezieht,
kommt man zu einer der Jetztzeit angemessenen Sichtweise dieser
Zusammenhänge. Aus prozessphilosophischer Sicht wird die o.a.
ontologische Differenzstruktur durch funktional prozessuale Relation
zwischen Körper und Geist im Sinne einer ständigen Weiterentwicklung,
also einer Art Optimierung durch stetes Werden (Werden vor Sein)
letztlich überwunden.
Hier nun kommt die Frage in‘s Spiel, ob und wie die Funktion dieser
Interaktion (bidirektionaler Informationstransfer) zwischen Körper und
Geist (abseits hinlänglich bekannter metaphysischen Deutungen)
weitestmöglich unter naturwissenschaftlichem Aspekt zu erklären wäre.
Mein Ansatz dazu liegt (wie ich es hier bereits angeführt habe) in der
Betrachtung feldtheoretischer Zusammenhänge. Der menschliche Körper, als
unverbrüchlicher Teil von Materie- und Kraftfeldern, befindet sich mit
diesen in permanenter funktionaler Wechselwirkung.
it ...Und da die Information ähnlich der Entropie an Energie gebunden
ist, können auch die nicht „immateriell“ sein. …
Den Begriff der Immaterialität benütze ich (wie schon erwähnt) dabei
lediglich als Ausdruck von Nichtkörperlichkeit im üblichen
Sprachgebrauch. Unter dem Gesichtspunkt der grundsätzlich an Energie ~
Masse gebundenen Information ist die Annahme von Immaterialität
selbstredend unzutreffend.
It: Was mich bei Deiner und auch beispielsweise bei der Redeweise vieler
Physiker (wie etwa auch H. P. Dürr) stört, ist die Annahme der
„Immaterialität“ von Feldquanten, wie Photonen bzw. Licht.
Auch hier ist natürlich die spezifische Interpretation von
Immaterialität zu sehen. Dürr benutzte (wie für ihn typisch) zur
Verdeutlichung seiner Denkmodelle eine sehr anschauliche Sprache. In
o.a. Zusammenhang postulierte er: „es gibt keine Materie“, was auf
Anhieb nur irritieren kann. Betrachtet man seinen Denkansatz jedoch
genauer, wird seine Intention deutlich: Er definiert, dass die Form
(somit die Information) und nicht die Materie als das eigentliche
grundlegende Agens der Elementarteilchen anzusehen ist.
Aus dem anfänglich „EINEN“ differenziert sich mittels (gestaltgebender)
Morphogenese die materielle Vielfalt (Ontogenese) unserer Lebenswelt als
sich stetig fortsetzendes evolutionäres Geschehen. Zugegebenermaßen
bedient man sich bei dieser Art Beschreibung einer mysteriös anmutenden
Ausdrucksweise, die üblicher, strikt naturwissenschaftlicher
Terminologie entgegen steht. Dürr rechtfertigte seine diesbezüglichen
Wortschöpfungen z.B. „Wirks“ oder „Passierchen“ damit, dass zu
hinreichender Beschreibung der unvorstellbaren Komplexität, die sich bei
der Erforschung von Quanten-/Astrophysik und Kosmologie zeigt,
herkömmliche Beschreibungsweisen versagen.
Wesentlich aber bei Dürrs Denkmodell ist, dass nicht Materie an sich die
fundamentale Rolle im „Weltgeschehen“ spielt, sondern formgebundenes
permanentes „Passieren“, also stetig sich ereignendes universales
Prozessgeschehen. An eine Form, also an Information gebunden, heißt
natürlich auch an Materie resp. Masse geknüpft (Masse jedoch lediglich
als Informationsträger und nicht in primärer Funktionalität).
Soweit (erst mal) zu meinem Verständnis von Dürrs Darlegungen.
Es wird hier wieder mal zu lang und daher ein break :-)
Bester Gruß in die Runde!
Karl
Am 17.09.2020 um 17:43 schrieb Ingo Tessmann:
Am 16.09.2020 um 03:23 schrieb K. Janssen via
Philweb
<philweb(a)lists.philo.at <mailto:philweb@lists.philo.at>>:
Rein stofflich gesehen ist das sicher zutreffend. Nichtstofflich
könnte ein anderes Denkmodell greifen. Unter „immateriell“ verstehe
ich eher die gängige Begrifflichkeit von Nichtkörperlichkeit im
abstrakten Sinne also sog. Geistiges. Doch auch das „Geistige“ hat
ein stoffliches Substanz-Attribut, das schließlich zur angenommenen
Interaktion (Informationstausch) mit dem Körperlichen zwingend
erforderlich ist. Welcher Art diese Information ist, in welchen
Feldern und per welchen Teilchen sie sich vermittelt, wird man
(soweit ich weiß) derzeit noch aus keiner wissenschaftlichen Theorie
entnehmen können.
Anstatt Deiner oben angegebenen (klassische Form: e=mc²) des
Energietransports, würde bei angenommener Nichtstofflichkeit (Fehlen
von Masse) ein Informationstransfer z.B. per Photonen (ohne
Ruhemasse) möglich sein: Energie (damit auch Information) = E = hν.
Hi Karl,
mir erscheinen Deine Ausführungen zum „Nichtstofflichen“ oder
„Immateriellen“ recht vage. Sehen wir mal von den Stoffen ab, denn die
gehören in die Domäne der Chemie. Physikern liegt die Materie näher,
da grundlegender. Was mich bei Deiner und auch beispielsweise bei der
Redeweise vieler Physiker (wie etwa auch H. P. Dürr) stört, ist die
Annahme der „Immaterialität“ von Feldquanten, wie Photonen bzw. Licht.
Dabei wirkt Licht ja nicht nur elektromagnetisch, sondern auch
gravitativ und seiner Energie lässt sich ebenfalls eine träge Masse
zuordnen. Wodurch unterscheidet sich die von einer Ruhemasse? Über die
"Space-time geometry of relativistic particles“ hat sich Y. S. Kim
vielerlei Gedanken gemacht, die der Betrachtung lohnen:
http://www.terpconnect.umd.edu/~yskim/////home/dwf.html
<http://www.terpconnect.umd.edu/%7Eyskim/////home/dwf.html>
Du kennst ja die Umwandlungsprozesse der Paarerzeugung und
Annihilation, d.h. der Bildung von Ruhemassen und Ladungen u.a. aus
Energie und umgekehrt. Wenn das so ist, kann doch Energie nicht
„immateriell“ sein. Was geht dabei eigentlich genau vor? Das
beschäftigt mich seit Studienzeiten. Zudem gibt es ja noch die
Vakuumpolaristation, die allerdings noch nicht direkt nachgewiesen
werden konnte. Und da die Information ähnlich der Entropie an Energie
gebunden ist, können auch die nicht „immateriell“ sein.
Es grüßt,
Ingo