Am 26.03.23 um 16:33 schrieb Ingo Tessmann über PhilWeb:
Wenn in der schludrigen Umgangssprache darüber hinaus
vieles als
Automat bezeichnet wird, dann ist mir das ebenso zuwider wie Dir. Noch
inflationärer wird ja von Information oder auch Leben gesprochen. Was
nicht alles eine Lebensdauer haben soll!? Warum wird bei technischen
Artefakten nicht besser von Funktionsdauer geschrieben? Lebewesen leben
(und funktionieren), Geräte funktionieren (leben aber nicht).
Einerseits mag eine Klage gegen die Umgangssprache oder einzelne Wörter
angebracht oder nicht angebracht sein. Im Idealfall nutzt der beste
Literat die richtigen Wörter in jedem seiner Sätze, das dürfte bekannt
sein. Wenn es jedoch darum geht, zu einer bestimmten Sache nur ein Wort
zu nehmen, und umgekehrt, dann muss viel nachgedacht werden.
Mir geht es mit der Unterscheidung von Mechanismus und
Organismus
gerade darum, beide nicht gleichzusetzen. Dennoch ist es interessant,
dass sich in Lebensäußerungen vielfach auch Mechanismen nachweisen
lassen, die sich offensichtlich evolutionär herausgebildet haben. D.h.
Lebewesen zeigen auch Mechanismen, aber Mechanismen zeigen keine
Lebensäußerungen.
Dann würden "nachgewiesene Mechanismen, die sich in Lebensäußerungen
herausgebildet haben" keine Lebensäußerung zeigen. Also ein schlagendes
Herz wäre dann tote Materie. Wenn die Mechanismen aber nur in Form von
mathematischen Algorithmen im Kopf des Mathematikers und in diesem Organ
gedacht werden, dann sind es keine vorliegenden Mechanismen, sie haben
sich als solche nicht herausgebildet, wie der Motor eines Kunstherzens.
Wenn Mechanismus nur eine Sache ist, die materieller Natur ist, dann
muss eben ein anderes Wort her für das, was sich herausgebildet hat, ich
würde annähernd das Wort Algorithmus nehmen. Und mit den zwei Wörtern
entstehen passendere Fragen als mit dem Verquickungswort "Mechanismus",
mit dem offen ist, ob die Person mechanizistisch oder vitalistisch denkt.
In der Umgangssprache geht das leider ständig
durcheinander.
Auch anscheinend bei dir. Bei mir auch, ok, ich komme dem Tu quoque zuvor.
Deshalb kritisiere ich sie ja immer wieder —
ok
und halte sie weitgehend für bloße Volksreligion.
Das geht ein wenig zu weit mit dem Vergleich. Es mag Sachen gemeinsam
geben, ok.
Die Sprache ist der große Gleichmacher,
So einfach ist das nicht. Das muss von Stelle zu Stelle gefunden und
gesucht werden. Ich habe schon vieles dazu gefragt und keine Antwort
bekommen.
die Mathematik dagegen vermag viele verborgene
Strukturgemeinsamkeiten detailliert hervorzukehren.
Das mag sein, aber an vielen Stellen ist sie nutzlos, insbesondere wenn
der nicht richtige Teil der Mathematik an der richtigen Stelle angewandt
wird. Und das kann Mathematik nicht entscheiden. Gehe mal zum Markt und
wende auf dem Kassenbon die Integralrechnung an. Oder schlage mal eine
mathematische Politik vor.
Sprachkritik ist für mich aber nur Teil der
Ideologiekritik,
Du kannst einteilen wie du willst, ich habe nichts dagegen.
nicht Selbstzweck.
Ja
Gefährlicher als die neutrale Mathematisierung der
Natur scheint mir
ihre umgangssprachliche Vermenschlichung.
Das ist ziemlich ungenau gesagt, so dass ich damit nicht weiterschwafeln
kann.
JH