Am 11.09.2020 um 11:51 schrieb Ingo Tessmann:
Hi Karl,
von der Frage: „Wer bin ich?“, bist Du nach meinem Verständnis zu
schnell zu der Frage: „Was bin ich“, übergegangen.
Ja, das erkenne ich im Rückblick
auf das Geschriebene ebenso. Womöglich
als „Freudsche Fehlleistung“ geschehen oder (vermutlich die
zutreffendere Intention der Fragestellung), um bei Freud zu bleiben: „wo
ES war, soll ICH werden“; also demnach:(aus) WAS bin ich (gemacht), um
WER sein zu können.
Das hat natürlich eine gewisse Affinität zur philosophisch orientierten
Standardfrage: Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?
Künstlerisch brillant dargestellt von Paul Gauguin. Nun ja, das ist eher
nicht unser geläufiges Thema hier.
Bist Du nicht zunächst einfach derjenige, der sich die
Frage stellt?
Mit der Frage könnte man einen Roman oder seine Memoiren beginnen.
So wie diese
sich, gelesen oder nicht, unzählig in den Regalen
(mittlerweile in digitalen Speichern) finden. Doch selbst wer daraus
gründlich gelesen hat, stellt sich diese Frage immer wieder auf‘s Neue.
Aber das wäre Literatur, also: „Was bin ich?“ Atome
und Leere bzw.
Quanten und Felder. Das wäre Physik. Die Philosophie vermittelt, so
wie es Konstantin Wecker zum Abschied Hans Peter Dürrs poetisch
versucht hat:
So wie man Wecker kennt, mal kritisch, mal poetisch kontemplativ. Ja,
die Poesie kann es ausdrücken, da Intuition wie auch Inspiration aus
metaphysischen Ebenen kaum mit normativem Sprachgebrauch darstellbar sind.
Die Metapher vom "gefrorenen Licht“ vermittelt
zwischen den
Lichtquanten, die im Wirkungsquantum bereits Energie und Zeit
hervorbringen, der Photosynthese und Atmung über des Daseins Schönheit
bis hin zum Ahnen mit Erleben: Sind ich und du / und alles immerzu -
vielleicht nur Licht?
Immerhin und vor allem Licht! Photonen als Informationsträger und
Vermittler wechselwirkend lebensbedingender Ordnungsmuster.
Die Wechselbeziehung zwischen „ich und du / und alles immerzu“ ist vor
allem aber auch ein großes Thema der Psychologie, insbesondere mit Blick
auf Martin Bubers „dialogisches Prinzip“:
„Der Mensch wird am Du zum ICH“. Diese Ausrichtung auf
Zwischenmenschlichkeit („...erst der Mensch mit dem Menschen ist ein
rundes Bild.“) drücken die in diesem Zusammenhang geschaffenen
Wortpaar-Begriffe „Ich-Es“ und „Ich-Du“ aus.
Buber formuliert, wer aus „Ich-Es“ spricht, erfährt die Welt, macht sie
sich nutzbar und zweckdienlich, während mit dem „Ich-Du“ das ICH in eine
real unmittelbare Beziehung zu einem Menschen tritt.
Diese Beziehung beruht auf Gegenseitigkeit, dem gemeinsam gesagten DU,
sie bewirkt Mitmenschlichkeit und setzt die wechselseitige Annahme des
Gegenparts in seiner Anderheit voraus.
Diese gegenseitige Annahme ereignet sich „Jenseits des Subjektiven,
diesseits des Objektiven, auf dem schmalen Grat, darauf Ich und Du sich
begegnen, (es) ist das Reich des Zwischen.“ (Buber)
Bubers dialogische Prinzip des Menschseins droht in weiten Kreisen
unserer Gesellschaft verloren zu gehen, soweit es überhaupt da und dort
gelebt wurde. So ist es (immer wieder) an uns, die Stellen zu suchen,
wo Menschen gemeinsam als „ich und du“ immerzu Licht in diese Welt bringen.
Bester Gruß an Dich und in die Runde!
Karl