Hallo Liste,
was sagt ihr zu dem Gegensatz in dem oben genanten Zusammenhang, den
Unterschied zwischen "kontinentaler" und "analytischer" Philosophie?
Interessanterweise sind in Deutschland die Analytiker ebenfalls die
Mehrheit, während die sog. "Kontinentalphilosophie" auch außerdem des
Kontinentes wahrgenommen wird. Abgesehen von dieser kleinen,
sprachlichen Ungenauigkeit, scheint mir da allerdings wirklich ein
Unterschied zu bestehen.
Man könnte den Unterschied sehr verkürzt so zusammenfassen: Die
Analytische Philosophie orientiert sich an der Sprache der Mathematik,
stellt Definitionen auf und zieht logische Schlussfolgerungen. Die
"kontinentale" Philosophie dagegen orientiert sich eher an der Sprache
der Literatur, zieht Erfahrungen heran und begründet daraus seine
Schlüsse, die dann weniger logisch sein müssen.
Wobei letztere Charakterisierung solchen Denkern wie Schopenhauer oder
marxistisch orientierten Denkern eher weniger gerecht wird.
Die Fixierung auf Sprache scheint in erster Linie eine Eigenheit der
analytischen Schule zu sein, die aber von einigen anderen Schulen
geteilt wird, aber nicht von allen.
Die Analytiker betonen daher ihre Orientierung an den modernen
(Natur-)Wissenschaften, während die "kontinentalen" Denker eher
Abstand erkennen lassen und diese gar nicht aufnehmen.
Wenn ich mir allerdings einige "analytische" Texte so durchlesen, dann
tauchen darin schon einige Konzepte auf, im Vergleich zu dem die
"Kontinentalen" nahezu harmlos wirken: Ethische Intuition, mögliche
Welten oder Induktionsprobleme.
Allein die Idee, dass es so etwas wie eine ethische Intuition gibt,
ist sehr voraussetzungsreich und erlaubt die Schlussfolgerung, dass
wir es mit in der Ethik entweder nur mit der Formalisierung von
gewissen Ansichten zu tun haben (die "Intuition" gibt dann unser
vorphilosophisch vorgefundenes Verständnis von Werten wieder) oder
dass die Menschen über einen geheimnisvollen, von den
naturwissenschaftlichen Wegen unabhängigen Zugang zur Wahrheit
verfügen, die "ethische Intuition", mit der sie moralische
Sachverhalten beurteilen können.
Mögliche Welten machen logisch durchaus einen Sinn, aber sie sind weit
davon entfernt, was sich ein gewöhnlicher Mensch unter einer
philosophischen Frage vorstellt.
Auf der anderen Seite haben wir es bei den "Kontinentalen" häufig mit
einer Art Archivaren oder bloßen Historikern zu tun. Man könnte etwas
überspitzt formulieren: Die Philosophieprofessoren sind die Kuratoren
der Philosophie, die eigentliche Kunst (neue "Philosopheme") wird
woanders gemacht.
Es müsste auch erst Mal begründet werden, warum die Antwort auf die
Frage "was hat Platon zum Thema X gesagt" für einen heutigen Menschen
relevant sein soll.
Philosophie ist ja selbst in den Augen der meisten Philosophen mehr
als die Auslegung von philosophischen Texten, die den Klassikerstatus
erreicht haben.
Das Problem ist natürlich auch, dass "Kontinentalphilosophie" ein
Exonym ist und eine Sammelbezeichnung für westliche Philosophien
außerdem der positivistisch-analytischen Tradition. Man könnte in
gewisser Weise auch sagen, es sind die Heterodoxen außerdem des
Mainstreams.
Wobei, soweit ich beurteilen kann, beispielsweise japanische
Philosophie sehr wohl durch diese westliche Philosophie beeinflusst
wurde.
Chinesische, marxistische Philosophie auf jeden Fall.
Vielleicht haben bis in die 1980er Jahre hinein noch die Kommunisten
eine eigene Strömung gebildet. Allerdings ist mir davon weit weniger
bekannt.
Ebenso scheint es in den katholischen Gebieten eine gewisse
Neo-Thomistische Strömung zu geben, von der ich allerdings nur gehört
habe. (Falls jemand lesbare Lektüreempfehlungen hat, nur her damit.)
Allen großen phil. Strömungen des 20. Jahrhunderts scheint gemein,
dass sie von einem scheitern der Metaphysik in der modernen Welt
ausgehen. Eine Erkenntnis über die reine Physik hinaus ist nicht
möglich. Auch ist eine erleuchtungshafte Eingebung, wie sie
Schopenhauer wohl für seine Willensmetaphysik reklamierte,
unplausibel.
Allerdings sind die Probleme, die die Metaphysik lösen wollte, nicht
einfach aus der Welt verschwunden, wie solche Diskussionen wie die um
die Gehirne im Tank, die Frage nach der "Blockzeit" oder um die
Begründung der Ethik beweisen. Vielleicht wäre es in diesem
Zusammenhang hilfreich gewesen, die Art der Antworten, die offenbar
nicht mehr in Frage kommen, genauer zu charakterisieren?
Die Analytiker wollen über die Philosophie eigentlich keine neuen
Erkenntnisse mehr erlangen, sondern nur vorhandenes Wissen besser
klären. Vor diesem Hintergrund könnte es aber durchaus sein, dass man
tatsächlich einen Mangel an Wissen feststellen muss. Solche
grundsätzlichen Fragen wie "Was ist Realität?" können vielleicht mit
Hinweis auf den Sprachgebrauch beantwortet werden, "mit Realität
meinen wir den Ort, in den unser alltägliches Leben stattfindet", aber
welche Bedeutung in diesem Zusammenhang die Entdeckungen der neueren
Physik haben, bleibt dabei offen.
Einige Kritiker merken an, dass die analytische Philosophie auch gar
nicht so eng an den modernen (Natur-)Wissenschaften bleibt, wie häufig
gedacht wird. Zum Beispiel wird bei der Sprachanalyse ja fast nie
Bezug auf Linguistik genommen oder bei der Fragen, ob Blockzeit
existiert, die Grundlagenphysik in Betracht gezogen. Wobei doch grade
Physiker zu diesem Thema etwas zu sagen hätten.
Man wird der Welt einen zweifelhaften Gefallen tun, wenn man statt
einzelne Fragen zu erörtern neue -Ismen schafft. Der letzte halbwegs
gelungene Versuch in dieser Richtung scheint mir der Existenzialismus
gewesen zu sein, wobei mein Wissen darüber fast vollständig "aus
zweiter Hand" kommt. Daneben gibt es nur einige, vielleicht
interessante, Positionen, die aber keine vollständigen Philosophien
mehr zu sein scheinen.
Ich bitte zu entschuldigen, wenn dieser Text zu lang und zu essayhaft
geworden ist.
Gruß
Der Ratlose