Anschließend an meine Beiträge hier zum Thema, wie angekündigt, nun also
nochmal Gedanken allgemein zur „Willensfreiheit“ wie auch auch im
Kontext der hier aufgeworfenen Frage bezüglich der von Schopenhauer (in
Anlehnung an Kant) verwendeten Begrifflichkeit von empirischem und
intelligiblen Charakter.
Es ist eine Zusammenschau von Ansichten, Thesen, Mutmassungen,
Behauptungen etc. zum Thema aus verschiedenen Betrachtungwinkeln, nicht
zuletzt auch die Sicht der Neurowissenschaft, in die ich mich hinein zu
versetzen suchte. Jedoch: man verliert sich, wird hin und hergerissen
zwischen vielfältigsten Denkfiguren, die jeweils in sich
allgemeingültige Aspekte beinhalten aber in der Gesamtsicht darauf
keinerlei Konvergenz auf eine allumfassend schlüssige Begriffsklärung
erkennen lassen. Was die Diskussion um das Willensfreiheitsproblem bis
heute so festgefahren sein lässt, ist zum Einen die fehlende
interdisziplinäre Verständigung darüber, welches die maßgeblichen
Begriffseigenschaften von Willensfreiheit sein sollen; zum Anderen ist
es dieses ultimative Dafür oder Dagegen, dieses Schwarz-Weiss-Denken,
wie es unserer gesellschaftlichen Mentalität zu eigen ist, was eine
gemeinsame Erörterung so müßig, so leidig werden lässt und sicherlich
auch derzeit zu dieser erschreckenden Polarisation (gesellschafts-)
politisch ideologisierter Meinungsbilder führt.
Auf der einen Seite ideologisch oder blind-idealistisch geprägte,
begriffsfixierte Denkmodelle, oft auch mit Bezug auf unreflektierte,
populärwissenschaftlich-spekulative Darstellungen des Sensations-
(mitunter auch) Wissenschaftsjournalismus; ebenso in dieser Kategorie
angesiedelt, esoterisch angehauchte Phantasiegebilde wie u.a.
Quantenphilosophie, Quantenheilung, Quantenbewusstsein oder sonstig
naive Vorstellungen einer Verbindung zwischen Diesseits und einem (wie
auch immer angenommenen) Jenseits.
Dem gegenüber steht eine Wissenschafts-Orthodoxie, deren stures
Verharren in einem auf strikt naturalistischem Reduktionismus
beschränkten Wissenschaftsverständnis oftmals zu (mitunter spöttischer)
Herabwürdigung aller aus diesem geschlossenen Denkraum ausbrechenden
Forscher führt (Capra, Varela, Sheldrake, Bohm, Penrose, Eccles, Jaynes,
Dürr …, allein diese genannten waren bislang tödliches Gift für jede
herkömmliche Wissenschafts-Karriere: Career-Limiting Move).
Wenn der Begriff Willensfreiheit einerseits für Selbstbestimmtheit und
demnach eben für freies Denken, Entscheiden und Handeln steht,
andererseits diese mit dieser Begrifflichkeit verknüpfte Freiheit
schlichtweg per Negation durch Annahme strikt naturgesetzlicher
Kausalität in der Neurowissenschaft, wie auch mit einer Vielzahl an
unbedingtem Determinismus orientierten Thesen in den
Geisteswissenschaften rigide verworfen wird, kann für einen solchermaßen
verwobenen Begriff keine allgemein gültige Definition existieren. So
also Willensfreiheit unter der Prämisse verschiedener Bedeutungen
diskutiert wird , muss dies unweigerlich zu Antinomien führen und somit
misslingen (Kant: Antinomie der reinen Vernunft (Kant).
So ist nicht verwunderlich aber doch geradezu verblüffend, wie sich zu
ein und demselben Begriff von Willensfreiheit derart diametral
entgegengesetzte Sichtweisen entwickeln konnten, wie kontrovers
Positionen mit unterschiedlichsten Wahrheitsansprüchen gegeneinander
stehen. Dabei zeigt aber gerade die Vielzahl divergierender
Betrachtungs- und Denkweisen, welches Ausmaß an Freiheit des Denkens dem
Menschen verfügbar ist. Freiheit des Denkens wird selbstredend auch
Freiheit des Handelns herbeiführen können (u.a. Fichte, Sittenlehre von
1798).
Diese Freiheit mit der saloppen Aussage gänzlich in Abrede zu stellen,
der Mensch müsse sich von dem Gedanken verabschieden, über Freiheit zu
verfügen, ist schlichtweg eine auf naturalistischen Reduktionismus und
beliebige Mutmaßung verkürzte Aussage. Bei umgreifender, vor allem an
Lebenspraxis orientierter Sicht auf den Sachverhalt, wird schnell
deutlich, dass für einen auf ganzer Linie angelegten Abgesang auf die
Willensfreiheit (insbesondere aus physikalistisch-reduktionistischem
Blickwinkel) jegliche Evidenz fehlt.
Ebenso scheitern und schaudern muss jene theologische Vorstellung,
wonach der Mensch als einzig der Gottesgnade unterworfenes, unfreies und
sündiges Menschen-Bündel betrachtet wird, das sein jämmerliches
Erdenleben gefälligst in schmachtender Jenseitserwartung zu fristen hat.
Angesichts dieser Düsternis, dieser auf undistanziert anthropomorphem
Gottesbild fussenden, gleichermaßen apodiktisch wie menschenverachtend
verfassten Lehre komme ich nicht umhin, folgendes Zitat wiederzugeben:
„Eine Lehre, die sich nicht im klaren Licht, sondern nur im Dunkeln zu
behaupten vermag, wird zwangsweise jede Wirkung auf Menschen verlieren,
zum unermeßlichen Schaden für den Fortschritt der Menschheit. In ihrem
Kampf um das Gute im Menschen müßten die Lehrer der Religion die innere
Größe haben und die Lehre von einem persönliche Gott fahren lassen, das
heisst, auf jene Quelle von Furcht und Hoffnung verzichten, aus der die
Priester in der Vergangenheit so riesige Macht geschöpft haben. […] Je
weiter diegeistige Entwicklung des Menschen fortschreitet, desto mehr
wird sich erweisen -davon bin ich überzeugt - , daß wir die wahre
Frömmigkeit nicht in Lebensangst, Todesfurcht und blindem Glauben,
sondern nur durch das Streben nach rationaler Erkenntnis erreichen.“
(Einstein)
Wie sehr unterstreicht Einsteins Ansicht doch die Notwendigkeit einer
aufgeklärten natur- und geisteswissenschaftlichen Herangehensweise bei
der Erforschung des Menschseins. Wo zum Thema Freiheit, vornehmlich
durch die Neurowissenschaft und Kognitionspsychologie, auf der Grundlage
enorm angewachsenen Wissens sowie immer leistungsfähigeren technischen
Mitteln verantwortungsvoll geforscht wird, leistet man einen
unverzichtbaren Beitrag, um eben von untauglichen Denkmodellen und
irrationalen Mutmaßungen abkommen zu können. Ohnedies ist es erstaunlich
und bewundernswert, in welcher Tiefe heute bereits Strukturen und
Funktionen des Gehirns rekonstruiert werden können. Das führt
notwendigerweise zu einem Konstruktivismus und sofern dieser nicht
radikal ausgelegt wird, ist es eine wissenschaftliche Ausrichtung, die
uns die physikalischen Grundlagen unserer Existenz nachvollziehbar
darstellen kann. Daran ändert auch nichts die (immer noch) vorhandene
methodische Schwäche bildgebender Verfahren (fMRT etc.), denn diese wird
man im weiteren Verlauf der Forschung vermindern. Noch gilt jedoch
überwiegend: „Wir wissen viel aber verstehen wenig“ (Prinz). Der Weg zu
tieferem Verständnis aber, zu allgemein gültiger Erkenntnis über diesen
Themenkomplex wird jedoch verbaut sein, wo und solange man Denkansätze,
Thesen zum Gesamtthema unserer Bewusstheit, unseres Ich und somit den
Begriff der Willensfreiheit in toto entweder befürwortet oder ablehnt.
Wahr oder falsch - tertium non datur: eine in dieser logischen
Konsequenz vorgenommene Kategorisierung von Willensfreiheit ist
schlichtweg untauglich für einen Diskurs dieses Begriffs, der (als ein
mit Genitivobjekt gebildetes Kompositum) infolge seiner Idiomatisierung
quasi zu einem Simplex verschmolzen ist. Allein bei dessen Betrachtung
entsprechend unseres Sprachgebrauchs (denn in anderen Kulturräumen kommt
er als solches nicht vor) aus adjektivischer (als Ausdruck für
freiwillig intentionales Handeln) oder substantivischer Sicht
(vornehmlich auf den Willen bezogen), ergeben sich unterschiedliche
Interpretationsmöglichkeiten.
Willensfreiheit tiefgründig hinterfragen zu wollen, führt aber zunächst
unweigerlich zur eigentlichen Frage nach Freiheit, nach dem Selbst-Sein,
nach dem Ich, nach Bewusstsein. Fragen, wie sie seit jeher die
Philosophie zum Thema hat, die sich nun im Kontext von Erkenntnissen der
Neuro- und Kognitionswissenschaft neu ergeben. Hier zeigt sich dann
besonders deutlich, wie monokausales, kategorisch-polarisierendes Denken
und Bewerten blind sein lässt etwa für das Erkennen emergenter
Eigenschaften des Gehirns. Wie erwähnt, ist es naturwissenschaftliche
Forschung, die dem Menschen heutigen Zeitgeists am ehesten darstellen
kann, dass alles Geschehen in der Natur (der menschliche Organismus
selbstverständlich eingeschlossen) in nichtlinearen (chaotischen)
Prozessen abläuft, deren unzählige Prozess-Variablen zu ebenso
unübersehbaren Wechselwirkungen führt. Daraus folgt aber auch, dass
Gebilde dieser Komplexität eben nicht mehr mit monokausalen „wenn-dann“
Folgerungen, wie auch nicht durch pure Reduktion auf uns derzeit
bekannte Naturgesetze beschrieben werden können, zudem neben den
nicht-linearen Transformationsprozessen der hochkomplexen
Gehirnarchitektur auch die Interventionen der gesamten Körperlichkeit
für unsere physiologische und psychologische, insbes. eben die mentale
Konstitution wesentlich sind. Diese Befindlichkeiten repräsentieren sich
insbesondere in unserem Bewusstsein; hier aber beginnt die eigentliche
Problematik hinsichtlich Deutungs- bzw. Erklärungsversuchen von
Bewusstseinsinhalten und generell von Bewusstsein. Da Bewusstsein nicht
physischer Teil des Gehirns ist, gerät man im Überstieg von der
physischen auf die mentale Ebene an (bislang) unüberwindbare Grenzen. Wo
neuronale Mechanismen der physischen Ebene von Neuronen (analog zu
elektrischen Schaltkreisen) und Synapsen (chemische Neurotransmitter)
sowie des Kortex (neuronales Netz) mittlerweile sehr gut mit
analytisch-synthetischen Methoden (in Analogie etwa zu
Computerprogrammstrukturen top-town, bottom-up) formal erkannt und
beschrieben werden können, gelingt dies mit diesen mechanistischen
Methoden bestenfalls noch für die Verständlichmachung kognitiver
Gehirnleistungen, definitiv aber nicht mehr für das Erkennen von
Bewusstseinsinhalten und deren Ursachen, geschweige denn für eine
letztgültige Erklärung von Bewusstsein.
Hinsichtlich der Deutung des Freiheitsbegriffs bedeutet dies, dass es
äußerst schwierig (wenn nicht sogar unmöglich) ist, kausal relevante
Rahmenbedingungen von Entscheidungsprozessen im Gehirn experimentell zu
isolieren.
Hier steht man in der naturwissenschaftlichen Forschung vor der selben
undurchdringlich erscheinenden Wand, wie sie in der Philosophie zwischen
der Welt der Erscheinung und der Welt des Intelligiblen steht.
Die Wand zwischen Leib und Seele, Körper und Geist, die Wand zwischen
zwei Welten (Kant, Schopenhauer). Eine Wand aus Nebel zur
überlebenswichtigen Trübung unserer Sinne (Goethes gütiger Schleier der
Natur). Wand, selbst für rational wissenschaftliche Erkenntnis zum
Hindernis (G. Roths reales und wirkliches Gehirn). Diese Wand zu
übersteigen scheint also bislang nur im Rückgriff auf Transzendenz zu
gelingen.
So steht auch jeder Einzelne (sofern sich überhaupt durch die Thematik
berührt fühlend) immer wieder vor dieser Wand. Es bleibt letztlich an
ihm, ungeachtet aller dargestellten Thesen, allem kontroversen Für und
Wider, das Thema (Willens-)Freiheit für sich zu hinterfragen und
gedanklich zu verarbeiten. Das gilt besonders, um sich dabei nicht durch
Spekulation jeglicher Art, durch psychologistisch oder
neurobiologisch-reduktionistische Verdinglichung in unserem untrüglichen
Empfinden von persönlicher Freiheit als Ganzes, im Sinne von
lebensnotwendigen Freiheitsgraden, irritieren zu lassen.
Wollte man sich also bei der Frage nach Freiheit beim „Übersteigen der
Wand“ etwa an der Philosophie orientieren, dann könnte das durchaus mit
Schopenhauer gelingen. Er, der sich die Freiheit des Denkens wie kaum
ein Anderer nahm; Er, der sich die Freiheit nahm, das wissenschaftliche
Establishment seiner Zeit zu erniedrigen; Er, dessen Könnensbewusstsein
kaum zu übertreffen ist. Er, der trotz seiner ausgeprägten
Freiheitsattribute, dem Menschen jegliche Willensfreiheit absprach und
damit die Freiheit, seinen (eingeborenen) Charakter zu ändern. Mensch
bleibt stets derselbe Mensch: Von der Wiege bis zum Grab. Man stünde,
diese Behauptung vor Augen, vor besagter Wand, ohne Hoffnung auf
Veränderung zum Besseren. Doch da ist noch die andere Seite der
Medaille: Schopenhauers Definition vom metaphysischen Willen (in
Anlehnung an Kant als „Ding an sich“). Diesen Willen setzt er der
eigentlichen Freiheit (beide dem Bereich des Intelligiblen zugehörig)
gleich und macht die Wandlung dieses Willens von veränderter Erkenntnis
des Menschen (etwa durch Meditation) abhängig. Dieser solchermaßen
veränderte metaphysische Wille und damit der intelligible Charakter
wirkt auf den empirischen Charakter zurück. Modern gesprochen:
Verschränkte Ebenen. Ein verwegener und sehr wohl auch gewisser Kritik
ausgesetzter Ansatz. Dennoch kann man bezüglich der Frage des Überstiegs
von physikalischer in die mentale Ebene eine Konvergenz von
Anschauungsweisen erkennen, wobei eine (wie und wodurch auch immer
erfolgende) Transformation möglicher (intelligibler) Freiheit in
wirkliche Freiheit menschlicher Lebensführung stattfindet, um
Könnensbewusstsein in Wirklichkeitsbewusstsein zu überführen.
Überwiegend Metaphysik, denke ich und dennoch wird man der Frage von
(immaterieller) Verschränkung von Information letztlich nicht ausweichen
können. Womöglich ist Information gleich Wirklichkeit oder sie sind
zumindest zwei Dimensionen einer Substanz. Man könnte dabei ahnen, dass
im Sinne der Henne-Ei-Problematik vermittelst des Huhns ein Ei das
andere hervorbringt. Eschers sich selbst zeichnende Hände und wir als
diesen Prozess Beobachtende, gibt diesbezüglich auch zu denken.
Das will ich tun und erst mal unterbrechen, um dann hier noch in einige
Details dieser Thematik zu gehen.
Bester Gruß in die Runde!
Karl