Wer bin ich – wer sind wir. Treffender kann dieses Thema nicht auf den
Dissenz und dem sich daraus (längst nicht nur hier) ergebenden Disput
hinweisen, der sich scheinbar zwangsweise zwischen den Fraktionen,
einerseits eines strikt mechanistischen, anderseits eines idealistisch
geformten Weltbilds, ergibt. Denn letztlich geht es Vertretern beider
Seiten um die Deutungshoheit über Ursprung und Beschaffenheit der Welt.
Soweit man mit diesem Ansinnen nicht über die Grenzen der eigenen
Weltanschauung hinauszusehen (also zu einem – zumindest temporären -
Perspektivwechsel) bereit ist, bleiben die Position unversöhnlich
gegeneinander gerichtet. Das verdeutlicht diese scheinbar nie zu
überbrückende Spaltung der Gesellschaften weltweit; in deren Folge sich
verfestigende Fundamental-Ideologien zu Streit, Terrorismus und Krieg
führen.
Demgegenüber sind die Ideale der Philosophie hilflose Sophisterei!
Welchen Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung hat Aufklärung
seit Kants Aufforderung des "Sapere aude - Habe Mut, dich deines eigenen
Verstandes zu bedienen!" genommen?
Ich bin sicher, dass der Gesamtprozess der Aufklärung unabweisbare
Fortschritte für die Menschheit hinsichtlich ihrer Befreiung von
überkommenen Gesellschaftsstrukturen erbracht hat.
Nicht leugnen kann man hingegen, dass ein Teil der Weltbevölkerung nach
wie vor keinen „Ausgang (des Menschen) aus seiner selbstverschuldeten
Unmündigkeit.“ findet bzw. diesen gar nicht sucht.
Unverändert sind „Faulheit und Feigheit“ die Ursachen, warum Menschen
eher zeitlebens unmündig bleiben und sich damit dem Diktat derer
unterwerfen, die daraus ihre Machtkalküle und -zentren entwickeln und
betreiben.
Das meinte Waldemar mit seiner jüngsten diesbezüglichen Einlassung und
liegt damit sicher nicht falsch.
Falsch liegt er m.E. mit seiner Aussage, Religion (die er schlicht
unzutreffend als Ideologie abgrenzt) und speziell deren Ausübende seien
alleine für die Übel dieser Welt verantwortlich.
Seine furiose Ablehnung jeglicher Ideologie scheint auf den ersten Blick
unverständlich, denn Ideologie ist ja gerade die Lehre von den Idealen
sowie Ausdruck wissenschaftlicher Bestrebung, Sinn- und Zweckbezogenheit
des Lebens kritisch zu hinterfragen. Ideologie selbst bildet sich
ihrerseits in unterschiedlichsten Denkmodellen und Begriffsauslegungen
ab und damit schließt sich eine eindimensionale Definition von Religion
als Ideologie aus.
Auf den zweiten Blick wird der Grund dieser Zuordnung von Religion als
Ideologie und deren radikale Ablehnung deutlich. Sein
Persönlichkeitsprofil ist grundsätzlich von Idealen (ursächlich auch die
von Religion propagierten) geprägt.
Menschen, die diesem Profil entsprechen, neigen somit zu
Gesellschaftsformen, die das Wohl des Menschen in den Mittelpunkt
stellen. Selbst von hehren Idealen getragen, liegt (ihrem humanistischen
Anspruch zufolge) die Präferenz für Staatsformen vor, die diese Ideale
gesellschaftspolitisch umzusetzen scheinen (Kommunismus, Sozialismus in
verschiedensten Ausformungen). Diesem Anspruch konnte bislang keine
dieser politischen Systeme konkret entsprechen, was zu gleicher
Desillusionierung führt, wie ein ähnlicher Anspruch gegenüber Religionen.
So wandelt sich Idealismus zur Verzweiflung an der Welt, am Menschen und
seinen Gesellschaftsformen und schließlich an einem Gott (Theodizee),
dessen gestaltloses, unbeschreibbares Numen er nicht mehr wahrnehmen
kann bzw. will und sich schließlich in eine radikale Gegenposition zu
diesem, samt aller damit verbundenen menschlichen Ausdrucksformen
(Religion, Spiritualität) versetzt. Die Bewusstwerdung des rational
nicht erfassbaren, überweltlichen Phänomens (Numinose) kann nicht mehr
gelingen, weder als mysterium tremendum noch als mysterium fascinans.
So wird versucht, das Vakuum einer rational unterdrückten, jedoch
letztlich unüberwindbar im Unterbewusstsein verankerten „Gewissheit“
(von der Existenz dieses Numen) durch die verzweifelte Suche nach
materialistisch begründbaren Alternativen zu kompensieren, die in teils
abstrusen Vorstellungen zur Welterklärung mündet („magisch-animistische“
Konditionierung, absolute Selbstreferenz, Wechselwirkung, Autopoieses,
strikter Evolutionismus, etc).
Wenn die somit eingenommene Position dazu führt, andersdenkenden,
insbes. religiös geprägten Menschen und damit der Religion an sich, die
Schuld am Ungemach dieser Welt zuzuschreiben, zeugt das m.E. von
engstirnig geistloser Attitüde.
Nicht Spiritualität, nicht Religion an sich, nicht Gott sind für das
Übel dieser Welt verantwortlich, sondern einzig der Mensch in seiner
Unvollkommenheit, in seiner Missbrauchsgeneigtheit (in dem hier
behandelten Zusammenhang insbesondere die missbräuchliche Vermittlung
und Ausübung von Religion), in seiner Hinterlist, seiner Missgunst,
seiner Habgier, seiner Feigheit und Unaufrichtigkeit, seiner potentiell
intrinsisch angelegten, kriminellen Energie, in seinem Unvermögen - dem
malum metaphysicum schlechthin!
Gründe genug also , ein vernichtendes, misanthropisches Menschenbild zu
entwickeln!
Und dennoch steht dagegen, dass der weit überwiegende Anteil der
Weltbevölkerung tagtäglich im Kampf des Lebens versucht, diesen
Grundübeln menschlicher Wesensart durch ein dem Leben und den
Mitmenschen gegenüber verantwortungsvolles, humanes Handeln
entgegenzuwirken.
Bester Gruß in die Runde! - Karl