Am 08.12.2020 um 13:35 schrieb Ingo Tessmann:
Am 07.12.2020 um 23:14 schrieb Karl Janssen
<janssen.kja(a)online.de>de>:
Weil Geist in sich Abstraktion ist und als solche einzig (als abstrakte) Sicht auf sich
selbst), eine Ahnung dieses rätselhaften Phänomens vermitteln kann.
Hi Karl,
was ist denn mit „Geist in sich Abstraktion“ gemeint? In der Wissenschaft sollten
Abstraktionen methodisch nachvollziehbar vorgenommen werden, ansonsten wird
umgangssprachliche Vagheit und Vieldeutigkeit beibehalten. Abstraktoren gibt es viele,
aber es sind doch zumeist nur Worte. Du scheinst "Geist" und „Materie“
anthropomorph geradezu für handlungsfähige Subjekte zu halten.
Diese Deine Annahme
ist exakt die Ursache dafür, dass ich Dir nicht
vermitteln kann, was ich unter „Geist“ verstehe; nämlich nie und nimmer
ein von mir angenommenes, geistig handelndes Subjekt. Da will man mir
immer einen „Geister- oder Gottesglauben“ zuschreiben oder (salopp
ausgedrückt) „unterjubeln“.
Deine Antwort hierauf kenne ich bereits, nämlich als Forderung zu
erklären, wie ich „Geist“ unter wissenschaftlichem Anspruch auf
Beweisbarkeit etc. zu definieren gedenke.
Derartiges zu fordern ist schlicht müßig, da ihr (mit diesem Anspruch
verbunden) nicht zu entsprechen ist.
Insofern ist und bleibt Geist bezüglich seiner absoluten Begrifflichkeit
ein Abstraktum. Und eben aus diesem Abstraktum heraus bilden sich dann
diese anthropomorph geformten Vorstellungen und Begriffsbestimmungen; es
bleiben damit unabweisbar (meist tatsächlich nur) Worte, Vagheit und
Vieldeutigkeit.
Eigentlich sollte dies keiner Beispiele bedürfen (Du brauchst sie sicher
nicht), dennoch seien einige hier aufgeführt:
Geist als Bewusstsein (allgemein) im Zusammenwirken zwischen Körper und
Geist.
Geist als inneres Prinzip (Seele) des Menschen (meist synonym verstanden
und verwendet)
Geist als subjektiv aktives Bewusstsein, sich ausdrückend durch
Verstand, Vernunft, dem Intellekt an sich
Geist als abstrakt personifizierende Zuschreibung: z.B. Er war ein
großer Geist unserer Zeitgeschichte
Geist als Synonym für Bedeutung und Sinn (Im Geiste Goethes etc.)
Geist als Gespenst (wie man mir meinen Begriff von Geist zuschreiben
will – „Gespensterglauben“ – ich will‘s gar nicht glauben, wie man
ernsthaft dazu kommt :-))
Allein diese wenigen Beispiele sollten zeigen, wie müßig es ist, sich
auf eine eineindeutige Festlegung dieses Begriffs einigen zu wollen. Da
hilft hier nun wirklich kein algorithmisches Denken, keine Mathematik -
und so weiter und so fort.
Es ist und bleibt (bis auf weiteres) ein unmögliches Unterfangen, eine
allgemeingültige Begriffsdefinition (letztbegründend) für Geist,
Bewusstsein, Emergenz, Seele usf. zu entwickeln.
So liegt es im Geschick der Dialogpartner (bezogen auf uns hier),
kontextuell zu verdeutlichen, was mit den genannten Begriffen
ausgedrückt werden soll bzw. was man jeweils darunter versteht. Aus
gegebenem Kontext zu lesen, gelingt hier jedoch nicht, da gravierend
unterschiedliche Perspektiven auf die diskutierten Sachverhalte dieses
unmöglich machen.
Da bleibt man halt als unverständiger "Kannitverstan" zurück, wie Joseph
es auf sehr freundliche, vermittelnde Art in seinem diesbezüglichen
Dokument anführte.
Du und ich hatten es erwähnt: Keiner will auf Deutungshoheit seiner
Meinung verzichten.
Welche Konsequenz kann/sollte man daraus ziehen (jeder für sich und wir
für uns hier): Entweder man verlässt ein derart kontroverses
Themengebiet oder man verweilt solange dabei, als man sich beizeiten
gegenseitig eingesteht und übereinkommt, letztlich doch von der
Argumentation des anderen zu lernen (oder damit zumindest zu weiterem
eigenen Nachdenken angeregt zu werden).
Versuch doch mal, eine Geschichte nur mit konkreten Substantiven zu schreiben? Oder noch
besser: ganz ohne Substantive und Adjektive auszukommen. Eine Welt in ihrer Dynamik aus
den Verben heraus erzählen. Das müssten doch schon einmal Schriftsteller versucht haben!?
Es käme algortihmischem Denken nahe, wie es unserem Hirn eigen ist.
Nur, insofern man Sprache und Logik als
Werkzeuge des Geistes definiert; für meine Begriffe sehe ich Sprach- und Logikvermögen
eher als „geistiges“ Vermögen und in dessen konkreter Ausformung bzw. Anwendung beruht
Philosophie auf Logik und Sprache.
Sprechen und Folgern sind genuine menschliche Vermögen, eines „Geistes“ bedürfen sie
nicht, ich kann aber mit ihnen Geist abstrahieren. Warum genügt es Dir nicht, lediglich
den Menschen in seiner jeweiligen Kultur vorauszusetzen? Was hat der Geisterglaube mit
Philosophie zu tun?
Natürlich sehe ich den Menschen im Umfeld seiner Kultur, wie anders
sollte ein Verständnis dafür entwickelt werden?
Für Deinen ständigen Bezug auf "Geisterglaube" kann ich jedoch kein
Verständnis aufbringen ...
Mit Konsens meinte ich nicht „Gleichklang“ (der
ohnehin kaum zu erzielen ist und auch nicht sein muss), sondern eher ein Übereinkommen
darüber, dass Du unter „Geist“ etwas anderes verstehst als eben ich, wir uns dennoch
gegenseitig (ohne Beharren auf eine - ohnehin nicht objektiv begründbare - Deutungshoheit)
die jeweilige Ansicht zugestehen.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal klarstellen, dass ich weit entfernt von
„Geisterglauben“ bin. Vermutlich habe ich es entweder nicht hinreichend vermocht, dieses
in meinen bisherigen Darlegungen zu verdeutlichen, oder man will es nicht wahrnehmen, da
ich von Haus aus in die Ecke „vergeistigter“ Dogmatiker geschoben werde. Dogmatik jedoch
(vornehmlich der von Religionen) liegt mir gänzlich fern und insoweit natürlich auch die
darauf aufsetzenden Ideologien resp. Religionen (in Bezug auf deren Kanonik)
Was unterscheidet denn Geisterglaube von der Annahme, dass „Geist in sich Abstraktion“
sei?
Mit „Geisterglaube“ wird im üblichen Sprachgebrauch der meist krank-
bzw. wahnhafte Glaube an „Geister“ im Sinne von Gespenstern o.ä.
ausgedrückt. Daher ist es eine mir gegenüber abwertende Zuschreibung,
wollte man mir eben derartigen „Geisterglauben“ andichten. Das macht
mich beispielsweise ärgerlich!
Das verstehe ich nicht oder total falsch!
Physik als die Lehre von der Physis kommt ohne (Betrachtung) von Materie aus?
Philosophie als die Lehre vom Wesen der Welt und des (menschlichen) Geistes, kommt ohne
„Geist“ aus. Was ist mit der Philosophie des Geistes als Teildisziplin der Philosophie?
Was Physik voraussetzt sind neben der Natur als ihrem Gegenstand Mathe und Technik.
„Materie“ ist ein Abstraktor, den ich beispielsweise für alle Naturbestandteile mit
quantitativ experimentell bestimmter Ruhemasse verwenden kann. Aber das ist doch nur
Bequemlichkeit, um nicht ständig auf alle Elementarteilchen Bezug nehmen zu müssen. Ebenso
in der Philosophie. Dort kann ich sprachlich-logisch „Geist“ abstrahieren und dann darüber
philosophieren. Aber auch das ist nur der Bequemlichkeit geschuldet, um nicht ständig auf
die kognitiven menschlichen Vermögen Bezug nehmen zu müssen.
Bequemlichkeit hin oder her. Bisweilen ist es auch nur die einzig
probate Möglichkeit, komplexe Gegenständlichkeiten als Abstraktor zu
setzen. Für meine Begriffe hast Du mir mit dieser Darlegung auf exakte
Weise meine Antwort erspart – denn genau so trifft (auch für meinen
Begriff) der sinnvolle Gebrauch eines Abstraktors zu.
Wer jedoch
keinen inneren Zugang zu Geistigem hat, also auf puren Materialismus gemünzt ist, wird
schlichtweg nicht nachvollziehen können, was ich mit „Ideen sind etwas „Geistiges“
ausdrücken wollte und dies definitiv weit jenseits irgendwelchem „Geisterglauben“.
Wenn Du Ideen und Gedanken zu den kognitiven Vermögen zählst, die „Geist“ ausmachen
sollen, dann ist das einem Materialisten ebenso verständlich wie Dir die Rede von Materie
mit Bezug auf ruhemassebehaftete Naturbestandteile.
soweit so klar!
PS: zu Smolin komme ich demnächst ... und damit
zu Physik mit Materie (langsam zweifle ich an mir!)
Smolins "temporaler Naturalismus“ setzt eine Menge voraus, wie der Literaturliste
seines Übersichtsartikels zu entnehmen ist:
https://arxiv.org/abs/1310.8539
Wir können es ruhig angehen lassen. Sein populärwissenschaftliches Buch kann ja nur der
Einstieg sein; denn unterdessen hat der Mann an seinem Konzept weiter gearbeitet. In
"The dynamics of difference" etwa "a proposal is made for a fundamental
theory, in which the history of the universe is constituted of diverse views of itself.“
https://arxiv.org/abs/1712.04799
Jedenfalls treibt Smolin eher Naturphilosophie als Physik und geht aus von Zeit und
Gesetz im naturalistischen Kontext, nicht etwa von "Geist" und „Materie“ in
welchem Kontext auch immer.
Danke für die Links. Die Artikel muss ich nun erst mal durchlesen.
Smolin als Naturphilosoph ist mir neu! Wäre hoch interessant zu hören,
was er Dir auf diese Zuweisung antworten würde (Wenn der Corana-Spuk
vorbei ist, sollten wir mal nach Waterloo /CA fahren und in
diesbezüglich konfrontieren :-))
Seinen Zugang zur Physik (und er ist ja nun mal kein kleiner "Geist" in
seinem Feld) beschreibt er sicherlich auch aus philosophischen Aspekten;
dennoch ist m.E. nichts klassisch Philosophisches an diesem
Wissenschaftler; dazu ist er zu sehr Realist oder eben Naturalist.
Jedenfalls wäre es sehr lohnend, wenn wir noch eine Zeit bei ihm
verweilen könnten.
Bester Gruß an Dich und in die (immer noch so schweigsame) Runde! - Karl
PS: eben diese Runde, wohl verschreckt durch andauernd sinnlos,
lächerliches Gezänk um Religion :-(