Am 25.08.2018 um 16:24 schrieb Rat Frag:
Ich glaube aber nach der Lektüre, dass Adorno und
Horkheimer etwas
anderes gemeint und gedacht haben als ich es im beitrag wollte. Es
ging nicht nur um Moral.
Es ging nicht um die moralische Bewertung der
Aufklärung, sondern
darum, was die Moral mit der Aufklärung machen soll. Die Analytiker
wollen sie quasi "zersetzen", erklären und dabei auf andere,
elementarere Dinge zurückführen.
Vermutlich interpretiere ich Dein Anliegen unzutreffend. Ich habe den
Eindruck, dass wir dem Thema „Zwei Seiten der Aufklärung“ gemäß völlig
verschiedene Denkansätze haben. Einerlei. Ich dachte dabei (wie gesagt)
spontan an Horkheimer-Adornos DdA.
Wenn es um Aufklärung „zersetzende Analytiker“ gehen soll, dann
betreiben ja m.E. Horkheimer-Adorno geradewegs pure Analytik und
Zerlegung, eben in Art psychoanalytisch-soziologisch ausgerichteter
Kritik an der Aufklärung bzw. deren Folgen. Es ist die Rekonstruktion
der Aufklärungs- und Emanzipationsgeschichte als einem Prozess, der sein
rückläufiges Moment bereits in sich trug und somit sich Aufklärung durch
dialektisches Umschlagen selbst „zerlegt“.
Das Unheil der Aufklärung liegt nach H-A in einer auf Beherrschung und
Unterwerfung der Natur ausgerichteten instrumentalisierten Vernunft.
Diese ausbeuterische Unterwerfung der Natur zum Nutzen des Menschen
schlägt jedoch auf ihn selbst zurück und entfremdet ihn zudem von seiner
eigenen intrinsisch angelegten Natur. Die Folge ist zwanghafte
Selbstbeherrschung der eigenen Natur wie sie an den pathologischen
Auswüchsen heutiger Gesellschaftssysteme zu erkennen ist.
Horkheimer-Adornos Schriften sind in sich ebenso dialektisch angelegt,
durch einerseits pessimistisch-resignative Auseinandersetzung mit der
Aufklärung, anderseits durch den Versuch, einen positiv optimistischen
Aufklärungsbegriff zu vermitteln im Sinne einer sich selbst
reflektierenden Aufklärung.
Bei genauer Betrachtung Deines nochmal von Dir betonten Anliegens „Was
Moral mit der Aufklärung machen soll“ wird sofort klar, dass ich
explizit überhaupt nicht darauf eingegangen bin. Implizit sehr wohl
dort, wo ich meine Abscheu gegen die Schein- und Doppelmoral einer
unsäglichen Gesinnungsethik unserer sog. aufgeklärten Moderne zum
Ausdruck bringe, die sich in der heutigen Kulturindustrie breit macht.
Eine Kulturindustrie, die durch Massenproduktion kultureller
Mainstream-Symbole und deren Verbreitung über Massenmedien und soziale
Netze nichts als Medienherrschaft betreibt. Herrschaft jener
ideologisierten Intellektuellen-Cliquen, die als Statthalter einer
Dominanzhierarchie (als die neuen Pfaffen) einerseits den ihnen
genehmen Zeitgeist von Beliebigkeit predigen, andererseits ein
dogmatisierendes Gesinnungsdiktat betreiben im Kontext realitätsferner
„political-correctness“. Selbstredend, dass im Schatten dieser
dominanten Meinungshoheit, wie sie von intellektuell abgehobenen Medien
verbreitet wird, eine Subkultur erwächst, in der (ihrerseits gestützt
auf boulevardesk aufbereitete, gewissenlos agierende Meinungsmache)
neben Emotionen insbesondere eben niedere Instinkte wie Missgunst,
Zynismus, Hass und Rassismus geweckt werden.
Das ist, was (Doppel-)Moral mit Aufklärung macht, exakt gemäß Kant‘scher
Kritik:
„... Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil
der Menschen (...) gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es
anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so
bequem, unmündig zu sein. [...]
Man weiß um die „Faulheit und Feigheit“, also die Manipulierbarkeit des
„Packs“ und befeuert auf beiden Seiten der politischen Extreme
Ressentiments und Feindbilder. Zurück bleibt allenfalls Dissoziation
und innerer Protest einer Gesellschaft, die solchermaßen ihrer
Gewissheiten, ihrer Vertrautheiten beraubt, ihren Halt, ihre politische
Mitte verliert.
Wer sich der Versuchung hingibt, einen Blick in die Kommentar-Foren
lokaler wie auch überregionaler Presseorgane zu werfen, wird
unweigerlich Zeuge dieser Entwicklung: Besorgnis erregende Spaltung,
erschreckende Aggressivität, „narrow-mindedness“, wie sie in Übersee
bereits zu unheilvoll politischer Realität erwachsen ist, nicht zuletzt
dem pseudoethischen Habitus des präsidialen Predecessors geschuldet.
Schein- und Doppelmoral unserer sog. aufgeklärten Epoche!
Ich bleibe dabei: Emanzipation der Menschheit scheitert dort an der
Dialektik des Fortschritts unserer aufgeklärten Moderne, wo die daran
geknüpfte Repression ihres ethischen Anspruchs das Verhältnis von
instrumentalisierter Gesellschaft und individueller Freiheit bestimmt;
Repression eben durch fragwürdige Gesinnungsethik meist in Ausprägung
von Scheinmoral oder aggressiver Einforderung realitätsfremder
Sozialutopien.
Alle in diesem Kontext derzeit in die Medien gezerrten Problemfelder
decken sich keinesfalls mit denen die Menschheit angesichts fataler
Weltentwicklung wirklich zu kämpfen hätte! Erstaunlich und befremdlich,
wie ausgerechnet sich einst ökologischer Verantwortung verschrieben
habende politische Gruppierungen nur noch mit gesellschaftspolitischen
Themen provozieren. Sie haben sich zu Protagonisten oben beschriebener
Dominanzhierarchie entwickelt.
Meines Erachtens führen Ansätze zur Lösung gesellschaftspolitischer,
weltwirtschaftlicher und sonstiger globaler Problematiken eher über
verantwortungsethisch angelegte Wertvorstellungen, dabei jedoch
beachtend, nicht in die Fallen eines Konsequentialismus zu geraten.
kj: Also doch: wo wir glauben neu anzufangen, ist kein Neues, kein
Anfang sondern Wiederanfang! Es bleibt das verstörende Wahrnehmen ewiger
Wiederkehr: alles ist immer und zugleich.
Ich gebe mich nicht der Illusion hin, etwas völlig
neues hier in der Liste zu publizieren. Höchstens die Formulierung ist neu, aber deshalb
nicht gut.
Mein spontaner Hinweis auf die Wahrnehmung ewiger Wiederkehr entspringt
lediglich philosophischer Betrachtung, fernab vom Listengeschehen,
obgleich hier geschrieben.
kj: PS:
Technischer Fortschritt ist kein Neues an sich. vielmehr lediglich mechanistische
Ausprägung unzähliger Möglichkeiten von Formgebungen und deren (physikalischen Gesetzen
unterworfenen) Ausdehnung resp. Bewegung innerhalb einer uns verfügbaren Zeitspanne
dieser Raum-Zeit-Dimension. Wären wir „allwissend“ oder zumindest von Platons Ideen
beseelt, hätten wir Kenntnis davon.
Die Musiknoten waren alle schon da, Mozart hat
sie lediglich neu angeordnet.
Ein schönes Beispiel! Die Kunst liegt natürlich in der
"Anordnung" und
es bleibt die Frage, woher solches Genie den "Bauplan" dafür hatte.