Am Sa., 10. Apr. 2021 um 19:12 Uhr schrieb Ingo Tessmann
<tessmann(a)tu-harburg.de>de>:
Damals erntete Haeckel viel Kritik vor allem von den
Pfaffen und damit scheint er mir vergleichbar mit dem heute ähnlich von den Gläubigen
verfolgten Dawkins.
Von einer "Verfolgung" von Dawkins zu reden, trägt nun den Fakten
keine Rechnung. Dawkins ist eine umstrittene Person, wie nicht anders
zu erwarten wenn man sich öffentlich klar zu einer solchen Frage
Positioniert.
Wirklich verfolgt wie einige Denker des 18. Jahrhunderts ist er meines
Wissens nicht. Da gibt es einige aktuelle Beispiele, die eher verfolgt
werden.
Die Kritik an Haeckel kann ich nicht ernsthaft beurteilen.
Noch populärer als Dawkins war aber Hawking mit „Eine
kurze Geschichte der Zeit“ und „Einsteins Traum". Und der endete auch
für die Gläubigen eher ketzerisch, in dem er mit einem Verweis auf seine mit Hartle
entwickelte „Keine Grenzen Hypothese“ für ein ebenfalls
monistisch allein aus sich heraus bestehendes Universum argumentierte. The no-boundary
proposal wird nach wie vor diskutiert.
Dass die Welt sich quasi selbst geschaffen hat, scheint mir rein
logisch jetzt auch nicht besser oder schlechter begründet als andere
Annahmen.
Sie folgt meines Wissens auch nicht direkt aus der Urknalltheorie oder
der Inflation.
Jetzt wüsste ich aber ehrlich gesagt keinen Gläubigen, denn solche
Hypothesen in eine Krise gestürzt hätte. Paradoxerweise scheint die
Evolutionstheorie eher ein verhaßter Gegner zu sein als die
Kosmologie.
Es wäre auch interessant, warum? Theoretisch ist der Glaube einer
ewigen Welt unvereinbar mit den Glauben an eine Schöpfung. Allerdings
kann man die "wissenschaftliche" Version der Ereignisse wahrscheinlich
leichter positivistisch deuten. Und in der Tat, die Modelle des 19.
Jahrhunderts sind ja heute auch relativ hinüber.
Thomas Metzinger hat einen Versuch gemacht zu:
„[...]Könnte es ein modernes spirituelles Selbstverständnis geben, das den veränderten
Bedingungen Rechnung trägt und mit dem (nicht nur für Philosophen wichtigen) Wunsch nach
intellektueller Redlichkeit in Einklang zu bringen ist?“
Jetzt habe ich sein Werk nicht gelesen, aber ausgehend von dem Zitat:
Im Weseten scheint die "östliche" Mystik immer populärer zu werden.
Insbesondere sowas wie Buddhismus. Ich vermute, dass das auch viel mit
der Meditation und der Atmentechnik zu tun hat.
Die Tatsache, dass es bestimmte Übungen gibt, die den Menschen
Entspannung schenken, wird ja vom Atheisten an sich nicht bestritten.
Eventuell ist das eine post-religiöse Form der Spiritualität, deren
Aufstieg wir heute erleben?
Auch darum ging es bereits den Forschern im
ausgehenden 19. Jahrhundert, die sich ebenfalls in einer Umbruchsituation wähnten. Der
Mathematiker
Clifford bspw. formulierte zwei wesentliche Maximen, die auch zur intellektuellen
Redlichkeit in einer „Weltanschauungspsychologie" taugten: "1. Es
ist zu jeder Zeit, an jedem Ort und für jede Person falsch, etwas aufgrund unzureichender
Beweise zu glauben. 2. Es ist zu jeder Zeit, an jedem
Ort und für jede Person falsch, für die eigenen Überzeugungen relevante Beweise zu
ignorieren, oder sie leichtfertig abzuweisen.“
Nun, die 2. Maxime halte ich für gut, aber undurchführbar. Wer kann
sich schon mit jedem Einwand seiner Kritiker befassen?
Der Naturalist müsste aus dieser Perspektive ja Universalgelehrter
sein um auf mögliche Einwände aus Biologie, Astrophysik usw. zu
reagieren.
Die 1. Maxime lehne ich persönlich ab.
Ich habe das pragmatische Verständnis, dass wir manchmal auf Basis von
unzureichenden Informationen urteilen müssen. So etwas wie ein
mathematischer Beweis ist ein ziemlicher Extremfall. Eine Abschätzung
ist dagegen viel eher die Regel.
Dem Unterliegt übrigens auch der Fachmann: Auch der muss außerhalb
seines Fachgebietes mit einem geringeren Beweisstandard zufrieden
sein.
Man sollte sich nur seiner Fehlbarkeit bewusst sein und nicht glauben,
man hätte alles perfekt gelöst.