Am 11.03.2022 um 17:15 schrieb Joseph Hipp via Philweb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
[Philweb]
Am 11.03.22 um 12:42 schrieb Ingo Tessmann:
in konsolidierten Demokratien können selbstredend
Kommunikationen auch vom Dissens ausgehen und ihn (meta)diskursiv immer wieder zu
reflektieren versuchen. ....
ja, aber wie? Wo sind die Sätze der vom Dissens ausgehen und ihn reflektieren oder gar
aufheben? Was sind die Sätze? Etwa: "Hört mit dem Streit auf!"? Ist das ein
erfolgversprechender Satz? Oder soll es mit mit dem meiner Meinung nach komischen
Vorschlag des Jürgen Habermas vorgegangen werden, dessen Vorgehensweise in dem
übersichtlichen Problem meiner Meinung nach zu einem ebenso komischen Kompromiss führt,
hier aufgezeigt:
https://weltordnung.de/Ersetzungsverfahren.html. Ich gebe zu, es bedarf
Zeit, um diesen Text zu durchgehen, ich kann dafür nur um Entschuldigung bitten. Wenn die
Gefolgschaft von Jürgen Habermas nicht einmal eine einfache Lösung für das dort
diskutierte Problem hat, dann schwindet bei mir die Hoffnung auf eine Lösung bei einem
unübersichtlichen Problem. Ich müsste das Schema nun umwandeln auf
"Ukraine-Russland", aber ich bin kein Fischprediger.
Hi JH,
an Habermas scheinst Du einen Bären gefressen zu haben. Ich halte seine idealtypische
Universalpragmatik für alltagsplausibel, er hat sie seinerzeit aus seiner Theorie des
kommunikativen Handelns entwickelt. Die las ich 1981! Das ist über 40 Jahre her — und
genauso lange fordern die Grünen bereits die Energiewende, der wir jetzt ausgerechnet
durch den Kriegstreiber Putin näher kommen. Nur das es gegenwärtig mindestens hundertmal
teuer wird als es nebenbei über 40 Jahre verteilt geworden wäre. Es ist zum Mäusemelken!
Zurück zu Habermas. Im Gegensatz zu seiner historisch-genetischen Begründung der
Universalpragmatik hatte ich einmal inspiriert von Lorenzen an eine Begründung via
Ideationsverfahren gedacht. Die steht aber bis heute — wie noch so vieles — auf meiner
to-do-List. Wie man (auch kulturübergreifend) vom Dissens zum Konsens kommt, wirst Du doch
schon häufig selbst hin- bzw. mitbekommen haben, nehme ich an. Das ist normale
kommunikative Alltagspraxis. Wie lebst Du denn?
Wie in der
dynamischen Spieltheorie Kooperation aus Konkurrenz hervorgehen kann, wird es erst recht
in dynamischer Kommunikation möglich sein, aus Dissens Konsens zu erlangen. Vorausgesetzt
natürlich, dass es friedfertig und gewaltfrei zugeht. Landwehr bezieht sich in seinem Buch
zum diskursiven Wandel bspw. auf einen gesonderten politischen Kommunikationsraum. Aber
warum sollte der nicht auch in hinreichend angepasster Kommunikation aufgehen können?
Warum sollte er denn darin aufgehen?
Mir scheint das Geschreibe von einem „Kommunikationsraum“ bloß aufgeblasen, es handelt
sich schlicht um menschliche Kommunikation, auch in der Politik.
Solange Krieg
nicht als Politik mit anderen Mitteln aufgefasst wird, stellt sich mir das Politische
lediglich als auf Politik spezialisierte Kommunikation dar.
Die Mittel-Zweck-Denken ist überholt. Das sage ich mal, ohne es hier zu beweisen.
Jede Sache steht für sich. Wo gibt es in der Natur Mittel und Zweck oder Ziel? Die Wurzel
das Mittel für den Baum? Das Bein ein Mittel für das Tier? Oder in der Technik? Das Rad
das Mittel für das Auto? In der Physik: Die Temperatur das Mittel für die Verbrennung?
Wie schön, jetzt haben wir einen Dissens: JH: Jede Sache steht für sich. IT: Nichts steht
für sich, alles hängt mit allem zusammen. Konsens zum Dissens: Jede Sache steht
näherungsweise für sich.
Dass es in der Natur weder Zwecke noch Ziele gibt, schließt nicht aus, dass Menschen sich
kommunikativ Zwecke und Ziele setzen können. Politik setzt Zwecke und Technik stellt die
Mittel bereit. Weil alles mit allem zusammenhängt, sind Mittel-Zweck-Beziehungen in der
Politik natürlich stets nur mehr oder minder grobe Näherungen, ebenso wie
Ursache-Wirkungs-Beziehungen in der Technik. Amüsiert darüber war ja schon Goethe; ist
doch die Realität fast immer eine Parodie der Idee. Gleichwohl können Beine, Räder oder
Autos Mittel für Fortbewegungen sein. Und ein Mittel für Verbrennung ist Sauerstoff.
Jacques
Ranciere dagegen betont die Unmöglichkeit, das Politische mit Kommunikationshandeln
gleichzusetzen. Für ihn ist das Politische in seiner Essenz durch den Dissens markiert.
Dieser entsteht, indem „eine Welt in einer anderen“ geschaffen wird, das heißt ein
Widerspruch innerhalb des Wahrnehmbaren manifest wird und bestimmte Akteure zur
Angleichung der Realitäten an diesen wahrgenommenen Widerspruch animiert. Dem
Kommunikationsmodell mangelt es seiner Meinung nach an Dynamik, da es von feststehenden
Teilnehmern und einer geordneten diskursiven Gemeinschaft im geregelten Austausch
ausgeht.“
Also noch die Dynamik zur Statik hinzufügen? Und wenn die Teilnehmer nicht genügend gut
kommunizieren können, was dann? Wenn ein Kathederphilosoph gut über den geregelten
Austausch sprechen kann, die Schüler dann als Politiker in alle Welt gehen und weiter nur
die Lektionen wiederholen und die anderen nichts verstehen?
Gegen Pandemien hilft impfen, impfen, impfen. Gegen Kommunikationsdefizite hilft lernen,
lernen, lernen.
IT