Netzfundstück
"wie alles anfing"
Information Philosophie 3 (1998) S. 76-77 PHILWEB, ein neues
philosophisches Diskussionsforum im Internet von Hans-Joachim Niemann
https://www.researchgate.net/publication/342918091_PHILWEB_ein_neues_philos…
Wie mag sich das anhören, wenn hundert überwiegend junge und leicht
erhitzbare Philoso-phen ohne Diskussionsleiter über fünf oder sechs
Themen gleichzeitig diskutieren? Ganz manierlich läuft das ab. Es muß
nur im Internet stattfinden. Die räumliche Trennung und der zeitliche
Abstand von Stunden oder Tagen zwischen Frage und Antwort, sowie der
Zwang, sich schriftlich zu äußern, können Wunder wirken. Das ist
zugegebenermaßen eher selten der Fall. "Nettiquette", die Etikette für
das Internet, bleibt oft ein leeres Wort. Über-wiegend sachlich und
witzig dagegen diskutiert man im Philweb, einer für jedermann (und
-frau) offenen Diskussionsgruppe von zur Zeit knapp hundert
philosophisch Interessierten. Dieses Philweb hat sich Ende letzten
Jahres neu auf dem Minerva-Server des PhilNet (Uni Hamburg) organisiert,
nachdem sich auf der Vorgängerversion, die eigentlich nur die
Aktivi-täten aller deutschsprachigen Philosophieanbieter koordinieren
wollte, immer wieder rein philosophische Debatten entwickelt hatten. Nun
also ist genau das der einziges Zweck dieser "nichtmoderierten
Email-Liste".
(....)
sonstwie gearteten Ablehnung eines naiv gescholtenen Realismus ist
unbegrenzt. Im Vorfeld des Heidelberger Konstruktivistenkongresses
(April/Mai 1998) werden die entsprechenden Probleme diskutiert, z.B. das
ZEIT-Interview des Hauptreferenten Heinz von Foerster. Immer wieder wird
neues Öl auch in die Relativismusdebatte gegossen, und es werden die
Segnun-gen der Postmoderne für Pluralismus und Toleranz getestet.
Heftige Reaktionen riefen auch die ersten übersetzten Ausschnitte aus
dem vorerst nur auf Französisch erhältlichen Buch "Intellektuelle
Betrügereien" von Alan Sokal und Jean Bricmont hervor. Kriegerischen
Vokabeln sind durchaus angebracht. Oft genug klappen virtuelle Türen,
müssen seelisch Verletzte wieder aufgerichtet werden, sind für immer
(aus der Liste) Geschiedene zu beklagen. Hinzuzufügen ist aber sofort,
daß die Teilnehmer überwiegend den Humor be-halten und mit Witz dazu
beitragen, philosophische Auseinandersetzungen auf dem schmalen Grad
zwischen Ernst und Spiel zu halten. Mehr und mehr formt sich ein
bestimmter Stil, den keiner Lust hat zu unterbieten. Es dürfte kaum
einen Platz geben, an dem junge PhilosophInnen besser ihren persönlichen
Diskussionsstil ausprobieren und verbessern könnten.
Der Charakter einer Internet-Diskussion ist neu und eigenartig: weder
ersetzt sie die wissenschaftliche Auseinandersetzung, noch macht die
wissenschaftliche Auseinandersetzung Internet-Diskussionen überflüssig.
Im Unterschied zu den wissenschaftlichen Journalen muß der Stil einfach,
klar und kurz sein, andernfalls verlieren die Teilnehmer schnell das
Interesse. Nicht jede Philosophie läßt sich in dieser Weise abhandeln.
Aber es ist eine gar nicht so harmlose Herausforderung für
Berufsphilosophen, hier mithalten zu können: groß ist die Gefahr, im
schnellen Schlagabtausch die Balance zu verlieren; die eigenen
Lieblingsgedanken sehen ohne das übliche barocke Sprachkostüm oft
bemitleidenswert nackt aus; unglaublich schnell stößt das Wechselspiel
von Frage und Antwort zu den heiklen Stellen vor, an denen auch die
Forschung Ratlosigkeit bekennen muß. Philweb wird seit Ende letzten
Jahres vom Minerva-Server des PhilNet betrieben. Die Listenverwaltung
liegt bei: Karl Janssen und Cyril Bitterich . Die Listen-Administration
hat Stefan Mueller übernommen.
Hans-Joachim Niemann
Am 25.07.25 um 17:05 schrieb Claus Zimmermann über PhilWeb:
Ich glaube, dass eine KI zufällig etwas wirklich
lustiges oder schönes hervorbringen könnte, es aber selbst nicht wie wir bemerken, sondern
nur nach Wahrscheinlichkeit bewerten könnte.
Humor und Schönheit können Tausende von Gestalten annehmen.
ich vermisse Stefan
Mueller's Humor auch schon länger
gruss
ingo mack