Am 13.06.22 um 19:35 schrieb Ingo Tessmann:
Hi Karl,
mein Bezug auf den Humor bei Einstein und Busch war natürlich wohl
gewählt; denn was ich bei Dir vermisse, ist die Distanz, d.h. einfach
einmal etwas Abstand gewinnen von seinen Vorurteilen. Wie anders sind
neue Theorien zu entwicheln? Der kreative Neuerer war Einstein,
Wheeler bloß einer seiner vielen Interpreten. Und Interpretieren kann
man viel und endlos, wobei das Sprücheklopfen sicherlich
Aufmerksamkeit in den Medien bringt, aber nicht die Physik weiter
führt. Vom Universum auszugehen, scheint mir solange sinnlos wie wir
keine konsistente Quantengravitation haben. Deshalb ist mir bspw.
Friedens Zugang zur Physik über das konkrete Messen im Labor
naheliegender als Wheelers weitreichende Spekulationen über das
Universum.
Vorurteile oder gewisse Fixierungen von Denkmustern, damit müssen wohl
alle umgehen, die sich der Mühe unterziehen, die Welt von ihren
Grundprinzipien verstehen zu können und dazu in Diskussionen eintreten.
Was m.E. in unserer beiden Diskursimmer wieder aufscheint, hat
allerdings nur zum Teil mit meinen Vorurteilen resp. Überzeugungen zu
tun, in erster Linie sind es grundsätzlich unterschiedliche Weltsichten,
nämlich exakt bezogen auf eine positivistische vs idealistische
Grundeinstellung.
Mein grundlegender Denkansatz ist durchaus von einer Art Idealismus
geprägt, der die physische Lebenswelt nicht auf pure Materie, sondern
auf einem geistigen Prinzip gegründet sieht. Damit spielt universelles
und subjektives Bewusstsein eine wesentliche Rolle in meiner Sicht auf
Gott und die Welt. Das sei mir unbenommen, ebenso wie ich anderen eine
positivistische Grundhaltung zugestehe. Selbstredend und das sollte im
Verlauf jahrzehntelanger Diskussionen hier in philweb deutlich geworden
sein, stehe ich dem Ideal von Exaktheit und Bedeutung der
Naturwissenschaften positiv gegenüber; wie sollte das auch anders zu
vertreten sein, wenn man diesem gegenüber als Ingenieur beruflich
verpflichtet ist.
Schließlich aber stehen sich hier (zu gewichtigen Teilen) im Kern
entzweite Auffassungen von Leben und Welt gegenüber, für deren
Überwindung es kaum eine Brückenfunktion gibt. Letztere wäre evtl.
gegeben, wenn in diesem Forum eine breiter angelegte Beteiligung an den
Diskussionen und damit ein gewisses Austarieren erfolgen würde.
Dennoch bleibe ich dabei - wie oft schon erwähnt: Von andern zu lernen,
heißt Fragen stellen bzw. sich selbst Fragen zu stellen. Glaube nur
nicht, Ingo, ich hätte in all den Jahren nichts von Dir gelernt!
Dennoch scheint es nur zu natürlich, sich bei der Darstellung eigener
Ansichten, Überzeugungen etc. auf Personen zu beziehen, die für die eine
oder andere Denkrichtung resp. Weltsicht, für gewisse Theorien oder
Thesen stehen; so ebenwie jüngst J. Barbour, E. Mach und nun Wheeler.
Wheelers „Informationismus“, wie Du es nanntest, steht natürlich für ein
weiter gespanntes Weltbild, was seinem Wesen als Unitarist entsprechen
dürfte. Für ihn steht nicht Materie als „elementary Building Blocks of
the Universe“ also nicht Materie resp. damit verknüpfte physikalische
Gesetzmäßigkeit im Vordergrund, sondern dieser zugrunde liegende
Informationsprozesse.
Sein Credo war: Leben beruht auf Information und deren hinreichende
Bearbeitung bei allen Lebewesen. Das setzt Bewusstsein als Form von
Bewusstwerdung resp. Wechselwirkung mit der Lebenswelt bzw.
(quantenmechanisch) deren spezifische Beobachtung/Messung voraus. Für
diese Wechselwirkungsprozesse ist ein jeweils gewisses Maß an Energie
erforderlich, entscheidend dabei ist jedoch die Bedeutung/Qualität der
Information.
Somit ist Bewusstsein/Bewusstwerdung als wirkende Realität zu sehen.
Soweit meine Sicht auf diese elementaren Zusammenhänge, die ich
vermutlich mit weiteren Menschen, natürlich längst nicht mit allen
teile. Wo liegt das Problem dabei?
Du forderst neue Theorien zu entwickeln; ich denke, da ist die
Wissenschaft auf gutem Wege – auch wenn der von Dir erwähnte Durchbruch
bei der Quantengravitation bislang nicht gelungen ist. Wir haben hier ja
beliebig schon über Smolin, Rovelli et al. geschrieben und Du hast
diesbezüglich wie auch zu anderen Themen das Forum stets mit
weiterführenden Links auf wissenschaftliche „Papers“ versorgt. Doch das
sind jeweils dutzende bis hunderte Seiten - meist in englischer Sprache
angefertigt – und ich glaube, dass wir uns und das Forum damit (insbes.
den zur Rezeption erforderlichen Zeitaufwand bedenkend) überfordern.
Die Kunst liegt in der Vereinfachung und damit bin ich nochmal bei
Wheelers berühmtem Vorschlag für Autoren: „ simplification –
simplification – simplification”.
Dreimal Vereinfachung – wenn das nur mal so einfach wäre!
Bester Gruß! - Karl