Am 04.06.2021 um 11:55 schrieb Karl Janssen:
Nun ja, so waren diese Zeiten: die einen waren noch vom Krieg
gezeichnet, die anderen haben den gesellschaftlichen Umbruch
eingeleitet. Die einen waren oftmals vom unmittelbaren Frontgeschehen
traumatisiert, die andern brüllten in den Hörsälen Mao-Parolen und
weitere dieser Nachkriegskinder übten sich in freier Liebe uns lasen
Hesse, Böll, Grass, Bachmann; oder eben Max Frisch; „Mein Name sei
Gantenbein“ las ich als erstes Buch von ihm, Homo Faber hat mich dann
vollends zum Ingenieur gemacht (nein - nicht in Gänze, da meine zweite
Seele der Philosophie zuneigt und meine „Grundausbildung“ eher
humanistisch geprägt war.
„Vollends“ schien mir das geflügelte Wort in Horkheimer/Adorno‘s
„Dialektik der Aufklärung“ zu sein, worüber wir hier vor Jahren
diskutierten.
ja, die fast-nachkriegsgeneration war sichtlich seelisch undoder
körperlich traumatisiert, meist, aber bei weitem nicht alle,
und die erste wirkliche nachkriegsgeneration DE kümmerte sich wieder
fast nur um sich selbst, als wäre nix gewesen = auch ich, obwohl meine
spielplätze nach der schule trümmergrundstücke,
eingestürzte häuser waren, ganze häuserzeilen standen in düren noch
zerstört herum, und wir spielten da, fanden dabei oft noch munition usw
(ich hatte zb eine ganze sammlung scharfer
mg-patronen usw), und der hürtgenwald bei düren bot den seltsamen
anblick, dass alle baumwipfel fehlten und hie und da noch leichenteile
im wald herumlagen, vor denen wir kinder uns maßlos ekelten
war eine seltsame kindheit für mich, eigentlich, aber für uns wars
damals normal und üblich,
ich habe damals aus einem winzigen behelfsbunker hinter einer zerstörten
wäscherei bestimmt 40 gipserne hand-kreuze "geborgen", und stelle mir
noch heute vor, was die leute mit diesen unmengen von kreuzen
wohl angefangen haben mögen? war das eine kreuze-sammelstelle? oder
lernte, wer dort im bunker saß, beten, während die royal-airforce über
ihm düren/jülich zu kleinholz schredderte?
und mein großvater mütterlich war als halbjud auf reisen gewesen = er
durfte kz's von innen sehen, ich kannte ihn nachkrieg nur als
verblichenes männlein, ausgeknipst im rollstuhl, solange er noch lebte,
aber er schenkte mir einige seiner bücher mit schönsten schriftbildern,
weil er buchdrucker gewesen war, während mein großvater väterlich
hochgradig aktiv noch im alter einer der honoratioren
in sobernheim war, kein wunder, denn im krieg war er von 1936-45
waffen-ss-ler gewesen, hatte haus und ausgedehnten landbesitz von einer
Familie Wolff im rahmen arisierung "geschenkt" bekommen,
während die Wolffs bis zum tod in kz's zwischenstation nahmen. dieser
großvater schien überhaupt nicht traumatisiert, er erzählte uns kindern
als gutenachtgeschichten immer seine heldentaten im
krieg an den östlichen fronten, von livland bis kaukasus, er war viel
rumgekommen, als ausputzer, wenn die wehrmacht nicht mehr weiterwusste,
kam halt die waffen-ss = der tod war ein
meister aus deutschland, und dieser tod war bis zu seinem sterben in
1974 ein äußerst liebevoller großvater mit uns kindern = traumatisiert
schien der mann nach dem krieg kein bisschen
Nun doch nochmal kurz zurück zu den Kriegsveteranen als
Nachkriegslehrer. War deren Verhalten (wie Du es schilderst) nicht
allzu verständlich, da sie von den schrecklichen, unmittelbar erlebten
Gräueln der Kriegshandlungen in ihrer Seele (und nicht selten auch
körperlich) verletzt waren?
ja schon, aber man kann scheinbar auch kriege so oder so verarbeiten,
wie am beispiel meines ss-großvaters zu sehen, der nach krieg kein
bisschen "gezeichnet" war, sondern seine ss-uniform wieder
mit der uniform eines postbeamten vertauschte (auf die er sehr stolz war
= scheinbar: hauptsache uniform?),
die genannten lehrer waren am krieg und ihrem erleben gescheiterte =
mehr oder weniger voll traumatisierte kriegskrüppel auch in den
wieder-frieden hinein
(und nicht zu vergessen, das auch kriege, wie andere katastrophen,
letztlich allen daran beteiligten durchaus spaß machen, den akteuren und
den opfern, die durchaus wechseln, sonst wäre nicht zu erklären,
wieso alle derart inbrünstig bei solchen veranstaltungen mitmachen,
solange sie dabei überleben)
Der von mir geschätzte und hier öfter zitierte D. Bonhoeffer (von den
Nationalsozialisten ermordet) hat in diesen schrecklichen Zeiten das
Lied „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ komponiert (Du wirst Dich
vielleicht daran erinnern). Im Kern hat Paul Gerhardts „befiehl du
deine Wege“ die gleiche psychologische Auswirkung auf Menschen, die in
persönlich oder auch kollektiv erlebten, sehr schwierigen Lebensphasen
nun mal Halt in Gott oder eben allgemein in einer Religion suchen. Das
können oder wollen Atheisten und deren Gleichgesinnte Andersdenkenden
und Andersfühlenden nicht zugestehen, da fehlt es schlichtweg an
Toleranz und Nachsicht.
ich hätte aus sibirischer kriegsgefangenschaft ganz andere schlüsse
gezogen, als ins verquaste deutschland zurückkehren zu wollen, ich wäre
in russland geblieben = unendliche möglichkeiten
was aufzubauen, gerade nach einem derart zerstörerischen krieg, also
nicht beten, sondern anpacken, wie es die sibirischen divisionen
machten, als sie in endlosen zügen nach westen rollten,
auf den lokomotiven banner mit "wir werden schon durch das dunkel
kommen" ...
Ja eben genau dieses, wie wahr und tragisch zugleich!
Einzelschicksale ihrer von vielen Schrecken und Leid geprägten Zeit
und ich möchte mir nicht ausdenken, wie wir WVs
„Wohlstandsvernraucher“ (benannte Joseph uns nicht in der Weise?)
fühlen und handeln würden, sollten wir Gleiches zu erleben haben.
wie wir jetzigen hiesigen wohlstandsmenschen und karrikaturen einen
krieg erleben und durchleben wollten und könnten, das möchte ich mir
nicht einmal ausdenken,
und DE wären dann ja, aufgrund bevölkerungspyramide, eh mehr als die
hälfte der bevölkerung beim (renter u frührenter)volkssturm
wh.
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