Am 10.11.2020 um 03:12 schrieb waldemar_hammel via Philweb:
"wie werden wir eigentlich von natura gelebt"?, das ist eine zentrale
frage/ sollte sein, im rahmen des "nosce te ipsum, mensch" = wer
verdammt bist du eigentlich?
(mit sicherheit nicht annährend der, für den du dich hälst)
frei nach andré heller:
Mir träumte ich sei versunken, tief im Chinesischen Meer.
Versunken nur nicht ertrunken und Lärm kam vom Süden her.
Das waren die Insekten, die bauten die Mandelbaumstadt.
Worin jedes Lebewesen, seine Entsprechung hat.
Für dich gibt es dort eine wie Dich.
Für mich gibt es einen wie mich.
Der gleicht mir in Schicksal und Nam.
Der hat meinen Ruf und mein Ich.
Da fragt ich den der ich war, ob er wisse wozu wir seien.
Und er erwiderte sorgsam, wir sind der zweite aus dreien.
Der erste kam aus dem Feuer, der dritte geht in das Licht.
Der zweite im Zeichen der Schwäne, besitzt das zweite Gesicht.
Ihm offenbart sich der ferne Klang.
Ihm werden die Bilder zuteil.
Erwache nun und schreib dieses Lied.
Es sei dir Bogen und Pfeil.
mich wundert zb sehr, wie es sein kann, dass alles NUR aus quanten
besteht, aus raum und zeit,
und auf höherer ebene NUR aus protonen + neutronen + elektronen,
und auf noch höherer ebene aus ca 100 zusammengestöpselten atome-sorten,
und das ergibt die ganze ungeheuere vielfalt der welt samt ihren
unablässigen spielen ? =
ich kann nicht verstehen, wie aus der letztlich uniformen quantensuppe
diese ganze vielfalt der welt entstehen kann ...
gruß, wh.
Wh: „ bei aller sympathie für lebendiges, weil ich selbst lebendig bin,
finde ich, lebendiges beobachtend, doch nur materie, komplex
zusammengestöpselt, und innerlich immunologisch und autopoietisch so
verschaltet,dass es zum überleben reicht: energieaufnahme, abfälle
ausscheiden, orientierung bezüglich umwelt zum futterfinden, vermehrung,
und eben die dazu notwendigen "geistigen" leistungen. mehr ist, meiner
meinung nach, beim besten willen nicht.“
Alles präzise wie auch ernüchternd beschrieben, soweit es die essentiell
notwendigen Funktionen von lebendiger Körperlichkeit betrifft. Der hier
aufscheinende Unterschied in unserer beiden Sichtweise liegt offenbar
darin, dass für Dich, Waldemar, „geistige Leistungen“ ausschließlich der
funktionalen Steuerung eben dieser Körperlichkeit dienen, während ich
dieses kongeniale Zusammenspiel von Geist und Materie weit über dessen
Funktion zum zweckdienlichen Erhalt lebender Physis hinausgehend
erachte. Dabei ist wesentlich, wo man Geist (an sich) lokalisiert. Dazu
haben wir uns hier bereits ausgetauscht und sind dabei in‘s Stocken
geraten, da wir auch hier sehr unterschiedlichen Denkansätzen folgen.
Für Dich gibt es eben nur Materie und eher akzidentiell fungierende
„geistige Leistungen“, denen Du lediglich physikalische Funktionalität
zuschreibst, wie etwa neuronale Prozesse im Gehirn/ZNS. Mein Verständnis
hingegen (oder - gebotener Bescheidenheit folgend – meine Vorstellung)
von Interaktion zwischen Materie und Geist geht weit darüber hinaus.
Der Frage nach dem Zusammenwirken von Materie und Geist im menschlichen
Körper wird ja nun nicht mehr ausschließlich unter philosophischem
Aspekt nachgegangen. Wir hatten uns hier ausführlich über in diesem
Kontext stehende Themen (Bewusstsein, freier Wille u.a.) ausgetauscht
und dabei insbes. die Rolle der Neurowissenschaft beleuchtet. Dabei
wurde deutlich, dass zur Erklärung des sog. „harten Problems“ (D.
Chalmers) kognitiv-neurowissenschaftliche Methoden (bildgebende
Verfahren, spezifische Zuordnungen von Gehirnregionen usf.) bislang noch
nicht weiterführen.
Daran scheitert somit vornehmlich auch die Erforschung emergenter
Eigenschaften des Gehirns/ZNS, wie etwa Bewusstsein und hier besonders
das von Menschen individuell wahrgenommene phänomenale Erleben
(Qualia). Es bleibt zunächst die Philosophie, die (mehr oder weniger)
plausible Erklärungen anbietet. (Und ja..wir wollten Religion, Theologie
erst mal aus dem Spiel lassen :-))
Doch in welcher Sprache, in welcher Diktion, unter welchen Aspekten kann
uns Philosophie dieses Phänomen näher bringen? Etwa in der alle
Alltagsvorstellungen, alle Illusionen zertrümmernden Nüchternheit
Kant‘scher Explikation? Mühselig und tatsächlich (wenngleich zutreffend)
ernüchternd!
Nicht aus dem Spiel lassen sollte man daher die Kunst, so also die
darstellende, die Poesie und die Musik, als (neben der Mathematik)
einzige Ausdrucksform/Sprache, mit der phänomenales Erleben beschrieben
bzw. diese Empfindung hervorgebracht werden kann.
Warum auch Mathematik? Für meine Begriffe deshalb, weil sie Kern und
Ausdruck (geometrische Grundformen, Schwingungs-/Harmonielehre,
Verslehre/Metrik der Dichtkunst etc.) der genannten Künste ist.
Vielleicht sollten wir deshalb einen kleinen Ausflug in‘s Reich der
Poesie wagen. Es wäre für mich eine Exkursion in weitgehend von mir
unbetretenes Land. Als Kompass könnte mir die Philosophie dienen und
wenn ich solchermaßen beides verbinde, komme ich unweigerlich zu Hölderlin.
Aber zunächst Poesie: Was mich irritiert und dabei doch staunend
erfreut, ist Dein, Waldemar, mit Bezug auf Andre Heller hier
veröffentlichtes Gedicht. Ebenso Dein hier vor einigen Wochen
abgegebenes Bekenntnis phänomenalen Erlebens von „Goldglanz“ (wie er
sich bisweilen - und nur mit dafür wachen Augen zu erkennen - über das
Naturgeschehen breitet).
Damit bringst Du doch Deine Überzeugung zum Ausdruck, dass Leben (als
tiefes Erleben) und Menschsein nicht einzig auf essentiell
überlebensnotwendige Funktionalität beschränkt ist!
Wh: „ Erwache nun und schreib dieses Lied.
Es sei dir Bogen und Pfeil.
{...]“
Erwachen (sich vom Schlaf des Alltäglichen entheben) und „Lieder“
schreiben. Davon beseelt war sicher auch Hölderlin, mit dem Du die
absolute Abneigung gegen orthodoxe Religionsausübung teilst. Er, der
über Jahre hinweg dem mächtigen und dringenden Wunsch seiner Mutter
ausgesetzt war, Pfarrer werden zu sollen, verschrieb sich bis zuletzt
einzig der Poesie. Doch Poesie durchweg als Lebenselixier? Mitnichten!
Hölderlin, dieser vom Spannungsfeld der Lebenswelt hin und her Gerissene
und zuletzt zerrissene Denker, wie viele andere seiner Kategorie
(Kirkegaard, Nietzsche – um nur diese beispielhaft zu nennen), steht mir
typisch für das Erwachen und poetische Schreiben. Ein Erwachen und
entwachsen aus der Orthodoxie einer ihm unzugänglich, unerträglich
gewordenen Glaubenswelt.
Er blieb ein Leben lang Suchender, Erwachender, im Spannungs-Bogen
zwischen unerbittlicher Realität und poetischem Ideal, als dem
zielgerichteten Pfeil in eine lebenswerte Welt.
Obgleich begleitet von wohlmeinenden Freunden (die schwäbische
Philosophenriege) und maßgeblich (wie diese alle) von Spinozas
Schriften geprägt. Spinoza also, (i. Ggs. zu Hölderlin) von nüchtern
rationaler Weltsicht geprägt, sieht das eigentlich Wertvolle am Leben
durchaus eben in der Erhaltung desselben und nicht darin, sich in
utopischen Ideen von Welttranszendenz zu verlieren.
Diese Grundhaltung könnte somit auch Deiner, Waldemar, entsprechen,
wonach eben dem bloßen Lebenserhalt dienende „immunologisch und
autopoietisch“ angelegte Funktionalität vorherrscht.
Die diesbezügliche Ausrichtung auf Spinozas rationaler Weltsicht sollte
aber nicht verdecken, dass er sehr wohl von der Existenz der
menschlichen Seele und damit auch vom Vorhandensein geistiger Substanz
überzeugt war. Dieser Seele sprach er die Fähigkeit zu, die eigentliche
Wesenheit (eines nicht persönlichen!) Gottes erkennen zu können. Im
Sinne Spinozas ist damit auch die Fähigkeit des Menschen verstanden,
urgründlich in die Geheimnisse der Natur vordringen zu können. Für
Spinoza damit auch verstanden: Das Göttliche in der Natur, als eben von
dieser durchwoben, zu erkennen.
(Ich neige nicht zu der Ansicht, Natur und Göttliches sei a priori
verwoben, sondern betrachte diese "Substanzen" als durchaus
verschiedene, jedoch sich bedingende Ebenen (Im Sinne von strange
loops), deren Verbindung sich jeweils durch bewusste Interaktion - in
Resonanz treten - vollzieht. Wenn schon Quanten ...dann entspräche dies
einer Aktualisierung (Dekohärenz) der potentiell möglichen Verbindung
(Superposition) durch einen "Messvorgang" oder schlichtweg durch einen
entsprechend agierenden "Beobachter". Für Christen hieße das, durch
Gebet oder Meditation in Verbindung mit Gott treten (Wer klopfet, dem
wird aufgetan). Ansonsten: "Das Schweigen Gottes".
Natur ist nach Spinoza eins mit Gott und eben dieser ist unendliche,
unteilbare durch und aus sich selbst geschaffene immaterielle Substanz.
Die Welt ist somit selbstdarstellende Repräsentanz Gottes.
Alle Dinglichkeit resp. Körperlichkeit erscheint als Ausformung
göttlicher Idee (im christlichen Bild als Schöpfung, im cartesischen als
res extensa); jegliche von Menschen wahrgenommene Übernatürlichkeit
entspringt einem intuitiven Empfinden als Quelle für die geistige
Beziehung zu Gott. Damit ist jedoch wiederum das Problem des
cartesianischen Leib-Seele-Dualismus vor Augen, dem Spinoza damit zu
begegnen suchte, indem er gleichermaßen Identität von Körperlichkeit und
Geist voraussetzte, die sich unter dem jeweiligen Betrachtungsaspekt von
res cogitans (Geist) und res extensa (Körperlichkeit) wieder entzweit.
Damit ist der Bogen unseres Erlebens (von Dasein in der Welt) gespannt
zwischen purer Lebensfunktionalität zum Selbsterhalt (Mensch als
unverbrüchlicher Teil irdischen Lebensraums) und einem dem Menschen
innewohnenden intuitivem Zugang zu einem (seinen sinnlichen
Erfahrungshorizont übersteigenden) übernatürlichen Raum.
Und hierzu nochmal Hölderlin:
"Es giebt zwei Ideale unseres Daseyns: einen Zustand der höchsten
Einfalt, wo unsre Bedürfnisse mit sich selbst, und mit unsern Kräften,
und mit allem, womit wir in Verbindung stehen, durch die bloße
Organisation der Natur, ohne unser Zuthun, gegenseitig zusammenstimmen,
und einen Zustand der höchsten Bildung, wo dasselbe statt finden würde
bei unendlich vervielfältigten und verstärkten Bedürfnissen und Kräften,
durch die Organisation, die wir uns selbst zu geben im Stande sind. Die
exzentrische Bahn, die der Mensch, im Allgemeinen und Einzelnen, von
einem Puncte (der mehr oder weniger reinen Einfalt) zum andern (der mehr
oder weniger vollendeten Bildung) durchläuft, scheint sich, nach ihren
wesentlichen Richtungen, immer gleich zu seyn."
Die ewige Wiederkehr also und die Exzentrik, von der ich kürzlich hier
schrieb. So lebt uns Natura, als von Geist und Materie potentiell!
verschränkte Substanz.
Und hier kommt der Break, sonst wird unser imaginärer „Wortzähler“
überstrapaziert.
Der Worte also erst mal genug, aber niemals der Gedanken: so hoffe ich
für uns alle hier.
Mit bestem Gruß an Dich und in die Runde! - Karl
PS: so ganz ohne Gott (ich denke und spreche lieber von Göttlichkeit)
geht es bei mir doch nicht.