Am 28.08.2018 um 21:38 schrieb Rat Frag via Philweb:
[Philweb] Am 10. August 2018 um 15:09 schrieb K.
Janssen:
> Als ich das Buch vor Jahrzehnten erstmals las, hat es mich ähnlich
in den Bann
gezogen wie beispielsweise die Romane von Hesse.
Rf: Beides jetzt Texte, die ich nicht gelesen habe und über die ich
deshalb schweige, um mich nicht lächerlich zu machen.
Ich denke, man kann sich niemals lächerlich machen, wenn man - wie Du –
ernsthaft die Dinge „zwischen Himmel und Erde“ hinterfragt, um
Grundsätze des (Zusammen)Lebens bemüht ist und diesbezügliche Fragen
(wie z.B. hier in philweb) zur Diskussion stellt. Das fordert alle in
der Liste (zumindest bis in gewisse Detailtiefe mitlesende) zum Denken
auf und bringt Teilnehmer (jedenfalls mich) dazu, sich Themen neu zu
öffnen bzw. sich diese wiederholt zu erschließen.
Angenehm in philweb empfinde ich (trotz natürlich der sehr geringen
interaktiven Teilnahme), dass man nicht sogleich mit Meinungen, Thesen
etc. in oft aggressiver und verletzender Art übereinander herfällt, wie
man es in anderen Foren oder Blogs mit Abscheu erleben kann.
kj: Einerseits die Kritik an der Aufklärung des 17. und 18.
Jahrhunderts; an jener Art von Aufklärung, die ein gewisses Scheitern
von Beginn an im Diktum der „instrumentellen Vernunft“ in sich angelegt
hatte, demzufolge sich ein dem puren Nutzen verschriebenes Verhältnis
von Kultur zur Natur entwickelte.
Rf: Das könnte in der Tat in meine Richtung gehen. Das Problem ist nur,
bisher ist es noch niemanden gelungen, wirklich moralische Grundsätze
aus der "reinen Vernunft" abzuleiten.
kj: Sofern ich es zutreffend werte, ist es Dir generell eher an einer
endgültigen Herleitung schlüssiger, allgemein anerkannter
Moralgesetzlichkeit gelegen; so wollte ich annehmen, dass dies aus
„reinen Vernunftsgründen“ prinzipiell nicht möglich ist. Gerade unsere
gesellschaftliche Gegenwartssituation, mit ihrer maßlosen
Rationalisierung schafft mehr Probleme des Alltagslebens als sie diese
zu lösen versucht. So sind es eher „pragmatisch“ angelegte Grundsätze
diverser Moralvorstellungen, wie diese sich (ethnisch differenziert)
weltweit in allen Gesellschaftstrukturen verankert haben. Meines
Erachtens liegt das Problem darin, dass diese Moralgesetzlichkeit
(normative und ethische Verhaltensformen) schlichtweg aus
verschiedensten Gründen missachtet wird.
Geschuldet eben auch (wie von mir bereits beschrieben) einer sich endlos
ausdifferenzierenden Welt. Weltweit irrational extensive Techniknutzung
mit hemmungsloser Massenproduktion von Konsumgütern, deren vorgeblicher
Bedarf durch massenhaft erzeugte kulturelle Symbole und deren
Verbreitung über Massenmedien befeuert wird. Schlichtweg vernichtende
Massenproduktion und damit gnadenlose Ausbeutung von Ressourcen.
Ausuferung einer Kulturindustrie (Eventhype etc.) und Ausflucht in
diese. Medienherrschaft durch oktroyierte Meinungsbildung.
Rf: Ich nehme mir die Freiheit einer Rückfrage: Was soll mit
"Kulturindustrie" gemeint sein? Verstehe ich den Text richtig, dass
heute eine Kulturindustrie bestehen soll, während diese z. B. zur Zeit
von Shakespear unbekannt war?
kj: In Anlehnung an Horkheimer-Adorno übernehme ich deren Begriff von
„Kulturindustrie“ und schließe mich der Kritik an, wonach massenhafte
Produktion und Verbreitung von Kulturgütern im industriellen Zeitalter
(obgleich eigentlich wünschenwerte Möglichkeit zur Verbreitung von Kunst
und Kultur durch Medien!) diese nicht zu einer aufgeklärten Gesellschaft
beitragen, sondern zweckrational instrumentalisiert werden und damit der
hehre Anspruch sich in sein Gegenteil verkehrt. Ein Blick in die übliche
Medienkultur (also dem Unterhaltungs-/Informationsangebot und dem
Werbungs-Terror zur Hauptsendezeit) sollte genügen, um dies zu erkennen.
Unter Kulturindustrie verstehe ich die von Medien, Institutionen,
Konzernen etc. der Gesellschaft angebotenen bzw. oktroyierten
„Unterhaltungs- und Vergnügungsprodukte“. So ist heute Kultur- und
Vergnügungsindustrie zu einem Komplex verschmolzen, der widerlichsten
kapitalistischen Produktionsprozessen unterworfen ist und gnadenlosen
Gesetzen des Marktes mitsamt subtil psychologisch ausgefeilter
Werbe-Propaganda unterliegen. Gesellschaftskultur zugehörig ist
natürlich auch das politische Geschehen.
Dazu folgendes Zitat:
„Propaganda ist der exekutive Arm der unsichtbaren Regierung … In fast
jedem Aspekt unseres Lebens, ob nun in der Sphäre von Politik oder im
Geschäftsleben, in unserem sozialen Verhalten oder in unserem
moralischen Empfinden, werden wir beherrscht von dem vergleichsweise
kleinen Personenkreis, der über die mentalen Vorgänge und sozialen
Muster der Massen Bescheid weiß. Sie ziehen die Fäden, die das
öffentliche Bewusstsein steuern, und die althergebrachten
gesellschaftlichen Kräfte für sich dienstbar machen. Die neue Methoden
ersinnen, die Welt an sich zu binden und sie zu führen.“ (Edward Bernays)
Edward Bernays, der nicht nur die tiefenpsychologischen Erkenntnisse
seines Onkels S. Freud sondern womöglich auch Kant‘s Definition
verinnerlicht hat: „... Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum
ein so großer Teil der Menschen (...) gerne zeitlebens unmündig bleiben;
und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern
aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. [...]“, gilt als
Begründer des PR (Public Relations). Müßig, seine Vita und m.E.
unrühmlichen Verdienste hier beschreiben zu wollen (Ausnahmsweise würde
ich Wikipedia als Informationsquelle angeben, sofern man nicht sein
gerühmtes Buch „Propaganda“ gelesen hat). Für mich gilt er nicht nur als
unrühmlicher „Spin-Doctor“ sondern man könnte ihn (angesichts seiner
skrupellosen Thesen zur Beeinflussung der Massen) als Medien-Machiavelli
bezeichnen. Skrupellos in seinem erfolgreichen Bemühen, die Zigarette
auch Frauen (für diese zu damaliger Zeit tabu) als „Fackel der Freiheit“
anzupreisen oder Amerikas Kriegseintritt (WK1) unter Wilson zu
betreiben. Bernays ergründete die Gesetze der Medienwelt und
Konsumindustrie: Wer nicht mitzieht, hat verloren. Die Konsumwelt wurde
von ihm revolutioniert mit dem Postulat: Die Masse soll nicht das
Notwendige sondern das Wünschenswerte kaufen.
„Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten
Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element in der
demokratischen Gesellschaft. Wer die ungesehenen
Gesellschaftsmechanismen manipuliert, bildet eine unsichtbare Regierung,
welche die wahre Herrschermacht unseres Landes ist. Wir werden regiert,
unser Verstand geformt, unsere Geschmäcker gebildet, unsere Ideen
größtenteils von Männern suggeriert, von denen wir nie gehört haben.
Dies ist ein logisches Ergebnis der Art wie unsere demokratische
Gesellschaft organisiert ist. Große Menschenzahlen müssen auf diese
Weise kooperieren, wenn sie in einer ausgeglichen funktionierenden
Gesellschaft zusammenleben sollen. In beinahe jeder Handlung unseres
Lebens, ob in der Sphäre der Politik oder bei Geschäften, in unserem
sozialen Verhalten und unserem ethischen Denken werden wir durch eine
relativ geringe Zahl an Personen dominiert, welche die mentalen Prozesse
und Verhaltensmuster der Massen verstehen. Sie sind es, die die Fäden
ziehen, welche das öffentliche Denken kontrollieren.“ (E. Barnays)
Das lässt sich u.U. auch unverfänglich lesen. „Wolf im Schafspelz“ eben.
Bernays ist nicht nur maßgeblicher Anstifter zerstörerischer
Ausprägungen eines „Turbo-Kapitalismus“, sondern auch Ideengeber (u.a.
auch für Goebbels) zur Massenbeenflussung bis in unsere Tage. So trifft
auf ihn zu, was ich zuletzt (ohne explizit auf ihn eingegangen zu sein)
geschrieben habe:
Man weiß um die „Faulheit und Feigheit“, also die Manipulierbarkeit des
„Packs“ und befeuert auf beiden Seiten der politischen Extreme
Ressentiments und Feindbilder. Zurück bleibt allenfalls Dissoziation und
innerer Protest einer Gesellschaft, die solchermaßen ihrer Gewissheiten,
ihrer Vertrautheiten beraubt, ihren Halt, ihre politische Mitte verliert.
Welch unheilvolle Aktualität diese Zusammenhänge in diesen Tagen zeigt!
Bisweilen bleibt es nicht beim inneren Protest.
Bester Gruß!
Karl
PS: Diesmal sollte es nicht zu lange werden, also komme ich beizeiten
auf die anderen Punkte Deiner Replik zurück.