Am 02.09.2022 um 18:00 schrieb Ingo Tessmann über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Moin Karl,
ich hatte geschrieben: „solange Du mit gläubiger Inbrunst etwas in seiner „Ganzheit“ zu
erfassen trachtest, wirst Du bloß weiter in Dir selbst kreisen.“ Ich hatte den Bezug auf
„Ganzheit“ kritisiert, nicht Selbstorganisation. „Das Prinzip Selbstorganisation“
allerdings scheint mir ebenfalls wenig erhellend. Warum ständig diese Schlagwörter? Sie
erklären doch nichts. Umgangssprachlich ist das verbreitet, aber philosophisch sollte es
stimmig zugehen. wh’s Mails landen bei mir bereits im Müll, ich hoffe nicht, dass Deine
mir bald ebenso auf die Nerven gehen werden. Aber filtern hülfe natürlich.
Moin moin Ingo,
moin, moin pflegte ich vor Jahrzehnten während meiner Zeit im hohen Norden zu grüßen, hier
aus dem tiefen Süden der Republik sage ich - Servus Ingo!
Das war mir schon bewusst, was Du mit gläubiger Inbrunst und Ganzheit ausdrücken wolltest.
Auch wir kennen uns lange genug, um nicht sogleich die jeweilige Intention unserer
Ausdrucksweise erfassen zu können.
Weltanschaulich – wie oft gesagt – liegen wir auseinander, was sich in Fragen hinsichtlich
Metaphysik und natürlich Religion am Deutlichsten zeigt. Darüber brauchen wir auch kein
Wort mehr verlieren. Und wenn ich von Ganzheit spreche, gerate ich bei Dir sofort in den
Verdacht, esoterischen oder gar religiösen Denkmustern zu folgen. Auch hier sollte doch
Dir und auch Waldemar längst klar geworden sein, dass ich zwar Christ und obendrein auch
noch (geschmähter) Katholik bin, mich aber keineswegs an den Schemata überkommener naiver
Glaubensvorstellungen orientiere. Gott ist meiner Vorstellung nach eben nicht dieser in
Ewigkeit existierende, allgütige, allwissende, gerechte Weise, seit jeher in jenseitigen
Gefilden (wo auch immer in den Universen) residierend.
Gleichwohl gehe ich von der Existenz einer die „irdischen Welten“, also habitable
Lebenswelten übersteigenden Wesenheit aus. Eine Wesenheit, die man metaphysisch als eine
alles umfassende, immaterielle Einheit, eben als ein den unzähligen materialisierten
Lebenswelten übergeordnetes geistiges Prinzip denken kann. Wiederum kann und nicht muss!
Jeder nach seiner Façon - und ich würde ergänzen, jeder nach seinem Vermögen. Und genau um
das Vermögen der Menschen geht es bei deren Wahrnehmung spiritueller Phänomene, wie es
sich von deren erstmaligem Aufscheinen in der Frühzeit der Menschheitsentwicklung bis in
die Neuzeit sehr unterschiedlich entwickelt hat.
Es sind wohl Waldemars „animistische Relikte“, die sich bis heute in den Menschen (mehr
oder weniger) abbilden. Menschen unseres modernen Zeitalters werden kaum noch an einen
Gott des Donners oder sonstig (wie in der Antike) angenommene Götter glauben und auch mit
dem Glauben an den allgegenwärtig zitierten Gott (oh my god!) ist es nicht mehr weit her;
etwas weit hergeholt hingegen, wenn es um den Ausdruck heftigster Gefühle im Liebesakt
geht.
Um es für mich deutlich zu sagen: ich kann diese laufende Bezüglichkeit auf einen Gott
(als Platzhalter aller möglichen emotionalen Empfindungen) eigentlich nicht mehr hören,
einerlei, ob es sich um das Glaubensgedusel von Religiösen oder um säkulare Vereinnahmung
im benannten Sinne handelt. Neben dem Bilderverbot sollte es auch das Verbot der
Namensnennung gegeben haben, was es de facto ja auch gibt: JAHWE – ich bin da; nicht mehr
– nicht weniger. Solo Dios basta!
Letztgesagtes ist nichts für Deine Ohren, Ingo und so habe ich es auch nicht für Dich
geschrieben, sondern für jene hier, die das (spezifische) Vermögen haben, das Geschriebene
in ihr Weltbild einzuordnen.
Du kannst gut ohne einen Gott leben und damit sei es auch getan mit Bezügen hier auf eben
diesen. Ich kann gut mit einem Gott oder besser gesagt mit einer Gottesvorstellung im oben
beschriebenen Sinn leben. Dass ich diese Wesenheit niemals als verkörpertes, sondern als
geistiges Prinzip sehe, daran partizipierend den Menschen quasi als „Kind Gottes“, ist
meine persönliche Sicht auf diese Zusammenhänge die mir unbenommen sein sollten. Ebenso
wie ich anderen dass Recht ihrer eigenen Vorstellungen und Überzeugungen zugestehe; dieses
solange damit kein Unheil, keine Beeinflussung anderer erfolgt – doch darin liegt exakt
das Problem fundamentalistisch geprägter und vermittelter Religionen und Ideologien.
Darüber braucht man kein Wort mehr verlieren, es ist bereist alles dazu hier geschrieben
worden.
Aber darin liegt auch unser Problem. Ich schreibe von Ganzheit und Du assoziierst dieses
sogleich mit einer mir angedichteten religiösen Überzeugung. Unter Ganzheit des Menschen
verstehe ich die Verbindung von Körperlichkeit mit Geist (philosophisch im Sinne des
Leib-Seele-Problems). Körperlichkeit ist mittlerweile hinreichend definiert und erklärt,
Geist hingegen nicht. Für mich ist Geistiges Information, was wiederum zum Reizwort für
Dich geworden ist.
„Göttlichkeit“ als geistiges Prinzip sehe ich in Informationsfeldern angelegt und die
Interaktion menschlichen Geistes eben mit dieser Göttlichkeit vollzieht sich nichtlokal
und damit immateriell. Es sind dann verschränkte Felder, wie sie sich durch das Gebet der
Christen oder anderer an göttliche Wesenheit Glaubende, wie auch in der Meditation
spirituell geprägter Menschen ergeben.
Wiederum nichts für Deine Ohren, denke ich, was mich aber nicht hindern sollte, meine
Vorstellungen darzulegen. Überdies sind diese Zusammenhänge durchaus in biblischen
Schriften beschrieben. Das Problem dabei ist, dass diese Schriften wortwörtlich genommen
werden, also der damaligen Umgangssprache entsprechend. Das führt zu beliebigen
Fehlinterpretationen. Ich denke, ohne eigene Lebenserfahrung kann man diese Texte
definitiv nicht begreifen, allenfalls lernen und blind rezitieren. Diese „Blindheit“ führt
zu allerlei Unheil, wie hinlänglich von Waldemar beschrieben. Genug nun von Religion,
Göttern und Geist(ern).
Selbstreferenz, Selbstorganisation, Wechselwirkung, das sind hier wirklich Schlagwörter
geworden. Naturwissenschaftlich sind diese Begrifflichkeiten hinreichend erklärt und
beschrieben, philosophisch ist Selbstreferenzialität vor allem erkenntnistheoretisch
bedeutsam: Das Denken über das Denken. Da ist noch Luft nach oben, um es leger
auszudrücken.
Hinsichtlich selbstbezüglicher Systeme würde man philosophisch (aber vor allem
psychologisch) von einer Tendenz zum Solipsismus sprechen. Eine Person stabilisiert resp.
fixiert sein Denken auf sich selbst und schließt sich damit von äußerer Einflussnahme aus.
"Korrespondenzresistent" nennt man das in Fachkreisen.
In der Synergetik als Teil der Theorie dynamischer Systeme folgt Selbstorganisation
mathematisch aus dem Ginzburg-Landau-Haken-Theorem, abgekürzt GLHT, wie ich das
„Versklavungstheorem“ besser bezeichnet finde; denn Haken hat es im Anschluss an die
Ginzburg-Landau-Theorie der Phasenübergänge formuliert. Die Synergetik enthält als
Spezialfall auch die Katastrophentheorie Rene Thoms und erweitert die
Zentrumsmannigfaltigkeitstheorie; denn in beiden kommen keine Fluktuationen vor, die in
der Natur und damit auch in der Synergetik wesentlich sind.
Selbstorganisation im Kontext des Fachgebietes der Synergetik zu diskutieren (dem es ja
zugeordnet ist), würde sich durchaus anbieten, da hiermit ein viel breiteres Spektrum
gegeben ist, in dem unterschiedlichste Aspekte von Selbstorganisation erörtert werden
können. Damit würde man aus der o.a. Schleife diesbezüglicher Begriffe heraus finden.
Bezogen auf Astrophysik würde ich auch annehmen wollen, dass Dunkle Materie/Energie eben
nicht (bloße) Bestandteile dieses Universums sind, sondern dieses (auf bislang nicht
gekannte Art) konstituieren.
Überhaupt Astrophysik: Ein rundweg ermutigenderes Thema hier zur Diskussion, als das
leidige der Metaphysik oder gar Religion, obgleich beide (erst- wie letztgenannte)
Themenbereiche darunter leiden, im Kern (noch) nicht verstanden zu sein.
Bester Gruß! - Karl
PS: Ach ja, noch zum „wichtigsten Ordnungsparameter im Kapitalismus“. Geld als die
hässliche Fratze des Kapitalismus; die Moneymaker sind wieder hoch aktiv und fummeln in
der Tat nach Belieben an den Kontrollparametern Öl und Gas. Sind Politiker dazu verdammt,
diesem dreckigen Spiel zusehen zu müssen, ohne Möglichkeit dieses zu beenden oder
zumindest es zu beschränken?